„Man könnte so weit gehen und sagen, daß der ganze linksliberale Block aus undeutlichen Habermasianern besteht. Für diese große Mehrheit ist typisch, daß sie sich für eine verfolgte Minderheit hält und daß sie ihre fast nirgends angefochtene kulturelle Hegemonie im Stil von Notwehr gegen einen übermächtigen Gegner ausübt.“ Peter Sloterdijk
Martin Walsers Tod beschäftigt alle politischen Akteure. Im Mainstream wird er als „Jahrhundertschriftseller“ bezeichnet – dieses Epitaph dürfte nur als Lebensjahrhundert Bestand haben oder aber als Hinweis auf den erbärmlichen Zustand unserer deutschen Literatur. Mir ist es nie gelungen, ihn so zu sehen; ich konnte mich nur zu wenigen Lektüren durchringen und auch diese blieben erinnerungslos.
Die Linke und die Rechte sehen ihn hingegen als einen, der die „Brandmauer“ niedergerissen hat, die Brandmauer zu unserer verschütteten Geschichte. Tatsächlich wird er in dieser Funktion bedeutender gewesen sein, auch dann noch, wenn seine Werke auf dem Ramschtisch vergilben. Die Linke sieht darin den Entgrenzer, die Rechte den Befreier.
Gelegenheit, das politische und geistige Netz der Zeit ein wenig zu entfalten und mit dem Heute noch einmal zu verknüpfen.
Vor 25 Jahren hielt Martin Walser seine legendäre Rede in der Frankfurter Paulskirche, deren Worte die deutsche Zivilgesellschaft bis heute ebenso erschüttern, wie die darin aufgezeigten und zu Bewußtsein gebrachten deutschen Idiosynkrasien. Stella Hindemith, eine Kulturwissenschaftlerin mit jüdischen Großeltern, hat dazu einen aufschlußreichen und maßgebenden Artikel veröffentlicht, der den geistigen Zustand der „Eliten“ auf wunderbare Weise selbstkarikiert: „Im Umgang mit der deutschen Nazivergangenheit markierte Martin Walsers Rede in der Paulskirche eine Wende: Vor 20 Jahren verschob er die Grenzen des Sagbaren nach rechts.“