Die ewige Rechte

Die mediale Aufarbeitung einiger ironischer Videos bekannter Kulturschaffender wirft mindestens zwei subtextuelle oder meta-mediale Fragen auf. Die eine ist die Frage nach Rechts.

Nur wenige der Delinquenten hatten bisher den Mut, für ihr eigenes Handeln offensiv einzustehen, dazu gehören ein Schauspieler namens Liefers und ein Regisseur Brüggemann. Viele andere haben den Schwanz eingezogen oder das schon längst eingeübte Reueritual vollzogen, das alten DDR-Zeitzeugen so unangenehm bekannt vorkommen sollte, müßte man darüber nicht jedes Mal laut lachen.

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Gaulands Fiasko als Kasko

Wer wissen will, wie Politik eigentlich funktioniert oder doch funktionieren sollte, der muß bei Osho in die Schule gehen. Man studiere seine Bücher, man sehe sich die Audienzen an – Osho war der Prototyp des Ideals des Politikers.

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Rassismus Royal

Es ist doch ein Heidenspaß, die Journaille sich in den selbstauferlegten Ketten winden zu sehen, wenn man aus den Augenwinkeln – mehr ist es nicht wert – das Trara um die royale Hochzeit sieht. Sie alle haben furchtbare Angst, etwas Falsches zu sagen, vor dem Affentheater – und aus dieser Angst heraus führen sie es auf.

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Werther in Ungarn

Wir kommen gerade aus dem Theater. Eigentlich gehe ich nicht mehr. Kann diese dauernde Belehrung, das ewige Moralisieren, gepaart mit Verhunzung einfach nicht mehr ertragen: die Springerstiefel, die Uniformen, die nackten Brüste, dieses Dudududu, das macht man, denkt man, sagt man nicht, das verkappte AfD-Bashing, das wir-sind-bunt-Gelaber … vor allem aber die Erstarrung der schauspielerischen Leistung unter all diesen Vorgaben, die abgelebten Verkörperungen, die Wiederholung gekünstelter Mimik und Gestik und die ideologische Verfremdung oft bewundernswerter Texte.

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Ernst nehmen!

Es sind oft die unwesentlich scheinenden Kleinigkeiten, die uns über den Ernst der Lage in Deutschland informieren. Etwa die Meldung, daß die „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ in Greifswald nun nicht mehr so heißen möchte – was natürlich nicht stimmt, denn nur eine Mehrheit des Senats hat darüber entschieden. In einem langjährigen Prozeß, der uns gleich als „demokratisch“ verkauft wird und also zu akzeptieren sei – oder wollen Sie als undemokratisch gelten? –, hat man es sich nicht leicht gemacht.

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Theater um die Rechte

Glaubt von den Lischkas, Haseloffs oder Kaubes dieser Welt tatsächlich einer, er müsse vor uns die Verfassung schützen? Was ist den schlimmstenfalls aus „unserer“ Richtung zu erwarten? Die Einhaltung der Gesetze trotz billig zu erntenden hypermoralischen Lorbeers? Die Wertschätzung und Förderung des wirklich produktiven Teils unseres hart arbeitenden Volkes und die Eindämmung der sinnlosen Verschleuderung des nicht vorhandenen Vermögens in Gesellschaftsexperimente? Wirkliche Ökologie, echter Konsumverzicht anstelle dieser verlogenen better-world-Mentalität der Grünen, denen ihr kleines unbeherrschtes Ich stets wichtiger ist als die dringend notwendige Askese? Mehr Achtung vor dem Staat und seinen Staatsdienern, ob in Polizei, Armee, Lehrkörper oder Verwaltung? (Götz Kubitschek)

Vor unser aller Augen führt die Landesregierung in Sachsen-Anhalt ein klassisches Theaterstück auf, mit überraschender Katharsis. Es ist ein entlarvendes zeitkritisches Stück, im Sinne der Offenlegung der Paradoxien der Epoche und der Grenzen der Demokratie. Die Fachkritik ist sich noch nicht einig, ob man es mit einer Tragödie oder Komödie zu tun hat.

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Das Ende der Kunst

Besonders unter Künstlern und Intellektuellen scheint die bedingungslose Zustimmung zur „Flüchtlingspolitik“ der Kanzlerin hoch zu sein. Aber haben sich das unsere Gebildeten und Bildenden auch gut überlegt? Wissen sie – unter der Prämisse, daß die Zuwanderung zugleich eine deutliche Zunahme an Mitmenschen muslimischen Glaubens mit sich bringt, wissen sie also:

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Amphitheatrum meets/incontra الله

Nichts für Ästheten, diese Überschrift, die gleich drei „Kulturen“ und vier Sprachen vermengt. Aber sie trifft ziemlich genau das, was Ende Oktober in Rom zu sehen war:

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Mythos Al-Andalus

Ich prophezeie der Philosophie eine andere Vergangenheit (Peter Sloterdijk)
Islam has a proud tradition of tolerance. We see it in the history of Andalusia and Cordoba during the Inquisition (sic!). (Barack Hussein Obama)

Die klassische Geschichtserzählung berichtet uns von einem Wunderland Al-Andalus. Inspiriert durch die romantische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, werden die Jahre zwischen 711 und 1492 vornehmlich als Ideal einer toleranten islamischen Zeit, einer Blüte der Gerechtigkeit, der Multikulturalität und Diversität, des Pluralismus und eines friedlichen und sich gegenseitig befruchtenden Nebeneinanders von Islam, Judentum und Christentum, von Convivencia, bis hin zur Symbiose, dargestellt.

Dabei wird, ganz grob gesehen, von drei Phasen ausgegangen: eine anfängliche besonders prosperierende Umayyaden-Herrschaft wurde von den etwas derberen Berber-Dynastien der Almoraviden und Almohaden abgelöst, verfiel zusehends in innere Konflikte und mußte der spanischen und portugiesischen Reconquista die Gebiete wieder abtreten. Was zwischen Eroberung und Rückeroberung lag, wurde seither als Ideal gefeiert, als Hochkultur, der die europäisch-griechisch-jüdisch-christliche ihr Dasein wesentlich zu verdanken habe, und gehört, neben der vermeintlichen Einspeisung des antiken griechischen Wissens durch die islamischen Gelehrten in den Prozeß der europäischen Renaissance und Aufklärung, zu den Hauptmythen eines demokratieaffinen Islam. Unverblümt wird sogar immer wieder ein offenes Interesse an dieser Darstellung signalisiert.

Eine ganz andere Geschichte – wunderbar ironisch mit Unmengen von klassisch-affirmativen Aussagen verschiedenster Quellen konterkariert – erzählt der Historiker Darìo Fernández-Morera in seinem soeben erschienen fulminanten Werk „The myth of the Analusian Paradise“.

Bevor Fernández-Morera das historische Material präsentiert, widmet er sich methodologischen Fragen, unter anderem der, weshalb die Wissenschaft, wenn es um Andalusien geht, oft blind ist. Er glaubt an eine „motivierte Blindheit“, die Individuen daran hindere, unbequeme Tatsachen wahrzunehmen, insbesondere wenn es sich im Dienste einer „kulturellen Agenda“ weiß. „Presentismus“ nennt   Fernández-Morera den Versuch, die Vergangenheit in Begriffen der Gegenwart erzählen zu wollen und damit der Großerzählung des geglückten Multikulturalismus und Religionsfriedens zu dienen. Wichtig auch zu wissen, daß aus Ländern des Nahen Ostens bedeutende Summen an europäische akademische Islam- und Nahost-Institute fließen, um entsprechend auf die historische und politische Darstellung Einfluß zu nehmen. Andere Ansätze werden sowohl in der Akademie als auch in der Presse schnell verteufelt und als unwissenschaftlich hingestellt.

Der Historiker schöpft aus einer unglaublichen Fülle an Material! Historische, juristische, religiöse, biographische, literarische, linguistische, archäologische, architektonische Quellen islamischer, christlicher und jüdischer Observanz werden ebenso herangezogen wie alte und neue Forschungen in vielen verschiedenen Sprachen, so daß „the sheer number of assertions from so many different sources“ regelrecht erschlagend ist und wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann den unvermeidlichen Nebeneffekt der Langeweile, die aufkommt, wenn sich immer und immer wieder das gleiche Bild darbietet. In aller Kürze ist es dies:

Was bereits 710 durch einige Berberraubzüge begann, in deren Folge man im Norden Afrikas vom Reichtum und der Schönheit des Landes (und der Frauen) erfuhr, wurde bald darauf zur religiös motivierten Invasion. Der Begriff des Djihads spielt eine zentrale Rolle, die heute gern kolportierte Differenzierung zwischen „großem“ (innerer Kampf) und „kleinem“ (Krieg) Djihad läßt sich nicht nachweisen: Djihad war de facto und de jure (hauptsächlich in der Maliki-Nachfolge) Eroberung. Selbst die im Westen als Liberale und Geniale gefeierten Ibn Rushd, Ibn Hazm und Ibn Kaldun kannten und verbreiteten nur diesen einen Begriff. Tatsächlich kann man sich ja fragen, auch heute noch, wo denn die vielen erfolgreichen Muslime sind, die der innere Djihad – dem Calvinismus etwa vergleichbar – hervorgebracht haben müßte? Auch der übliche Vergleich mit den Kreuzzügen greife zu kurz, denn während das eine Dauerspannung erzeugen soll, war das andere ein je einmaliges durch eine religiöse Autorität ausgelöstes Ereignis.

Systematisch wurde von den muslimischen Eroberern über Jahrhunderte Terror als psychologische Waffe eingesetzt. Öffentliche Massenenthauptungen, Kreuzigungen, Ausstellung von Leichnamen gehörten ebenso dazu wie das Zerstören von Kirchen, repräsentativen Bauten und Bibliotheken. Das Durchsetzen der  arabischen Sprache ersetzte schnell eine Sprachenvielfalt, die demographische Wucht – eine hohe Geburtenrate und der Zwang, Kinder aus Mischverhältnissen islamisch zu erziehen – wurde bewußt als Waffe eingesetzt. Der kulturelle Verlust war enorm! Umso mehr, wenn man bedenkt, daß die durch byzantinische und römische Einflüsse geprägte Kultur der Westgoten ein reiches Kultur- und Geistesleben entfaltete und mutmaßlich kurz vor einer Blütezeit stand. Nicht die islamische Invasion brachte eine Aufklärung, wie gern geschrieben wird, sondern sie unterbrach eine blühende Kultur auf dem Wege zur Hochkultur und warf Europa kulturell weit zurück (58).

Das läßt sich auf allen Gebieten nachweisen: Medizin, Mathematik, Architektur, Poesie, Musik, bildende Kunst, Theater – letztere fehlen in der islamischen Kultur der Zeit vollkommen. Dort, wo die islamische Kultur brilliert, hat sie sich oft der westgotischen Ideenwelt und der christlichen Handwerker bedient – am paradigmatischsten zeigt das der berühmte muslimische Hufeisenbogen in der Architektur, den man auch als „maurischen Bogen“ kennt.

Frauenrechte wurden im „toleranten“ Andalusien ebenfalls beschnitten – im wahrsten Sinne des Wortes. Daneben gab es Verschleierungspflicht, wurden sie rechtlich entmündigt und dem Manne untergeordnet, an Herd und Krippe gezwungen, wurden zu tausenden als Sexsklaven mißbraucht – darunter viele auf Raubzügen erbeutete weißhäutige – und mußten in Harems dienen. Politischen oder geistigen Einfluß, wie man ihn aus der christlichen Kultur kennt – von Isabella von Kastilien bis Theresa von Àvila – hatte keine einzige Frau, es sei denn „mit den Mitteln der Frau“.

Ähnlich erging es den jüdischen und christlichen Gemeinden. Die Juden freilich litten unter den christlichen Westgoten mehr als unter den Muslimen, von einem Reich der Toleranz zu sprechen, ist jedoch weit hergeholt. Gelbe Armstreifen machten sie jedermann sichtbar, sie lebten in eigenen Vierteln und hatten den streng geregelten Kontakt zu Muslimen zu meiden.

Die christlichen Dhimmi waren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und leisteten neben den Sklaven den größten Beitrag, das öffentliche Leben zu erhalten. Die Liste der Verbote, die sie einzuhalten hatten, kennt kaum ein Ende. Die Dschizya, die sie als Kopfsteuer zu zahlen hatten, war ausdrücklich nicht nur ökonomisch motiviert, sondern diente der beabsichtigten Demütigung. Am tragischsten aus heutiger Sicht dürfte der enorme kulturelle Abstieg sein – die damaligen Menschen werden freilich mehr mit dem eigenen tagtäglichen und hunderttausendfachen Leid beschäftigt gewesen sein.

Fernández-Moreras Schlußfolgerung ist ernüchternd: „Few periods in history have been more misinterpreted than that of Islamic Spain.”

Quelle: Darìo Fernández-Morera: The myth of the Analusian Paradise. Muslims, Christians, and Jews under Islamic Rule in Medieval Spain. Wilmington/Delaware 2016

Youtube: Interview mit Darìo Fernandez-Morea

Youtube: Interview mit Darìo Fernandez-Morea

Radio-Interview mit Darìo Fernandez-Morea

Die Lessing-Legende

Der religiöse Glaube ist die private Sache jedes einzelnen Menschen, in die ihm niemand dreinzureden hat, um derentwillen er von niemandem behelligt werden darf. Aber ebendeshalb darf auch kein Mensch mit seinem religiösen Glauben andere Menschen behelligen. Der Satz, daß Religion Privatsache sei, schließt den Satz ein, daß jede Religion, sei sie nun, welche sie wolle, rücksichtslos bekämpft werden müsse, sobald sie ein Kappzaum der wissenschaftlichen Forschung, eine Waffe der sozialen Unterdrückung sein will. (Franz Mehring: Die Lessing-Legende)

Mal ganz ehrlich: Lessings „Nathan der Weise“ ist ein ziemlich miserables Stück. Wer „Minna von Barnhelm“ oder „Emilia Galotti“ kennt, der weiß, was für ein großartiger Dramatiker Lessing sein konnte. Der „Nathan“ überragt im öffentlichen Bewußtsein trotzdem alles. Gern übersieht man die dramaturgischen Schwächen des Werkes, die holzschnittartigen Figuren, die Theorielastigkeit – denn der „Nathan“ enthält die Ringparabel. Sie mußte in diesem Alterswerk nicht nur wie ein Testament erscheinen, sie paßte auch zu gut zur pseudoaufklärerischen Beschönigung der monotheistischen Religionen unter dem Totschlagwort „Toleranz“. Hätte Lessing geahnt, daß er bis heute dazu mißbraucht wird, Realität anhand seines Märchens zu verdrängen, er würde vielleicht – so viel darf man einem scharfen kritischen Geist zutrauen – das Stück nicht oder anders geschrieben haben. Nun also steht es, wird permanent aus dem Zusammenhang gerissen – ohne Kenntnis des Streites mit Pastor Goeze, dessen Verlängerung der „Nathan“ ist, ist es eigentlich gar nicht zu verstehen – und wurde als Klassik mitverantwortlich für eine Fehlsicht, insbesondere auf eine der drei Religionen. Mittlerweile meint man, Lessing habe damit den Islam als „friedliche Religion“ adeln wollen – tatsächlich war er überhaupt nicht für eine Religion, sondern nur gegen Unterdrückung: verfolgte Jesuiten verteidigte er genauso, wie er gegen Antisemitismus vorging …

Um das Stück zum Leben zu erwecken, bedarf es einiger Mühe. Mit meinen Syrern hatte ich es besprochen. Die Ringparabel war beiden längst bekannt, nicht die Lessingsche Variante, sondern eine eigene. Saladin oder Salah-ad-Din, wie sie ihn sehr respektvoll aussprechen, gilt als einer der größten Helden der muslimischen und syrischen Geschichte, obwohl er Kurde und nicht Araber war. In Damaskus steht ein riesiges Mausoleum, sein Sarg wurde von Wilhelm II., Deutscher Kaiser und Preußischer König, gestiftet.

Saladins Fama, ein mildherziger, weiser und toleranter Feldherr und Sultan gewesen zu sein, beruht auf einer Ausnahmehandlung: Anstatt nach der Eroberung Jerusalems das zeitübliche Blutbad anzurichten, ließ er tausende reiche Christen sich freikaufen, die anderen wurden keinen Kopf kleiner gemacht, sondern in die Sklaverei verkauft. Dahinter stand politisches Kalkül („Weisheit“) und die Rechnung ging auf: Kaum hatte die Nachricht dieser „Mildtätigkeit“ Europa erreicht, begann man alles Mögliche in diesen mystischen Saladin hineinzuprojizieren. Man sah in ihm, woran man – mit christlichem Gewissen belastet – selber krankte: den edlen Heiden, den ritterlichen Gegner, die morgenländische Leuchte der Toleranz. So wurde er zur Legende. Lessing nutze sie und wurde selber zur Lessing-Legende, anfangs zur bürgerlichen, als welche Mehring sie kritisierte, dann zur proletarischen, zu der Mehring sie machte, und schließlich, heute, zur tolerantistischen. Daß auch bei Lessing nur ein einziger Tempelherr das Massaker übersteht, und dies aus ganz privaten Gründen, wird heute gern übersehen.

Die lokale Presse feierte das Stück. Intendant und Fördervereinsvorsitzender schwelgten in versöhnender Hochherzigkeit. Auf der Bühne sieht man hingegen eine wenig inspirierte Vorstellung. Ein Nathan in Anzug und Krawatte kurvt mit einem Schreibtischstuhl in einer kalten Bürolandschaft herum und redet von Tempelherren, Babylon und Jerusalem, Spangen und Ohrgehenken. Routiniert und ohne wirkliches Interesse spielen die Schauspieler ihre Rolle herunter. Immer wieder gibt es Textunsicherheiten, die Abläufe sind nicht einstudiert, man stolpert über Tische, läuft sich in die Wege, die Daja muß mit Textzettel auftreten (die erste Besetzung ist erkrankt), der Patriarch ruft laut und genervt „was?“, als er den Souffleur beim ersten Mal nicht versteht. Im großen Monolog in der Ringparabel werden die entscheidenden Zeilen – „…komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf“ – der politischen Korrektheit oder der Tolerantitis geopfert.

Nathan der "Weise" © Foto: Peter Awtukowitsch/Theater Plauen-Zwickau/Freie Presse

Nathan der „Weise“ © P. Awtukowitsch/FP

Ob die Akteure selber nicht an die Botschaft glauben und sich lächerlich vorkommen oder ob sie aus anderen Gründen demotiviert sind, wissen wir nicht.

Seit zwei Jahrzehnten kämpft das Theater ums Überleben, jedes neue Jahr wird der Haushalt umstritten und letztlich doch gekürzt, man fusioniert und defusioniert, Sparten werden geschlossen, Löhne beschnitten, Personal entlassen … Und im Grunde genommen steht die tabuisierte Einsicht: Die einst boomende kleinbürgerliche sächsische Stadt mit heute proletarischer Bevölkerung, stark überaltert und mit stetigem Einwohnerschwund seit der Wende, braucht kein so großes Theater mehr. Ausverkauft werden ein paar frivole Stücke oder überteure aufgeplusterte Musicals, ansonsten bleiben die Ränge leer.

Auch heute können sie nur mit mehreren Schulklassen zum Vorzugspreis von vier Euro pro Karte halbwegs gefüllt werden. Unter den Zuschauern zwei Syrer, Eintritt frei. Sie wissen von alledem nichts und freuen sich der bunten Bilder. Als der Derwisch in gefaktem Arabisch eintritt und eine peinlich klischeebeladene Vorstellung eines „Arabers“ gibt, schaue ich mich fremdschämend heimlich um. Hussain lächelt ein schiefes Lächeln.

Pause. Gebetszeit. Nach langen Verhandlungen werden wir von einem Betreuer erwartet. Er führt uns im Eilschritt durch die Katakomben. Verwinkelte enge Gänge, viele Türen, ich habe keine Ahnung mehr, wo wir uns befinden. An der Garderobe, der Maske vorbei. Schließlich zum Ballettsaal (das Ballett gibt es nicht mehr). Daneben die Damentoilette. Hussain und Khaled ist der ganze Aufruhr unangenehm. Ein stilles Eckchen hätte doch genügt. Wir schließen die Tür hinter den beiden und unterhalten uns. Die bedauernswerte Daja – plötzlich umgekleidet – huscht auf die Toilette. Wir hören sie urinieren, während ich ein paar Fragen über „die da“ beantworten muß. Der junge Mann ist’s zufrieden. Alles geht seinen Gang. Projekt Integration geglückt, Beitrag geleistet.

Bevor wir uns wieder setzen, fragt Khaled noch: „Wer von den Männern ist denn Salah-ad-Din?“

Kulturschock: zivilisierte Syrer in sächsischer Theaterbrache

Kulturschock: zivilisierte Syrer in sächsischer Theaterbrache

siehe auch: Großes Theater