Warum Ungarn

Manche Leute reden heutzutage gleich von Hetze, wenn man etwas oder jemanden kritisiert. Tatsächlich ist Kritik oft eine Form der Liebe oder ein Erinnern daran, was etwas oder jemand sein könnte, wenn es oder er sein ganzes Potential entfaltete. Selbst die geliebteste Person ist nicht fehlerfrei und je länger man sie kennt, umso mehr Fehler entdeckt man auch, zeigt sie sich von ihren fragwürdigeren Seiten. Eigentliche eine Banalität – daß man das hervorheben muß, zeigt den geistigen Zustand unserer Gesellschaft.

Auch an Ungarn gibt es viel zu kritisieren – aus Zuneigung. Es gibt Momente, wo ich satt bin von diesem Land …, aber dann gibt es auch Momente der Eintracht und des Glücks, so wie in jeder guten Ehe. Es muß sich nur die Waage halten, soll es dauern.

Ein solcher Moment ist der abendliche Spaziergang durch die Stadt. In Sommerkleidung bummle ich zum Szent István tér (Platz des Heiligen Stefan) oder andersherum zum Szentháromság tér (Dreifaltigkeistplatz) und immer, wenn ich die grün gestrichene Katholische Kirche erblicke oder das Dreifaltigkeitsdenkmal oder auf einem anderen Weg die Serbisch-Orthodoxe Kirche, durchrieselt mich ein Wohlgefühl und ich denke: diese kleine Stadt Baja ist einfach eine schöne Stadt, in die man gern geht. Sie hat nichts Spektakuläres, aber sie liegt idyllisch an der Donau, hat sich selbst einen Arm ins Zentrum verlegt, sie ist still, friedlich, ordentlich, man fühlt sich einfach wohl.

Im Zentrum – es sind im Grunde genommen nur diese beiden Plätze und als Verbindung eine kurze Einkaufspassage – sitzen einfache, normale Menschen, die Frauen schlicht, aber hübsch und weiblich gekleidet – jetzt in den Sommerkleidern immer eine Freude zu sehen –, auch die Männer mit Stil, aber ohne Extravaganzen. Was ein „Subway Shirt“ ist, könnte hier niemand verstehen. Die Einwohner der Stadt sind wie diese selbst: bescheiden, ruhig, sauber, stilvoll.

Ich hole mir dann an einer der vier oder fünf Eisdielen ein Eis, gehe an den Straßencafés entlang, manchmal grüße ich sogar schon ein bekanntes Gesicht und schlendere dann, in der einen Hand das Eis, die andere in der Hosentasche, zur Sugovica, jenem kleinen Wasserweg, der eine eigene Insel geschaffen hat und an dem es kleine Strände, Bars und Spielplätze gibt und ich genieße einfach die Eintracht, die Geborgenheit, die alles ausstrahlt.

Werbevideo des alten, abgewählten Fidesz-Bürgermeisters

Noch sind viele Familien mit ihren Kindern unterwegs und es ist immer wieder eine besondere Freude, die Eltern mit den Kleinen zu sehen. Selten ein lautes Wort, selten Tränen oder Geplärre, wenn ein Kind über die Strenge schlägt, dann genügt ein Blick oder Husch und alles hat sich wieder eingepegelt.

Auf einer kleinen Bühne im Hafen oder einer noch kleineren an der Promenade – wenn man das so nennen darf – spielen im Sommer manchmal Bands vor ein paar Zuschauern. Ich bleibe stehen, lausche den Texten. Es stehen auch zwei, drei breite Herrn in schwarzen Security-Shirts da – im Einsatz sah ich sie noch nie.

Denn auch die jungen Leute benehmen sich. Sie trinken ihr Bier, lachen, scherzen, küssen … alles, wie es sein soll. Die meisten Mädchen haben lange Haare, die meisten Jungen kurze, es gibt einen kleinen Trupp Rastafari in der Stadt, ein paar Heavy Metaler, aber auch die verhalten sich ruhig und zivilisiert. Es gibt auch Obdachlose, Alkoholiker, ernsthaft arme Menschen, früh gealtert, zahnlos, tiefbraun gebrannt – sie sitzen auf ihren Bänken und trinken das billigste Bier aus 2-Liter-Plastikflaschen und fügen sich ansonsten ebenfalls ein.

Man fühlt sich sicher, man schaut nicht um sich, muß keinen Blickkontakt meiden, man erwidert höchstens mal den Blick einer schönen Frau – was leider auch immer seltener wird, wenn man auf die 60 zugeht.

Was für ein Unterschied zu meiner deutschen Heimatstadt. Ich versuche die Innenstadt zu meiden und komme nur noch selten hin, nur, wenn es etwas Unaufschiebbares gibt – der Arzt vielleicht – oder wenn ich meine dänischen Freunde zum Plausch besuche. Die wohnen mitten im Zentrum, unmittelbar am Markenzeichen der Stadt, dem Rathausturm mit der blauen Uhr. Sie leben dort seit 20 Jahren und können die Veränderungen quasi vom Rang aus beobachten – ihr Fenster geht unmittelbar auf den Klosterplatz.

Seit einigen Jahren, so klagen sie mir fast jedes Mal, können sie die Wochenenden nicht mehr schlafen und auch in der Woche ist es oft schwer. Unten ist eine Diskothek, dort gibt es fast täglich Ärger. Kaum ein Wochenende ohne Gebrüll, ohne klirrende Flaschen, ohne Blaulicht und Sirenen. Immer öfter rücken Polizei und Erste Hilfe im Konvoi an, nachts um Zwei oder um Vier zu viert, sechst oder acht – und wir reden hier von Einsatzwagen, mit mehr als zwei Polizisten drin. Von diesen Vorfällen erfährt die Öffentlichkeit meist nichts, auch nicht in der lokalen Presse. Nur wenn es ein Hauen und Stechen gibt, dann dringt auch mal was nach außen – Plauen hat schon eine gewisse Berühmtheit erlangt.

In der Regel sind es migrantische Konflikte, schwer zu sagen, wer gegen wen, manchmal auch gegen deutsche und sicher nicht selten auch politisch motiviert.

Selbst am hellichten Tag fühlt man sich unwohl. Die Straßenbahn ist oft schon voller fremder und fremdartiger Menschen, im Zentrum, dem eigentlichen Herz der ansonsten wenig ansehnlichen Stadt, stehen, sitzen, lungern mehrere Gruppen junger Männer herum, syrisch, arabisch, eritreisch, schwarzafrikanisch, meist muslimisch und fast immer auch eine Gruppe heruntergekommener Existenzen, Punks mit entsprechenden Hunden.

Es gibt auch ein Kontingent „Slowaken“ – dieses Wort nutzt die Presse, wenn es um Drogen oder Prostitution ciganischer Abstammung geht. Frauen mit Kinderwagen tragen vornehmlich Kopftuch, manchmal sprechen sie auch russisch oder ukrainisch. Was an jungen Deutschen rumläuft, läßt einen auch oft erstarren: abgefuckte, kaputte Typen, gescheiterte Existenzen. Alles, was Anstand hat, so scheint es manchmal, sitzt hinter Schul- oder steht hinter Werkbänken oder hat längst das Weite gesucht.

Der Kontrast zwischen beiden Städten ist eklatant, nur ihre Einwohnerzahlen sind nicht weit auseinander. Wer sich ein Bild davon machen möchte, der kann das im Fernsehen tun: gerade stand Plauen im Fokus des ZDF (ab min. 21:00) .

siehe auch: Mal wieder was Rassistisches

In Ungarn leben

u.v.a.

12 Gedanken zu “Warum Ungarn

  1. Nevem van schreibt:

    „Man kann vermutlich jede Sprache lernen, in Abhängigkeit von Wille, Energie, Zeit, Disziplin, Methode, Muttersprache und wohl auch Intelligenz. In Hinblick auf letzteres kann das Ungarische sehr ernüchternd sein. …“
    – Das liest sich beinahe, als müsste man, um Ungarisch zu können, sehr intelligent sein. Aus Lebenserfahrung darf ich Sie beruhigen: dem ist nicht so. Das Ungarische ist genauso kinderleicht wie alle anderen Sprachen der Welt.
    – Man kann fast alles lernen, solange man ein möglichst jung ist. Sprachen ganz im Kleinkindalter, Fahrrad-, Autofahren später und noch später… Irgendwann lohnt sich nicht mehr zu versuchen, eine Einsicht, die von vielen nicht geteilt wird.
    Dabei spielt der Anspruch auch eine Rolle, z.B. in der Slowakei lebende Ungarn fühlen sich (nicht ohne Grund) zu fehlerfreiem Slowakisch verpflichtet usw.
    – In deutschsprachigen Gegenden im Alltagsleben genügt es, deutlich zu sein, Fehlerfreiheit wird nicht erwartet; eventuell nur, um Leute zu schikanieren, hin und wieder so getan. Letzteres kann in Ungarn auch passieren, im Falle empfehle ich, die Lautstärke zu erhöhen (weltweit) und zwar weder aggressiv noch hilfesuchen, einfach nur bestimmt.

    Seidwalk: Ab wann lohnt es sich dann nicht mehr, mit Ungarisch anzufangen?

    Intelligenz ist eine hinreichende Bedingung, Disziplin ist vermutlich wichtiger.

    Es ist die typische Unterschätzung der Ungarn hinsichtlich ihrer Sprache. Sie sind hineingewachsen und verstehen nicht, was das Problem ist. Können sie noch Deutsch, dann heißt es immer: aber Deutsch ist auch schwer. Ist es – Ungarisch ist aber schwerer, objektiv, als Fremdsprache. Beweis: Millionen sprechen ausgezeichnet Deutsch, im Ungarischen sind weltweit zwölf Fälle überliefert.
    Ein Erwachsener wird es nie zur Fehlerfreiheit in der Sprechkompetenz bringen, nicht mal relativ. Ich kenne Leute, die leben seit Jahrzehnten hier, haben ungarische Frau/Mann und Kinder und sprechen noch immer fehlerhaft und vor allem ein stark vereinfachtes Ungarisch. Sie können die immense kreative Kraft nicht im Ansatz nutzen …

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    • Nevem van schreibt:

      Zitat: Friedrich Dürrenmatt soll einmal gesagt haben, dass es in Europa zwei furchtbar schwere Sprachen gäbe; nämlich Portugiesisch und Ungarisch. Portugiesisch sei ja schon unglaublich schwer, aber Ungarisch sei schon so schwer, dass es nicht einmal mehr die Portugiesen verstünden.
      – Ob der gute Herr Dürrenmatt es wohl mal versucht hat, Ungarisch zu lernen und in verzweifelter aber heiterer Stimmung ob seiner geringen Lernerfolge war, als er zu dieser scherzhaften Erkenntnis kam? Wer weiß…
      – Jedenfalls steht seiner Erkenntnis folgendes Sprichwort entgegen: „Baskisch ist eine so schwere Sprache, dass es nicht einmal der Teufel zu erlernen vermochte“ – übrigens ein baskisches Sprichwort. http://www.ungarische-sprache.de/ungarisch/friedrich.html

      – Bitte http und nicht https verwenden – die Webpräsenz ist nicht von mir, ihren Betreiber kenn‘ ich nicht – beim Aufruf jedoch hatte ich nie irgendwelche Probleme.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Ungarische_Sprache#Sprachverwandtschaft kennen Sie bestimmt, der Einfluss der (agglutinierenden) Turk-Sprachen ist im Artikel erwähnt, wenn auch nicht sonderlich betont.

      „Ab wann lohnt es sich dann nicht mehr, mit Ungarisch anzufangen?“ Grundsätzlich und aufgrund eigener Beobachtungen in der Famile sag‘ ich bezüglich Sprachenlernen in ALLEN Richtungen: Der Übergang ist stufenlos, individuell etwas verschieden; am nächsten kommt das dem Problem des Autofahren-Lernens. Über Fünfzig sehr gewagt.

      „Intelligenz ist eine hinreichende Bedingung, Disziplin ist vermutlich wichtiger.“ Disziplin ist schon lobenswert, nur, wenn der Zug abgefahren ist, können wir noch so fleißig und formvollendet nachrennen, erreichen wir ihn nicht mehr. Dann kann ein Sechzigjähriger stolz in Italien „due espressi“ bestellen und das war’s. Und was zum Beispiel musikalische Fertigkeiten betrifft, manche Leute schaffen es nie, auch nicht im Kindesalter, auch nur ein Instrument auch nur minimal zu spielen. Man kann NICHT alles lernen, vor allem nicht in beliebigem Alter; was ja nicht einmal schlimm ist. Mag mainstream media „die Lippen noch so aufwerfen“, ist es so und nicht anders.

      Die „weltweit zwölf Fälle“ ist eine Anekdote? Kenn‘ ich leider nicht. So weit es geht, lernen wir wie Kleinkinder! Viel zu viel darüber nachzudenken, warum etwas so ist wie es ist, lohnt sich beim Sprachenlernen nicht, das ist eher hinderlich. Muttersprachler haben sich daran gewöhnt, auch ohne nachzudenken, einfach nachplappern!

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      • Zum Abschluß kleine Anekdote, hat sich hier gerade zugetragen.

        Deutscher, Rentner, seit 15 Jahren in HU, Akademiker, ehemaliger Hochschuldozent – Lernintelligenz war also vorhanden. Lernte ihn in meinem ersten Sprachkurs kennen, vor 7 Jahren. Gab dann nach einem Jahr auf (also in seinem 8. im Land): bin zu alt (damals über 70), brauche ich nicht, muß meine Zeit besser nutzen etc. Schönes Leben hier, vernetzt, viele Bekannte,

        Verletzt sich nun an der Schulter. Rettungsstelle. Arzt spricht kein Deutsch o. Englisch, Kommunikation mit Händen und Füßen. Bekommt Medikamente. Fühlt sich nach Medikamenten unwohl. Googelt, erahnt, daß Medikamente nicht verträglich mit bisheriger Medikation, will noch mal zum Arzt, kollabiert aber, Herzinfarkt, Frau – ebenfalls ohne nennenswerte Sprachkenntnisse nach 15 Jahren – ruft Rettungsdienst, der braucht 20 Minuten: alles zu spät.

        Jetzt die Frage: hätte dieses Ende durch Kommunikationsfähigkeit verhindert werden können? Sind die verschriebenen Medikamente ursächlich für Infarkt? Wird nie jemand beantworten können, damit muß man nun leben.

        Hausarzt, Zahnarzt, Frauenarzt mit Deutschkenntnissen … kann man sich alles organisieren, deshalb „braucht“ man Ungarisch nicht unbedingt – es sei denn, etwas Unerwartetes tritt ein. Sollte man alles bedenken, bevor man hierher kommt. M. E. sollten 15 Jahre auch im Alter ausreichen, um eine halbwegs mögliche Fachdiskussion in unvorhergesehenen Situationen zu überstehen: Autounfall, Polizeikontrolle, Wasserrohrbruch, Stromausfall, juristische Konflikte, Herzinfarkt … Ein Behördenbrief bleibt trotzdem meist ein Buch mit 7 Siegeln.

        Tatsache ist, daß keiner der Rentner, die ich kenne, dazu in der Lage wäre und einige leben schon 40 Jahre im ungarischen Umfeld. Man kann sich bequem einrichten, keine Frage. In keinem anderen Auswanderungsland Europas bräuchten wir darüber reden. In England kamen die Leute mit Null Kenntnissen und hatten nach vier Jahren genug aufgeschnappt, um zurechtzukommen – ohne eigentlich zu lernen. …

        https://rtl.hu/belfold/2023/04/30/ferenc-papa-rtl-magyar-mennyben-beszelik?fbclid=IwAR0wRbYHBoOvBWTbJLkDnLBxC-EtfOGiPDOBcuvVZsyXHTVpTEhnSVgTaSs

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  2. Wolfgang A schreibt:

    „Sie sind also umgezogen? Falls Sie eine Minute Zeit haben, lassen Sie uns gerne wissen, wie das abgelaufen ist. In welchen Landesteil und warum, Haus finden, kaufen, renovieren – wie und mit wessen Hilfe, welche Erfahrungen, Kosten etc. Integration, Probleme, Administration, gibt es Deutsche dort, Perspektiven, Arbeit … Ich denke, das interessiert nicht nur mich.

    Was tun Sie für die Sprache?“

    Sehr gerne! Ob ich das in einer Minute hinbekomme?

    Wir sind hier im Burgenland in einer hübschen Kleinstadt mit ca. 34 000 Einwohnern, keine 20 km hinter der Grenze zu Österreich. Wir haben uns hierfür entschieden, weil es hier alles gibt, was man für den täglichen Bedarf braucht. Die vielen hiesigen Zahnärzte sorgen für einen stetigen Besucherstrom aus Österreich und Deutschland, so dass die Sprachbarriere noch nicht so hoch ist. Außerdem sind wir direkt an der Autobahn von Wien nach Budapest und – mit eigenem Bahnhof – an der Fernbahnstrecke. Gute Anbindung war uns wichtig.

    Beim Hauskauf haben wir ziemlich kurz entschlossen gehandelt, Wir haben, nachdem wir begeistert aus Sopron wieder zurück gekommen sind, noch einen längeren Urlaub mit Wohnwagen in Ungarn gemacht, um zu sehen, ob es doch irgendwas gibt, was uns so missfällt, dass wir da doch nicht hinwollen. Gab es nicht. Also haben wir gleich die zweite Hälfte der Reise mit Hauskauf zugebracht, bevor wir dann die dritte Hälfte noch an den Balaton gefahren sind.

    Wir haben einfach auf den einschlägigen Maklerseiten im Internet gesucht. Vorsicht! Die Ungarn sind begnadete Fotografen und verstehen es, auch das übelste Gemäuer noch als Traumschloss abzulichten. Es hat sich als günstig erwiesen, dass wir auf dem Campingplatz in Kapuvar jederzeit vor Ort verfügbat waren – mit jedes Mal 650 km Anreise wäre es sehr mühselig geworden.

    Der Hauskauf geht ähnlich vonstatten wie in Deutschland. Man beauftragt keinen Notar, sondern einen Anwalt, der die Abwicklung überwacht, die Eintragungen im Grundbuch veranlasst usw. Sehr unterschiedlich zu Deutschland ist die Grunderwerbssteuer. Sie wird nicht von vorne herein festgelegt. Irgendwann nach ein paar Monaten erscheinen zwei Herren vom Finanzamt, beurgrunzen den Bau, und legen dann mit Hilfe vieler Formulare, die sie gottseidank selbst ausfüllen, einen Steuerbetrag fest, der bei maximal 4% des Kaufpreises liegt. Ich weiß nicht, ob dabei jemals etwas anderes als 4% herauskommt.

    Aber da habe ich jetzt vorgegriffen. Der Urlaub war im Juni, im August sollten wir das Haus übernehmen. Wieder in Deutschland, war unsere erste Tat, uns um unsere Sprachkenntnisse zu kümmern. Wir haben mit Orsolya (gesprochen Orschoja) eine wunderbare Lehrerin gefunden, bei der wir bis heute jede Woche 2 bis 3 Stunden per Zoom Meeting Unterricht haben.

    Für ein „Elnezest, Nemet vadiok es nem nagyon jol beszelek Magyarul …“ reicht es in der Zwischenzeit. Meine Frau kann durchaus schon richtige kleine Verhandlungen mit Handwerkern führen. Ich bin meist zu fau … äh zu beschäftigt zum Vokabeln lernen. Wir möchten gerne irgendwann mal einen längeren Instensivkurs in Budapest nehmen, einfach, damit wir mal gezwungen sind, uns mal nur mit Ungarisch zu verständigen.

    Tja. Haus renovieren. Das Haus ist noch relativ neu, war aber dafür schon heftig abgewohnt, was natürlich im ausgeräumten Zustand sehr unangenehm auffiel. Hinzu kommt, dass die Ungarn einen sehr … sagen wir „fröhlichen“ Farbgeschmack haben. Das sieht bei der Besichtigung und auf den erwähnten Fotos noch hoch interessant aus. In einem Zimmer hatten wir sowohl einige orange, als auch einige grüne Wände. Die Farbtöne so gebrochen, dass sie durchaus zueinander gepasst haben. Respektable Leistung. Nur wenn man sich dann tatsächlich in dem Zimmer aufhält und beide Farben schreien einen gleichzeitig an, dann kriegt man einen Vogel.

    Wir haben das Haus in den Augen der Ungarn wahrscheinlich gemordet, weil wir alles langweilig in weiß gestrichen haben. Über die Farben oder kreischbunte Fliesen sollte man übrigens nicht lästern. Unsere ungarischen Nachbarn haben die gleichen Farben und Fliesen. Das ist eben Landeskolorit im wahrsten Sinne des Wortes.

    Ansonsten haben wir vieles in Eigenleistung gemacht, aber teilweise auch Handwerker beauftragt. Material ist wegen der Mehrwertsteuer von 27% deutlich teuerer als in Deutschland, aber der Stundenlohn, den die Handwerker abrechnen, so billig, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt. Das billigste waren 15,- EUR pro Stunde. Für Materialkäufe sind wir vielfach ins nahe Österreich gegangen. Nicht nur wegen der Mehrwertsteuer, sondern auch, weil man bei ungarischen Produktbeschreibungen etwas ratlos ist, ob man nun wirklich Tiefgrund oder Haftgrund in der Hand hat.

    Schritt für Schritt wächst man dann auch in die Administration hinein. Dabei ist auch der beim Hauskauf beauftragte Anwalt behilflich, der die Ummeldung von Strom, Wasser, Müllabfuhr usw in die Wege leitet. Behauptet er wenigstens. Unserer hatte da nichts überstürzt und auch nach drei Monaten noch nichts getan. Auf gutes Zureden hat er dann immerhin dafür gesorgt, dass meine Frau und ich jetzt jeder seine eigene Mülltonne hat. Na gut …

    Wichtig ist auch die Anmeldebestätigung, die Registrierbestätigzng zur Anmeldebestätigung, die Steuernummer und Krankenversicherungsnummer. All das kommt zeitlich verteilt, dass man da recht gut hineinwachsen kann. Wobei meine Frau den Löwenanteil getragen hat. All diesen Bescheinigungen ist gemeinsam, dass man sie über das Internet beantragen kann. Und dann doch aufs Amt geht, weil es per Internet nicht klappt. Das geht ganz ohne Terminvereinbarung, die Leute sind meist freundlich und nett und die jeweilige Angelegenheit ist meistens in wenigen Minuten erledigt. Ich kann mich da absolut nicht beschweren. Ein Kapitel für sich ist die Ummeldung des Autos. Aber hier gibt es Agenturen, die dies erledigen. Die 80,- EUR dafür sind gut investiertes Geld, wenn man keinen Wert auf einen Behördenmarathon einschließlich Zoll, TÜV, Zulassungsstelle und Versicherung legt. Auf einen Absatz konzentriert, sieht das nach viel Bürokratie aus. Aber es ist zu schaffen. Es kommt ja nicht alles auf einmal. Und in den Ämtern haben wir die Ungarn nie anders als sehr hilfsbereit und freundlich erlebt.

    Tja, damit komme ich ans Ende meiner ersten Ungarn-Erfahrungen. Fazit: Wir beide sind nach wie vor der Meinung, den richtigen Schritt getan zu haben!

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    • Vielen Dank! Ich kann Ihnen versichern: das lesen viele Leute und mit großem Interesse. Wir werden selbst immer wieder mal daraufhin angesprochen, wie das denn mit der Umsiedlung ist. Dieser Tage gab es irgendwo eine Statistik über die deutschen Emigranten, wohin es sie zieht. Schweiz, Österreich, USA führen die Liste deutlich an, danach wurde es deutlich weniger. Ungarn war demnach nicht unter den zehn beliebtesten Ausreiseländern, das hieße, daß im Jahr weniger als 2000 Deutsche die Heimat gen Ungarn verlassen. Möglich, daß die Statistik durch „Deutsche mit Migrationshintergrund“ verfälscht war, weil die Türkei auch ziemlich weit oben rangierte.

      Kurz und gut: aus eigener Erfahrung fand ich das überraschend. Selbst hier unten im Süden und noch mal 4 Stunden Fahrt von der Grenze entfernt, kommen immer wieder neue Deutsche hinzu. Am Balaton gibt es bereits Agenturen und Juristen, die sich nur auf Deutsche spezialisiert haben ….

      Vergessen wir nicht, was Orbán in einer seinem Interview mit der BZ gesagt hat:

      Sehen Sie auch Hoffnung für eine deutsch-ungarische Annäherung?
      

      „Es gibt natürlich gute Grundlagen. Eine davon ist, dass es den in Ungarn lebenden Deutschen gut geht. Angefangen vom Kindergarten bis hin zur Universität können sie bei uns auf Deutsch lernen. In Ungarn gibt es gegenüber den Deutschen keinerlei Ressentiments. Ein Land, in dem es gegenüber den Deutschen eher positive als negative Gefühle gibt, ist in Mitteleuropa selten. Die Deutschen genießen in Ungarn noch immer ein hohes Ansehen. Dazu haben nicht zuletzt die in Ungarn lebenden Ungarndeutschen viel beigetragen. Sie sind geschätzte Bürger von Ungarn.“ https://becs.mfa.gov.hu/deu/news/wir_ungarn_sind_ein1_freiheitsliebendes_volk

      Wolfgang A:
      Es freut mich, wenn‘s gefällt! Und es hat auch Spaß gemacht, sich hier mal länger austoben zu dürfen. Gerne wieder, wenn ich darf und es etwas zu berichten gibt

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      • @seidwalk: So ist es, es wird sogar mit Interesse gelesen!
        Noch etwas dazu: Ich lese hier und an anderer Stelle im WWW viel über Deutsche, die nach Ungarn auswandern oder zumindest dort einen (Zweit?)Wohnsitz begründen. Sie (@seidwalk) schreiben in einigen Artikeln hier im Blog über die ungarische Sprache und den Schwierigkeiten, diese zu erlernen. Dies liest sich aus der Ferne so, als wäre diese Sprache für erwachsene Nichtungarn nicht erlernbar (mal etwas überspitzt formuliert), oder nur rudimentär. Wie kommen denn dann die in Ungarn lebenden Deutschen im Alltag zurecht – beim Einkaufen, mit Handwerkern, in Gaststätten etc.?
        Andererseits schreibt Wolfgang A: „Meine Frau kann durchaus schon richtige kleine Verhandlungen mit Handwerkern führen.“
        Viele Grüße, John Passant

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        • Auf diese Frage, die ich schon viele Male angesprochen habe, kann ich jetzt nicht vertieft eingehen. Ich bin bei Äußerungen wie Wolfgang A’s Frau mittlerweile sehr skeptisch – bis jetzt habe ich noch niemanden getroffen, der das rechtfertigen kann … vorausgesetzt, man teilt in etwa die Vorstellung, was es bedeutet, eine Sprache „zu beherrschen“.

          Man kann vermutlich jede Sprache lernen, in Abhängigkeit von Wille, Energie, Zeit, Disziplin, Methode, Muttersprache und wohl auch Intelligenz. In Hinblick auf letzteres kann das Ungarische sehr ernüchternd sein. Wenn Sie ein Jahrzehnt frei haben und sich jeden Tag eine Stunde konzentriert damit beschäftigen, dann können Sie es zu was bringen, aber in der Regel nicht zu einem gedankenlosen Geplauder auch über komplexe Themen wie in Englischen etwa. Es sei denn, Sie sind ein Genie.

          Die Deutschen, die ich hier kenne, haben alle aufgegeben oder schlagen sich mit basalem Vulgärungarisch durch. Man kann damit überleben, offensichtlich. Die Ungarn wissen ja, woran sie sind, auch wenn sie oft wenig hilfreich agieren.

          Ansonsten leben die Deutschen vermutlich unter sich oder genießen die Ruhe. Verträge müssen über Fachpersonal gemacht werden, es gibt genügend Ungarn, die gut Deutsch sprechen und mittlerweile auch spezialisierte Agenturen.

          Zufälligerweise sprach ich heute mit einem erzgebirgischen Aussiedler aus Dávod. Leben viele Deutsche dort, er meint, kein Ungarisch zu brauchen. Die Tochter – 14 Jahre – hat schon was gelernt. Ich sprach sie daraufhin mit einfachsten Sachen an: sie erschrak regelrecht und ihr Gesichtsausdruck verriet die Angst vor der Sprache. Wer hier wirklich ankommen will, wirklich Teil werden will, der sollte das Problem besser über- als unterschätzen. Arroganz ist fehl am Platze. Ich habe die ersten 2 Jahre benötigt, um allein die Größe der Aufgabe einzusehen und mich nicht mehr zu wehren. Aber die vielen Aussiedler zeigen, daß das mein Problem ist.

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    • Michael Klepzig schreibt:

      Hallo, wie heißt eine Autoummeldeagentur auf ungarisch ?
      Das kommt bald auf mich zu und meine ungarisch-Kenntnisse sind Nähe null.
      Danke

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  3. Wolfgang A schreibt:

    Danke für die Tipps! Wir können es kaum erwarten … : )

    Wir konnten noch gar nicht so weit über unseren Tellerrand herausschauen, weil wir erstmal mit Hausrenovierung und Umzug beschäftigt waren. Aber wir freuen uns schon sehr darauf, mit unseren frisch gewonnenen (aber noch weiterhin natürlich seeehr ausbaufähigen) Sprachkenntnissen das Land weiter zu entdecken.

    Einstweilen lesen wir gerne Ihren Blog.

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    • Sie sind also umgezogen? Falls Sie eine Minute Zeit haben, lassen Sie uns gerne wissen, wie das abgelaufen ist. In welchen Landesteil und warum, Haus finden, kaufen, renovieren – wie und mit wessen Hilfe, welche Erfahrungen, Kosten etc. Integration, Probleme, Administration, gibt es Deutsche dort, Perspektiven, Arbeit … Ich denke, das interessiert nicht nur mich.

      Was tun Sie für die Sprache?

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  4. Wolfgang A schreibt:

    Wie der Zufall so will, habe ich gerade vor ein, zwei Stunden versucht, in einem Leserbrief auf einem anderen Blog unsere Eindrücke bei unserem ersten Besuch in Ungarn, genauer Sopron zu schildern.

    Irgend etwas hat da „klick“ gemacht. Vielleicht kann man es beschreiben als das schwer zu beschreibende Gefühl, etwas wieder zu finden, das man daheim schon länger verloren hat, ohne es zu merken. Etwas, was so gar nichts damit zu tun hat, dass es da so ganz besonders schön oder in irgend einer Art spektakulär wäre.

    Nein, es ist einfach ein Umfeld, das einen wortwörtlich einfach in Frieden lässt und nicht selbst ständig schrill kreischend in den Vordergrund spielt mit volle Dingen, die einen nur stören, die einen nicht interessieren und die man widerlich findet. Das einen nicht ständig ausforscht, ob man nicht vielleicht doch rassistisch oder irgendwas mit -phob ist, einen nicht mit einfältigen Belehrungen behelligt und einem seine eigenen Gedanken unhinterfragt belässt.

    Ich denke, das haben Sie mit Ihrer Beschreibung von Baja wunderbar eingefangen, dankeschön. Und ich hab‘s bei Sopron wenigstens versucht.

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    • Sopron ist natürlich auch eine wunderschöne Stadt, vor allem das alte Stadtzentrum. Wir waren da auch mal ein paar Tage und haben die Stadt seither nicht mehr aus dem Auge verloren … vielleicht für eine Zukunft.

      Sie beschreiben das richtig: man findet hier etwas wieder, das in D schon lange verloren ist. Empfinden können das oft nur diejenigen, die es auch selbst noch erlebt haben. Ich habe auch Deutsche kennenlernen dürfen, die es in Ungarn nicht mehr aushalten – es ist ihnen zu uniform, sie sehnen sich schon nach den Verschleierten, den kehligen Lauten auf der Straße und 17 verschiedene Falafelsorten auf dem Boulevard.

      Empfehlen kann ich auch Stuhlweißenburg. Dazu hier ein paar Zeilen: Bevor man nach Székesfehérvár reist.

      Oder Szeged: Szegediner Überraschungen

      Oder Pécs: Nachdenken über Seifenblasen

      Und viele andere Orte. Selbst Budapest hat noch die Aura des Normalen, wenngleich es dort natürlich die Großstatdprobleme gibt: Budapester Impressionen (in neun Folgen, hier nur die letzte)

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