Dieser Tage las ich ein recht interessantes Buch zur Wohnungsfrage. Darin finden sich Zeilen wie diese (Hervorhebungen von mir):
„Denn bei allen Zugeständnissen, die dem Kapital in einzelnen Feldern abgetrotzt werden können, zeigt die Geschichte der Wohnungspolitik auch, daß das Streben nach Gewinnmaximierung nie wirklich verschwindet. Soziale Belange der Wohnversorgung müssen deshalb immer gegen Profitinteressen durchgesetzt werden. Eine langfristig angelegte Wohnungspolitik sollte sich daher an der Perspektive einer grundlegenden Aufhebung der bestehenden Machtverhältnisse orientieren.“
„Die Vorstellung, über die Eroberung der politischen Macht die Welt zu verändern, setzt den naiven Glauben voraus, der ‚moderne Staat sei ein im Prinzip neutrales Instrument, dessen Wirken von den unmittelbaren politischen Kräfteverhältnissen abhänge und das damit auch von emanzipativen Kräften mit dem Ziel der Gesellschaftsveränderung eingesetzt werden könne‘“.
„Allen vorgestellten Konzepten ist gemein, daß sie an den Eigentumsverhältnissen ansetzen …“
„Zumindest für den Bereich der Stadtentwicklung und Wohnversorgung wird eine soziale Entwicklung nicht ohne die Aufhebung der kapitalistischen Verwertungsorientierung zu haben sein.“
„Der Umbau der Eigentümerstrukturen gilt deshalb als der wirkmächtigste und nachhaltigste Effekt von Wohnungspolitik.“
„Die gedankliche Verknüpfung von individuellem Eigentum und dem Wohl der Allgemeinheit ist die wohl größte ideologische Leistung des Kapitalismus. Der kapitalistische Produktionsprozeß erzeugt eine Weltsicht, die ausgerechnet die Quelle von Ausbeutung und Ungleichheit als Kollektivgut erscheinen läßt, und reproduziert diese Überzeugung immer wieder aufs Neue, weil wir uns in der bunten Warenwelt des entwickelten Kapitalismus und seinen individuellen Glückverheißungen eine Welt ohne Privateigentum kaum vorstellen können.“
„Eine wirkliche Alternative zur ‚Abschaffung der kapitalistischen Produkktionsweise‘ und der ‚Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst‘ gibt es auch in den aktuellen gesellschaftlichen Krisen nicht“ – es gehe um „System Change“.
Es geht bei diesen Aussagen – davon gibt es noch jede Menge weitere – um nichts Geringeres als die „Expropriation“, aber nicht nur um die „Expropriation der Expropriateure“, die Enteignung der Enteigner, von der Lenin in „Staat und Revolution“ sprach, um danach über die Aufhebung des Parlamentarismus nachzudenken, sondern auch um die Enteignung der teilweise bereits Enteigneten, als Lohnabhängige – enteignet wurde ihre Arbeitskraft – sofern sie sich dennoch Eigentum erarbeitet haben. Wir befinden uns hier mitten in einem radikalen Diskurs, der die Grundfesten der „freiheitlich-demokratischen Gesellschaft“, der „liberalen“, der „sozialen Marktwirtschaft“ angreift.
Man verstehe mich nicht falsch: Gegen diesen Angriff ist an sich nichts einzuwenden und jedermann sollte so viel Freiheit zugesprochen werden, derartige und sogar noch radikalere Gedanken auszusprechen. Man kann und sollte ganz offen und ohne Zwänge über derartige Ideen diskutieren und man sollte auch bereit sein, sich überzeugen zu lassen, wenn sie denn so bestechend sind. Tatsächlich ist die Wohnungspolitik eines der wenigen Terrains, auf dem linke Theoriebildung noch Substanzielles und Bedenkenswertes hervorbringt, und Andrej Holm, der Autor dieser Zeilen, ist ganz sicher ein wertzuschätzender Fachmann auf diesem Gebiet.
Ich zitiere diese Zeilen nur, um auf einen eklatanten Widerspruch hinzuweisen. Das Buch „Objekte der Rendite“ erschien 2022 im Dietz-Verlag, also im ehemaligen SED-Verlag. Damit habe ich kein Problem! Aber! Müsste nicht der Verfassungsschutz, müsste nicht die Presse ein Problem damit haben, wenn sie doch schon weit weniger radikale Ideen wie die der Metapolitik, der Erringung der kulturellen Hegemonie, die Verteidigung des Volksbegriffes als staatstragend für gefährlich erklärt?[1]
Damit sollen Holm und seinesgleichen – die halbe akademische soziologische Welt brütet über derartige Entwürfe – nicht angezinkt werden, keineswegs: Sie sollen ihre Arbeit weiter machen können und ihre Ideen in den öffentlichen Raum stellen und nicht nur „der nagenden Kritik der Mäuse“, sondern auch der aller anderen Positionen aussetzen.
Wenn dies offensichtlich problemlos geht, dann sollte die Kritik von rechts, die weit weniger umstürzender und umstürzlerischer ist, die viel mehr bewahrt, die den Inhalt der Verfassung verteidigt, die Gesetz und Ordnung verwirklicht, die gewachsene Identitäten erhalten sehen will … auch nicht diffamiert und kriminalisiert werden. Ganz naiv gefragt: Sollte der Verfassungsschutz hingegen nicht hellhörig werden, wenn grüne Spitzenleute vom „kompletten Umbau unserer Gesellschaft“ sprechen?
Andrej Holm: Objekte der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte. Dietz Berlin 2022
https://youtu.be/fFHsD3W3wMo?t=53