Bis das Ergebnis stimmt

So also geht Demokratie nach linkem Verständnis – ich nehme mir die Freiheit, die Ereignisse in Greifswald zu verallgemeinern. Dort hat man lange und intensiv um den Namenspatron der Universität gerungen. Man wollte Ernst Moritz Arndt nicht mehr. Man, das ist in diesem Falle nicht „keiner“, wie Heidegger meinte – zum ersten Mal wird er von links „widerlegt“ –, sondern das sind die Meinungsmacher, die „Institutionen“, die Gremien, die Ausschüsse  …, die so lange tagen und wieder tagen, bis das einzig akzeptable Ergebnis auch gegen den demokratischen Mehrheitswillen durchgesetzt ist. Und da behält Heidegger doch wieder recht: „Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor.“[1] – Man macht das eben.

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Werther in Ungarn

Wir kommen gerade aus dem Theater. Eigentlich gehe ich nicht mehr. Kann diese dauernde Belehrung, das ewige Moralisieren, gepaart mit Verhunzung einfach nicht mehr ertragen: die Springerstiefel, die Uniformen, die nackten Brüste, dieses Dudududu, das macht man, denkt man, sagt man nicht, das verkappte AfD-Bashing, das wir-sind-bunt-Gelaber … vor allem aber die Erstarrung der schauspielerischen Leistung unter all diesen Vorgaben, die abgelebten Verkörperungen, die Wiederholung gekünstelter Mimik und Gestik und die ideologische Verfremdung oft bewundernswerter Texte.

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Glaubenstiefe und deutsche Härte

„Mit einem ägyptischen Handwerker … unterhielt ich mich zunächst über das literarische Alexandria“ – mit diesen Worten eröffnet Karl Heinz Bohrer eine kleine Nebengeschichte, die man in seiner gedankengesättigten Autobiographie schnell überliest, die jedoch typisch für Bohrers Herangehensweise an das Leben ist und die zudem eine aufschlußreiche Pointe beinhaltet.

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Dylan

Man sollte die Klappe halten, wenn man keine Ahnung hat! Aber Bob Dylan für den Nobelpreis? In Literatur? Da fällt schweigen schwer, auch wenn ich Dylan weder kenne noch mag und auch wenn, aufgrund zu vieler Täuschungen, ich es längst aufgegeben habe, die moderne Literatur zu verfolgen.

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Die Lessing-Legende

Der religiöse Glaube ist die private Sache jedes einzelnen Menschen, in die ihm niemand dreinzureden hat, um derentwillen er von niemandem behelligt werden darf. Aber ebendeshalb darf auch kein Mensch mit seinem religiösen Glauben andere Menschen behelligen. Der Satz, daß Religion Privatsache sei, schließt den Satz ein, daß jede Religion, sei sie nun, welche sie wolle, rücksichtslos bekämpft werden müsse, sobald sie ein Kappzaum der wissenschaftlichen Forschung, eine Waffe der sozialen Unterdrückung sein will. (Franz Mehring: Die Lessing-Legende)

Mal ganz ehrlich: Lessings „Nathan der Weise“ ist ein ziemlich miserables Stück. Wer „Minna von Barnhelm“ oder „Emilia Galotti“ kennt, der weiß, was für ein großartiger Dramatiker Lessing sein konnte. Der „Nathan“ überragt im öffentlichen Bewußtsein trotzdem alles. Gern übersieht man die dramaturgischen Schwächen des Werkes, die holzschnittartigen Figuren, die Theorielastigkeit – denn der „Nathan“ enthält die Ringparabel. Sie mußte in diesem Alterswerk nicht nur wie ein Testament erscheinen, sie paßte auch zu gut zur pseudoaufklärerischen Beschönigung der monotheistischen Religionen unter dem Totschlagwort „Toleranz“. Hätte Lessing geahnt, daß er bis heute dazu mißbraucht wird, Realität anhand seines Märchens zu verdrängen, er würde vielleicht – so viel darf man einem scharfen kritischen Geist zutrauen – das Stück nicht oder anders geschrieben haben. Nun also steht es, wird permanent aus dem Zusammenhang gerissen – ohne Kenntnis des Streites mit Pastor Goeze, dessen Verlängerung der „Nathan“ ist, ist es eigentlich gar nicht zu verstehen – und wurde als Klassik mitverantwortlich für eine Fehlsicht, insbesondere auf eine der drei Religionen. Mittlerweile meint man, Lessing habe damit den Islam als „friedliche Religion“ adeln wollen – tatsächlich war er überhaupt nicht für eine Religion, sondern nur gegen Unterdrückung: verfolgte Jesuiten verteidigte er genauso, wie er gegen Antisemitismus vorging …

Um das Stück zum Leben zu erwecken, bedarf es einiger Mühe. Mit meinen Syrern hatte ich es besprochen. Die Ringparabel war beiden längst bekannt, nicht die Lessingsche Variante, sondern eine eigene. Saladin oder Salah-ad-Din, wie sie ihn sehr respektvoll aussprechen, gilt als einer der größten Helden der muslimischen und syrischen Geschichte, obwohl er Kurde und nicht Araber war. In Damaskus steht ein riesiges Mausoleum, sein Sarg wurde von Wilhelm II., Deutscher Kaiser und Preußischer König, gestiftet.

Saladins Fama, ein mildherziger, weiser und toleranter Feldherr und Sultan gewesen zu sein, beruht auf einer Ausnahmehandlung: Anstatt nach der Eroberung Jerusalems das zeitübliche Blutbad anzurichten, ließ er tausende reiche Christen sich freikaufen, die anderen wurden keinen Kopf kleiner gemacht, sondern in die Sklaverei verkauft. Dahinter stand politisches Kalkül („Weisheit“) und die Rechnung ging auf: Kaum hatte die Nachricht dieser „Mildtätigkeit“ Europa erreicht, begann man alles Mögliche in diesen mystischen Saladin hineinzuprojizieren. Man sah in ihm, woran man – mit christlichem Gewissen belastet – selber krankte: den edlen Heiden, den ritterlichen Gegner, die morgenländische Leuchte der Toleranz. So wurde er zur Legende. Lessing nutze sie und wurde selber zur Lessing-Legende, anfangs zur bürgerlichen, als welche Mehring sie kritisierte, dann zur proletarischen, zu der Mehring sie machte, und schließlich, heute, zur tolerantistischen. Daß auch bei Lessing nur ein einziger Tempelherr das Massaker übersteht, und dies aus ganz privaten Gründen, wird heute gern übersehen.

Die lokale Presse feierte das Stück. Intendant und Fördervereinsvorsitzender schwelgten in versöhnender Hochherzigkeit. Auf der Bühne sieht man hingegen eine wenig inspirierte Vorstellung. Ein Nathan in Anzug und Krawatte kurvt mit einem Schreibtischstuhl in einer kalten Bürolandschaft herum und redet von Tempelherren, Babylon und Jerusalem, Spangen und Ohrgehenken. Routiniert und ohne wirkliches Interesse spielen die Schauspieler ihre Rolle herunter. Immer wieder gibt es Textunsicherheiten, die Abläufe sind nicht einstudiert, man stolpert über Tische, läuft sich in die Wege, die Daja muß mit Textzettel auftreten (die erste Besetzung ist erkrankt), der Patriarch ruft laut und genervt „was?“, als er den Souffleur beim ersten Mal nicht versteht. Im großen Monolog in der Ringparabel werden die entscheidenden Zeilen – „…komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf“ – der politischen Korrektheit oder der Tolerantitis geopfert.

Nathan der "Weise" © Foto: Peter Awtukowitsch/Theater Plauen-Zwickau/Freie Presse

Nathan der „Weise“ © P. Awtukowitsch/FP

Ob die Akteure selber nicht an die Botschaft glauben und sich lächerlich vorkommen oder ob sie aus anderen Gründen demotiviert sind, wissen wir nicht.

Seit zwei Jahrzehnten kämpft das Theater ums Überleben, jedes neue Jahr wird der Haushalt umstritten und letztlich doch gekürzt, man fusioniert und defusioniert, Sparten werden geschlossen, Löhne beschnitten, Personal entlassen … Und im Grunde genommen steht die tabuisierte Einsicht: Die einst boomende kleinbürgerliche sächsische Stadt mit heute proletarischer Bevölkerung, stark überaltert und mit stetigem Einwohnerschwund seit der Wende, braucht kein so großes Theater mehr. Ausverkauft werden ein paar frivole Stücke oder überteure aufgeplusterte Musicals, ansonsten bleiben die Ränge leer.

Auch heute können sie nur mit mehreren Schulklassen zum Vorzugspreis von vier Euro pro Karte halbwegs gefüllt werden. Unter den Zuschauern zwei Syrer, Eintritt frei. Sie wissen von alledem nichts und freuen sich der bunten Bilder. Als der Derwisch in gefaktem Arabisch eintritt und eine peinlich klischeebeladene Vorstellung eines „Arabers“ gibt, schaue ich mich fremdschämend heimlich um. Hussain lächelt ein schiefes Lächeln.

Pause. Gebetszeit. Nach langen Verhandlungen werden wir von einem Betreuer erwartet. Er führt uns im Eilschritt durch die Katakomben. Verwinkelte enge Gänge, viele Türen, ich habe keine Ahnung mehr, wo wir uns befinden. An der Garderobe, der Maske vorbei. Schließlich zum Ballettsaal (das Ballett gibt es nicht mehr). Daneben die Damentoilette. Hussain und Khaled ist der ganze Aufruhr unangenehm. Ein stilles Eckchen hätte doch genügt. Wir schließen die Tür hinter den beiden und unterhalten uns. Die bedauernswerte Daja – plötzlich umgekleidet – huscht auf die Toilette. Wir hören sie urinieren, während ich ein paar Fragen über „die da“ beantworten muß. Der junge Mann ist’s zufrieden. Alles geht seinen Gang. Projekt Integration geglückt, Beitrag geleistet.

Bevor wir uns wieder setzen, fragt Khaled noch: „Wer von den Männern ist denn Salah-ad-Din?“

Kulturschock: zivilisierte Syrer in sächsischer Theaterbrache

Kulturschock: zivilisierte Syrer in sächsischer Theaterbrache

siehe auch: Großes Theater