Budapester Impressionen IX
Nach dreiwöchigem intensivem und nahezu ungestörtem Kontakt mit dieser Stadt ist man vielleicht berechtigt, ein Urteil über sie zu fällen – vielleicht aber auch nicht.
Budapester Impressionen IX
Nach dreiwöchigem intensivem und nahezu ungestörtem Kontakt mit dieser Stadt ist man vielleicht berechtigt, ein Urteil über sie zu fällen – vielleicht aber auch nicht.
Spiele dieses Kalibers, wie das CL-Finale, enthalten immer wichtige Lehren, wie wir bereits letztes Jahr gesehen haben. Auch dieses ebenfalls denkwürdige Endspiel, wenn auch aus ganz anderen Gründen, verdient ein paar Zeilen.
Aller Anfang ist schwer und im Ungarischlernen besonders.
Nach fast zwei Jahren des Paukens – sicher nicht intensiv genug – habe ich nun mein erstes ungarisches Buch gelesen.
Kurt Droffe, geschätzter Leser und Kommentator dieses Blogs, empfahl vor einigen Monaten eine mehrbändige Reisebeschreibung durch Mittel- und Südosteuropa. Ein junger Engländer, noch keine 20 Jahre alt, durchwanderte 1934 entlang der großen Flüsse Rhein und Donau den halben Kontinent und beschreibt diese unglaubliche Reise ein halbes Jahrhundert später.
Einen besonders intrikaten Gedanken versucht Karl Heinz Bohrer zu Ende seines bemerkenswerten autobiographischen Buches immer wieder neu zu fassen. Es ist die Frage nach dem Eigenen und dem Fremden und wie man sich, als weltoffener Mensch, dazu zu verhalten habe.
„Kompaktes Wissen für kluge Köpfe“ – so heißt eine Video-Serie bei der FAZ, in der „die Welt“ in anderthalb Minuten erklärt wird. Folge 3: „Haß im Netz“
Menschen meiner Generation haben meist sehr angenehme Erinnerungen an Cat Stevens. „Die sensibelsten Frauen“, wie Giovanni di Lorenzo in einem Interview mit dem Künstler gestand, legten meist eine seiner Platten auf, zündeten eine Kerze an, gossen ein Glas Wein ein … der Rest ist Geschichte, sweet, sweet memory bis … „Morning has broken“.
Dabei ist der einstige Superstar ein paradigmatisches Beispiel für die unheilige Verbindung von Kunst und Islam. Es lohnt, seiner Geschichte – übrigens nicht nur aus diesem Grund – ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
Erster Paukenschlag der neuen britischen Premierministerin Theresa May war die Ernennung Boris Johnsons zum Außenminister des Landes. Die deutschen Medien haben sich seit Wochen auf breiter Front gegen Johnson aufgebaut – sie halten ihn für den Verantwortlichen des Brexit. Aber auch Johnson hatte nur eine Stimme und wir wissen noch nicht einmal – bei seinem Sinn für Humor – an wen die ging.
Entsprechend wird die Schußfrequenz erhöht und die Wahl skandalisiert. Genüßlich läßt man etwa den SPD-Sympathieträger Stegner granteln: „Frau May wirkt schwächer durch eine solche Personalentscheidung“ und gleich nachtreten: Johnson sei nicht als guter Diplomat bekannt, „jetzt verhandelt er den Brexit. Gute Reise!“ In dieser zynisch-beleidigten Tonlage könnte man durch verschiedene Parteien fortsetzen.
Die „Zeit“ tut es auf ihre Weise, indem sie eine Kompilation vermeintlicher diplomatischer faux pas Johnsons unter der Überschrift „Der Diplomatie-Stümper“ präsentiert. Einige Highlights: Dem „teilweise kenianischen“ Präsidenten Obama bescheinigte Johnson eine „angestammte Abneigung gegen das britische Empire“, weil dieser es gewagt hatte, „eine Büste von Winston Churchill umzustellen.“ Hillary Clinton fiel bei Johnson wegen ihres Aussehens in Ungnade. Sie erinnere ihn an eine „sadistische Krankenschwester in einer Psychiatrie“. Selbst vor Donald Trump, der vom Aussehen und dem Grad der Exzentrizität mit Johnson verwandt sein könnte, machte Johnson nicht halt: „Der einzige Grund, warum ich manche Teile von New York meiden würde, ist, daß man dort auf Donald Trump treffen könnte.“
Schließlich hat er sich gnädig über Präsident Wladimir Putin geäußert. „Auch wenn er ein wenig wie Dobby der Hauself aussieht, ist er ein rücksichtsloser und manipulativer Tyrann“.
Erdogan bekam auch sein Fett in Form eines Gedichtes weg: „There was a young fellow from Ankara / Who was a terrific wankerer / Till he sowed his wild oats / With the help of a goat / But he didn’t even stop to thankera.”
Und selbst mit mighty China legte er sich an: Bei den Schlußfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Peking pries er 2008 die ehrenwerten Gastgeber. Allerdings müsse man doch noch sagen dürfen, daß Tischtennis im 19. Jahrhundert an britischen Eßtischen erfunden wurde. „Das war so. Und es wurde wiff waff genannt.“
Ich kann nicht anders als mich schieflachen, wenn ich diese „Enthüllungen“ der deutschen Presse und Politik lese. Sie zeugen von einer kompletten Unkenntnis der englischen Seele und von deren begnadetem Mutterwitz. Vielleicht muß man lange im Vereinigten Königreich gelebt haben, um diesen genialen Humor genießen zu können. Niemand weiß, ob und wie Johnson diese wichtige Rolle ausfüllen wird, aber Theresa Mays Spielzug könnte der Beginn einer originellen Kombination auf dem politischen Schachbrett sein. Kombinationen sind freilich schwer bis zum Ende durchzurechnen und hängen manchmal vom Geschick des Partners/Gegners ab.
Aber eine Idee der unterschiedlichen Mentalitäten kann jeder bekommen, der sich die Zeit nimmt, Camerons letzte „Prime Ministers Questions“ im Unterhaus anzuschauen und diese humor-, esprit- und rhetorikgeladene halbe Stunde mit jeder beliebigen Bundestagssitzung zu vergleichen.
Diese scharfsinnige Schlagfertigkeit, Intelligenz und Ironie ist auch Produkt der in den deutschen Medien gern gescholtenen elitären Erziehung, die neben Politik und Wirtschaft seit Jahrhunderten auch die englische Kultur bereichert und definiert. Man wird sie kaum von einer ehemaligen FDJ-Sekretärin erwarten dürfen.
„Kunden und Kollegen müssen sich ans Kopftuch gewöhnen“, schreibt sichtlich begeistert Parvin Sadigh in der „Zeit“ und reitet damit ihr Lieblingspferd der letzten Jahre eine Runde weiter. Es geht um die Einschätzung der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofes, die einer klagenden Muslima Recht gibt, auch weiterhin als Vertreterin an Türen klingeln zu dürfen und dabei das Kopftuch zu tragen. So weit so gut.
Aber im Artikel fallen zwei Sätze, schön verpackt, die aufhorchen lassen. „Die gute Nachricht ist: Die langweilige Diskussion, ob Muslime in europäische Länder gehören, ist wirklich vorbei.“ Der Satz ist gleich mehrfach fraglich. Es gibt keine guten Nachrichten an sich – außer vielleicht die „Gute Nachricht“ –, sondern nur in Abhängigkeit vom Empfänger. Gute Nachricht für wen? Langweilig ist die Diskussion zudem wohl nur für diejenigen, die sie nicht mehr führen wollen, für die die Frage schon längst entschieden ist. Fait accompli. Und drittens gibt es diese Diskussion doch gar nicht, wird sie hier verrührt mit der hochaktuellen und hoch brisanten Frage: Gehört der Islam zu Europa/Deutschland? Mit ein paar linguistischen Tricks soll Normalität fingiert werden.
Wirklich brenzlig wird es dann zwei Zeilen weiter: „Wie sehr Muslime schon mitten unter uns sind, zeigt sich schon allein daran, dass wir nicht mehr nur über ihre Rechte reden, sondern dass sie selbst ihre Rechte einfordern.“
Sadigh – das bedeutet übrigens „Freund“ – beschreibt eine kaum mehr zu bezweifelnde Tatsache, insofern spricht sie die Wahrheit. Aber Kontext und Ton weisen auf eine präskriptive Intention hin: Wir haben das demnach zu bejahen. Daß sie in diesem einen Satz, den man durch ein einziges Wort ersetzen kann, eine fundamentale Umwälzung der Gesellschaft einfordert, kann man nur zwischen den Zeilen lesen. Das Wort heißt: Islamisierung.
Vermutlich kennt Sadigh den südafrikanischen Autor Peter Hammond nicht und er gehört auch nicht zu den allseits zu vertrauenden Quellen – zu sehr bestimmen Abneigung gegen den Islam und Missionswille seine Arbeit. Aber er hat eine interessante Nomenklatur der Islamisierung aufgestellt, die, bei aller Holzschnittartigkeit, zu falsifizieren wäre.
Demnach korreliert der Grad der normativen Islamisierung einer Gesellschaft mit dem Bevölkerungsanteil, ganz gleich, welcher konkreten islamischen Ausrichtung. Er ist friedlich und submissiv, solange der muslimische Bevölkerungsanteil unter 2% der Gesamtbevölkerung liegt. Werden es bis 5%, beginnt die systematische Missionsarbeit, nicht zuletzt in Gefängnissen, Vorstädten, bei Immigranten. Die nächste Stufe sei dann die direkte Einflußnahme auf mikropolitische Prozesse und die durch die „Religionsfreiheit“ abgedeckte Einforderung eigener Rechte, wie etwa das Tragen der Verschleierung, der Bau von Moscheen oder die Versorgung mit Halal-Produkten. Diese Interessen werden sowohl juristisch als auch mehr oder weniger offen durch Gewaltandrohung durchgesetzt. In der Heimgesellschaft finden sich zusehends Interessenvertreter in Medien und Verbänden, eine Islam-Lobby, die diese Forderungen unter freiheitlich-demokratischem Mantel und edlen Motiven zu den ihrigen machen. Sadighs Artikel dürfte dazu ebenso zählen wie der Beschluß des Europäischen Gerichtshofes.
Es folgen Forderungen nach Selbstregulierungen, Scharia-Zonen, geschlossene Moscheen etc.; man verbittet sich die Einmischung staatlicher Stellen – wie wir es aus bestimmten Stadtteilen in Deutschland bereits kennen. Ab 10% wird Gewalt zunehmend normal, oft „getarnt“ als „soziale Gewalt“, wie man sie in Paris in den Banlieues, oder als Empörungsgewalt, in vielen Städten Europas im Zuge der Mohammed-Karikaturen beobachten konnte. Dort wurden offen und polizeibeschützt Plakate getragen mit der Aufschrift: „Behead those who insult Islam“, „Britain go to hell“, „Islam will dominate the world“ oder „Muslims rise up! Establish the Sharia“. Die Lage wird zusehends volatil, jederzeit kann das beliebige Tun eines „Anti-Islamisten“ zu Eruptionen eines „beleidigten“ Mobs führen. Die Zivilgesellschaft erstarrt dann in der Regel in Furcht, reagiert mit Vorabentschuldigungen, beschneidet „freiwillig“ die Presse- und Meinungsfreiheit und versucht immer wieder „Verständnis für die Belange der Muslime“ aufzubringen. Ab 20% nehmen Terror und militärische Konflikte zu, Kirchen und Synagogen werden in Brand gesetzt, wie man das in Zentralafrika beobachten kann. Es folgen sukzessive, nach Hammond, Scharia, Bürgerkrieg, ethnische Säuberungen, Genozid, Terror, kurz: die Verfolgung Andersgläubiger, wie man sie im Iran, in Pakistan und zunehmend in der Türkei studieren kann.
Dann allerdings, bei Komplettislamisierung, so beschreibt es Hammond, könnte der Islam tatsächlich die Religion des Friedens sein: wenn alle Muslims sind und alle das gleiche wollen. Und da das nie der Fall ist, wird man sich an gemäßigteren Muslimen gütig tun oder über die Landesgrenzen schauen, denn das Ziel sei der weltumspannende Islam.
Davon ahnt die klagende Kopftuchträgerin nichts und auch Parvin Sadigh würde das als islamophob bezeichnen. Und sie hat recht: Es gibt Gründe, vor dem Islam Angst zu haben!
Drei Mal darfst du raten!
Wo, in welchem Land, in welcher Stadt, könnte sich folgende Szene abgespielt haben?
An einem sommerlauen Abend sitzt man auf einer ruhigen Freiterrasse eines Restaurants und ißt und trinkt eine Kleinigkeit und plaudert entspannt. Zwei Frauen, ein Mann.
Am Tisch nebenan ein junger Kerl mit aufgepushten Oberarmen, über und über tätowiert, zusammen mit seiner Freundin. Lange nestelt er an seinem Mobiltelephon herum. Man dreht sich instinktiv zur anderen Seite.
Doch dann plötzlich spricht er dich an, lächelnd, in perfektem Deutsch mit leichtem Akzent: „Entschuldigen Sie, würde es Sie stören, wenn ich eine Zigarette rauche?“
Plauen? Ganz kalt!
London? Dort gehen solche Typen in den Pub, nicht auf die Terrasse.
Italien? Viel zu laut und hektisch.
Du rätst es nicht: Ungarn!
Eine kleine südungarische Provinzstadt (40 000 Ew.), wo Postpubertäre noch schamlos Hand in Hand mit ihren Eltern gehen, wo Autos auch ohne Zebrastreifen für Fußgänger halten, wo junge Frauen freudig Kinderwagen schieben, wo man Ungarisch, Deutsch, Serbokroatisch, Englisch hört, aber kein einziges Mal Arabisch oder Türkisch, wo es noch fünf große Kirchen gibt, die stolz und laut ihre Glocken erklingen lassen, wo an jeder Ecke ein Denkmal für einen Helden der Geschichte, einen Verteidiger des Landes steht und mit frischen Blumen geschmückt wird, wo Kopftuchfrauen alte Babuschkas sind, die auf dem Markt selbst angebaute Zwiebeln und Erdbeeren verkaufen, wo Menschen den ganzen Sommer, während sie im Urlaub sind, die Hintertür offen lassen, damit die Katze ein und aus kann, wo mehr Europaflaggen wehen als in Brüssel, Luxemburg und Strasbourg zusammen …, dort fragen dich auch junge Ungarn in ausgewähltem Deutsch höflich um Erlaubnis, ob sie im Freien neben dir rauchen dürfen.
Vor wenigen Tagen hatte ich mich aus dem Fenster gelehnt und verkündete: die bewußt geschürte Angst vor dem Ungewissen wird die Briten mehrheitlich für den Verbleib in der EU stimmen lassen. Es ist anders gekommen: viele Briten haben einen unglaublichen Mut bewiesen! Die Kluft zwischen „dem kleinen Mann“ und der medial-politischen Sphäre wurde unterschätzt, weil erstere keine Stimme in letzterer hatte.
Niemand sollte sich darüber freuen, auch die Wahlgewinner nicht. Es ist wie nach einer gescheiterten Ehe: Es mag Erlösung sein, aber trotzdem gibt es Grund zur Trauer.
Der „Spiegel“ freilich – und mit ihm andere – kommt aus seiner Affekt-Denke nicht heraus und kommentiert die Niederlage erneut als angstgetrieben. Diesmal sind es „die Fremden“, vor denen Angst geschürt worden sei. Dabei ist schon der Eingangssatz fast aller Artikel falsch: Nicht die Briten haben abgestimmt, nicht die Briten wollen den Brexit, sondern nur die Hälfte der Briten und ein paar Zerquetschte. Das ist das systematische Risiko der demokratischen Mehrheitsentscheidung: sie kann ein Volk mitten hindurch zerreißen! Die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Entschlußform wird erneut diskutiert werden müssen. Auch die Gewinner haben heute Nacht verloren und die Verlierer gewonnen.
Was der Brexit letztendlich bedeutet, kann niemand wissen. In einer inflammablen Atmosphäre kann jede Null zu einem Herostratos avancieren.
David Cameron hat sich verzockt. Er war der Meinung, die Stimmung in seinem Lande zu kennen, und er war überzeugt, die Extrawürste, die er sich durch die Eurokratie hat braten lassen, wären genug, um den britischen Völkern das Maul zu stopfen. Dabei hat er die Aversionen unterschätzt, die er dadurch auch unter den Landsleuten auslöste. Spätestens als Boris Johnson – den viele Briten für charismatisch halten, weil er ein Original ist – sein Gegenspieler wurde, war der Brexit reale Möglichkeit geworden. Auch die Briten, zumindest große Teile der Briten, sehnen sich nach einer Führungsfigur, zu der aufzuschauen keine Schande mehr ist. Nicht zufällig veröffentlichte Johnson vor einem Jahr eine Churchill-Biographie.
Vergleichbar der Idee des Kommunismus hat sich die (gut gemeinte) Kopfgeburt einer Europäischen Union als Ende der Nationalstaatlichkeit als Phantasie erwiesen. Sie erlebt nun ihren Mauerfall. Wie dieser wird er Bewahrenswertes hinwegfegen und Unsägliches schaffen, aber auch umgekehrt. Die Lehre aus der jüngeren Geschichte, daß sich objektive Bewegungen nicht subjektiv umbiegen lassen, wurde nicht gezogen – ein weiteres Mal lief man einer utopischen Fata Morgana nach und landet nun in der Wüste. Wird man aus diesem Irrtum lernen? Die Menschheit ist kein lernfähiges Subjekt, nur einzelne Menschen sind es …
Cameron hat nun seinen Rücktritt angekündigt. Johnson dürfte der nächste Premier werden. Wenn es aber stimmt, daß vor allem die Migrationspolitik der EU und Deutschlands, die „Angst vor dem Fremden“ ausschlaggebend war, dann gibt es noch ganz andere Verlierer. Wenn die Briten EU sagen, dann meinen sie oft Deutschland. Die deutsche Bevormundung und Dominanz ist vielen Briten seit Jahr und Tag ein Dorn im Auge, Merkels katastrophale Einwanderungspolitik und das lavierende Durchsetzenwollen der eigenen „Politik“ in der EU hat nun das Faß überlaufen lassen.
Vielleicht größer noch, existentieller als der Brexit, war die Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen bedingungslos zu öffnen und sei es nur für wenige Wochen. Der Schaden ist angerichtet, die starke Botschaft war gesendet, der Prozeß scheint nun irreversibel. Schweden steht als mahnendes Beispiel vor dem Kollaps und macht die totale Kehrtwende, auch in Deutschland muß man ein leckgeschlagenes Schiff zurückrudern ohne Garantie für das Gelingen. Die Menschen in ganz Europa – zumindest ein großer Teil der Menschen – spüren instinktiv, daß mit der Einwanderungswelle eine Zäsur von globalem Ausmaß geschaffen wurde. Und sie wehren sich dagegen und sei es mit dem Exit.
Cameron, so seltsam es klingen mag, ist nur die Marionette Europas, deren Stricke jetzt durchgeschnitten werden. Wirklich politisch verantwortlich für den Brexit und den Beginn des Endes der Europäischen Union – natürlich ist die Union nicht Europa! – ist auch Angela Merkel. Wenn sie einen Rest an An- und Verstand besitzt, dann zieht sie jetzt die Konsequenz und macht den Weg frei für wirklich neue Kräfte, die den Scherbenhaufen hoffentlich zusammenkehren werden und ein neues, ein realistisches, ein entbürokratisiertes und nicht-zentralistisches Europa, ein weniger aufgeblähtes Europa der Nationalstaaten bauen können, das sich auf gemeinsamer ökonomischer, historisch-kultureller und Wertebasis gründet.Dann wäre der Brexit nicht umsonst gewesen.
Die Zeichen dafür stehen freilich nicht gut. Stattdessen steigern sich europäische und deutsche Spitzenpolitiker in Vergeltungs- und Rachephantasien und diskreditieren auch noch den letzten Rest an Zusammengehörigkeitsgefühl. Eine Ehe, die so endet, war es nie wert, eine gewesen zu sein. Wenn nun Rachegefühle aufkeimen, dann beweist es nur, wie notwendig dieser schmerzhafte Schnitt ist. Er wäre dann so oder so gekommen und je später, desto dramatischer.
Daher sollten wir jetzt auf allen Ebenen den Briten beistehen und ihnen auf diesem schweren Weg helfen.
Das wäre gelebtes Europa! Das wäre europäische Solidarität!
Nun ist es also so weit: die Briten stimmen über den Brexit ab. Doch der wird nicht kommen – so lautet meine Prognose. Und der wesentliche Grund ist die Angst!
Geht es gegen „rechts“, dann wird die Angstkeule wild geschwungen. Von AfD bis Trump von FPÖ bis Neue Rechte …, alle schürten nur Angst, quirlten demagogische Horrorszenarien und schöpften den Schaum genüßlich ab.
Dabei gibt es seit Monaten keine größere Angstmaschine als die Berichterstattung über den möglichen Brexit, auf der Insel und in Europa. Politiker und Medien sind sich einig: das Wirtschaftsgefüge könnte kollabieren, die Märkte zusammenbrechen, Arbeitsplätze millionenfach verloren gehen, die Immobilien ihren Wert verlieren, der Euro ins Unermeßliche absacken, andere Länder könnten folgen … Krieg und sogar der Ökokollaps stünden möglicherweise bevor, wenn die Briten für den Ausstieg votierten. Und sollten sie es tun, dann wird man ihnen schön in die Suppe spucken und den Ausstieg so unangenehm wie möglich machen, dann wird die EU sie richtig bestrafen – so viel zur Völkerfreundschaft, so viel zum Europa-Gedanke.
Da kann einem schon mulmig werden. Angst, Angst, Angst. Angst führt auch zu Panikreaktionen.
Und so wird es wohl kommen – das Schottlandreferendum, die Österreich-Wahl, die Regionalwahlen in Frankreich dienen als Blaupause –: am Ende wird die Angst siegen, die Angst vor den an die Medienwände gemalten Menetekeln, die Angst vor dem Ungewissen, vor dem Neuen.
Paradox: Weil die Menschen konservativ sind, werden sie links wählen.
Zumindest knapp zur Hälfte – und das ist das eigentliche Drama: Auch Großbritannien wird mittendurch gespalten sein. Und die Eurokratie wird zur Tagesordnung übergehen, auf daß die Fallhöhe zunehme.
„Subhan Allah“ – gepriesen sei Allah. Diese Aufschrift soll nun hunderte ikonische rote Doppeldeckerbusse in England schmücken. Bald ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Die Metropolen London und Manchester, aber auch die quasi-muslimischen Zentren Leicester, Birmingham und Bradford werden in den Genuß des Allah-Advertisings kommen, veranlaßt von einer muslimischen Charity-Organisation.
Das Timing ist sensibel. Gerade hat London den ersten muslimischen Bürgermeister gewählt – entgegen dem allgemeinen Labour-Trend (wie hat die muslimische Bevölkerung gewählt?) –, dem Kritiker Kontakte zur Radikalenszene vorwerfen, und das Brexit-Voting steht unmittelbar vor der Tür.
Besonders delikat wird die Entscheidung angesichts einer anderen: Zu Weihnachten wollte das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, in den großen Kinos einen Spot laufen lassen, der die Menschen zum Beten ermutigen sollte. Man lehnte das ab, um die religiösen Gefühle Andersgläubiger nicht zu verletzen.
Die linke Presse wirft sich sofort in die Bresche für Religionsfreiheit. „Wenn Sie glauben, die Allah-ist-groß-Busse sind ein Problem“, schreibt der Independent, „dann haben Sie nur bewiesen, wie notwendig sie sind.“ Dann fährt man fort: „Wann würden Sie, im gegenwärtigen Klima der Abneigung und der Angst, den Ausruf ,Allahu akbar‘ zu hören vermuten? Viele würden antworten: bei einem Terrorangriff“ – nun könne man seine friedliche Bedeutung an Buskarossen studieren.
Die konservative Presse – hier die Daily Mail online – kontert sarkastisch: „Das Publikum ist in der Lage, Äußerungen des christlichen Glaubens zu vernehmen, ohne in Panik schreiend davonzulaufen.“
Böse Zungen werden leise das Wort „Islamisierung“ murmeln oder zum Islamophobiker Peter Hammond greifen, der all das Punkt für Punkt meinte angekündigt zu haben.
In einem Land, das sich noch immer weitgehend als christlich versteht, das die Magna Charta hervorbrachte, die die Geburtsurkunde der modernen Rechtsstaatlichkeit darstellt und erstmals eine Trennung von Kirche und Staat andachte, ein Land, das große Reformatoren wie John Wycliff und William Tyndale hervorgebracht hat, das von Roger Bacon über John Locke und David Hume bis hin zu G. E. Moore und Bertrand Russell große Befreier des Geistes, Advokaten der Vernunft schuf …, in solch einem Land ist es nun möglich, die traditionelle Weihnachtskarte zum „Season’s Greeting“ zu machen, das höchste christliche Oberhaupt öffentlich zum Schweigen zu bringen … aber Allahs Lob auf den Straßen zu singen.
Überhaupt: Was ist das für ein Gott – ganz gleich welcher Observanz –, der bunte Werbeflächen braucht?
Londoner Impressionen
Der 33. Spieltag der Premier League-Saison 2015/16 wird als Ereignis in die englische Fußballgeschichte eingehen. Leicester City, die Mannschaft mit der schlechtesten Paßquote dürfte mit seinem Auswärtssieg in Sunderland die Meisterschaft endgültig gesichert haben. Mit einem Spielergesamtwert von gerade einmal 127 Millionen Euro – Manchester City, Chelsea, Arsenal und ManUnited haben jeweils das Vier- bis Fünffache – hat der Aufsteigerclub die Liga förmlich überrannt und alle Fußballphilosophie über den Haufen geworfen. Trotz notorischen Mangels an Ballbesitz – oft weniger als 30% – ist es keiner einzigen Mannschaft gelungen, gegen die überfallartigen Konterangriffe mit aus der Verteidigung herausgeschlagenen langen Bällen, die jede noch so ausgeklügelte Abwehrorgansiation ad absurdum führt, ein Mittel zu finden. In der Spitze lauern pfeilschnelle und rotzfreche Angreifer, die hohen Bälle eiskalt zu verwerten. Sage und schreibe ganze drei Spiele hat Leicester bis dato verloren …
Die Quoten bei den Bookies für die Meisterschaft sollen bis zu 1:5000 gelautet haben – einige die-hard-Leicester-Fans und Spaßvögel, die 10 oder 100 Pfund gesetzt hatten und die bis zuletzt die Nerven behielten und den panischen Rückkaufangeboten standgehalten haben, dürfen sich freuen. (Mein Tipp für das nächste Jahr: Leicester steigt ab.) Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Auch für West Ham United war der 33. Spieltag geschichtsträchtig. Zum letzten Mal hat es ein London-Derby im altehrwürdigen Upton Park gegeben. Damit setzt sich ein Trend fort: alte, traditionsreiche Stadien werden neuen und moderneren Spielstätten geopfert, um noch mehr Zuschauer anzulocken. Die wirtschaftliche Entwicklung der Premier League, die Attraktion des englischen Fußballs, kennt im Zuge der Globalisierung noch lange keine Grenzen. Meist geht der Stadiontausch jedoch mit einem Verlust an Atmosphäre einher und nicht wenige alte Fans gehen verloren. Auch das ist eine Frage der Identität. Sowohl Arsenal (Highbury – Emirates Stadium) als auch Manchester City (Maine Road – Etihad Stadium) haben diese Erfahrung bereits gemacht, Tottenham und Chelsea ziehen demnächst nach. Einst repräsentierten die Fußballclubs die jeweilige Stadt oder das Stadtviertel, Fußballspiele waren Revierkämpfe, besonders dann hart umkämpft, wenn große Klubs gemeinsame Reviere teilten (West Ham – Millwall, Arsenal – Tottenham, Chelsea – Fulham etc.), heute pilgern die Zuschauer aus aller Welt in die Fußballkathedralen.
Blowing Bubbles at Upton Park: West Ham – ManCity 2015
Nun also auch West Ham. Nach Ende der Saison zieht man ins neue Olympiastadion um. Damit meint man, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Nach der Olympiade 2012 stand die Immobilie leer und drohte eine Investruine zu werden. Die Stadt London zeigte großes Interesse und Engagement, dies zu verhindern. West Ham kann dann fast 20 000 Tickets mehr verkaufen. Der fußballerische Aufstieg der letzten Jahre und Monate unter dem neuen Trainer Slaven Bilic scheint weiterzugehen – vielleicht gelingt es The Hammers tatsächlich, sich dauerhaft mit den Magnatenklubs zu messen.
Ein weiterer Grund dürfte eine Rolle gespielt haben. Er wird sichtbar, wenn man den Upton Park besucht. Ich war im letzten Jahr Zuschauer bei der Partie gegen Manchester City und erlebte einige surreale Szenen. Das Stadion liegt inmitten eines ausgedehnten Wohnviertels mit den typisch englischen Einzel- oder Terrassenhäusern. Hier lebte einst das englische Proletariat, hier wurde Cockney gesprochen. Im Süden des Borough of Newham liegen die Londoner Docks: Industriearbeiter, Dockarbeiter, kleine Angestellte besiedelten diesen Stadtteil, der schon immer ein „tough ground“ war. Am Wochenende pilgerten sie in die Stadien.
Heute sind die Straßen um den Upton Park fest in pakistanischer Hand. Kaum noch 40% Weiße besiedeln die Viertel, in Teilen Newhams sind „ethnische Minderheiten“ längst die Mehrheit. Upton Park wirkt wie ein Marsraumschiff in dieser Gegend. Die muslimische Bevölkerung kann mit dem Klub kaum etwas anfangen, das traditionelle Publikum ist längst der Ghettoisierung gewichen. Eine endlose Schlange weißer Männer und Frauen zieht sich von der U-Bahn-Station hin zum Stadion, am Rand stehen Männer mit weißen Kaftanen, langen Bärten und Badelatschen. Selbst die Polizei kennt kaum noch englische Physiognomien. Ein riesiger asiatischer Markt bietet von exotischen Früchten über Halal-Fleisch bis zu muslimischen Friseuren eine vollkommen autarke Welt. Gäbe es den vierzehntägigen Lindwurm an singenden Fans nicht, die neupakistanische Idylle wäre fast perfekt. Bald ist es soweit.
siehe auch: Die große Fußballmetapher