Abholen, wo sie sind

Sehr interessantes Gespräch zwischen Florian Müller von der „Krautzone“ und der „Jungen Freiheit“. Die „Krautzone“ will ein jugendliches, frisches, witziges und buntes rechtes Magazin sein, das vor allem junge Leser anlockt. Sie hat sich mittlerweile zu einer festen Größe im konservativen Blätterwald gemausert – ich selbst durfte in einem sehr frühen Heft einen Artikel platzieren[1]. Weiterlesen

Wir sind umzingelt!

Die Globalisierung hat uns nicht nur die Fernstenliebe, sondern auch die Fernstensorge beschert. So dürfen wir uns – neben tausend anderen Sorgen – auch über den Zustand der Demokratie in Chile ängstigen, am anderen Ende der Welt.

Dort gibt es gerade einen konservativen Backlash – reacción, wie man dort so treffend sagt –, weil sich die Progressisten zu siegessicher waren und zu schnell alles wollten. Nämlich in der Verfassung all das festzuschreiben, was uns auch zu Hause sorgt: Gendergerechtigkeit, Wokismus, Quoten etc. Laut „Welt“: „Multikulturell, gendergerecht und ökologisch sollte die neue Verfassung sein, weltweit einzigartig. Dazu gehört das Recht auf „nicht-sexistische“ genderneutrale Bildung in Schulen und Universitäten, ein plurinationaler, interkultureller und ökologischer Staatsbegriff und ein sozialistischer Feminismus, der es möglich machen sollte, dass alle staatlichen Organe der Politik paritätisch besetzt sein müssen, theoretisch aber auch einen Frauenanteil von 75 oder 100 Prozent hätten haben können.“ Weiterlesen

Lob des Alkohols

Er trank nicht nur wahllos und in Mengen, über die er keine Macht mehr besaß, es fehlte ihm auch die innere Vorbereitung, die Sammlung, die ein Erregungsmittel erst richtet, auf ein Ziel richtet, das früher eben nicht den leiblichen Genuß, den sinnlosen Rausch zum Inhalt hatte. (Gustav Schenk: Schatten der Nacht. Die Macht des Giftes in der Welt)

Ja, ich habe getrunken und trinke noch immer, während ich diesen Artikel schreibe. Das verlangt die Authentizität. Ob viel oder wenig, darüber mag man sich streiten. Zuerst einen selbstgemachten Fichtennadelschnaps, das ist Medizin, dann einen Unicum, das ist ein Hungaricum, also Kultur, gelebte Völkerfreundschaft, und zum Schluß ein schönes deutsches Bier. Der Arzt würde sagen: zu viel! Vor allem, wenn er erfährt, daß diese meine tägliche Ration ist. Nicht immer in dieser Zusammensetzung, manchmal ist es Pálinka oder der gute Rigaer Balsam (45%!), manchmal und über längere Phasen ist es Wein, meist rot, aber wenn nichts anderes im Haus ist, dann auch weiß oder rosé. Die Zeit ist stets die gleiche: nach Mitternacht, wenn es still und dunkel und im Haus alles ruht, selbst die Katzen. Dann fühle ich mich allein, endlich, dann fällt alles ab, alle Spannung und Erwartung des Tages. Der Alkohol bringt Frieden und Ruhe. Weiterlesen

Liest das noch jemand?

Die abendliche Routine beim Auskleiden bringt es mit sich, daß mein müder Blick jeden Abend nach links oben abschweift. Dort befinden sich zufälligerweise die Psychoanalytiker. Neben, über, vor den gesammelten Werken Freuds und Jungs stehen und liegen die Schüler, meist in billigen Taschenbuchausgaben der Verlage Kindler, Fischer und Suhrkamp. Schlägt man sie auf, dann brechen manchmal die Rücken, so billig war die Qualität, so ausgetrocknet ist das Papier. Adler, Groddeck, Reik, Rank, Neumann, Horney, Mitscherlich, Clark, Brenner, Politzer, Rogers u.a. bis hin zu Alice Miller und Gerhard Danzer müssen es nebeneinander aushalten, mögen sie sich in Leben und Denken auch spinnefeind gewesen sein im Kampf um die wahre Auslegung der Meister. Nur Wilhelm Reich steht nicht dort; er ist ohnehin viel umfangreicher vertreten, ihm gebührt ein eigener Platz, weit weg von Freud – er steht etwas unglücklich neben Hans Blumenberg, aber das ist nur der Platznot geschuldet. Weiterlesen

Bildung ist eitel

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIV

Über die Bildung des Charakters

Selbstgefällig und stolz denkst du daran, ein paar Bücher gelesen und verstanden, dein Wissen vermehrt, etwas über die Natur oder die menschliche Seele gelernt zu haben. Weiterlesen

Blauer Planet in grünen Fesseln

Orbáns Leseliste III

„Auch von Václav Klaus habe ich etliche Bücher gelesen. Gott sei Dank befindet er sich noch in guter Konstitution. Ich konnte mich vor einigen Tagen bei meinem Besuch in Prag persönlich davon überzeugen. Er hat gute Bücher über die Freiheit geschrieben, jetzt ist von ihm ein Buch über die Inflation erschienen. Auf Klaus lohnt es sich zu achten. Er ist einer der letzten Antikommunisten der Wendezeit, die heute noch schriftstellerisch tätig sind.“

Mit diesen Worten nahm Viktor Orbán gleich zwei Bücher des ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten in seine Leseempfehlungen auf; sie enthalten fast alles, was Orbán an Klaus fasziniert. Weiterlesen

Mir fehlen die Worte

Es ist ja so: wenn man bei Youtube was schaut, bekommt man es nie wieder los, solange man den Cache nicht leert. Nun habe ich mir in letzter Zeit immer mal wieder den Genuß gegönnt, der verwirrenden Schönheit der polnischen Sprache zu lauschen. Mit dem ärgerlichen Resultat, daß ich meine Spielzusammenfassungen der Ungarischen Liga auf Youtube nicht mehr finde.

Stattdessen bietet mir die Maschine an: MISS POLONIA 2021 – WSZYSTKIE KANDYDATKI.[1] Weiterlesen

200 Jahre Petőfi

Daß Sándor Petőfi noch immer lebt, gelesen, gelernt, diskutiert wird, zeigt nicht zuletzt das neue Buch des deutsch-ungarischen Gelehrten Adorján Kovács, den die meisten Leser ganz sicher aus verschiedenen konservativen Periodika kennen. Zum 200. Geburtstag des bedeutendsten Dichters der Magyaren stellt Kovács uns den  Poeten als einen Proteus vor und stellt sich keine geringere Aufgabe, als ihn aus der „unglücklichen  Rezeptionstradition“ der Ungarn zu befreien. Für diese sei er „noch überwiegend der ,volkstümliche‘ oder Volks- oder Nationaldichter geblieben“, was eine Vereinfachung sei. Es gelte hingegen, Petőfi in die gesamte europäische Literatur einzuordnen[1]. Man darf gespannt sein – gut möglich, daß das Buch in Deutschland größere Resonanz erfahren würde als in Ungarn, so es denn übersetzt werden würde.

Heute vor 200 Jahren wurde Petőfi geboren. Der erste Januar mag verdächtig klingen, immerhin weiß man noch nicht mal gesichert, wo sein Geburtshaus steht, ob in Kiskőrös oder in Kiskunfélegyháza. Fast alles am Dichter ist umstritten, von der Geburt bis zu seinem Tod, nur an seiner Größe zweifelt niemand. Sein Heldentod beendete zwar sein junges Leben und verhinderte ein umfängliches Werk, war aber wohl auch Bedingung für seinen ewigen Ruhm.

Am 31. Juli 1849 fiel der Nationaldichter in der Schlacht von Segesvár.

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Irrtum und Lüge

Mir scheint, ein recht sicheres Indiz dafür, einen „Verschwörungstheoretiker“ zu erkennen, ist sein Wortgebrauch. Das läßt sich wohl eher charakterlich, mit der Veranlagung, der persönlichen Disposition erklären, denn ich sehe keinen stringenten inneren Grund, weshalb das so sein müßte, und ich argumentiere hier eher individual-empirisch.

Die Erfahrung lehrt, daß man in diesen Kreisen sehr oft, nahezu inflationär das Wort „Lüge“ – am besten mit Ausrufezeichen! – gebraucht, wo es die Vokabel „Irrtum“ vermutlich auch getan hätte. Mich macht dieser harte Vorwurf sofort stutzig. Weiterlesen

Das Prinzip Überweltigung

Sehr gut entsinne ich mich eines Kino-Besuchs mit meiner Tochter. Sie muß damals um die zehn Jahre alt gewesen sein. Wir wollten „Der König der Löwen“ sehen, ein damals schon überwältigendes Werk, das man als P6 deklariert hatte, ein Fehler, wie ich fand, steckt der Film doch voller dramatischer und angsteinflößender Szenen. Weiterlesen

Schlachtfeld Nietzsche

Wer seriös Nietzsche zitieren will, der greift seit 35 Jahren zur Kritischen Gesamtausgabe aus dem Hause De Gruyter oder wenigstens zur Kritischen Studienausgabe des dtv-Verlages. Beide begrüßen den Interessenten mit einem Skandalon. Man liest auf ihnen: „Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari“. Wie aber kamen zwei Italiener dazu, das deutsche Ereignis Nietzsche herauszugeben? Der Geschichte dieser „Rettung“ geht der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch in seinem Buch „Wie Nietzsche aus der Kälte kam“ nach. Weiterlesen

Saubere und schmutzige Waffen

Albert Wass’ größte Romane – „Gebt mir meine Berge zurück” und „Die Hexe von Funtinel” gehören zur Weisheitsliteratur, in der ewige Wahrheiten mit großer Selbstverständlichkeit und in ganz einfachen Worten vorgetragen werden. Die große Kunst dabei ist es, nicht ins Triviale abzurutschen. Wass gehört neben einigen Skandinaviern – allen voran natürlich Hamsun – zu den Meistern dieses Metiers. Weiterlesen

Wahre Bedürfnisse

Sándor Márai: Das Kräuterbuch XXXV

Über das wahre Bedürfnis

Viel, viel mehr mit Kräutern, mit Pflanzen, mit Obst leben. Weniger, viel weniger mit fettem und mit schwarzem Fleisch! Viel Fisch essen, und jeden Tag Roggenbrot. Tagsüber nie etwas trinken, keinerlei alkoholisches Getränk, und wenn du schon trinkst, dann nur abends, nur nach dem Essen, nur reinen Wein, niemals zu einer anderen Zeit und nie etwas anderes. Wenn du an einem Tag Wein getrunken hast, berühre vierundzwanzig darauffolgende Stunden das Weinglas nicht. Weiterlesen

Freiheit gegenüber den Mächtigen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch XXXIII

Darüber, daß wir frei sind

Wenn du den Mächtigen gegenüberstehst, dann denke immer daran: Von wem bekamen diese Menschen ihre Macht verliehen? Und was können sie überhaupt gegen dich tun? Können sie dir deine Güter, deine Freiheit oder dein Leben nehmen? Und dann? Weiterlesen

Grau denken

Wenn man Peter Sloterdijk heißt, kann man über alles schreiben – warum nicht auch mal über die Farbe Grau? Man darf dann auch die Warnung Hans Blumenbergs, daß „Metaphern dirigieren, führen und verführen“ nonchalant übergehen, ja das Flottieren sogar zur Tugend machen und „gleichsam einer Laune nachgebend“ – das sind die original Eingangsworte! – oder einem „Reflex folgend“ seinen Assoziationen nachsinnen und daraus ein neues Buch machen. Wenn man Sloterdijk heißt, dann darf man das, denn es kommt dennoch Wesentliches zum Vorschein. Dann darf man auch einen Satz Cézannes – „Solange man kein Grau gemalt hat, ist man kein Maler“ auf das Denken und den Philosophen beziehen: das war die Ausgangsintuition; ihrem inneren Witz freudvoll und ausschweifend nachzugehen, ist dem lachenden Philosophen anzumerken. Weiterlesen

Freiwilliger Vorsatz

Sándor Márai: Das Kräuterbuch XXX

Über freiwillige Verpflichtungen[1]

Die an uns selbst gerichteten Verpflichtungen –„ab morgen werde ich dieses oder jenes nicht mehr tun, ich werde so oder so leben, mich mit diesem oder jenem beschäftigen“ – sollte man vielleicht noch gründlicher bedenken als unsere an die Menschen gerichteten Worte.

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Orientierung am Großen

Als Edzard Schaper im Jahre 1937 Rilkes „Malte Laurids Brigge“ las, da war er bereits ein gestandener und viel gelesener Autor. Er hatte einen Vertrag beim Insel-Verlag, war mit der Verlegerin Katharina Kippenberg fast mehr als schicklich befreundet, hatte insbesondere mit seinem Roman „Die sterbende Kirche“ schon ein Hauptwerk aufzuweisen und fiel nach besagter Lektüre dennoch in eine Schaffenskrise. Die Ursachen dafür waren zwar vielfältig und zum Teil auch sehr privat – wie uns sein verdienstvoller Biograph belehrt – aber für unsere Zwecke konzentrieren wir uns auf die fatale Rilke-Lektüre. Weiterlesen

Lebenssituationen ändern

Sándor Márai: Das Kräuterbuch XXVIII

Darüber, wann wir das Recht haben, Lebenssituationen mit Gewalt zu ändern

Dein Arbeitsfeld ermüdet dich, du spürst, daß du woanders, unter anderen Menschen, unter anderen Lebensbedingungen mit wahrer Kraft und Zufriedenheit arbeiten könntest. Das menschliche Zusammenleben hat dich erschöpft, deine Familie, deine Liebste, deine Freunde sind eine Last, und dich treibt das Verlangen, neue Kontakte zu knüpfen. In deiner Wohnung kennst du alle Ecken und Winkel im Schlaf, und du hoffst, daß du in einer neuen, moderneren und komfortableren Wohnung Behagen für deinen Körper und Ruhe für deine Seele findest. Weiterlesen