Das Verschwinden des Weiblichen

Wo wir stehen I

… in der Welt und speziell in Deutschland, das kann man oft am besten an Marginalien, Petitessen und Nebeninformationen sehen.

In Ungarn etwa war die Möglichkeit, daß in Deutschland eine „schwarze Transfrau“ oder  ein „binäres Modell“  zur „Miss Germany“ gekrönt werden könnte, noch eine Nachricht wert. Man wunderte sich dort.

Weiterlesen

Zeitschriften – anbruch

Bevor man „anbruch“ aufschlägt – so meine Empfehlung –, sollte man sich der kommenden Ruhe und Ungestörtheit gewiß sein, es empfiehlt sich ein gemütliches Plätzchen, vielleicht des Nachts unter dem Schein der Schirmlampe, und wer kultivierte Laster pflegt, dem sei geraten, die Cohiba oder den Glengoyne 21 oder den Sümegi Cabernet Sauvignon 2016 oder was auch immer die verfeinerten Sinne edel reizt, bereit zu stellen, denn im „Magazin für Kultur & Künftiges“ wird ästhetisiert und philosophiert – und zwar auf hohem Niveau.

Weiterlesen

Die deutsch-ungarische Differenz

Auf einer Festveranstaltung eines deutsch-ungarischen Unternehmens halten beide Direktorinnen eine Rede, zuerst die Deutsche, dann die Ungarin. Die erste spricht Deutsch, die zweite Ungarisch. Ich lasse mir die Rede der ungarischen Leiterin geben, denn natürlich habe ich beim Zuhören fast nichts verstanden. Nun, nachdem ich sie in aller Ruhe gelesen habe, bestätigt sich der erste Eindruck.

Weiterlesen

Helmut Lethen – 80 Jahre

Von Lethen lernen

„Es ist ja auffällig, wie in Augenblicken der Depression die Linke zu den Konservativen schielt.“ Helmut Lethen

Müßte ich unter Helmut Lethens Büchern eines wählen, dann wäre das nicht sein Hauptwerk „Verhaltenslehren der Kälte“, worin er die Topoi der Gefühllosigkeit und Frostigkeit in den „Lebensversuchen nach dem Krieg“ systemisch nachzeichnet, es wäre auch nicht sein lehrreiches Buch über Gottfried Benn, das bewußt keine Biographie sein will, sondern ein szenischer Einfühlversuch in einen hermetisch sich absondernden Paradigmenmenschen und es wäre schließlich auch nicht sein neuestes Werk „Die Staatsräte“, selbst wenn man es als lobenswertes Gesprächsangebot an den politischen Gegner mißverstehen kann, nein, meine Wahl fiele ohne zu zögern auf das schmale autobiographische Bändchen „Suche nach dem Handorakel“ und ich möchte sogleich hinzufügen, daß man es exakt als solches lesen müsse, nämlich als ein eigenes Handorakel! Vor allem die Rechte täte gut daran, dieses erzlinke Brevier genauestens unter die Lupe zu nehmen.

Weiterlesen

Paradoxes Twerken

Wie alle Absolutismen verstrickt sich auch der fundamentalistische Feminismus und ideologische Moralismus schnell in Selbstwidersprüche. Man kann sie tagtäglich wahrnehmen. Schauen wir uns den letzten Skandal an.

Weiterlesen

Schach dem Schach

Ich könnte mich ärgern! Wieder jede Menge Zeit vertrödelt! Und zwar mit Schach!

Das ist nun gerade die Stärke dieses Spiels: daß man damit wunderbar Zeit vertrödeln kann. Diese hervorragende Eigenschaft war es sogar, die mich dazu verleitete, ein paar Jahre diesem Spiel zu opfern. Dem Spielen weniger als dem Spiel, und weiter als zu einem lausigen Turnierspieler der D-Kategorie habe ich es auch nie geschafft. Im Spielen selbst wollte ich nur das Spiel begreifen – und seine Macht.

Weiterlesen

Der Auschwitz-Rap

Vom Rap verstehe ich so viel wie mein Großvater vom I-Phone – trotzdem würde ich mein Leben dafür einsetzen, daß er seine Meinung dazu frei äußern kann.

Gerade lese ich Stefan George. Vielleicht verzeiht man vor diesem Hintergrund eher die leicht aggressive Stimmung, in die mich die mediale Beschallung mit einem Thema versetzt, von dessen Existenz ich bisher – glücklicherweise – noch nicht einmal wußte. Weder kannte ich Kollegah und Farid Bang noch ahnte ich, daß es eine Echo-Verleihung gibt. Allerdings war mir bekannt, daß die Künstlerszene in ihren ausgezeichnetsten Exemplaren zum Moralismus neigt.

Weiterlesen

Werther in Ungarn

Wir kommen gerade aus dem Theater. Eigentlich gehe ich nicht mehr. Kann diese dauernde Belehrung, das ewige Moralisieren, gepaart mit Verhunzung einfach nicht mehr ertragen: die Springerstiefel, die Uniformen, die nackten Brüste, dieses Dudududu, das macht man, denkt man, sagt man nicht, das verkappte AfD-Bashing, das wir-sind-bunt-Gelaber … vor allem aber die Erstarrung der schauspielerischen Leistung unter all diesen Vorgaben, die abgelebten Verkörperungen, die Wiederholung gekünstelter Mimik und Gestik und die ideologische Verfremdung oft bewundernswerter Texte.

Weiterlesen

Der Ursprung der Welt

„Sich die nackte Frau als Weltwunder zu wünschen war ein Knabentraum.“ Karl Heinz Bohrer
“You stand on the brink of greatness. The world will open to you like an oyster. No… not like an oyster. The world will open to you like a magnificent vagina.” (Helen Sinclair in “Bullets over Broadway”)[1]

Weiterlesen

Segen der Erde

„Den lange, lange sti over myrene og inn i skogene hvem har trakket opp den? Mannen, mennesket, den første som var her. Det var ingen sti før ham.”

Es gibt Bücher, die entziehen sich einer Rezension – wollte man ihnen gerecht werden, müßte man selber Bücher, vielleicht sogar ganze Bibliotheken vollschreiben. Die Bibel ist so ein Buch und Hamsuns „Segen der Erde“ ist auch so eines. Es ist wie eine Bibel. Alles, was ein Mensch wissen kann, alles, was für ihn wichtig ist, ist in diesem Buch enthalten.

Weiterlesen

Alles Makulatur

Zuletzt erkennen auch immer mehr Marxisten und sonstige Ideologen, die im 20. Jahrhundert hängengeblieben sind, daß ihre abstrakten Debatten und Fragen in einem kaum bewußten kulturellen Resonanzraum stattfanden, der mit dem Großen Austausch vernichtet wird. (Martin Sellner)

Irgendwann im Herbst 2015, als die Meldungen sich überschlugen, tagtäglich neue phantastische Zahlen von Menschen, die die Landesgrenze meist unkontrolliert überschritten hatten, genannt wurden, dazu Bilder scheinbar endloser Menschenschlangen und –mengen, die auf Autobahnen oder über Felder liefen, an Grenzstationen in großen Trauben hängen blieben, während offenbar verrückt Gewordene die Massen mit Heilsgesängen, Blumen, Teddybären und Tonnen an Altkleidern empfingen, irgendwann in dieser Zeit, saß ich mit meiner Frau – mit der ich damals jeden Tag, jede Stunde dieses eine Thema immer und immer wieder und immer fassungsloser besprach – im Wohnzimmer, das vom Boden bis zur Decke mit einer wunderschönen Buchtapete – in sechs europäischen Sprachen – ausgekleidet ist, an der seit Jahren der Blick mindestens ein Mal am Tag liebe- und auch ein wenig vorwurfsvoll – Warum hast du keine Zeit mehr für Fontane? Wie lang willst du den Goethe noch hinausschieben? Du wagst es, über skandinavische Literatur zu schreiben und hast den Olav Duun noch immer nicht gelesen! … – entlang glitt, und sagte plötzlich zu ihr, auf die Regale weisend: Das ist alles Makulatur!

Weiterlesen

Autoritäre Persönlichkeit von Jürgen Habermas

Das Theoretische hatte zwar etwas Verführerisches, aber nur, wenn es ambivalent, offen blieb, ein Motiv zum Denken. Karl Heinz Bohrer

Nein, es handelt sich beim Titel nicht um ein neues Buch aus Habermas‘ Feder, nicht um eine soziologische Studie – wie die gleichnamige seines Doktorvaters Adorno –, sondern um den Versuch, den Charakter des Meisterphilosophen der Bundesrepublik näher zu deuten. Als Quelle dient uns das vielfältig unerschöpfliche und hier vor wenigen Tagen besprochene Buch Karl Heinz Bohrers: „Jetzt“.

Weiterlesen

Konservatismus und Differenz

Für H.

Ein weiteres Faszinosum an Karl Heinz Bohrers außergewöhnlicher Autobiographie sind die Entwicklungslinien, die Bohrer, gekonnt versteckt, einbaut. Etwa die seiner politischen Einstellung.

Weiterlesen

Sprache und Sein – produktives Paradox

Lesen ist auf etwas zugehen,das gerade entsteht und von dem noch keiner weiß, was es sein ­wird … Italo Calvino

Es gibt seit je eine Schere zwischen der Sprache und dem Sein, doch erst mit der Moderne beginnt diese sich in einem solch rasanten Tempo zu spreizen, daß es zunehmend schwie­riger wird, das Sein sprachlich bewältigen zu können, dem Sein zu ent-sprechen. Zu­nehmend werden die Menschen vom Sein überrannt – sie werden, im Verhältnis zu diesem, sprachlos. Dabei wird das überschüssige Sein erst vom Menschen in die Existenz gesetzt. Überschüssig ist das Sein, das nicht sein oder nicht wahrgenommen werden müßte. Nicht, daß es den Men­schen je­mals ge­lungen wäre, selbst dem nicht überschüssigen Sein zu entspre­chen – aber das muß­te auch nie sein. Daß die Sprache keine Seinsverdopplung sein und auch nicht an­streben kann, ist evident, und die Sprache in der Geschichte entsprach, alles Über­schüssige abge­zogen, immer nur dem, was sein mußte – um zu überleben. Die neu­zeitli­chen Proble­me betreffen folglich nicht den Überlebenswortschatz und auch nicht dessen Mangelerscheinungen, die auszufül­len das Überlebenwol­len nicht verlangte.

Weiterlesen

Ästhetik und Autorität

Auch eine Allegorie

Hegel, nachdem er seinen Status als Gelehrter, Beamter und Ehemann gefestigt hatte, entwickelte, aus Gesundheits- und Bildungsgründen, auch um Freunde zu besuchen, eine bis dahin ungewöhnliche Reisefreude.

Weiterlesen

Amphitheatrum meets/incontra الله

Nichts für Ästheten, diese Überschrift, die gleich drei „Kulturen“ und vier Sprachen vermengt. Aber sie trifft ziemlich genau das, was Ende Oktober in Rom zu sehen war:

Weiterlesen

Ästhetik des Schrecklichen

Das Scheußliche darf also niemals Selbstzweck sein; es darf nicht isoliert werden; es muß durch die Notwendigkeit herausgefordert sein, die Freiheit in ihrer Totalität zu schildern, und endlich muß es ebenso idealisiert werden wie alle Erscheinung überhaupt. Franz Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen

Gelb scheint die helle Abendsonne in die Gesichter der Männer. Golden läßt sie die Kuppel der Moschee erglühen. Einige schirmen sich mit erhobenen Händen die Augen vor dem gleißenden Licht der schon rötlichen Sonne ab.

@ Dabiq

@ Dabiq

Sie nehmen teil am Schauspiel des Abends. Gegeben wird kein Bühnenstück – alles an diesem Drama, an diesem Theater der Grausamkeit ist echt, kein Kunstblut fließt, keine Schauspieler mimen den Tod … wir sind Zeuge einer wahrhaftigen Enthauptung.

In allen Ausgaben der „Dabiq“, dem Glanzmagazin des IS, finden sich Bilder dieser Art: extreme Grausamkeit serviert auf  hochästhetischem Tablett. Mit den raffinierten technischen Mitteln der Moderne wird eine antiquierte Glaubens- und Lebeweise in unglaublicher Präsenz kredenzt – wie dem Herodes das Haupt Johannes des Täufers auf silberner Schale.

Der Mann kniet noch, der Körper aufrecht. Vier Ströme hellen Blutes schießen aus dem Stumpf des Halses hervor. Dicke Blutstropfen hängen in der Luft wie in Eis eingefroren.

BlutSenkrecht fällt der Kopf zur Erde und schlägt in diesem Moment gerade auf – Blutspritzer am Boden bezeugen den Augenblick. Gerade eben, vor Sekundenbruchteilen, lebte jener Mensch noch, litt Todesängste und es ist nahezu unvorstellbar, daß nicht noch ein Rest Bewußtsein in diesem Körper sein soll. Das Photo fängt das Mysterium des Todes ein. Der aufrechte, kniende Körper zeigt das Leben, das Aufbäumen, Standhalten gegen das finale Ende, der mit dem Kinn aufprallende Kopf – exakt im Winkel, noch in der natürlichen Stellung – weist den Tod. Es ist präzise dieser Moment des Übergangs, den alle Menschen fürchten.

KörperAber Kunst ist nicht nur das Bild, Kunst ist auch das Handwerk des Henkers. Ein sauberer Schnitt, mit einem Hieb. Stünde das Opfer, der Kopf, so könnte man sich vorstellen, säße noch immer auf den Schultern. Scharf wie eine Rasierklinge muß das Schwert gewesen sein, an dem fast kein Blut haftet. Ein Anatom könnte mit Leichtigkeit die offengelegten Körperteile erklären – dunkel und nicht weiß sticht die Wirbelsäule hervor. Der Schlag, präzise und kraftvoll, das Werk eines Meisters. Keine Guillotine hätte  eine bessere Arbeit leisten können. Nur lange Übung kann einen Menschen zu solcher Virtuosität führen. Und doch entlädt sich die Konzentration des Scharfrichters just in diesem Zeit-Punkt in einer diabolischen Fratze.

Henker

Mit dem Photo könnte man jeden Wettbewerb gewinnen!

Seine Botschaft ist so machtvoll wie subtil, komplex wie einfach. Erst der artistische Schnappschuß  enthüllt uns die Fülle, die den Live-Betrachtern weitgehend entwischen muß. Das Bild feiert eine lebendige Nekrophilie, eine tiefe Liebe zum Toten. Aber es feiert auch das Leben, das richtige Leben. Es sind die Männer in Schwarz, die darüber entscheiden, was falsch und richtig ist.

Den westlichen Betrachter soll es einerseits schockieren und die alte Botschaft der Unbesiegbarkeit übermitteln: die Botschaft des Scaevola, die Botschaft Tamerlans, die Botschaft der Assassini. Wer zu solchen Dingen fähig ist, mit dem lege man sich besser nicht an. Sie zeigt ihm auch, daß man mit den Waffen des Feindes, den Waffen der Kunst und Ästhetik zurückschlagen kann. Alles kommt dabei auf das richtige Timing an. Dann wird Krieg und Kampf zum erhabenen, zum inneren Erlebnis.

Die eigenen Reihen soll es abhärten und schulen. Das Bild lädt zu makabrer Meditation ein. Die eingefrorene magische und zur Ruhe gekommene Zeit enthält eine seltsame Gelassenheit.

Dem Mitkämpfer suggeriert sie Überlegenheit. Wir sind die Todesengel, unser Gott gibt uns das Recht, über Sein oder Nichtsein zu entscheiden.

Anmerkung: Das Bild kann auf Seite 80 der „Dabiq“ Nr. 15 in Gänze angeschaut werden. Quelle: https://azelin.files.wordpress.com/2016/07/the-islamic-state-e2809cdacc84biq-magazine-1522.pdf
Warnung: Es ist in seiner expressiven Brutalität wahrscheinlich nicht für jedermann geeignet.

„Kant ist tot!“ …

Mit diesen Worten begrüßte mich heute Morgen mein (imaginierter) Nachbar. „Kant? Kant ist unsterblich“, antworte ich. „Nicht der Kant, der kleine Kant, der Hermann …“

Um ehrlich zu sein, ich hätte gar nicht sagen können, daß der noch lebte. Vor ein paar Jahren war er mir kurzzeitig lebendig, als ich zwei seiner Bücher wieder las. Seither hatte ich ihn nicht mehr verfolgt, wenngleich die autobiographischen Sachen noch im Regal stehen.

Wer in der DDR sozialisiert wurde, hat immerhin den Vorteil, das Lebensgefühl der damaligen Zeit speichern zu können, in Form von Literatur. Heute ist sie meist verpönt und verkannt und der verkannteste unter den zahlreichen Autoren von Rang war Kant, verkannt von Kant, verkannt von ihm selbst.

Denn Hermann Kants Tragik bestand darin, sein eigenes Genie nicht richtig eingeschätzt zu haben. Er war der mit Abstand begabteste unter der jüngeren Generation der Ostliteraten, ein würdiger sprachlicher Erbe Arnold Zweigs. Wie dieser steckte er alle anderen erzählerisch in die Tasche und seine seinerzeit drei großen Romane – „Die Aula“, „Das Impressum“ und „Der Aufenthalt“ – kennen an sprachlicher Finesse ohne inhaltliche Subversivität kein Gegenüber. Subtiler und subversiver waren vor allem die Frauen: Irmgard Morgner ist zuerst zu nennen, dann Brigitte Reimann und manchmal auch Christa Wolf.

Doch Kants Begnadung ging von Anfang an mit ihm durch. Bis in die 80er Jahre hinein konnte das kaum jemandem auffallen, denn die Bücher spiegelten noch immer Bereiche der realsozialistischen Realität wieder, aber spätestens seit Gorbatschow mußte ihre aufgesetzte siegessichere Ironie, der Zynismus des vermeintlichen historischen Siegers, der Hochmut der Macht sauer aufstoßen. War die „Aula“ noch ein Schenkelklopfer, so wurde das „Impressum“ schon zur Gratwanderung.

Ich will aber nicht Minister werden!“ gehört zu den genialsten Anfangssätzen der neueren deutschen Literatur – allein dieser Satz, dessen Echo im inneren Ohr des DDR-Lesers ewig nachhallte, legitimiert Kants zweiten Roman.

Doch leider hält er nicht, was das große Eingangswort verspricht. Daß Herrmann Kant ein Erzähler von Rang ist, bleibt unbestritten, gemessen an der eigenen Vorgabe, der „Aula“, die wie eine Bombe in die ostdeutsche Literatur einschlug und sie sowohl sprachlich als auch kompositorisch auf ein ganz neues Niveau hob, gemessen an diesem Anspruch muß „Das Impressum“ als not impressive gelten.

Denn Kant übertreibt es einerseits, die Fabulierkunst verliert sich zu häufig in Gerede um des Geredes willen, um nicht von Geschwätzigkeit zu sprechen, die exemplarischen ethischen und psychologischen Problemstellungen, mit denen der Leser konfrontiert wird und die ihn zur Diskussion, zur Stellungnahme zwingen sollten, sind selbst für den damaligen DDR-Alltag zu weit von der tatsächlichen Lebenswelt entfernt und im Übrigen sprachlich als auch historisch-philosophisch viel zu hoch angesetzt, um den Ottonormalbürger, den Arbeiter-und-Bauern, zu erreichen. Die Enkodierungsschwelle ist so hoch, daß man sich kaum vorstellen kann, wie ein Leser jüngerer bundesrepublikanischer Generation sie ohne ausgiebige Vorabstudien überwinden können sollte.

Zum andern unterbietet Kant sein eigenes Potential; so stellt sich eigentlich nie der Eindruck eines in sich geschlossenen Romans ein. Eher handelt es sich um eine Novellensammlung, in der autobiographische und realhistorische Situationen mit gleicher Personage wiedergegeben werden. Die individuelle Zeichnung mißlingt vielerorts: Wenn der Pförtner dieselbe elevierte Sprache spricht wie der russische General, der Katholik oder der Chefredakteur, dann verwischen sich höchst unzulässig die Konturen. Das alles stimmt auch vor der einstigen DDR-Realität schon nicht und eine Apologie des Ostens hatten andere Brachiallautoren der Bitterfelder Schule schon stimmiger vollbracht. Kant schreibt noch nicht mal einen mißlungenen Sozialistischen Realismus, sein Werk sollte als Sozialistischer Irrealismus gelten. Selbst der grandiose Eingangssatz bleibt Ornament, weil sich seine angedeutete Klammerfunktion als optische Täuschung entpuppt; weder als Widerstandsgeste noch als  Leitfaden behält er Bedeutung. …

Wie man hört, hat Kant, der auch hohe politische Ämter eingenommen hatte, es nie für nötig erachtet, sich Asche aufs Haupt zu streuen: das ehrt ihn.

Nun ist er also tot und wenn in drei, vier Jahrzehnten die letzten Überlebenden des Goldenen Zeitalters des realexistierenden Sozialismus verschwunden und die alten Literaturgeschichten in Bibliothekskellern vergilbt sein werden, dann wird kein Hahn mehr nach Kant krähen und die kommende halbasiatische Gesellschaft, sollte sie je auf eines seiner Bücher stoßen, wird ratlos davor stehen und sich wundern, auf was für seltsame Dinge Menschen kommen konnten und welch seltsame Sprachen sie sprechen können.

Die häßlichste Stadt Deutschlands

Selbstverständlich steht mir ein solches Urteil gar nicht zu. Aber man wird ja noch sagen dürfen …

Eine altehrwürdige, jahrtausendealte Stadt mit glorreicher Geschichte und einer ganzen Latte an großen Söhnen und Töchtern. Heute ist sie grau, dreckig, dröhnend. Unzählige Architektursünden beleidigen das Auge. Neben jedem ansehnlichen Haus steht scheinbar systematisch ein bleierner Betonklotz, als wollte ein mächtiger Gestalter alle Freude im Keim ersticken. Neu und häßlich sind hier Synonyme.

typisch Bonn

typisch Bonn

Seit Jahren wurde offensichtlich nicht mehr renoviert. Alle Asphaltwege sind mit platt getretenen Kaugummis übersät. Müllberge häufen sich an den Straßenrändern, Abfall wird achtlos auf die Gehwege geworfen, Plastiktüten fliegen durch die Luft, Uringestank an vielen Ecken und Enden.

Vor einem grauen Betonklotz am Bahnhof demonstrieren ein paar Studenten mit bunten Luftballons lautstark gegen Einfalt und für den Erhalt der Vielfalt.

Die schwarzen Regenränder an den Häuserwänden wirken wie traurige Tränen geschminkter Frauen. Die Leute schauen mürrisch drein, die Sprachen der vorbeigehenden Paare sind mir unverständlich. Lange muß ich in der Universitätsstadt nach einem Buchladen suchen, der nicht „Thalia“ heißt, und finde einen unmittelbar neben dem Frauenzugang zu einer Moschee. Während ich die schweren Taschen raus trage, treten 20 vollverschleierte Frauen auf die Straße und schnattern ein kehliges Idiom.

Milli-Görus-Moschee neben Antiquariat

Milli-Görus-Moschee neben Antiquariat

Was ist mit Bonn geschehen? Der Verlust des Hauptstadtstatus wird der einstigen Metropole arg zugesetzt haben. Es mag andere strukturelle oder regionale Probleme geben, von denen ich nichts weiß. Bonn ist in den letzten 20 Jahren erst so geworden, versichern Einwohner.

Offensichtlich aber ist, daß der soziale Zusammenhalt in Bonn sehr leidet und wie sollte es auch anders sein, beherbergt die Stadt doch gleich mehrere Gruppen an kulturell diversen Menschen. Geschätzt hätte ich 40%, laut Statistik ist es nicht einmal die Hälfte – aber das zeigt, wie wenig es eigentlich braucht, um einen Ort kippen zu lassen.

Ginge es nach den Multikulti-Propagandisten, müsste Bonn eine helle, bunte, fröhliche Stadt sein. Doch statt bunter Vielfalt graue Tristesse.

Nun verstehe ich zweierlei: Gabriels populistische Forderung nach einer Aufbauhilfe West und das seltsame Erstaunen vieler westdeutscher Besucher Plauens, die von einer wunderschönen Stadt schwärmen. Bisher konnte ich sie selbst nicht sehen.

DITIB ist auch hier - ,ist Minarett

DITIB ist auch hier – mit Minarett