Seit drei Jahrzehnten geht der Ruf nach einem authentischen DDR-Roman. Dabei gibt es diese Bücher schon längst, man darf sie nur nicht außerhalb, aus der historischen Distanz herbeirufen, sondern müßte sich endlich ernsthaft der DDR-Literatur der 60er bis 80er Jahre widmen. Weiterlesen
Buchbesprechung
Baños: So beherrscht man die Welt
Rezension von: Pedro Baños: So beherrscht man die Welt. Heyne 2019
Es gab in den letzten Wochen ein verstärktes Interesse für Baños‘ Buch. Woher es kommt, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht war Erik Lehnerts Vortrag zur Geopolitik der Auslöser oder sein entsprechender Beitrag in der „Sezession“ Heft 110. Dort findet sich auch eine sehr kurze Vorstellung des Buches. Aufgrund des Interesses stelle ich meine sehr ausführliche Rezension des Werkes erneut ein. Sie entstand vor drei Jahren und ist noch immer weit und breit die umfassendste und neutralste. Das Buch ist auf dem deutschen Markt weiterhin „verschwunden“, das spanische Original, eine italienische oder polnische Übersetzung kann man erwerben.
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Dank des Angebotes des „Antaios”-Verlages und meines schnellen Entschlusses, kam ich in die Lage, jenes Buch lesen zu können, das den meisten Menschen in diesem Land verwehrt bleiben wird, weil ein Journalist – Alan Posener – dieses Buch als antisemitisch bezeichnete. Daraufhin nahm der namhafte Heyne-Verlag es aus dem Programm und ihm folgten in einer seltsam konzertierten Aktion alle – alle! – kommerziellen Anbieter auf dem Fuß. Ich versprach daraufhin, das Buch hier öffentlich zu besprechen.
Edzard Schapers Wiedererweckung
Gesamtauflage sechs Millionen und heute dennoch nahezu unbekannt – wie ist das möglich? Dies ist nur eine von vielen Fragen, denen Uwe Wolff in seiner bedeutenden Edzard-Schaper-Biographie nachgeht. Bedeutend ist sie nicht nur für Wolff, den Angelologen, den Schüler Blumenbergs, den Autor bei „Tumult“, der „Tagespost“ und „NZZ“, der in Schaper eine verwandte Seele mit ähnlichen inneren Wandlungen entdeckt, bedeutend ist sie vor allem, weil sie zum einen genuine Archivarchäologie betreibt und seltene Funde hervorbringt und zum anderen in eine aus deutscher Sicht wenig beachtete historische Komplexität einführt: in das gesellschaftliche und politische Leben des Baltikums und Skandinaviens, das vom deutschen Schicksal nicht zu trennen ist.
Die Welt nach Harry Potter
Ich traue meinen Ohren nicht – im ungarischen Oppositionsradio gibt’s ein langes Feature zu Harry Potter und seinen Verfilmungen. Das kann nur eines bedeuten: der Ungeist weht noch immer. Hier mein Bannspruch, ausgesprochen vor über 20 Jahren, hier auch schon mal präsentiert, aber noch immer gültig und offensichtlich notwendig.
Hasnain Kazim: Mein Kalifat
„Demokratie? Ich bin hier, um die Demokratie zu verteidigen! Nicht, um sie zu praktizieren.“ (Der Kalif)
Hasnain Niels Kazim liebt seine deutsche Heimat! Das meint das Dorf Hollern-Twielenfleth und das Alte Land und das liegt irgendwo da oben. Er liebt die Landschaft, den Dialekt, die Leute, das Essen, alles. Aber er liebt auch Österreich, Wien und die Wiener, oder Pakistan, wo seine Familie herstammt, und überhaupt kann der Weitgereiste jeder Gegend, in der er gelebt hat, etwas abgewinnen, nur Sachsen nicht, denn dort gibt es Pegida. Von dort her wird – so empfindet er ganz aufrichtig – seine geliebte Heimat bedroht. Der sächsische Dialekt ist ihm ein Graus – man kann das verstehen –, die Teilnahme an einer Pegida-Demonstration war ihm Schlüsselerlebnis.
Die Ordnung der Dinge
Betrachtet man den dünnen, ununterbrochen fließenden Faden, konnte man in ihm eine große Ordnung erkennen, denn er lief herab ohne dicker oder dünner zu werden, und dasselbe fehlerfreie Maß, das den Lauf der Gestirne bestimmt, zeigt sich auch in den Fingern der Spinnerinnen.
Im Berliner Guggolz-Verlag, der sich zur Aufgabe gemacht hat, lang vergessene Meisterwerke der baltischen, nordischen und osteuropäischen Literatur zurück in den Strom der Leseflüsse zu führen, erschien nun unter den zahlreichen Preziosen ein gar wundersames, man darf sagen, einmaliges Buch: Straumēni.
Lichtmesz und der rettende Gott
Es scheint zusammenzupassen: Götter sterben, Völker sterben, Wälder sterben, Tiere sterben und es bleibt kein Trost, denn nirgendwo ist „ein Unsterbliches mehr zu sehn“. (Martin Lichtmesz)
Zum ersten Mal las ich Martin Lichtmesz‘ Buch „Kann nur ein Gott uns retten?“ im Frühjahr 2015. Da war es noch ganz frisch, gerade erst erschienen – es hatte großen Eindruck auf mich gemacht. Nun, sechs Jahre danach und in einer deutlich anderen historischen Situation, las ich es noch einmal, ganz klar unter der Vorgabe, zu erkunden, ob und wie es jetzt auf mich wirken würde.
Helmut Lethens Raumfahrt durch die Zeit
Warum erzählt Helmut Lethen von jenem Werbeplakat aus den 70er Jahren im Utrechter Busbahnhof, das eine Kaffeewerbung mit dem Tod verbindet? Weil es ein Beispiel der Vagheit der eigenen Erinnerung ist, denn eine heute mögliche Internetrecherche belehrte ihn, daß die jahrzehntealte Reminiszenz in fast allen Details falsch war. Das ist ein Vorbehalt. Und noch so ein Satz: „Es ist nicht immer leicht, den Gedankengängen der Rechtsintellektuellen zu folgen.“ Nun, das gilt auch spiegelbildlich.
Der Gottes-Draht
Ich empfehle – ungelesen – jedes neue Buch von Peter Sloterdijk – er ist die überragende Intelligenz unserer Zeit.
Das Reich der Toten
Es schmerzt immer ein wenig, wenn man die letzte Seite eines großen Romans umschlägt. Dann heißt es Abschied nehmen – umso betrüblicher, wenn die lieb gewordenen oder nahe gekommenen Helden zudem noch sterben. Aber daran erkennt man auch ein Meisterwerk: daß man sitzen bleibt, betroffen, grübelnd, für eine Weile herausgerissen aus dem Weltbetrieb, aus allem, was man noch machen müßte.
Luther – Prophet der Deutschen
Niemand, der über Luther schreibt – sei es in historischer Absicht, mit politischen Zielen oder theologischen Deutungen – wird heutzutage unwidersprochen bleiben. Zu komplex ist diese Figur und zu viele Interessen verbauen den objektiven Zugang. Und Luthers eigene eklatante Widersprüchlichkeit, vor allem seinen Charakter betreffend, tut ein Übriges.
Politik als Überforderung
Wenn mich jemand nach Tips beim Fremdsprachenlernen fragt, so ist meine erste Antwort stets: Grundlagen erarbeiten, und sobald man Texte verstehen kann, lesen und hören zugleich. Im Idealfall einem professionell eingelesenen Hörbuch lauschen – besseres Aussprachetraining gibt es nicht – und den Text dazu vor Augen haben.
Das neue Denken der alten Rechten
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der „Neuen Rechten“ leidet sehr oft an der Inhaltslosigkeit. Viele haben eine feste Meinung, aber nur wenige haben die Arbeiten verstehend gelesen und gerade im journalistischen Bereich scheint man sich auf die Wertungen und Urteile weniger und selten unparteiischer Rechtsextremismus-Forscher zu verlassen.
Allein schon der Versuch, sich ernsthaft mit der konservativen Denklinie zu beschäftigen, ist daher lobenswert. In einem Sammelband des „Zentrums Liberale Moderne“ wurde dies nun anhand von 16 Vordenkern der „Antiliberalen Revolte“ versucht.
Die vierte Gewalt
Die eklatanten Mißstände in unserem Medienwesen zu beschreiben und zu erklären, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Weder Moreno noch Meinhardt – aller Verdienste eingedenk – versuchten sich an systematischen Aufklärungen. Uwe Krüger kam dem in seinem verdienstvollen „Mainstream“ am nächsten, indem er die Prozesse innerhalb der Redaktionen unter die Lupe nahm, aber die Einbettung dieser Phänomene in die gesamtgesellschaftliche Atmosphäre hat auch er nicht gewagt. Hier müßte eine historische Analyse durchgeführt werden. Wenn es so etwas geben sollte, dann wohl unter der Aufmerksamkeitsschwelle der Öffentlichkeit.
Spiele der Macht – weiblich
Getrieben von abstrusen Phantasien, die sich um ein imaginäres Beziehungsdreieck drehen, und auf der bekannten Suche „nach sich selbst“, begibt sich Silvia, eine noch junge und doch schon erfahrene Frau (geschieden, verschiedene Studien, Zeit im Ausland…) in Margarets Dienste, die, gefeierter Kinostar, von ihr vor allem eines verlangt: „Sie gehorchen und bewegen sich nicht; Sie denken nicht, Sie verhalten sich ruhig, wenn Sie mit mir zusammen sind, und ich sehe und höre nichts von Ihnen“. Silvia akzeptiert die unzeitgemäßen Bedingungen, betrachtet sich dabei als im Selbstversuch befindlich und verfolgt einen Plan, der vereinfacht mit „Wer wird gewinnen“ benannt werden könnte.
Wass – Schund oder Kunst?
Als wir vor vier Jahren in Ungarn ankamen, fragte ich überall, was man denn kennen, was man lesen müsse, um dieses Land zu begreifen. Dabei fiel immer wieder ein Name, der mir vollkommen unbekannt war. In meinem Regal gab es zwar eine bescheidene ungarische Sektion, aber sie bestand vornehmlich aus den üblichen Klassikern wie Márai, Kertész, Szerb und Szép, daneben ein paar Moderne wie Nádas und natürlich die üblichen realsozialistischen DDR-Bestände. Immerhin waren unter den DDR-Ausgaben auch Petőfi, Jókai, Móricz und Kosztolyáni, die bis heute als die bedeutendsten Ungarn gelten. Gelesen hatte ich nur Weniges und auch davon das meiste vergessen.
Solidarischer Patriotismus
„Solidarischer Patriotismus“, das ist so ein Schein-Oxymoron wie „Konservative Revolution“, an dem man beim ersten Hören verdutzt hängen bleibt – zumindest, wenn man den Begriff der Solidarität so begreift, wie ihn die Linke seit Jahrzehnten belegt, als „internationale Solidarität“, als grenzenlose.
Mainstream
Bücher, die den Presse-Mainstream entzaubern, haben Bestsellerpotential. Dies allein schon ist ein Indikator des wachsenden Mißtrauens gegenüber Betreuungsmedien.
Hatte Juan Moreno letztes Jahr den Relotius-Skandal als Einzelfall auseinandergenommen, so beschrieb in diesem Jahr der preisgekrönte Ex-Journalist Birk Meinhardt seinen schmerzlichen Abschied von der „Süddeutschen Zeitung“ – er konnte Regulierung und Verengung des Meinungskorridors nicht mehr ertragen. Bei allen Verdiensten bleiben beide Versuche an der Oberfläche, das Systemische wird vermieden oder kommt nur gelegentlich zum Vorschein.
Was tun? S e l b s t r e t t u n g!
… daß es gar keine Lösungen gibt. Dies bringt uns vielleicht noch einen Schritt weiter. Lösungen sind Tröstungen. (Caroline Sommerfeld)
Dieses Bedürfnis nach Abstraktion befriedigt nun just das zeitgleich erschienene Büchlein „Selbstrettung“ von Caroline Sommerfeld, das mich wirklich und wahrlich berührte. Umgekehrt könnten die weniger philosophisch angehauchten Leser hier Kontaktprobleme haben.
W a s t u n? Selbstrettung!
Wir rufen dazu auf, lange angebetete und todgeweihte Idole wie den Staat, die repräsentative Demokratie, die Großstadt, das moderne Schulsystem, die angebliche Notwendigkeit zum andauernden Abbüßen der geschichtlichen Schuld der Europäer oder die Idealisierung dessen, was „anders“ ist, loszulassen und vielmehr eine ausschließlich vom Persönlichen ausgehende Haltung einzunehmen. (David Engels)
Historisch wird der Konservatismus der Verlierer sein. Zu stark ist der progressistische Strom. Er hat alle Gesellschaftsbereiche begeistert mit sich gerissen: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Medien, Ideologie, Kirchen. Der Konservative kommt sich darin vor, wie der Fels in der Brandung und er meint zu sehen, daß bald alle Dämme brechen müssen, ruft dies dem wildgewordenen Strudel auch verzweifelt zu, wird aber hoffnungslos vom Gebrause übertönt. Die Einsicht in die Ausweglosigkeit greift um sich und während die einen noch fleißig investieren, kommunizieren und transformieren als gäbe es kein Morgen, beginnt im rechten Milieu die Einsicht um sich zu greifen, daß man nun – da der Wirbel wohl nicht zu stoppen ist – sich um sich selbst zu kümmern habe.