Die toten Ritter der Kokosnuß

Eva Rex erinnert in ihrem kleinen, aber feinen Buch über die Ideologie des Transhumanismus[1] daran, daß Timothy Leary, der LSD-Prophet und eine der Ikonen der New-Age-Bewegung, seine sterblichen Überreste, also seine Asche, ins Weltall hat schießen lassen. Das sei ein ganz konsequenter Schritt im radikalen Entgrenzungsprozeß gewesen, auf dem Weg zur „ozeanischen Selbstentgrenzung“ oder besser doch zur: universellen Selbstentgrenzung. Rex hält die New-Ager trotz deren antimaterialistischer Grundeinstellung für Verwandte und Vorreiter der Transhumanisten, Singularitäts-Propheten und KI-Propagandisten. Daß das Silicon Valley ihre Heimstätte im Hippie-Staat Kalifornien fand, hält sie für keinen Zufall, sieht darin eher eine Kontinuität: die höchste Hochtechnologie ist Folge der Ablehnung und Auflösung aller Ordnungen.

Der Umgang mit dem Tod ist ein passender Beweis. Er zeigt auch, daß wir es mit einer globalen Entwicklung zu haben. Die klassische Beerdigung ist heute fast altbacken, man will lieber – in Asche sowieso – im Wind verstreut werden, sich im Meer auflösen oder sich zum Diamanten pressen lassen.

Viel wurde über Fukuyamas „Ende der Geschichte“ gelacht, insbesondere seit September 2001, aber unser Umgang mit dem eigenen Tod bestätigt seine These fulminant. Die Menschen wollen keine Spur mehr hinterlassen, keine dauerhafte zumindest, sie wollen die Hinterbliebenen nicht mehr belasten, weder mit Wohnungsauflösung, Trauerfeiern – deshalb der Boom der Sterbeversicherungen –, Grabpflege, Trauerarbeit überhaupt; die Menschen treten freiwillig aus der Geschichte aus. Es scheint, als akzeptiert heutzutage jeder das Recht des anderen – das man selbst in Anspruch nehmen wollte – auf Fun bis zum Abwinken.

Gilles Deleuze, der Priester des postheraklitischen nachnietzscheschen Werdens – gegen die Philosophie des Werdens, die sie auch im Evolutionismus verkörpert sieht, schreibt Rex auch an – verfügte etwa (aus der Erinnerung), daß auf seiner Bestattung nur gelacht werden dürfe, alle weiß tragen sollten und eine lustige Jazzband aufspielte. Das war seine Form der ultimativen Auflösung der Traditionen – sie hat seither phantastische Formen angenommen.

So habe ich aus sicherer Quelle folgendes gehört – die Quelle selbst beschaffte sich die Asche eines geliebten Verstorbenen und bewahrt sie zum Großteil in einem selbstgeschaffenen Kunstobjekt zu Hause auf, ein kleinerer Teil wurde ans andere Ende der Welt geschickt, damit auch noch jemand seine Freude daran haben kann –, diese Quelle hat mir also folgendes erzählt.

Der tatsächliche Plan einer vorweggenommenen Bestattung – der Mensch lebt auf einer Insel im Stillen Ozean. Er hat also verfügt, daß seine Asche in eine Kokosnuß gegeben wird. Diese Kokosnuß bekommt einen Sender. Dann wird die Nuß im Ozean – wir erinnern uns: „ozeanisches Bewußtsein“ – ausgesetzt. Alle Hinterbliebenen bekommen Zugang zum Sendercode und können so jederzeit auf dem Bildschirm  sehen, wo sie – „die Person – gerade ist“.  Das wurde wortwörtlich so gesagt: Die Person hat also von ihrer Asche in der ersten Person Einzahl gesprochen, sie sieht sich selbst noch in der Kokosnuß auf dem Ozean. Irgendwo wird die Nuß antreiben oder untergehen und die Batterie des Senders hält auch nicht ewig – dann wird das Kokosnuß-Ich entschwinden. Zumindest wird es nicht mehr auffindbar sein.

[1] Eva Rex: TechnOkkultismus. Heilserwartung und KI. Schnellroda 2024

Ein Gedanke zu “Die toten Ritter der Kokosnuß

  1. Pérégrinateur schreibt:

    Man sollte in Learys „Grab im Weltall“ nicht zu viel hineinlegen. Vielleicht war das für ihn nur eine Art, einen besonders auffälligen Abgang aufzuführen, vielleicht auch eine Art der conspicuous consumption. Vor etlichen Jahren habe ich auf dem Cimetière Montparnasse auf einer Künstler-Grabstelle so eine scheußlich-knallbunte Nana-Figur von Niki de Saint Phalle aus Pastik stehen sehen. Künstler eben!

    Der Skandal des „Verlusts der Grabkultur“, also dass sich immer mehr Menschen anonym und eingeäschert auf der Friedwiese begraben lassen, worüber mir gegenüber ein Steinmetz einst empört klagte, ist bei Lichte besehen wohl vor allem ein hart empfundener Niedergang der Aufträge.

    Wenn die Menschen wie heute beruflich bedingt alle 10 oder 20 Jahre den Arbeitsort wechseln, und zwar über weite Distanzen, dann haben sie eben auch immer weniger Gelegenheit, sich persönlich um Grabpflege zu kümmern und die Älteren wollen ihnen das deshalb auch immer weniger aufhalsen.

    Die Archäologen schütteln gerne Erklärungen über den Wandel religiöser Vorstellungen aus dem Ärmel, wenn sie Wechsel in den Begräbnissitten ergraben. In Ermangelung schriftlicher Zeugnisse kann diese Deutung zum Glück kaum jemand widerlegen, und interessant klingt das allemal, was dann die Achtung für originelle Ideen verschafft, mit denen man auch in noch weniger materiell fundierten Wissenschaft sehr gut arrivieren kann. Ich wünschte mir oft, dass die Hermeneutik-Maschine weniger routiniert angeworfen würde.

    Es ist noch nicht lange her, dass von der katholischen Hierarchie die Feuerbestattung vehement abgelehnt wurde. Das gehört wohl zu den tradierten Überständen aus der Frühzeit dieser Religion, als man aus dem Bedürfnis zur Abgrenzung von den vorgefundenen Begräbnisitten die Pfarrkinder von den Riten ihrer alten Religion abbringen wollte, ist also wohl von derselben Art wie das jüdische und islamische Schweinefleischverbot. Hat man sie erst einmal in die Hirne der Herde geprügelt, halten sich solche Tabus gewöhnlich sehr lange und die Schafe bei der Stange, worauf es ja memetisch-evolutionär ankommt. Ich glaube aber nicht, dass sich ein früher christlicher Totengräber, der schon öfter die Überreste früher verstorbener Christenmenschen in einem freigelegten Grab gesehen hatte, große Illusionen darüber machte, dass die Erd- im Gegensatz zur Feuerbestattung die spätere Auferstehung der Verstorbenen ermöglichen würde.

    Übrigens liegt die typischen Grabpacht bei 20 bis 30 Jahren. So viel länger als die Schwimmzeit dieser Kokusnuss ist das dann auch nicht.

    Und grundsätzlich: In welcher naiven Verblendung versuchte man durch die Friedhofsbräuche (übers Jahr immer wieder blühende Blumen, Säuberung der Bronzebuchstaben mit der Metallbürste, Abwaschen jeden Bewuchses von den Steine) bis vor wenigen Jahrzehnten, diese Illusion der Nichtvergänglichkeit zu evozieren? Die Friedhöfe, die mir stets am besten gefallen haben, waren bei Wanderungen zufällig vorgefundene „ungepflegte“ jüdische an siedlungsfernen Orten und ohne nahe Kultgemeinde, auf deren langsam abblätternden Sandsteinen langsam Moos und Flechten wuchsen. „Es geht dem Menschen wie dem Vieh …“

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