Der krankmachende Staat und der gesunde Egoismus

Manchmal könnte man denken, man ist nur noch von Invaliden, kaputtgespielten, erschöpften Menschen umgeben. Bekam gerade eine Mail, in der mir mitgeteilt wurde, daß die Person wieder keine Zeit zum Schreiben findet – sie hat gerade Magen-Darm. Klar, kann man haben, kann jeden mal erwischen, aber wenn man die Geschichte kennt, dann ist es eben nur ein neues kleines Kapitel eines mehrbändigen Lebenswerkes, das ganz wesentlich nur aus ich-kann-aus-diesem-oder-jenem-Grund-nicht besteht.

Und es ist ja auch nur ein Fall von vielen. Ob Lehrerin, Bankangestellte, Psychotherapeutin, ob Aktenmensch bei einer städtischen Behörde, Arbeiter beim Autozulieferer oder selbständiger Berater … wohin ich schaue, ausgelaugte Menschen, ein Problem nach dem anderen: Fatigue, Burn Out, Wutanfälle, Bandscheibe, Herz, Reizhusten, Dauerschnupfen oder eben Magen-Darm. Alle hangeln sich von einem Tief zum Nächsten und alle erzählen: wenn dieses oder jenes überstanden ist, in ein, zwei Wochen oder Monaten, dann ist Licht am Ende des Tunnels, es muß nur noch dieses Gutachten gemacht werden oder jene Klassenarbeit korrigiert, nur noch der eine Stapel abgearbeitet oder dieser Fall abgeschlossen werden … und überhaupt, bald ist ja Urlaub, Ferien, Feiertag und dann, ja dann ruht man sich endlich mal aus und kuriert die gröbsten Leiden. Aber das wird nicht passieren, denn pünktlich zu den Ferien stellt sich das nächste Malheur ein und der Vater muß ja trotzdem gepflegt werden und wer macht die Steuererklärung und überhaupt, wie sieht es denn bei uns aus …?

Ich stehe machtlos vor diesen Klagen, wiederhole gebetsmühlenartig: du brauchst Ruhe, du brauchst Bewegung, du brauchst frische Luft, einen Tapetenwechsel, vor allem aber: du mußt endlich deine innere Ruhe finden. Du mußt dein Leben ändern.

„Ja“, ist regelmäßig die Antwort, „du hast ja recht! Aber …“ Und so beginnt der Teufelskreis von vorn. Alle diese Menschen sind ehrenwerte, liebenswerte Menschen, alle stecken so tief in einer Arbeit, in einer Rolle fest, daß es ihnen so erscheinen muß, als würde von ihrem Funktionieren der Lauf der Welt abhängen, als bräche alles zusammen, wenn sie diese eine Arbeit nicht erledigen würden. Dann sage ich manchmal: „Denk doch an X oder Y. Herzinfarkt, Klapsmühle, Krebs … alle kaputtgespielt, plötzlich ausgeschieden, aber der Betrieb ging weiter, ein kurzes Bedauern, eine hektische Umorganisation und die Maschine Schule oder Büro oder Werkhalle lief weiter: die Leute waren entbehrlich, sie haben sich unter einer Fehlannahme geopfert. Niemand ist auf dich angewiesen, nur du selbst und ich vielleicht oder jene, die dir wirklich nahestehen. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht … Und dann nimmt man einen neuen oder einen anderen.

Diese Leute opfern sich auf und sie wissen es meist, aber sie können nicht mehr anders. Sie brauchen wirklich die Katastrophe, um zur Ruhe zu kommen. Irgendwann wird es krachen, irgendwo wird der Körper entzwei gehen und dann die Frage: Warum ich? Warum in so frühem Alter?

Aber diese Leute tun auch ihre Pflicht und das muß man ehren. Nur: Pflicht wofür? Sie zahlen ihre Steuern und wenn sie durch die Stadt gehen, dann sehen sie, wofür die Gelder verwendet und verschwendet werden, und wenn sie Nachrichten schauen, dann begreifen sie, daß eine Politikerkaste – selbst hoffnungslos überlastet und überfordert – ihre Gelder verschleudern, verbrecherisch, aus Dummheit, aus Ideologie, für Projekte ausgeben, die sie selbst nicht teilen und sie sehen, wie sinnlos ihr eigenes Strampeln ist und schließen, daß man sich nur noch aufs Private zurückziehen könne, Augen zu am besten, noch besser Tür und Fenster zu … Nur geht das nicht, denn es flattern die Rechnungen herein, Strom, Heizung, Gas, Benzin, Inflation und überall Angst und Sorge: Klima, Umwelt, Ausländer, Versagen, Inkompetenz, Diktatur am Horizont …

Kann man raus aus diesen Zwängen? Wenn ich von mir behaupte, nicht in ihnen zu stecken, zumindest nicht so tief, dann wird einem das schnell als Arroganz ausgelegt. Aber es ist so und ich bin auch weniger krank als die meisten in meiner Umwelt.

Das Wichtigste, das ist der Stoizismus, den man sich freilich hart erarbeiten muß. Zu wissen, daß man selbst unbedeutend ist. Dinge, die ich zu erledigen, Termine, die ich zu halten habe – die natürlich auch mich stressen – stelle ich mir meist selbst. Wenn ich merke, daß es zu viel wird, dann loslassen. Die Welt geht eben nicht unter, wenn dieses oder jenes nicht erledigt ist. Wichtiger als der Termin ist die Stunde oder anderthalbe im Wald, das Laufen, das Aufatmen, der freie Himmel, die Sonne oder der Regen auf der Haut, das Vogelfutter im Kasten …

Morgen, nein heute, jetzt, könnte ich sterben oder mich selbst beenden. Und was ist dann? Nichts! Es dreht sich weiter, jemand weint, aber auch diese Person wird bald nicht mehr sein. Es lohnt nicht, sich für eine Aufgabe aufzureiben, mit der man sich nicht identifiziert, die nicht ganz und gar deine eigene ist, von dir erstellt und legitimiert.

Es gibt Ausnahmemenschen, die hat „die Geschichte“ auf ihren Platz gestellt und die können auch nur sie so ausfüllen, so daß Stelle und Füllung identisch ist. Für die meisten von uns gilt das nicht. Es kommt darauf an, zu ergründen, wer man ist, denn daraus ergibt sich zwangsläufig „die Aufgabe“ im Leben und die füllt man mit ganzer Kraft aus, einer Kraft aber, die nicht selbstzerstörerisch sein darf, denn damit schadet man nicht nur sich selbst, sondern auch der Aufgabe.

Diese Melodien singe ich nun seit Jahren und Jahrzehnten und oft schauen mich die Leute entsetzt oder erstaunt oder bewundernd an, so als hätte man ein großes Geheimnis verraten. Manche geben mir recht, andere kommen mit einem großen oder vielen Aber. Fast alle sagen: Ja, bei dir … Du hast leicht reden …

Und so dreht sich das Rad weiter, die Leute werden weiterhin kaputtgespielt und krank und verrückt, hier das Herz, dort die Bandscheibe, da der Kopf … und ich nehme es wahr und rechne mit dem Ende, meinem und dem ihren und versuche mich darauf vorzubereiten. Und zwischendurch erledige ich meine Arbeiten, freue mich über Abgeschlossenes und trauere dem Scheitern – meist den Umständen geschuldet – nicht nach.

Und ob ihr entsetzt seid oder erstaunt oder es bewundert, ist mir vollkommen egal. Ich weiß, daß ich bei mir bin und kenne meine Rolle und meine Aufgaben und ich stelle sie jeden Tag vor dem inneren Forum zur Disposition und würde sie sofort beenden, käme es zu einem anderen Schluß.

5 Gedanken zu “Der krankmachende Staat und der gesunde Egoismus

  1. Buckliger Versager schreibt:

    Was soll man denn arbeiten? Haben Sie Kinder? Da kann man sich ja ohnehin eher zurücklehnen; ich habe auch keine, da ich Eugeniker bin und mir den Tod wünsche. Was mich zum nächsten Punkt bringt:

    gerade ein sehr hoher IQ kann hinderlich wirken, wie das Beispiel Chris Langan zeigt, der mit einem IQ um die 195-210 einen der höchsten jemals gemessenen IQs aufweist. Er war ca. zwei Jahrzente Bauarbeiter und Türsteher, da er hier den Kopf frei hatte. Dadurch konnte er auch keine Familie gründen, verdiente um die zehntausend Dollar pro Jahr. Erst mit fast fünfzig hat er eine Frau gefunden, die auch eine sehr hohe Intelligenz mit ca. 168 aufweist.

    Nils M. Holm hat über Leute mit 3+-Sigma-IQs sogar ein (unfertiges) Buch verfaßt, das den Titel „Bridging the Gap“ trägt, dazu noch einen kurzen Artikel im Vidya-Magazin der TNS – Triple Nine Society –, für die man einen IQ von mindestens 146 benötigt. Ein Großteil, die er beschreibt, ist im „Leben” gescheitert, verdient kaum Geld, ist gar arbeitslos. (Das Buch wie auch der Artikel ist unter https://t3x.org/#stuff zu finden.) Die meisten brachen die Schule ab.

    Nun zu Ihrer Weltanschauung, die ich komplett ablehne. Der Stoizismus ist ein Irrtum, wie auch Gómez Dávila notierte. Überhaupt darf man nicht vergessen, daß kein großes Imperium je säkular, atheistisch-materialistisch war. Der Atheist kann ohnehin weder gut noch böse setzen. Wenn Sie hier schreiben, Sie könnten ihr Leben jederzeit beenden, klingt das vermessen, habe ich mich doch mit 23 3/4 aufgeknüpft und überlebt (war bewußtlos, kam sechs Wochen in die Klapse). So einfach ist das nicht, wenn es schnell und sicher gehen soll. Die größten Köpfe waren nie Hedonisten, litten am Leben und haben es nicht gemocht. Schrieb Benn (sinngemäß): „Der soziologische Nenner, der hinter Jahrtausenden schlief / heißt: ein paar große Männer / und die litten tief.“

    Daher lehne ich einen saloppen Umgang mit dem Selbstmord ab, da ich, damals noch Atheist, ihn selbst in Angriff nahm und scheiterte. Zumal ich auch jetzt, als gläubiger Christ, am Leben leide (wie auch Pascal, Kierkegaard, Reinhold Schneider).

    Die Evolution ist natürlich nicht bewiesen, dafür ist die empirische Datenlage viel zu dünn, das meiste ist Quacksalberei, besonders die sogenannte „evoltionäre Psychologie“. Diese muß ja weicher als weich genannt werden, bedenkt man, daß die Evolutionsbiologie, wie Vox Day (Autor von „The Irrational Atheist“) schreibt, nur wenig weicehr als die weichste aller Wissenschaften, die Psychologie, ist. In Christopher Hallpikes „Do We Need God to Be Good?“, das von Vox Days „Castalia House“ verlegt wurde, hat jener eine vernichtende Kritik der „Evopsychologie“ geliefert, die ja vom Unbekannten zum Bekannten gelangen möchte, was Wahnsinn und auch nie so in der Wissenschaft der Fall ist.

    Pinker, den Sie in der Sezession anschnitten, liegt so falsch – wiederum Vox Day –, daß man lieber das Gegenteil von dem annimmt, was er schreibt; da liegt man näher an der Wahrheit.

    Eine Aufgabe im Leben gibt es freilich nicht, selbst ich als jemand, der die Heilige Schrift für Gottes Wort hält, weiß nicht, was er hier soll. Man lebt, weil man gezeugt wurde, das ist alles und ohnehin eine Strafe Gottes, wie Andy Nowicki, selbst Katholik, in „Confessions of a Would-Be Wanker“ und seinen „Notes Before Death“ schreibt. Ja in „Considering Suicide“ hat er sinnvollerweise aus Hamlet zitiert: „or that the Everlasting had not fix’d His canon ‚gainst self-slaughter!“.

    Eben. Wäre dies nicht der Fall, so hätte ich ein weiteres Mal versucht, mein Leben zu beenden. Ich arbeitete nie, lebe von Grundsicherung, gehe auf die vierzig zu. Ich habe hier auf Erden nichts verloren, ohne Gott gibt es niemanden und nichts, der einen zwingen könnte. Da hätte ich mein Leben schon mit vierzehn-fünfzehn beenden können, als mein Leiden losging.

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  2. Nordlicht schreibt:

    Mit 54 warf mich eine plötzliche Erkrankung so stark aus dem 60-Wochenstunden-Job, daß ich danach als nicht mehr arbeitsfähig galt.

    Nach weitgehender Erholung – natürlich verblieben einige Probleme – war ich dem Schicksal dankbar. Mit weniger als der Hälfte auszukommen, nach eigenem Gusto noch etwas hinzu verdienen: ein Glücksfall, dieser Schlag.

    Das war vor 21 Jahren.

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  3. Pérégrinateur schreibt:

    Ein Freund, Professor an einer Universität, berichtet, dass die Studenten heute weithin keinen Durchhaltewillen mehr hätten, sie gäben gleich auf. Drängt er Promovenden, ihre Arbeit zu Ende zu bringen, muss er gewärtigen, dass diese noch unter 30-Jährigen einen Burnout bekommen. (Hat jemand schon von einem „Burnout“ bei einem Bergmann, Dachdecken, Maurer, Installateur, Straßenbauingenieur erfahren?  – Rara avis in terris, bitte unbedingt mitteilen!)

    Auszug aus einem Gespräch mit einem Bachelor-Studenten:

    – „Wieso haben Sie denn die Übungaufgabe nicht gemacht!?“
    – „Das hätte mich bestimmt zwei Stunden gekostet.“
    – „Und? Wenn Sie tagsüber keine Zeit haben, setzen Sie sich halt abends um acht hin, dann sind sie um zehn fertig.“
    – „Aber ich muss doch um halb zehn ins Bett!“

    Junge Leute von Anfang zwanzig, die abends um halb zehn ins Bett gehen. Verlogen oder degeneriert?

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    • Nevem van schreibt:

      Beides zugleich und zwar weltweit. Die Mittel zur Propaganda sind bei wenigen Leuten konzentriert, die jetzt ihren Spass darin zu haben scheinen, normale (also gewöhnliche) Leute zu verunmöglichen. Da lobe ich mir die Habsburger, die selbt bekloppt waren, doch das Gleiche von den Untertanen nicht erwarteten.

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      • Buckliger Versager schreibt:

        Man hat heute „social media“, überhaupt mehr Ablenkung; außerdem ist das eh egal. Wen kümmert schon noch der Doktor, wenn die meisten sich ihn eh mit Plagiaten erwerben. Verlogen sind eher die Boomer, die, wie Vox Day richtig anmerkt, deshalb abzulehnen sind, weil sie unbußfertig bis zum Schluß zu leben scheinen. Denn die Boomer haben zwar nicht die Fäden gesponnen, aber zugegriffen und so z. B. das Fundament, die Ehe, zerstört, worunter ja auch ich zu leiden hatte. Das wird auf der Rechten kaum geahndet, da hier wohl auch jeder gerne promiskuitiv leben möchte. Dabei ist das mindestens ebenfalls so verheerend wie die massenhafte Einwanderung, die natürlich Krieg ist, wie Martin van Creveld in seinem Essay „War and Migration“ darlegte, der in der Anthologie „There Will Be War X: History’s End“ veröffentlicht wurde.

        van Creveld ist führender Militärhistoriker, Doug Saunders ein Globalist, der gar die Überfremdung leugnet. Keine Ahnung, warum Herr Seidel uns mit solchem Schund (Pinker u. Saunders) belästigen muß. Warum nicht noch den Fukuyama ernst nehmen? Habe die Sezession abbestellt.

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