Faschismus-DNA – der Fall Bollnow

PDF: Faschismus DNA – Bollnow

Man kann nur spekulieren, was die Bollnow-Gesellschaft geritten hat, auf ihrer Jahrestagung Frau Dr. Bazinek zum Thema „Aufrechter Gang, aufrechte Haltung. Versuch einer Analyse von Bollnows Umgang mit Sprache“ referieren zu lassen. Der Vorfall scheint mir aber signifikant und lehrreich, da verallgemeinerbar – er ist ein gut verstecktes Beispiel für die allgemeine Vergiftung des geistigen und akademischen Gesprächs in unseren Zeiten.

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Helmut Lethens Raumfahrt durch die Zeit

Warum erzählt Helmut Lethen von jenem Werbeplakat aus den 70er Jahren im Utrechter Busbahnhof, das eine Kaffeewerbung mit dem Tod verbindet? Weil es ein Beispiel der Vagheit der eigenen Erinnerung ist, denn eine heute mögliche Internetrecherche belehrte ihn, daß die jahrzehntealte Reminiszenz in fast allen Details falsch war. Das ist ein Vorbehalt. Und noch so ein Satz: „Es ist nicht immer leicht, den Gedankengängen der Rechtsintellektuellen zu folgen.“ Nun, das gilt auch spiegelbildlich.

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Homöopathie als Weisheitslehre

Gleich der erste Satz eine Wucht: „Dieses Buch ist keine Chronik einer Entwicklung. Alles, was vom Werden … Hahnemanns erzählt wird, wird mit Hinblick auf seine Vollendung erzählt.“ Tatsächlich wird das Buch in weiten Teilen nicht getrieben, sondern gezogen, nicht die Frage „warum“, sondern „wozu“ gestellt, und das eröffnet ganz andere Möglichkeiten, bringt aber auch Probleme mit sich. Zuvorderst entspricht diese Herangehensweise Hahnemanns Philosophie der reinen Phänomenalität, ist also genuine, komplementäre Aussage, und erlaubt ein intensives Sich-Einfühlen. Ja, Hahnemann wird nicht nur besprochen, er wird sogar direkt an-gesprochen, als wäre er noch immer präsent, immer schon und immer noch da. Und wirklich, die Homöopathie, die Fritsche uns vorstellt, ist plötzlich da und in gewisser Weise ewig und sie beginnt mit ihrem Höhepunkt, kennt also keine eigentliche Entwicklung, nur Varianten, meist Dekadenzen. Nur die tiefsten Weisheitslehren des Taoismus, des Buddhismus und des Kynismus können da mithalten, nur diese beginnen auch mit ihrem Höhepunkt (Laotse, Buddha, Diogenes). Damit, als letztes Ergebnis dieser Herangehensweise, wird der Homöopathie von vornherein ein transzendentaler Charakter zugesprochen.

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Das Ende des Denkens

Ununterbrochen ist unser Geist in Bewegung. Worte und Sätze schwirren uns im Kopf herum, ein endloses Selbstgespräch, oft kaum bewußt. Diesen Strom zu stoppen, ist der Sinn vieler Meditationsübungen. Dabei kommen manchmal ganz brauchbare Gedanken zum Vorschein – wenn man sie nur festhalten kann.

Heute zum Beispiel sagte ich unwillkürlich folgenden Satz vor mich hin: „Nimm einfach mal ein halbes Jahr Auszeit und studiere Nietzsche“.

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Hohepriester des Irrelevanten

Zum Tode George Steiners (23.4.1929 – 3.2.2020)

Warum soll ein großer Denker auch intelligent sein? Das ist eine schwierige Frage. (George Steiner)

Steiner gehört zu den ganz wenigen Autoren und Denkern, denen man sich aus ganz verschiedenen Richtungen nähern kann – vor allem von der Seite. Man hätte ihm literaturtheoretisch oder linguistisch oder kulturkritisch oder historisch begegnen können – das wären die Hauptstraßen gewesen –; meine Konfrontation mit ihm geschah jedoch über Nebenpfade, über die Fundamentalontologie und über das Schach.

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Gombrowicz und Gummischutz

PDF-Version: Gombrowicz und Gummischutz
Never before has pornography been this rampant. And those films are lit so badly! Woody Allen

„Gummischutz“ war eines der ersten Wörter, die ich zu lesen vermochte. Die väterliche Zeitung, nach der Lektüre achtlos liegen gelassen, enthielt zahlreiche Hieroglyphen, an denen sich der Jüngling üben konnte. Aber „Gummischutz“ blieb hängen und beschäftigte die kindliche Phantasie. Was sollte man sich darunter vorstellen? Die Eltern dreier kurz nacheinander geborener Kinder reagierten ausweichend, man ahnte also, daß es was mit „unten“ zu tun haben mußte. Und einen vagen Sinn ergab das Wort ja. Nicht umsonst hatte man sich jahrelang mit Reinlichkeitsübungen abgegeben. Eins und eins macht zwei: ein Gummischutz konnte nur jene große rote und penetrant riechende Gummiunterlage im Bett sein, die, wie etwa im Krankenhaus gesehen, die Matratze vorm Einnässen schützen sollte. So erklärt man sich die Welt – und es funktioniert … für eine Weile, bis eine neue Realität andere Erklärungsmuster verlangt.

Dies ist ein Artikel für Leute mit Freude an und Gespür für Differenzen. In ihm werden vier verschiedene Übersetzungen von Gombrowiczs „Pornografia“ miteinander verglichen: die deutsche, die zweite englische, die dänische und die italienische.

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Der Mensch als Demutsübung

Dieser Tage sah ich ein sich paarendes Libellengespann – vermutlich zwei Azurjungfernan der Regentonne Eier ablegen. Das war eine schlechte Entscheidung, denn der Trog trocknet in der Regel mehrfach im Jahr aus und wird noch öfter durch heftige Regengüsse gewaltsam überflutet.

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Die rattenscharfe Rechte

„Mit Rechten reden“ ist so ein Topos, der sich verbreitet hat, ohne je stattgefunden zu haben. Warum das so ist und auch so sein muß, wurde anhand eines Artikels von Liane Bednarz hier bereits dargestellt. Es ging um den blinden Fleck, den toten Winkel linkslastiger Argumentation.

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Die mit dem ewigen Feuer spielen

Plötzlich wurde ich alt, steinalt. Ein Blick in den Spiegel, ein graues, fahles Gesicht, zerfurcht, überlebt, verbraucht.

Es waren Worte – was sonst? –, die mich ergrauen ließen, Worte eines Gleichaltrigen, der dennoch einer ganz anderen Generation, einer völlig anderen Welt zugehört.

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Nachwirkende Vorverurteilung

Was immer der Attentäter von Christchurch bezweckt haben mochte, das meiste dürfte gescheitert sein. Vor allem: vom unvorstellbaren und sinnlosen Leid abgesehen, das er unschuldigen Menschen bereitete, hat er der Widerstandsbewegung, deren Teil und Protagonist zu sein er vorgab, schweren Schaden zugefügt.

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Ein Brief an den Feind

Es dürfte im Umkreis dieses Blogs ein mehrfaches Interesse an Helmut Lethens neuem Buch „Die Staatsräte“ geben. Das Zeitsujet, die Jahre des Nationalsozialismus und ihre Verwindung, gehören seit je zum engeren Aufmerksamkeitsspektrum, Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Gottfried Benn zählen zum spezifischen Kanon, aber es kommt nun ein dritter wesentlicher Punkt hinzu: Lethen, Jahrgang 39, 68er, emeritierter Professor, Literaturwissenschaftler, einst in KPD-Kreisen aktiv und noch immer bekennender Linker, ist mit Caroline Sommerfeld verheiratet, die seit zweieinhalb Jahren einen kometenhaften Aufstieg im Sezessions-Milieu feierte. Das führte zu Verunsicherungen, hüben wie drüben.

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Helmut Lethen – 80 Jahre

Von Lethen lernen

„Es ist ja auffällig, wie in Augenblicken der Depression die Linke zu den Konservativen schielt.“ Helmut Lethen

Müßte ich unter Helmut Lethens Büchern eines wählen, dann wäre das nicht sein Hauptwerk „Verhaltenslehren der Kälte“, worin er die Topoi der Gefühllosigkeit und Frostigkeit in den „Lebensversuchen nach dem Krieg“ systemisch nachzeichnet, es wäre auch nicht sein lehrreiches Buch über Gottfried Benn, das bewußt keine Biographie sein will, sondern ein szenischer Einfühlversuch in einen hermetisch sich absondernden Paradigmenmenschen und es wäre schließlich auch nicht sein neuestes Werk „Die Staatsräte“, selbst wenn man es als lobenswertes Gesprächsangebot an den politischen Gegner mißverstehen kann, nein, meine Wahl fiele ohne zu zögern auf das schmale autobiographische Bändchen „Suche nach dem Handorakel“ und ich möchte sogleich hinzufügen, daß man es exakt als solches lesen müsse, nämlich als ein eigenes Handorakel! Vor allem die Rechte täte gut daran, dieses erzlinke Brevier genauestens unter die Lupe zu nehmen.

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Demokratiedefizite

Ein wichtiges Buch: „Die Zukunft der Demokratie

Acht bedeutende Denker, vier allgemein gehaltene und vier spezifische, an einem Beispiel exemplifizierende Beiträge erwarten den Leser. Die Lage ist ernst, die Stimmung kritisch, das Argumentationsniveau hoch.

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Reisenotizen: Berlin

Übernachte als Begleiter einer ungarischen Reisegruppe in einem großen Hostel. Hier sieht man die Zukunft. Eine dänische Klasse, eine deutsche aus Friedrichshafen, eine andere aus dem Ruhrgebiet … alle in allen Hautfarben der Welt. Ein paar neudeutsche Halbstarke mit Schalke-Beutel und pakistanischer Flagge auf dem Shirt, sprechen wohl Farsi, während der deutsche Lehrer einweist. Mehrere Mädchen im Kopftuch und Kaftan.

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George: Kreis ohne Meister

Man war sich doch einig. Vor 10 Jahren hatte Thomas Karlauf die ultimative George-Biographie geschrieben; sie wurde wenig später von Ulrich Raulffs gelehrter Studie über Georges Erben im bundesrepublikanischen Betrieb und durch Ernst Osterkamps tiefsinnige paradigmatische Analyse einiger Gedichte – als Flaggschiffe der postsakralen George-Deutung – kongenial ergänzt, das Kapitel schien vorerst abgeschlossen.

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Gastfreundschaft statt Multikulti

Das muß man erst mal können, angesichts der plötzlich mit aller Gewalt hereinbrechenden Migrationskrise, einen 25 Jahre alten Text aus dem Schubfach ziehen und ihn als Antwort auf hochaktuelle Fragen neu verlegen.

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Die ganze Geschichte

„Trotz aller traumatischen Ereignisse, die das Imperium erschüttert hatten, war die Integration der Barbaren in philanthropischer oder religiöser Absicht weiterhin das dominierende Motiv der offiziellen Diskurse.“(Alessandro Barbero)[1]

Möglicherweise erntete Barbero mit seiner im leicht zugänglichen Ton geschriebenen Aufarbeitung der Schlacht von Adrianopel, die aufgrund der nicht mehr zu beherrschenden Migration der Anfang des Endes Westroms war, Kritik unter Fachgenossen oder aber er wollte seine These auf breitere Füße stellen …, jedenfalls ließ er im Jahr darauf eine dreifach umfängliche Studie veröffentlichen, in der der Katastrophenkurs weit in die historische Vergangenheit zurück und die folgenden Jahrzehnte weiter entwickelt wird. Schon im Ton wirkt es akademisch, zudem ist es mit extensivem Apparat versehen und strahlt Kennerschaft aus – aber auch ein wenig Langeweile, wie sich das für einen akademischen Text gehört.

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Bis das Ergebnis stimmt

So also geht Demokratie nach linkem Verständnis – ich nehme mir die Freiheit, die Ereignisse in Greifswald zu verallgemeinern. Dort hat man lange und intensiv um den Namenspatron der Universität gerungen. Man wollte Ernst Moritz Arndt nicht mehr. Man, das ist in diesem Falle nicht „keiner“, wie Heidegger meinte – zum ersten Mal wird er von links „widerlegt“ –, sondern das sind die Meinungsmacher, die „Institutionen“, die Gremien, die Ausschüsse  …, die so lange tagen und wieder tagen, bis das einzig akzeptable Ergebnis auch gegen den demokratischen Mehrheitswillen durchgesetzt ist. Und da behält Heidegger doch wieder recht: „Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor.“[1] – Man macht das eben.

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Märtyrer, Versöhnung, Hirn …

Rumänisches Tagebuch IV

Die Rückfahrt gibt uns Gelegenheit, das Erlebte aufzuarbeiten. Die Autobahn gen Norden ist fast autofrei. Wir halten an einer Raststätte, um zu tun, was man hin und wieder tun muß, finden aber keine Gelegenheit. Zurück in der rumänischen Realität: eine Autobahnraststätte nebst Tankstelle ohne Toilette. Ich laufe um das Gebäude herum und stehe unverhofft vor dem Anblick dreier junger Damen, die Hosen heruntergezogen und in Hockstellung, sich entleerend. Da wurde mir der zweite Teil der Carl Schmittschen Sentenz, die gerade die Runde macht, unmittelbar einsichtig: „Für drei Dinge danke ich Gott: Erstens, daß ich ein Mensch bin und kein Tier. Zweitens, daß ich ein Mann bin und keine Frau. Drittens, daß ich preußischer Staatsrat bin und kein Nobelpreisträger.“

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