Rassismus Royal

Es ist doch ein Heidenspaß, die Journaille sich in den selbstauferlegten Ketten winden zu sehen, wenn man aus den Augenwinkeln – mehr ist es nicht wert – das Trara um die royale Hochzeit sieht. Sie alle haben furchtbare Angst, etwas Falsches zu sagen, vor dem Affentheater – und aus dieser Angst heraus führen sie es auf.

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Die Welt von gestern

Kurt Droffe, geschätzter Leser und Kommentator dieses Blogs, empfahl vor einigen Monaten eine mehrbändige Reisebeschreibung durch Mittel- und Südosteuropa. Ein junger Engländer, noch keine 20 Jahre alt, durchwanderte 1934 entlang der großen Flüsse Rhein und Donau den halben Kontinent und beschreibt diese unglaubliche Reise ein halbes Jahrhundert später.

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Die letzten Helden

Some people think football is a matter of life and death. I assure you, it’s much more serious than that. Bill Shankly

In einer wertentkernten Welt wird die identitätsstiftende und geschichtstragende Rolle des männlichen Helden, die seit Jahrtausenden im mythologischen Zentrum der Großzivilisationen lag, nach außen verlagert und medial an Männer vergeben, die es zu überragender und beeindruckender Meisterschaft im Werfen oder Treten von Bällen geschafft haben.

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Autoritäre Persönlichkeit von Jürgen Habermas

Das Theoretische hatte zwar etwas Verführerisches, aber nur, wenn es ambivalent, offen blieb, ein Motiv zum Denken. Karl Heinz Bohrer

Nein, es handelt sich beim Titel nicht um ein neues Buch aus Habermas‘ Feder, nicht um eine soziologische Studie – wie die gleichnamige seines Doktorvaters Adorno –, sondern um den Versuch, den Charakter des Meisterphilosophen der Bundesrepublik näher zu deuten. Als Quelle dient uns das vielfältig unerschöpfliche und hier vor wenigen Tagen besprochene Buch Karl Heinz Bohrers: „Jetzt“.

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Die Verteidigung des Fremden

Es wollte mich nicht beruhigen, daß alles Neue immer wieder ein Altes wird. Die gegenwärtigen Neubauten in London besaßen keine Eigenschaften, an die ich mich jemals gewöhnen würde. Karl Heinz Bohrer
Im Sein gibt es Unterschiede, aber nichts Negatives. Gilles Deleuze

Einen besonders intrikaten Gedanken versucht Karl Heinz Bohrer zu Ende seines bemerkenswerten autobiographischen Buches immer wieder neu zu fassen. Es ist die Frage nach dem Eigenen und dem Fremden und wie man sich, als weltoffener Mensch, dazu zu verhalten habe.

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Haß im Netz

Kompaktes Wissen für kluge Köpfe“ – so heißt eine Video-Serie bei der FAZ, in der „die Welt“ in anderthalb Minuten erklärt wird. Folge 3: „Haß im Netz“

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Boris Bashing

Erster Paukenschlag der neuen britischen Premierministerin Theresa May war die Ernennung Boris Johnsons zum Außenminister des Landes. Die deutschen Medien haben sich seit Wochen auf breiter Front gegen Johnson aufgebaut – sie halten ihn für den Verantwortlichen des Brexit. Aber auch Johnson hatte nur eine Stimme und wir wissen noch nicht einmal – bei seinem Sinn für Humor – an wen die ging.

Entsprechend wird die Schußfrequenz erhöht und die Wahl skandalisiert. Genüßlich läßt man etwa den SPD-Sympathieträger Stegner granteln: „Frau May wirkt schwächer durch eine solche Personalentscheidung“ und gleich nachtreten: Johnson sei nicht als guter Diplomat bekannt, „jetzt verhandelt er den Brexit. Gute Reise!“ In dieser zynisch-beleidigten Tonlage könnte man durch verschiedene Parteien fortsetzen.

Die „Zeit“ tut es auf ihre Weise, indem sie eine Kompilation vermeintlicher diplomatischer faux pas Johnsons unter der Überschrift „Der Diplomatie-Stümper“ präsentiert. Einige Highlights: Dem „teilweise kenianischen“ Präsidenten Obama bescheinigte Johnson eine „angestammte Abneigung gegen das britische Empire“, weil dieser es gewagt hatte, „eine Büste von Winston Churchill umzustellen.“ Hillary Clinton fiel bei Johnson wegen ihres Aussehens in Ungnade. Sie erinnere ihn an eine „sadistische Krankenschwester in einer Psychiatrie“. Selbst vor Donald Trump, der vom Aussehen und dem Grad der Exzentrizität mit Johnson verwandt sein könnte, machte Johnson nicht halt: „Der einzige Grund, warum ich manche Teile von New York meiden würde, ist, daß man dort auf Donald Trump treffen könnte.“

Schließlich hat er sich gnädig über Präsident Wladimir Putin geäußert. „Auch wenn er ein wenig wie Dobby der Hauself aussieht, ist er ein rücksichtsloser und manipulativer Tyrann“.

Erdogan bekam auch sein Fett in Form eines Gedichtes weg: „There was a young fellow from Ankara / Who was a terrific wankerer / Till he sowed his wild oats / With the help of a goat / But he didn’t even stop to thankera.”

Und selbst mit mighty China legte er sich an: Bei den Schlußfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Peking pries er 2008 die ehrenwerten Gastgeber. Allerdings müsse man doch noch sagen dürfen, daß Tischtennis im 19. Jahrhundert an britischen Eßtischen erfunden wurde. „Das war so. Und es wurde wiff waff genannt.“

Ich kann nicht anders als mich schieflachen, wenn ich diese „Enthüllungen“ der deutschen Presse und Politik lese. Sie zeugen von einer kompletten Unkenntnis der englischen Seele und von deren begnadetem Mutterwitz. Vielleicht muß man lange im Vereinigten Königreich gelebt haben, um diesen genialen Humor genießen zu können. Niemand weiß, ob und wie Johnson diese wichtige Rolle ausfüllen wird, aber Theresa Mays Spielzug könnte der Beginn einer originellen Kombination auf dem politischen Schachbrett sein. Kombinationen sind freilich schwer bis zum Ende durchzurechnen und hängen manchmal vom Geschick des Partners/Gegners ab.

Aber eine Idee der unterschiedlichen Mentalitäten kann jeder bekommen, der sich die Zeit nimmt, Camerons letzte „Prime Ministers Questions“ im Unterhaus anzuschauen und diese humor-, esprit- und rhetorikgeladene halbe Stunde mit jeder beliebigen Bundestagssitzung zu vergleichen.

Diese scharfsinnige Schlagfertigkeit, Intelligenz und Ironie ist auch Produkt der in den deutschen Medien gern gescholtenen elitären Erziehung, die neben Politik und Wirtschaft seit Jahrhunderten auch die englische Kultur bereichert und definiert. Man wird sie kaum von einer ehemaligen FDJ-Sekretärin erwarten dürfen.

Slide Show: Best of BJ

Allah am Steuer

„Subhan Allah“ – gepriesen sei Allah. Diese Aufschrift soll nun hunderte ikonische rote Doppeldeckerbusse in England schmücken. Bald ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Die Metropolen London und Manchester, aber auch die quasi-muslimischen Zentren Leicester, Birmingham und Bradford werden in den Genuß des Allah-Advertisings kommen, veranlaßt von einer muslimischen Charity-Organisation.

Gepriesen sei Allah

Gepriesen sei Allah – auch in London

Das Timing ist sensibel. Gerade hat London den ersten muslimischen Bürgermeister gewählt – entgegen dem allgemeinen Labour-Trend (wie hat die muslimische Bevölkerung gewählt?) –, dem Kritiker Kontakte zur Radikalenszene vorwerfen, und das Brexit-Voting steht unmittelbar vor der Tür.

Besonders delikat wird die Entscheidung angesichts einer anderen: Zu Weihnachten wollte das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, in den großen Kinos einen Spot laufen lassen, der die Menschen zum Beten ermutigen sollte. Man lehnte das ab, um die religiösen Gefühle Andersgläubiger nicht zu verletzen.

Die linke Presse wirft sich sofort in die Bresche für Religionsfreiheit. „Wenn Sie glauben, die Allah-ist-groß-Busse sind ein Problem“, schreibt der Independent, „dann haben Sie nur bewiesen, wie notwendig sie sind.“ Dann fährt man fort: „Wann würden Sie, im gegenwärtigen Klima der Abneigung und der Angst, den Ausruf ,Allahu akbar‘ zu hören vermuten? Viele würden antworten: bei einem Terrorangriff“ – nun könne man seine friedliche Bedeutung an Buskarossen studieren.

Die konservative Presse – hier die Daily Mail online – kontert sarkastisch: „Das Publikum ist in der Lage, Äußerungen des christlichen Glaubens zu vernehmen, ohne in Panik schreiend davonzulaufen.“

Böse Zungen werden leise das Wort „Islamisierung“ murmeln oder zum Islamophobiker Peter Hammond greifen, der all das Punkt für Punkt meinte angekündigt zu haben.

In einem Land, das sich noch immer weitgehend als christlich versteht, das die Magna Charta hervorbrachte, die die Geburtsurkunde der modernen Rechtsstaatlichkeit darstellt und erstmals eine Trennung von Kirche und Staat andachte, ein Land, das große Reformatoren wie John Wycliff und William Tyndale hervorgebracht hat, das von Roger Bacon über John Locke und David Hume bis hin zu G. E. Moore und Bertrand Russell große Befreier des Geistes, Advokaten der Vernunft schuf …, in solch einem Land ist es nun möglich, die traditionelle Weihnachtskarte zum „Season’s Greeting“ zu machen, das höchste christliche Oberhaupt öffentlich zum Schweigen zu bringen … aber Allahs Lob auf den Straßen zu singen.

Überhaupt: Was ist das für ein Gott – ganz gleich welcher Observanz –, der bunte Werbeflächen braucht?

West Ham

Londoner Impressionen

Der 33. Spieltag der Premier League-Saison 2015/16 wird als Ereignis in die englische Fußballgeschichte eingehen. Leicester City, die Mannschaft mit der schlechtesten Paßquote dürfte mit seinem Auswärtssieg in Sunderland die Meisterschaft endgültig gesichert haben. Mit einem Spielergesamtwert von gerade einmal 127 Millionen Euro – Manchester City, Chelsea, Arsenal und ManUnited haben jeweils das Vier- bis Fünffache – hat der Aufsteigerclub die Liga förmlich überrannt und alle Fußballphilosophie über den Haufen geworfen. Trotz notorischen Mangels an Ballbesitz – oft weniger als 30% – ist es keiner einzigen Mannschaft gelungen, gegen die überfallartigen Konterangriffe mit aus der Verteidigung herausgeschlagenen langen Bällen, die jede noch so ausgeklügelte Abwehrorgansiation ad absurdum führt, ein Mittel zu finden. In der Spitze lauern pfeilschnelle und rotzfreche Angreifer, die hohen Bälle eiskalt zu verwerten. Sage und schreibe ganze drei Spiele hat Leicester bis dato verloren …

Die Quoten bei den Bookies für die Meisterschaft sollen bis zu 1:5000 gelautet haben – einige die-hard-Leicester-Fans und Spaßvögel, die 10 oder 100 Pfund gesetzt hatten und die bis zuletzt die Nerven behielten und den panischen Rückkaufangeboten standgehalten haben, dürfen sich freuen. (Mein Tipp für das nächste Jahr: Leicester steigt ab.) Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Auch für West Ham United war der 33. Spieltag geschichtsträchtig. Zum letzten Mal hat es ein London-Derby im altehrwürdigen Upton Park gegeben. Damit setzt sich ein Trend fort: alte, traditionsreiche Stadien werden neuen und moderneren Spielstätten geopfert, um noch mehr Zuschauer anzulocken. Die wirtschaftliche Entwicklung der Premier League, die Attraktion des englischen Fußballs, kennt im Zuge der Globalisierung noch lange keine Grenzen. Meist geht der Stadiontausch jedoch mit einem Verlust an Atmosphäre einher und nicht wenige alte Fans gehen verloren. Auch das ist eine Frage der Identität. Sowohl Arsenal (Highbury Emirates Stadium) als auch Manchester City (Maine RoadEtihad Stadium) haben diese Erfahrung bereits gemacht, Tottenham und Chelsea ziehen demnächst nach. Einst repräsentierten die Fußballclubs die jeweilige Stadt oder das Stadtviertel, Fußballspiele waren Revierkämpfe, besonders dann hart umkämpft, wenn große Klubs gemeinsame Reviere teilten (West Ham – Millwall, Arsenal – Tottenham, Chelsea – Fulham etc.), heute pilgern die Zuschauer aus aller Welt in die Fußballkathedralen.

Blowing Bubbles

Blowing Bubbles at Upton Park: West Ham – ManCity 2015

Nun also auch West Ham. Nach Ende der Saison zieht man ins neue Olympiastadion um. Damit meint man, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Nach der Olympiade 2012 stand die Immobilie leer und drohte eine Investruine zu werden. Die Stadt London zeigte großes Interesse und Engagement, dies zu verhindern. West Ham kann dann fast 20 000 Tickets mehr verkaufen. Der fußballerische Aufstieg der letzten Jahre und Monate unter dem neuen Trainer Slaven Bilic scheint weiterzugehen – vielleicht gelingt es The Hammers tatsächlich, sich dauerhaft mit den Magnatenklubs zu messen.

Ein weiterer Grund dürfte eine Rolle gespielt haben. Er wird sichtbar, wenn man den Upton Park besucht. Ich war im letzten Jahr Zuschauer bei der Partie gegen Manchester City und erlebte einige surreale Szenen. Das Stadion liegt inmitten eines ausgedehnten Wohnviertels mit den typisch englischen Einzel- oder Terrassenhäusern. Hier lebte einst das englische Proletariat, hier wurde Cockney gesprochen. Im Süden des Borough of Newham liegen die Londoner Docks: Industriearbeiter, Dockarbeiter, kleine Angestellte besiedelten diesen Stadtteil, der schon immer ein „tough ground“ war. Am Wochenende pilgerten sie in die Stadien.

Heute sind die Straßen um den Upton Park fest in pakistanischer Hand. Kaum noch 40% Weiße besiedeln die Viertel, in Teilen Newhams sind „ethnische Minderheiten“ längst die Mehrheit. Upton Park wirkt wie ein Marsraumschiff in dieser Gegend. Die muslimische Bevölkerung kann mit dem Klub kaum etwas anfangen, das traditionelle Publikum ist längst der Ghettoisierung gewichen. Eine endlose Schlange weißer Männer und Frauen zieht sich von der U-Bahn-Station hin zum Stadion, am Rand stehen Männer mit weißen Kaftanen, langen Bärten und Badelatschen. Selbst die Polizei kennt kaum noch englische Physiognomien. Ein riesiger asiatischer Markt bietet von exotischen Früchten über Halal-Fleisch bis zu muslimischen Friseuren eine vollkommen autarke Welt. Gäbe es den vierzehntägigen Lindwurm an singenden Fans nicht, die neupakistanische Idylle wäre fast perfekt. Bald ist es soweit.

London Baker Street 2016

London Baker Street 2016

 siehe auch: Die große Fußballmetapher