Quo Vadis Hungaria?

Es ist schon ein großer Trost bei Wahlen, daß von mehreren Kandidaten immer nur einer gewählt werden kann! (Mark Twain)
Rabok legyünk vagy szabadok?
Ez a kérdés, válasszatok! –( Petőfi Sándor)

Nehmen wir an, es tritt am Sonntag ein, wovon die deutsche Presse vielstimmig träumt. Nehmen wir an, es gelingt in mindestens 40 Wahlkreisen eine erfolgreiche Koalition gegen die Kandidaten des Fidesz. Nehmen wir an, die Fidesz-Gegner können mindestens 10 Prozent der habituellen Wahlverweigerer mobilisieren und eine allgemeine Wahlbeteiligung von 70 Prozent erreichen – dies gilt als Voraussetzung für einen Wechsel. Nehmen wir also an, Orbán wird in dieser oder jener Form entmachtet.

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Das Ungesagte

Wir haben Gäste aus Deutschland Ost, ganz weit Ost. Die bringen ein paar Geschichten mit aus einer Stadt, die gerade einen aufsehenerregenden Prozeß um den Mord an einer Rentnerin und mehrere Krawalle im Stadtzentrum zu verkraften hat.

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Something is rotten

Ryanair machte es möglich. Im Jahre 2006 weilte ich zehn Wochen in Dänemark. Der Flug von London nach Tirstrup, nördlich von Århus, beinahe geschenkt. Fast in Laufdistanz davon entfernt die Folkehøjskole på Kalø – sie war mein Ziel, dort wollte ich Dänisch lernen und tat es auch.

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Frauenmangel

Im zentralen Einkaufstempel in Plauen werde ich plötzlich an alte Zeiten erinnert – an meine Armeezeit.

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Aule Schwede Dans

Es vergeht kein Tag – daher ist die leidige Wiederholung kaum vermeidbar, sorry! –, es vergeht kein Tag, an dem sich die Pressehorde nicht an irgendeiner Aussage oder Geste Trumps oder deren Absenz abarbeitet. Das Wort „Horde“ wird hier ganz bewußt genutzt, denn die Synchronizität, das Schwarmverhalten, aber auch der aggressive Drive sind unübersehbar.

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Wenn Asylanten scheitern

Kleine Auseinandersetzung mit meinem syrischen Schützling. Der Kontakt wird schriftlich aufrecht erhalten und leidet darunter natürlich. Meist geht die Initiative von mir aus.

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Hegemoniebegriffe

Vor dem Handeln steht das Denken – im Idealfall. Um zu denken, braucht man Sprache. Sprache bestimmt aber darüber, was wir überhaupt denken können. Wer neu denken will, vielleicht weil eine festgefahrene Situation neue Wege verlangt, muß sich reflexiv seiner Sprache zuwenden. Mitunter gelingt es, Begriffe ausfindig zu machen, die einem alternativen Denkansatz im Wege stehen. Dabei handelt es sich oft um Hegemonie-Begriffe, Begriffe also, die schon durch ihre Nennung und Nutzung Handlungsvorgaben oder Handlungsverbote beinhalten, die moralisch aufgeladen, wertbesetzt sind, Machtansprüche verteidigen.

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Betreutes Denken

Kleines erhellendes Nachspiel der Kubitschek-„Affäre“ (seidwalk berichtete).

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Die rechte Gewalt

Großer Bahnhof. Ein Bürgermeister einer schleswig-holsteinischen Gemeinde wurde brutal zusammengeschlagen. Es gab Drohbriefe. Man wehrte sich – in den Briefen – gegen den Bau einer vermeintlichen Flüchtlingsunterkunft. Weiterlesen

Eine starke Frau …

eine wahre Mutter Courage, stellt uns der linkspopulistische „Focus“ vor. „Die Anti-IS-Kämpferin Wahida Mohamed, besser bekannt als Um Hanadi“, also Mutter Hanadi, ist eine Heldin.

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Zahlenmystik

Es muß eine Verschwörung sein!  Viele Einwanderer sind am 1. Januar geboren. Drei von 12 Eritreern versicherten mir hoch und heilig, am ersten Tag des Jahres geboren worden zu sein. Ich kann an diesen Zufall nicht glauben, doch sie bestehen darauf.

Nun erfahre ich auch von einem Syrer, daß er zwei Geburtstage hat. Man feiert das Datum in Syrien nicht, trotzdem nennt er einmal September und ein anderes Mal lese ich im Ausweis den März.

Wie ist das möglich?

Aus pädagogischen Gründen ist es vorteilhaft, zu Beginn des Jahres geboren zu werden. Wenn man das Kind für begabt hält, will man es mit sechs statt sieben Jahren einschulen lassen. Also geht man zu den Behörden und läßt das Geburtsdatum des Kindes – gegen einen Bakschisch – ändern.

Andere Länder, andere Sitten.

Gerüchte

Eine Menge Gerüchte scheinen in der Stadt herumzuschwirren. Ein paar davon gibt mir – ungefragt – ein Altwarenhändler zum Besten. Bisher zeichnete er sich durch Zurückhaltung aus, aber als ich ihn etwas zu Ungarn frage, fängt er zu plaudern an.

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Bildungslücken II

Wir werden unterbrochen, es klingelt an der Tür. Es klingelt überhaupt ständig bei den Syrern. Leute kommen und gehen, wechseln ein paar Worte und verschwinden wieder. Mir scheint, es ist eine Art des social groomings.

Es ist Abu Walid. Wir kennen ihn als Salim, aber Hussain nennt ihn Abu Walid, Vater des Walid. Walid ist also Salims Sohn, der uns ebenfalls manchmal besucht. Mittlerweile glaube ich nicht mehr an einen Zufall, daß Salim ausgerechnet immer dann kommt, wenn ich Hussain besuche.

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Bautzen ist überall

Die Vermutung darf man zumindest aussprechen. Denn was in Bautzen der Kornmarkt, sind in Plauen der Tunnel, der Klostermarkt und der Altmarkt …

Das Stadtbild vieler ostdeutscher Kleinstädte ähnelt sich. Zentrale Plätze wurden nach der Wende umgestaltet, nicht selten wurde alte Struktur entfernt, um Raum für den Fortschritt zu schaffen – in Form von Konsumpalästen, Einkaufspassagen, ganzen Kaufländern. In Plauen trägt das Schmuckstück den euphemistischen Namen „Stadt-Galerie“ und wird im Volksmund „UFO“ genannt.

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Bildungslücken

Nur noch wenige Tage bis zum Test für den Integrationskurs. Dort muß man Sprachkenntnisse für das Niveau B1 und aus einem Gesamtfragenkatalog von 300 Fragen 33 via multiple choice beantworten. Zufällig liegt der dicke Stapel Papier bei Hussain auf dem Tisch. In einem Prüfungstest hatte er 100% erreicht, beim Hörverständnis waren es „nur“ 40 von 45 richtig beantworteten Fragen. Man muß sich keine Sorgen machen, er wird das locker bestehen.

Doch das Problem liegt tiefer. Das wird sofort deutlich, als ich den Fragenkatalog durchblättere. Ich frage ihn Aufgabe 186: „Im Jahr 1953 gab es in der DDR einen Aufstand, an den lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland ein Feiertag erinnerte. Wann war das? 1. Mai, 17. Juni, 20. Juli, 9. November?“

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Eine andere Perspektive

Ein alter Werbefilm aus England macht in weniger als 30 Sekunden ein uraltes Problem unmittelbar einsichtig: ein Ereignis, aus nur einer Perspektive betrachtet, gibt einen bestimmten Eindruck, aus einer anderen Perspektive, einen ganz anderen, aber erst, wenn man den Gesamtkontext kennt, versteht man, was tatsächlich passiert ist. Das gilt umso mehr, wenn klischeebehaftete Personen, wenn Stereotypen involviert sind.

An einem aktuellen Artikel des „Spiegel“ kann man das wunderbar durchexerzieren. Er behandelt das Haschischproblem des Kopenhagener Szeneviertels „Christiania“. Dort hatte es vor ein paar Tagen einen ernsthaften Zwischenfall mit einem Todesopfer, einem lebensgefährlich verletzten Polizisten und zwei Schwerverletzten gegeben.

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Abraham, Isaak und Jakob

Zufällig Abraham in der Stadt getroffen, den Eritreer, einer meiner fünf ersten Schützlinge. Wir haben uns seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Gelegenheit in Kürze nach allen anderen zu fragen. Sein Deutsch merklich besser.

Wie geht es:

  • Dir? – Gut, alles in Ordnung. Mache im Dezember meine B1-Prüfung. Will danach Tischler werden. (Im Winter wollte er noch unbedingt Automechaniker werden. Schwer einzuschätzen, ob der Berufswunsch tatsächlich besteht, oder ob es ein angelerntes Wort ist.)
  • Jakob? (Er war in meiner großen Gruppe, schon etwas älter und mit Frau und Kind hier; half bei der chaotischen Erstbesetzung der großen Erstaufnahme, die nun wieder leer ist) – Alles okay!
  • Hawet und Senaid? (Ein Ehepaar) – Die sind nach Dortmund gegangen. – Warum? – Ist besser dort. Haben Freunde.
  • Der kleine Junge, den sie dabei hatten? – Der ist jetzt in Schweden bei seiner Mutter, von der er drei Jahre getrennt war. (Sprechblase: was macht so etwas mit einem Kind?)
  • Haylat? (Er bekam im Dezember den Ausweisungsbescheid nach Italien) Ist noch immer hier. Hat einen Anwalt, der ihm jedes Mal sechs Monate Verlängerung prozessiert. Haylat muß ihn bezahlen.
  • Mohammed? (Er nahm nach dem Mord an Khaled B.  in Dresden an einer Demonstration gegen Rechts teil) Keine Ahnung.
  • Fiori? (Sie war die mit Abstand beste eritreische Schülerin und im November sichtbar schwanger) – Ist mit ihrem Mann (Freund, Eritreer) in eine andere Stadt. – Welche? – Weiß nicht. – Wann hat sie denn ihr Kind bekommen und was ist es? – Ein Mädchen. Vor acht Monaten, nein, im Januar, nein, im Februar. (Wie dem auch sei, ich bin vom frühen Termin überrascht.)
  • Adlan? – Lernt weiter Deutsch. Ist cool wie immer.
  • Isaak? (sorry, einen Isaak gibt es nicht unter meinen Bekannten, aber er paßte so gut in die Reihe. Und unter christlichen Eritreern ist er sicher ein häufiger Name).

Transaktionen

Viele Syrer in Deutschland haben Schulden. Im August 2015 war die „Reise“, all inclusive, von Syrien nach Europa für knapp 3000 Euro zu haben. Oft waren es die Mitglieder ausgedehnter Familien und Clans, die die Summe vorschossen. Doch Schulden müssen beglichen werden.

Wie läuft das ab? Zum Beispiel so: ein junger Mann möchte an seine Familie 1600 Euro überweisen. Der normale Bankweg ist ihm versperrt, allein schon, weil es in Syrien kaum noch arbeitende Banken gibt. Er ruft in Berlin einen „Geldkurier“, einen Vermittler an. Sie vereinbaren einen Termin an einem bestimmten Vormittag in einem bestimmten Cafè am Schumacher-Damm. Die Zugfahrt kostet ihn 40 Euro und einen ganzen Tag hin und zurück.  Im Cafè übergibt er dem Mann, den er nicht kennt, aber an einer vereinbarten Äußerlichkeit erkennt, die 1600 Euro in bar. Sein Vertrauen muß groß sein.

Am Abend, zurück in seiner Unterkunft, telefoniert er mit seiner Familie in Kafarya, einem kleinen Örtchen, nördlich von Idlib. Das Geld ist der Familie bereits ausgehändigt worden, in US-Dollar. Der örtliche Geldwechsler hatte, während unser Syrer noch im Zug saß, aus Berlin einen Anruf bekommen, der den Erhalt der Summe bestätigte. Der Geldwechsler in Kafarya kontaktiert daraufhin die Familie, die sich den Betrag sofort in bar bei ihm abholen kann. 1530 Euro, es wurden 70 Euro für die Dienste abgezogen, die sich der Geldkurier in Berlin, der Geldwechsler in Kafarya und möglicherweise noch andere Zwischenmänner teilen.

Natürlich weiß auch der junge Syrer nicht, wie das Geschäft exakt funktioniert. Die Existenz eines mitarbeitenden Geldwechslers in einem Dorf läßt auf die Existenz eines ausgedehnten Netzwerkes schließen. Im Telefon des Geldkuriers in Berlin dürften hunderte syrische Nummern gespeichert sein.

Ist sich der junge Mann darüber im Klaren, daß derartige Transaktionen nach deutschem Recht illegal sein könnten? Er reagiert erstaunt. Nein! Warum?

Was könne er denn tun? Es gibt keine Möglichkeit mehr, Geld nach Syrien zu überweisen. Das stimmt – nur noch drei Anbieter standen zuletzt überhaupt noch zur Verfügung. Die Prozedur ist langwierig, das Geld kann nur in syrischen Großstädten abgeholt werden, was längere Reisen durch potentielle Gefahrengebiete bedeuten würde, und eine Verlustversicherung gibt es auch nicht.

Eine Hand wäscht die andere. Die Macht der Banken gebrochen.

Wo sind wir?

Hussain muß einen sogenannten Einbürgerungstest machen. Dabei werden 33 aus 300 Fragen mit je vier Auswahlantworten abgefragt. Wir sprechen über das Parteiensystem. Links und rechts, progressiv und konservativ, eigentlich alles ganz einfach, nur daß innerhalb kurzer Zeit die gesamte Mitte weggebrochen ist und plötzlich auch die CDU/CSU eher links zu verorten sind, ist schwer zu vermitteln.

Dann klingelt es und Salim tritt ein. Er hatte gerade ein Doppelstockbett für die Kinder gekauft, aber der Tochter gefiel es nicht. „Kind deutsch“ sagt er und meint: sie beginnen langsam Ansprüche  zu stellen. Das Wort des Vaters – in Syrien Gesetz – zählt nicht mehr viel.

Ich rufe für ihn, der auch nach neun Monaten nahezu sprachlos ist, beim Möbelhaus an und storniere die Bestellung. Dort erinnert man sich gut an den Kunden und meckert gleich los. Hätte er sich auch vorher überlegen können …

Wenn er schon einmal da ist, soll er gleich am Unterricht teilnehmen. Schnell ist die Landkarte ausgebreitet. „Laßt uns die Bundesländer noch einmal wiederholen. Salim, wo sind wir?“ Hussain, mit dem ich fast nur noch Deutsch rede, muß alles übersetzen. Salim schaut auf die Karte wie die Kuh ins Uhrwerk. Er hat keine Ahnung, wo Sachsen liegt, scheint nicht mal Nord und Süd einordnen zu können. Er murmelt etwas von München, aber auch das kann er nicht zeigen. Nach zwei Minuten helfe ich ihm auf die Sprünge, aber die Art und Weise, wie er auf den kleinen Punkt schaut, beweist, daß ihm das Prinzip Karte und Gebiet vollkommen fremd ist.