Gleich der erste Satz eine Wucht: „Dieses Buch ist keine Chronik einer Entwicklung. Alles, was vom Werden … Hahnemanns erzählt wird, wird mit Hinblick auf seine Vollendung erzählt.“ Tatsächlich wird das Buch in weiten Teilen nicht getrieben, sondern gezogen, nicht die Frage „warum“, sondern „wozu“ gestellt, und das eröffnet ganz andere Möglichkeiten, bringt aber auch Probleme mit sich. Zuvorderst entspricht diese Herangehensweise Hahnemanns Philosophie der reinen Phänomenalität, ist also genuine, komplementäre Aussage, und erlaubt ein intensives Sich-Einfühlen. Ja, Hahnemann wird nicht nur besprochen, er wird sogar direkt an-gesprochen, als wäre er noch immer präsent, immer schon und immer noch da. Und wirklich, die Homöopathie, die Fritsche uns vorstellt, ist plötzlich da und in gewisser Weise ewig und sie beginnt mit ihrem Höhepunkt, kennt also keine eigentliche Entwicklung, nur Varianten, meist Dekadenzen. Nur die tiefsten Weisheitslehren des Taoismus, des Buddhismus und des Kynismus können da mithalten, nur diese beginnen auch mit ihrem Höhepunkt (Laotse, Buddha, Diogenes). Damit, als letztes Ergebnis dieser Herangehensweise, wird der Homöopathie von vornherein ein transzendentaler Charakter zugesprochen.
Rezension
Das gespaltene Land
Maaz‘ Psychogramm speist sich aus zwei Kraftquellen: der Sorge um den seelischen Zustand des Heimatlandes und der jahrzehntelangen Arbeit mit psychoanalytischen Methoden. Aus dieser Vereinigung zweier scheinbar inkommensurabler Kategorien ergeben sich spannende und ungewohnte Einblicke, aber auch einige argumentative Schwierigkeiten.
W a s t u n? Selbstrettung!
Wir rufen dazu auf, lange angebetete und todgeweihte Idole wie den Staat, die repräsentative Demokratie, die Großstadt, das moderne Schulsystem, die angebliche Notwendigkeit zum andauernden Abbüßen der geschichtlichen Schuld der Europäer oder die Idealisierung dessen, was „anders“ ist, loszulassen und vielmehr eine ausschließlich vom Persönlichen ausgehende Haltung einzunehmen. (David Engels)
Historisch wird der Konservatismus der Verlierer sein. Zu stark ist der progressistische Strom. Er hat alle Gesellschaftsbereiche begeistert mit sich gerissen: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Medien, Ideologie, Kirchen. Der Konservative kommt sich darin vor, wie der Fels in der Brandung und er meint zu sehen, daß bald alle Dämme brechen müssen, ruft dies dem wildgewordenen Strudel auch verzweifelt zu, wird aber hoffnungslos vom Gebrause übertönt. Die Einsicht in die Ausweglosigkeit greift um sich und während die einen noch fleißig investieren, kommunizieren und transformieren als gäbe es kein Morgen, beginnt im rechten Milieu die Einsicht um sich zu greifen, daß man nun – da der Wirbel wohl nicht zu stoppen ist – sich um sich selbst zu kümmern habe.
Die Mühen der Ebenen
Dirk Neubauer, der Bürgermeister eines sächsischen Städtchens, ist ein Macher, ein Anpacker, einer der Kraft und Willen hat und zu verändern weiß. Solche Leute braucht das Land! Auch seine Biographie zeigt ein unstetes Element, das gerne Neues probiert und experimentiert – diese Menschen geben Vollgas, solange sie Lust haben. Der Vorteil: Neubauer hat Einblick in ganz verschiedene gesellschaftlich relevante Bereiche und aus seinem letzten Steckenpferd berichtet er: der Politik, der Regionalpolitik.
Sorokins Eis-Trilogie
Prometheus des Sex
Auch nachdem Otto Mainzers Opus Magnum „Prometheus“ 1993 bei Rowohlt als Paperback erschien und nun endlich auf die verdiente Verbreitung hoffen konnte, scheint es noch immer nicht entdeckt worden zu sein, führt es noch immer ein ungerechtes Nischendasein. Das kann auch an seiner Brisanz liegen, die den Leser ganz unmittelbar anspricht, die aber vor allem nach gesellschaftlicher Veränderung schreit.
Rosananz
Die schrecklichste Zeit des Jahres steht vor der Tür: Weihnachten. Man muß andächtig tun, sich sinnlos den Bauch vollschlagen, sein Dauergrinsen auflegen und vor allem: man muß verschenken – womit die Idee des Schenkens bereits torpediert ist. Es gibt überhaupt nur ein passendes Geschenk – ein Buch. Ich schenke nie etwas anderes und auch das nur meiner Frau und ein, zwei Auserwählten. In den kommenden Wochen werde ich einige mehr oder weniger verschenkbare Bücher besprechen.
Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit – eine Buchbesprechung
Gombrowicz: Pornographie
Nur unter einem umgekehrten Belichtungsimperativ kann Gombrowiczs legendärer Roman als pornographisch bezeichnet werden, denn man muß lange im Gedächtnis suchen um ein derart unverschämtes Werk in Erinnerung zu rufen – man wird nicht fündig werden.
Für Ferdydurkisten
Für Aficionados und Ferdydurkisten ein wichtiger Tag: am 25. Juli 1969 starb der große polnische Autor Witold Gombrowicz. Von wenigen gelesen, von vielen, die ihn lesen mußten, gehaßt, von ganz wenigen erkannt, gehört er zum Bedeutendsten, was europäische Literatur erschaffen hat. Der Todestag war Anlaß, einige seiner Hauptwerke erneut aus dem Regal zu ziehen.
Der große Austausch
Das Massaker von Christchurch und die unsägliche Affäre um Martin Sellner hat den Topos des „großen Austausches“ wieder an die Oberfläche der medialen Wahrnehmung gespült. Dort wird er nahezu unisono als „Verschwörungstheorie“ behandelt. Die Art und Weise, wie die meisten Journalisten und Experten über den Begriff oder den philosophischen Überbau der „Identitären Bewegung“ schreiben, deutet darauf hin, daß sie sich weder mit dem Gründungsdokument dieses Erklärungsansatzes noch mit den zahlreichen Veröffentlichungen Sellners und anderer Identitärer – hervorzuheben ist etwa Patrick Lenart – unvoreingenommen auseinandergesetzt haben.
Hotel Amerika
Es gibt in Plauen eine Bücher-Telefonzelle. Man stellt ein Buch hinein und nimmt sich eines heraus – im Idealfall. Funktioniert seit drei Jahren recht ordentlich. Deswegen gehe ich nie ohne ein, zwei ausrangierte Schwarten in die Stadt. Man fischt dort keine Edelsteine heraus, aber da es praktisch nichts kostet und für mich nur Recycling ist, kann man mal etwas mitnehmen, was man sonst nicht kaufen würde, mal was probieren.
Kritik der Migration
Rezension: Hans Hofbauer: Kritik der Migration
Monte Veritá
Die Suche nach dem alternativen, dem wirklichen Leben, ist so alt wie die menschliche Gesellschaft. Aber es gibt Phasen, in denen sie besonders prominent wird. Die Zeit um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war so eine. In ihr nahm, wie Peter Michalzik in seinem Buch über den Monte Veritá annimmt, der moderne Individualismus seinen Anfang.
Michel Onfray: „Niedergang“
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei und auch die – um Hegel zu paraphrasieren – hat ein Ende. Diese Wurstigkeit ist kein Fehlgriff, wenn man die philosophische Essenz des Wälzers von Onfray auf einen Nenner bringen will. Zwischen den Sätzen „Der Himmel ist schwarz“ und „Das Nichts ist uns gewiß“ wird auf 638 Seiten die Weltgeschichte, die westliche insbesondere, die sich auf das Christentum bezieht, als Nichts, zum Nichts und ins Nichts ragend entworfen.
Jargon der Weltoffenheit
Über dieses Buch hatte ich schon einiges Begeistertes gehört – der beste Garant, es besonders kritisch zu lesen. Doch diesmal verfängt es nicht, denn schnell wird deutlich, daß man es mit einem Meisterwerk zu tun hat und daß Böckelmann ein ganz eigenständiger und originärer Kopf ist.[1] Ihm gelingt es auf erhellende Art und Weise, die Paradoxien, Aporien und Dilemmata des linken Denkens, der linken Sprachspiele aufzuzeigen, die sich im Zuge der 68er „Revolution“ etabliert haben und unser Denken bis heute bestimmen und lähmen.
Björn Höckes Selbstentzerrung
Höckes Gespräch mit dem Journalisten Sebastian Hennig überrascht vor allem durch seinen Ton. Mit den typischen Politiker-Bekenner-Büchern hat es wenig gemein; es legt eine Offenheit und Direktheit an den Tag, die man fast als unpolitisch oder gar antipolitisch bezeichnen kann, sofern man dem mittlerweile gängigen Politikbegriff anhängt. Höcke aber ist einer vom alten Stamm, der unter Politik nicht das Vertreten von Parteiinteressen versteht, sondern dem Volke zu nutzen und Schaden von ihm abzuwehren und dazu gehört es, die „Deutungshoheit des Establishments“ auch durch Ablehnung seiner Sprachregelungen zu brechen.
Die Welt nach Harry Potter
Vor 20 Jahren erschien der erste Band der Harry-Potter-Reihe. Zu Zeiten seines größten Hypes hatte auch ich mir die Mühe gemacht – und eine solche war es – zumindest die ersten Bände zu lesen. Es entstand eine kleine Rezension, man darf auch von Verriß sprechen, der, so will es mir scheinen, noch immer Bestand hat:
George: Mehr als Charisma
Wenn man mit leisen Tönen und ohne gewagte Theorien sich über Stefan George zu Wort meldet, dann hat man wenig Aussicht, Gehör zu finden.
Intensität – ein Kryptodialog
Eine Buchbesprechung
Manche Bücher versteht man erst, wenn sich erschließt, was fehlt, was sie verschweigen, umso mehr, wenn es wissensgesättigte Werke sind, wenn man also davon ausgehen muß, daß der Autor tatsächlich meidet, was er kennt. Dies könnte der heimliche Dirigent sein. In Tristan Garcias philosophischem Bestseller sind es zwei absente Namen: Husserl und Heidegger.
Carossa: Rumänisches Tagebuch
Gerade mal drei Monate des Jahres 1916 umfaßt dieser schmale Band Tagebuch, Einquartierung in Frankreich, Verlegung nach Siebenbürgen, Märsche, Einquartierungen, wieder Märsche, wieder Einquartierungen, nur wenige Kampfhandlungen … Hans Carossa begleitet den Troß als Arzt, mit nahezu sezierendem Blick, scheinbar emotionslos zeichnet er das große Treiben auf, verliert den Blick für das individuelle, das menschliche Schicksal nicht, bestaunt, inmitten der herbstlich-winterlichen Kriegswirren die grandiose Natur, zeichnet akribisch eigene Träume auf, notiert am Wegesrand verwesende Leichname und zerfetzte Torsi, erinnert sich eindringlicher Poesie.
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