Eine Schöpfungsgeschichte

Seinem Schelmenroman „Dreizehn Apfelbäume“ (Tizenhárom almafa) stellte Albert Wass eine kleine ironische Schöpfungsgeschichte der Székler voran. Da sie auch für den deutschen Leser von besonderem Interesse ist, wird sie hier in Erstübersetzung präsentiert:

Man muß wissen, daß Gott der Herr, als er die Angelegenheiten der Nationen und Länder auf der Erde regelte, Siebenbürgen geschickt vergaß. Seither ist es Gewohnheit geblieben, daß man es vergißt, wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Weiterlesen

Die Unabsehbarkeit der Folgen unserer Handlungen

Ein durchgehendes Thema nahezu aller Romane Albert Wass‘ ist die Frage nach der Konsequenz menschlicher Entscheidungen, Ursache und Wirkung und die nach der Unverfügbarkeit der Geschichte. Wir wissen nicht, welche Folgen unsere Handlungen haben werden und aus den besten Vorsätzen können die schrecklichsten Ereignisse entstehen oder eben auch nicht. Im Großen wie im Kleinen. Weiterlesen

Die Angst-Pyramide

Was geht vor sich, wenn Redakteure sich etwa plötzlich weigern, eine Besprechung des grandiosen Romans „Gebt mir meine Berge zurück!“ von Albert Wass zu veröffentlichen, weil es beim „falschen“ Verlag erschienen ist? Diesen Gedanken- und Werdegang zu verfolgen, ist wichtig, um zu erfassen, wo wir stehen. Eine mögliche Formel wäre: im Reich des Kafkaesken. Weiterlesen

Ein Buch, zwei Meinungen

Mittlerweile trudeln die ersten Stellungnahmen zu Albert Wass‘ neu übersetzten Roman „Gebt mir meine Berge zurück!“ ein. Sie werden hier kommentarlos aufgelistet, denn sie sind vielsagend, sie sagen nicht nur viel über dieses Buch, sondern auch über die Welt, in der wir leben.

Leserbrief: Das Buch hat mich sehr aufgewühlt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals ein Buch gelesen hätte, das mir so nah war. Es ist so schön und wahr und allgemein gültig und tief menschlich. Es liest sich wunderbar, auch wenn es gleichzeitig erschütternd ist, weil es deutlich macht, wie Menschen Spielbälle, eher Opfer von Systemen werden. Was mit den Siebenbürgern passiert ist, zeigt die ganze Tragik und Absurdität, die politische und damit auch Menschen gemachte Entscheidungen zur Folge haben. Welch eine Ungerechtigkeit, welch ein Leid! Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun? Ein Antikriegsbuch, zugleich voller Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Ich musste an meine Vorfahren denken. Die Familien meiner Eltern sind ja beide vertrieben worden. Entwurzelte Menschen ohne richtige Heimat, ohne eigene Kultur, denn die eigene Kultur mussten sie ja unterdrücken, vergessen, verleugnen…“ Weiterlesen

Teufelskreis Wikipedia

Ein geistiger Teufelskreis läßt sich meist nur durch Bildung, durch freiwillige Selbstunterrichtung durchbrechen. Das wurde mir gerade erst wieder vorexerziert.

Einer Person, von der ich annahm, daß sie an der Wass-Übersetzung interessiert sein könnte, schrieb ich davon. Das ist keine Nullachtfünfzehn-Person, sie hat durchaus eine spezifische Individualität, einen eigenen Kopf, eine starke Persönlichkeit. Unsere Beziehung ist komplett unpolitisch, bisher. Weiterlesen

Wer war Albert Wass?

Heimat – ein geheimnisvolles Wort, das schwer in andere europäische Sprachen zu übersetzen ist. Das Wort „Heimat“ hat immer einen Sinnüberschuß, den andere Sprachen kaum fassen können. Die meisten weichen auf einen Bezug zum Haus – dom, casa, maison – oder zur Mutter- und Vaterschaft, zur Verwurzelung aus: fatherland, patrias, родина.

Nur die Ungarn haben ein Äquivalent, einen ebenso bedeutungsschwangeren Begriff, ein Urwort: hon.

Im honvéd, dem „Heimat-Verteidiger“, kann man es noch hören. Oder in hontalanság, der Heimatlosigkeit. Unter diesem Titel hatte Albert Wass eines seiner programmatischen Gedichte verfaßt. Darin heißt es:

Ich bin heimatlos, weil ich verkünde, daß alle Menschen Brüder sind und daß wir ein für alle Mal zueinander finden müssen, alle, die Gutes tun wollen. Ich bin heimatlos, weil ich an das Gute, das Wahre und das Schöne glaube. In jeder Religion und in jedem Volk und in Gott, der triumphieren wird.

Albert Wass? Wer nun zu Wikipedia greift, geht den falschen Weg. Man erfährt dort vor allem, daß Wass ein „ungarischer Schriftsteller und Dichter völkischer Prägung“ und ein zum Tode verurteilter Kriegsverbrecher gewesen sei – die Sache ist erledigt. Hört man sich hingegen in Ungarn oder gar bei den Ungarn in Erdély (Siebenbürgen) um, so wird dieser Name oft mit begeisterten und glänzenden Augen ausgesprochen. Seine Bücher liegen in allen Schaufenstern, seine Leserschaft ist riesig und zählt in die Millionen, es gibt zahlreiche Internet-Gruppen mit jeweils zigtausenden Mitgliedern … Wass gehört zu den ganz Großen der ungarischen Literatur.

o_wass-albert-szamuze

Das war nicht immer so. Vor der Wende war er selbst dem heimischen Publikum gänzlich unbekannt, seine Romane, Novellen, Gedichte und Märchen standen auf dem Index, ihre Existenz wurde von den ungarischen und rumänischen Kommunisten verschwiegen und bekämpft, mit einer Vehemenz, die verdächtig ist und neugierig macht.

Noch immer läßt sich seine Leserschaft weltanschaulich teilen: Die offizielle Literaturgeschichtsschreibung ignoriert ihn, stellt nicht nur seine Person, sondern auch sein künstlerisches Schaffen ins Zwielicht; seine weite Leserschar und das politische Ungarn vergöttern ihn hingegen, Viktor Orbán selbst zählt zu seinen eifrigen Lesern.

Es ist nicht leicht, objektives Wissen zu erhalten, auch große Teile der noch immer spärlichen Sekundärliteratur sind durch Gesinnung gefärbt. So viel steht fest: Wass entstammt einer uralten ungarischen Adelsfamilie (Wass de Czege), deren Wurzeln bis in die Árpádenzeit zurückzuverfolgen sind und deren Heimat immer Erdély war.

Wass wurde 1908 in einem Schloß geboren, seine gräflichen Eltern lebten getrennt, die Mutter in Wien verweigerte die Erziehung, der Vater überließ sie dem Großvater, der zur prägenden Gestalt in Wass‘ Leben und später Vorbild für mehrere literarische Figuren wurde und die grundlegenden Werte der Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Pünktlichkeit einpflanzte.

Als 10-jähriger erlebt er persönlich die blutige Niederschlagung eines ungarischen Volksaufstandes in Kolozsvár (Klausenburg, heute Cluj-Napoca) und sieht rumänische Offiziere in die Menge schießen. Studien der Wirtschafts- und Forstwirtschaften führen ihn nach Deutschland und Frankreich, neben Ungarisch und Rumänisch beherrschte er Deutsch, Französisch, Latein. Die große Leidenschaft seines Lebens – vom Großvater ererbt – war die Jagd. Wass war ein preisgekrönter Scharfschütze. Eine quasi-dynastische Ehe führt ihn mit der deutschstämmigen Eva Siemers zusammen; der Ehe entspringen sechs Jungen, wovon einer im Kindesalter verstirbt.

Nach frühen lyrischen Versuchen und einer einjährigen Dienstzeit im rumänischen Heer erschien 1934 sein erster Roman: Wolfsgrube. Auch wenn es sich um eine konventionelle literarische Form handelt und der Roman kompositorische Schwächen zeigt, war das junge schriftstellerische Talent sofort erkennbar, seine ironische Ader – die auch das Pathos nicht scheut – sichtbar. Das Buch um einen genialisch veranlagten Dichter, der durch innere Antriebslosigkeit und Trunksucht privat und künstlerisch kläglich scheitert, ist eine harte Analyse des Versagens des ungarischen Adels in Erdély. Es enthält großartige Szenen, gipfelnd im Tod der Protagonistin, einer alten närrischen Gräfin, die von ihren Haustieren, Wölfen, zerfleischt wird.

0589000512886P

Der Roman fand viel Aufmerksamkeit, wurde sowohl in Budapest als auch in Kolozsvár verlegt, erhielt einen namhaften Literaturpreis, wurde von prominenten Autoren hochgelobt und war letztlich das Entréebillet in den illustren Kreis des „Helikon“, einer Vereinigung, in der sich die bedeutendsten siebenbürgischen Künstler versammelten und ein gleichnamiges Periodikum herausgaben. Das Neue daran war die doppelte Adelsperspektive: Wass wagte es, aus erfahrenem Horizont die eigene Klasse, deren Standard er hochhalten wollte, zu kritisieren und zu ridikülisieren.

Aber nicht nur der Verfall und das Versagen der Klasse, sondern auch der Verlust der Heimat stand im Mittelpunkt: das große Trauma der jüngeren ungarischen Geschichte, die Verluste an Land und Menschen durch das Verdikt von Trianon. Nach dem Kollaps des Habsburgerreiches im Zuge des verlorenen Weltkrieges mußte Ungarn in den Verträgen von St. Germain und Trianon zwei Drittel seines Gebietes an die Nachbarstaaten abgeben, schrumpfte seine Bevölkerung von 22 auf 9 Millionen Menschen, wurden Millionen Ungarn über Nacht gezwungen, ungeliebte Minderheit zu sein.

Man wurde als Kriegsverlierer, nicht als Vertragspartner behandelt, Proteste, Vorbehalte und Vorschläge – etwa eine Volksbefragung – wurden ignoriert. Damit wurde Ungarn de facto eine größere Last auferlegt als Deutschland im Vertrag von Versailles. Besonders die fast zwei Millionen Székler und Ungarn in Erdély hatten zu leiden – sie waren nun vom Mutterland abgeschnitten, einem anderen Staat zugeschlagen und hatten die rumänischen Repressionen zu ertragen.

Ganz explizit handelt davon Wass‘ zweiter Roman Csaba, der den Kampf eines jungen Mannes um die Gründung einer ungarischen Schule in rumänischer Umgegend darstellt. Wass‘ hohes Ethos kommt hier wunderbar zum Vorschein. Schon der Achtzehnjährige hatte eine kurze Parabel von einem Manne geschrieben, der aus Sandkörnern, nicht aus Marmor oder Stein, zu Gottes Ehren Säulen baut. Sie werden von seinem Glauben zusammengehalten. Die Menschen halten ihn für verrückt und als die Säulen die Winde und Stürme überstehen, reißen sie diese in ihrer Wut und Ohnmacht mit eigenen Händen ein.

Der Mann jedoch klagt nicht, sondern beginnt den Bau erneut, getragen vom unerschütterlichen Glauben an Gott und an seine Sache. Ganz ähnlich baute Csaba – Prinz Csaba, ein Hunnenkrieger, war der mythische Anführer der Székler – diese Schule auf, die das sprachliche und kulturelle Erbe seiner Vorfahren gegen die politischen Widerstände verteidigen sollte.

Was Wass damals noch nicht ahnen konnte, war die Tatsache, daß sein Lebenskampf diesen beiden literarischen Figuren ähneln würde … Seine Lehre: Kulturen werden Stein für Stein erbaut, zusammengehalten von menschlichen Beziehungen; zuerst im kleinen Kreis, dann in der Gemeinschaft, getragen von Gott; zerstört werden sie vom Haß.

Nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch (30. 8. 1940) wurde der nördliche Teil Erdélys – in dem die Mehrzahl der Ungarn lebte – dem Mutterland zurückgegeben. Damit wurden Staat und Regierung zwar Spielball Hitlers, erlebt wurde dies freilich als beglückend. Die Grenzführung ging mitten durch die Ländereien der Familie.

Albert Wass entwickelte nun eine regelrechte Arbeitswut. In kurzer Folge erscheinen mehrere Romane, von denen nur einige hier Erwähnung finden, das vielfältige thematische und stilistische Spektrum andeutend. Bis die Bäume wachsen ist eine ergreifende Geschichte eines Neuanfangs nach totaler Vernichtung, die melancholisch endet, nämlich in der bitteren Einsicht, daß der Kampf der Alten von den fortschrittlichen Jungen nicht fortgesetzt wird, daß die Generationen sich mit der Moderne immer weiter voneinander entfremden.

Später weitet er die Geschichte in Im Schatten des Schlosses zur Familienchronik aus. In seinen persönlichen Erinnerungen Sie kommen! beschreibt Wass die unbändige Freude über die Rückkehr zum Heimatland, aber auch die Grausamkeiten, die in jenen zwei Wochen auf beiden Seiten stattfanden, als Menschen- und Militärmassen in langen Zügen die Seiten wechselten.

Der geheimnisvolle Rehbock wiederum stellt eine persönlich gefärbte Novellensammlung dar, in der unter anderem das Lied der mystischen Schönheit der siebenbürgischen Natur gesungen wird. Natur ist bei Wass immer mehr als man sieht, etwas Unbegreifliches; er ist ein sensueller Autor, der alle Sinne anspricht.

Die politische Konzession des Wiener Schiedsspruches war, wie erwähnt, die engere Bindung Ungarns an Hitlerdeutschland. Horthys und Telekis außenpolitischer Versuch, zwischen Deutschland und den Alliierten zu lavieren, mußte nun scheitern – Ungarn wurde ins Kriegsgeschehen verwickelt. Auch Wass dient seit 1942 im Heer, anfangs an der östlichen Front in der Ukraine, was ihm zwei Mal das Eiserne Kreuz einbringt, später als Adjutant des eigensinnigen Generals Lajos Veress.

Zum Kriegsende erlebt er die Besetzung seines Heimatlandes durch die Russen und muß schmerzhaft den langen Rückzug miterleben. Nach der Niederlage entscheidet er sich für die Emigration, ein letzter Flüchtlingszug und der Zufall führen ihn und seine Familie nach Blaibach im Bayerischen Wald, wo er vier Jahre bei einer Bauernfamilie arbeiten wird. Hier, in Deutschland entstehen seine beiden bedeutendsten und erfolgreichsten Romane: Gebt mir meine Berge zurück! und Die Hexe von Funtinel.

Wass Albert – seidwalk

Mit diesen Werken findet Wass einen vollkommen neuen und einzigartigen Ton – sie stehen einsam innerhalb seines Oeuvres, das am Ende über vierzig Romane und mehr als sechzig Bände umfassen wird und noch immer nicht vollständig erschlossen ist, ja, sie stehen auch einsam in der ungarischen und sogar der europäischen Literatur.

Von beiden Werken gab es deutsche Übersetzungen: die eine, in kleiner Auflage in der Schweiz erschienen, ist wirkungslos geblieben und komplett vom Markt verschwunden, die andere in einer sehr freien und stark gekürzten Übersetzung, der es nicht gelingt, die Seele dieser geheimnisvollen Prosa einzufangen.

Wollte man an ein literarisches Vorbild erinnern, so müßte der Name Knut Hamsun fallen. Man darf diese Bücher als Weisheitsliteratur bezeichnen. Mit rätselhaft kargen sprachlichen Mitteln gelingt es Wass, eine Atmosphäre zu schaffen, die den Leser unmittelbar ergreift, und Situationen herbeizuführen, deren Lehrgehalt etwas Metaphysisches und Transzendentes hat.

Wass entwirft in vielen seiner Geschichten – als ein Stilmittel – starke sinntragende und als Leitfaden genutzte Bilder. Immer wieder beschäftigt ihn die Frage nach der Existenz Gottes – in seinem großen europäischen Roman Die Spur verliert sich, einem literarischen Gottesbeweis, wird sie explizit behandelt und beantwortet. In fast allen Romanen geht er der Frage nach der Unabsehbarkeit der Folgen menschlichen Handelns nach. Die Bedeutung von Ordnung, Haus und Heimat, die Schönheit und Einfügung in die Natur, die Wälder, die Berge, das Wild, der Wechsel der Jahreszeiten sind wiederkehrende Motive.

Ein natürlich und traditionell geregeltes Leben, das durch die Befreiung des Wiener Schiedsspruches nach jenen „zwanzig Jahren freudloser Trauer“ auch volklich glücken kann, wird durch den gewaltsamen Einbruch der konkret historischen Ereignisse – etwa die Eroberung durch die Russen – oder der des „Fortschritts“ und der Technik in einen Alptraum verwandelt, eine scheinbar endlose Leidensgeschichte, in der nicht nur das „Was ist der Mensch dem Menschen“ abgehandelt wird (das wäre noch der Hamsunsche Raum), sondern es wird auch das Anthropologische in den historischen Horizont und damit die Frage nach dem menschlichen Wesen und Verhalten unter verschiedensten politischen Systemen gestellt.

Am Ende gibt es keine Fügung, die handelnden Personen müssen die Vertikalspannung in sich selber aufbauen, um weiterleben zu können. Das Leben ist als ein je Individuelles in den Zeitstrom geworfen. Es kann nur glücken, wenn der innere Wertekanon stabil bleibt, denn das Wesentliche bleibt unverändert, mögen sich die äußeren Bedingungen auch wandeln. Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit dürften die Zentralkategorien dieses Lebens und Werkes sein. Wass gelingt es fast mirakulös, selbst einfachste Sätze und Dialoge zu spürbaren Lebenserfahrungen zu machen.

Diese beiden Bücher allein reihen ihn in die erste Reihe der Weltliteratur ein. Einem Brief können wir entnehmen, daß er 1949 davon ausging, für den Literaturnobelpreis nominiert worden zu sein.

Schließlich emigrierte Wass 1952 mit vier seiner fünf Söhne in die USA, der jüngste blieb mit der Mutter in Hamburg und wurde Deutscher. In Amerika erfährt Wass von seiner Verurteilung zum Kriegsverbrecher durch die rumänischen Behörden. Diese Tatsache wurde immer wieder gegen Wass und sein Werk angeführt. Historische Untersuchungen weisen hingegen darauf hin, daß es sich um einen politisch motivierten Schauprozeß handelte.

Auch amerikanische Behörden widerlegten später die Vorwürfe. Insbesondere das kommunistische Rumänien hatte ein vitales Interesse, einen Autor, der die magyarische Identität der ungarischen Minderheit stärkte, zu verteufeln. Mehrfach wurde von Securitate-Agenten versucht, den Autor in seinem neuen Domizil zu töten.

Dort, in Florida, verbrachte er den zweiten Teil seines Lebens, mehr als 45 Jahre, europäischen Boden betrat er nicht mehr. Seine Bücher zeigen nun auch oft einen antikommunistischen Affekt, etwa seine beiden Schelmenromane, in denen ein schlauer Székler die Aporien kommunistischer Nomenklatura ausnutzt.

Albert Wass - IMDb

Im Heimatland wurde Wass vergessen, der umtriebigen Arbeit, sein Werk und seine Ideen in den USA bekanntzumachen, war nur wenig Erfolg beschieden. Unermüdlich schrieb er auf Ungarisch und Englisch weiter, zahlreiche Bücher und unzählige Artikel. Mit dem dreibändigen Schwert und Sense, einer die Jahrhunderte überspannenden Familienchronik und der Bericht eines Bevölkerungsaustausches, gelang ihm noch einmal ein großer Wurf. Die Sammlung seiner autobiographischen Schriften beweist die enge Verknüpfung von konkreter Lebenserfahrung und literarischem Geschehen.

Die ungarische Öffentlichkeit erfuhr davon erst nach dem gesellschaftlichen Wandel und nach seinem Tode 1998. Am 17. Februar beendete Wass sein stets selbstbestimmtes Leben durch den Freitod.

In seinem Heimatland wurden seine Werke neu entdeckt und erlangten plötzlich hohe Auflagen. Seine beiden wichtigsten Romane gehören nun zum nationalen Kanon und wurden unter die beliebtesten ungarischen Romane aller Zeiten gewählt. Es ist an der Zeit, Wass als Autor und Mensch auch in Deutschland wieder zu entdecken.

Seit heute kann man das!

Albert Wass: Gebt mir meine Berge zurück! – 248 Seiten, mit einem Nachwort von Jörg Seidel, gebunden mit Schutzumschlag, 24,00 €  – hier bestellen. Das Buch wird ab heute ausgeliefert!
 

Weiterlesen

Die Kunst des Heizens

Vielleicht war es diese Szene, die mich letztlich zu Albert Wass hinzog, die mich von seiner Bedeutung, seinem schriftstellerischen Genie überzeugte. Sie findet sich in seinem wohl berühmtesten Roman „Die Hexe von Funtinel“ und fehlt bezeichnenderweise in der frühen, stark gekürzten und auch sprachlich wenig geglückten Übersetzung[1].

Wir sehen den alten Griesgram Tóderik und seine vermeintliche Tochter, das Mädchen Nuca – die später die „Hexe“ werden wird – in den ersten Wintertagen. Der Winter bricht in den Bergen ein wie eine Urgewalt: „Drei Tage lang schneite es ununterbrochen. Tóderik hatte die große Holzpalette schon lange im Voraus vorbereitet, und als der Schnee zu fallen begann, holte er sie ins Haus. Da stand der Schnee bereits hüfthoch. Emsig schaufelte er einen Pfad um das Haus frei und noch einen bis zum Baum hinauf und einen zum Wasser hinunter.“ Weiterlesen

Niemandes Diener sein

Eine der interessantesten und abgründigsten Figuren in Albert Wass‘ großem Roman „Die Hexe von Funtinel“ ist Tóderik, der Einzelgänger, der als Fremder zusammen mit dem kleinen blonden Mädchen Nuca – die man für seine Tochter hält – in das abgelegene Tal in den siebenbürgischen Bergen kommt. Man weiß nichts über ihn, er ist unglaublich wortkarg, sagt nur das Allernotwendigste und auch das mit einem aufrechten, fast herrischen Ton, so daß die Bewohner des Dorfes nicht wissen, wie sie sich zu ihm verhalten sollen. Dann baut er auch noch ein vollkommen rundes Haus ohne einen einzigen Nagel darin … die beiden werden schnell zum Mythos. Weiterlesen

Zwei ewige Lebensweisheiten

Im letzten halben Jahr habe ich viel Albert Wass gelesen. Romane, Novellen, Autobiographisches, Briefe, dazu auch Sekundärliteratur, biographische und literaturwissenschaftliche. Entgegen meiner Gewohnheit habe ich fast keine Anstreichungen oder Notizen gemacht, einfach nur gelesen, genossen, aufgesaugt, wirken lassen, ich wollte ein Gefühl für diesen Autor entwickeln, wollte mich einfühlen, eindenken, wollte ein inneres Urteil finden. Denn nach der Lektüre der ersten beiden Romane stand der Verdacht im Raum, daß wir es mit einem ganz Großen zu tun haben, einem vergessenen Genie, der häufig zu lesenden Ansicht gegenüber, daß Wass literarisch bedeutungslos und ohnehin ein Nationalist und dergleichen sei. Weiterlesen

Dann geh doch!

In seinen autobiographischen Schriften entsinnt sich Albert Wass einer berührenden Szene.[1] Er war elf Jahre alt, als der Dichter Sándor Reményik folgendes Gedicht im Hause Wass verlas. Reményik galt damals als einer der begabtesten siebenbürgischen Dichter, ein Hauptvertreter des Transsylvanismus. Während der Dichter die Zeilen deklamierte, so erinnert sich Wass, marschierten draußen vor dem Fenster rumänische Truppen vorbei. Erdély – wie die Ungarn Siebenbürgen nennen – wurde von Rumänen besetzt und durch den Trianoner Vertrag dem südlichen Nachbarn zugeschlagen. Die Ungarn hatten eine schwere Entscheidung zu treffen – von dieser handeln die Zeilen. Weiterlesen

Linkes oder rechtes Ruder?

Schon vor drei oder vier Jahren, als die Grünen einen ersten und scheinbar irrationalen Höhenflug hatten, schrieb ich, daß man sie nur regieren lassen müsse, um sie langfristig zu erledigen. Zumindest als Partei, die Regierungsmacht zu übernehmen droht. Als Ideologie sind sie freilich längst ins Mark dieser Gesellschaft eingesickert. Das Problematische an diesem Gift ist die Mischung aus absolut notwendigen Grundeinsichten und Vorhaben, deren Essenz zu bewahren und zu nutzen ist, und einer hochtoxischen Ideologie, Aktionsextremismus gepaart mit politischer Selbstverdummung. Weiterlesen

Was bleibt von Rumänien?

Gesamt: Reise nach Siebenbürgen auf den Spuren von Albert Wass 1-4 PDF

Immer wieder stelle ich mir die Frage: Was würde Albert Wass sagen, wenn er heute seine Heimat sehen könnte? Schon in „Die Hexe von Funtinel“ beklagte er den Verlust des Geheimnisvollen und Lebendigen, den Moderne, Fortschritt, Technik vor mehr als hundert Jahren ins Tal brachten. Auch seine Märchen, die man in Ungarn als schön bebilderte Kinderbücher kaufen kann, sprechen von der Magie in Natur und Wald. Die standardisierten Gebäude, die Werbetafeln, das ununterbrochene Brausen auf der Straße, die Geschwindigkeit, die Abgase, die abgeholzten Hänge … all das würde ihn abgestoßen haben. Vielleicht war es ein Segen, daß man ihm den Heimweg auf ewig versperrt hatte. Weiterlesen

Géza der Bär

Fortsetzung von: Bären und Salamander

Unser Herbergsvater hat auch das Wesen – und das Aussehen – eines Bären. Mit tapsigen Schritten ist er ununterbrochen unterwegs, organsiert, läuft, redet. Jeden Abend kommen neue Gäste und jeden Abend reden sie sich bei Pálinka und Csiki-Bier die Köpfe heiß. Weiterlesen