Ich mache jetzt etwas, was man nicht tun sollte, will man seriös sein und was ich bisher weitgehend vermieden habe: ich spekuliere, ich rechne ein paar Nummern zusammen, die vielleicht nicht zusammengehören, ich behaupte oder insinuiere etwas, für das ich keine Belege habe, ich verschwörungstheoretisiere also. Weiterlesen
Wissenschaft
Das ist Fortschritt!
Während ich durch einen alten Band der Kant-Studien (Band XXIX, Heft 1/2) blättere, fällt mir eine kurze Bekanntmachung auf.
Wir befinden uns im Jahr 1924. Diese seinerzeit sehr verbreitete „Philosophische Zeitschrift“, begründet von Hans Vaihinger, bringt auf über 300 Seiten Abhandlungen zu Kant und die Psychologie, Kant und die Religion, die reine Rechtslehre, die deutsche Kultur, das Eherecht oder Kant als Naturwissenschaftler. Kant von vorn bis hinten und manch prominenter Name, wie Nicolai Hartmann oder Max Dessoir, arbeitet sich vor weitem Publikum an Kant ab. Weiterlesen
Klimawandel neu gedacht
„Follow the science” skandieren die Thunberg-Jünger. Täten sie es, müßten sie ganz andere Forderungen aufstellen. Das zumindest behauptet Bjørn Lomborg in seinem vor zwei Jahren erschienenen und hier in wunderbar flüssiger Übersetzung endlich auf Deutsch vorliegenden Buch. In seiner Muttersprache nennt man Typen wie Lomborg „tryllemand“, das sind Menschen, die scheinbar zaubern können, die bezaubern und bannen. Atemlos folgt man seinem Wortstrom. Weiterlesen
Pandemie ohne Ende
Gerade macht ein Artikel aus „La Razón” die Runde in den Chats und Netzwerken. Wohl aus zwei Gründen: zum einen findet sich dieser kritische Rundumschlag in einem spanischen Hauptmedium – „La Razón“ hat eine Auflage von 150000 Exemplaren, ist damit die fünftstärkste Tageszeitung in Spanien, ist konservativ und wesenhaft katholisch; in Deutschland gibt es nichts Entsprechendes – vielleicht kann man sie am ehesten mit „Die Welt“ vergleichen. Zum anderen schlägt der Autor einen Ton an, den man in Europa dieser Tage selten zu hören bekommt und in Deutschland schon gar nicht.
Allerdings geistern – soweit ich sehe – nur Zitatfetzen durchs deutsche Netz. Immer ein schlechtes Fundament. Daher zitiere ich hier etwas ausführlicher – der Leser soll entscheiden, ob sich die Aufregung lohnt oder nicht:
Forschung und Leere
Vor einiger Zeit sprach ich mit einer Doktorandin, d.h. einer jungen Frau, die gerade über ein geisteswissenschaftliches Thema promoviert. Sie hielt mir einen kleinen Vortrag über den Gegenstand und es war erfrischend zu sehen, mit welchem Enthusiasmus sie die Materie bearbeitete.
Sie hatte große Visionen. Bisher habe man die Sache vollkommen ungenügend angepackt, habe das Problem nur aus bescheidenem Blickwinkel betrachtet und also das Wesentliche übersehen, aber sie, sie werde das nun ganz anders angehen. Schnell entwarf sie mir ein paar Grundlinien auf ein Papier – sie wolle all das abhandeln und dann zusammenfassen, und das war praktisch die Revolution der gesamten Philosophiegeschichte.
Mein Corona-Tod
Im aktuellen „Focus“ kommt der Chefarzt der Intensivstation einer Münchener Klinik zu Wort und darf dort auch über seine Wut auf Ungeimpfte reden. Demnach arbeite man seit 19 Monaten bis zur Erschöpfung hauptsächlich wegen Corona-Patienten. Alle, zu 100%, der dort Behandelten seien Ungeimpfte gewesen, sagt der Mann. Die Opfer werden immer jünger, – meine Alterskohorte ist deutlich überrepräsentiert –, die Hälfte habe Vorbelastungen wie Diabetes oder Fettsucht, die andere Hälfte aber sei kerngesund. Ob er auch einen Groll auf Adipöse, Trinker, Raucher, Autofahrer, Suizidale – und was weiß ich, wer noch so statistisch überrepräsentiert auf der Intensivstation landet – hat, erfahren wir nicht.
Der Impf-Status
„Und, bist du geimpft“?
Diese Frage gehört schon längst zum Small-Talk hinzu, man hört sie oder stellt sie ohne größeres Nachdenken.
Der junge Mann, Anfang 30, antwortet wie aus der Pistole geschossen.
Faschismus-DNA – der Fall Bollnow
PDF: Faschismus DNA – Bollnow
Man kann nur spekulieren, was die Bollnow-Gesellschaft geritten hat, auf ihrer Jahrestagung Frau Dr. Bazinek zum Thema „Aufrechter Gang, aufrechte Haltung. Versuch einer Analyse von Bollnows Umgang mit Sprache“ referieren zu lassen. Der Vorfall scheint mir aber signifikant und lehrreich, da verallgemeinerbar – er ist ein gut verstecktes Beispiel für die allgemeine Vergiftung des geistigen und akademischen Gesprächs in unseren Zeiten.
Wahre Inklusion
In der Zeitschrift „Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben“, sechster Jahrgang, aus dem Jahre 1931 las ich dieser Tage einen Artikel über „Die Widersprüche im Charakter und ihre pädagogische Bedeutung“.
Homöopathie als Weisheitslehre
Gleich der erste Satz eine Wucht: „Dieses Buch ist keine Chronik einer Entwicklung. Alles, was vom Werden … Hahnemanns erzählt wird, wird mit Hinblick auf seine Vollendung erzählt.“ Tatsächlich wird das Buch in weiten Teilen nicht getrieben, sondern gezogen, nicht die Frage „warum“, sondern „wozu“ gestellt, und das eröffnet ganz andere Möglichkeiten, bringt aber auch Probleme mit sich. Zuvorderst entspricht diese Herangehensweise Hahnemanns Philosophie der reinen Phänomenalität, ist also genuine, komplementäre Aussage, und erlaubt ein intensives Sich-Einfühlen. Ja, Hahnemann wird nicht nur besprochen, er wird sogar direkt an-gesprochen, als wäre er noch immer präsent, immer schon und immer noch da. Und wirklich, die Homöopathie, die Fritsche uns vorstellt, ist plötzlich da und in gewisser Weise ewig und sie beginnt mit ihrem Höhepunkt, kennt also keine eigentliche Entwicklung, nur Varianten, meist Dekadenzen. Nur die tiefsten Weisheitslehren des Taoismus, des Buddhismus und des Kynismus können da mithalten, nur diese beginnen auch mit ihrem Höhepunkt (Laotse, Buddha, Diogenes). Damit, als letztes Ergebnis dieser Herangehensweise, wird der Homöopathie von vornherein ein transzendentaler Charakter zugesprochen.
Grenze und Fläche
Noch ein Versuch, Links und Rechts zu erklären.
Die Rassismus-Lüge
Geschichte verläuft in Wellen, auch die Mikrogeschichte. Gab Corona bis vor wenigen Tagen noch verschiedensten Eigenbrötlern – die man nur allzu gern unter dem Label „rechts“ subsumierte – die mediale Oberhand, so hat der Hype um den fragwürdigen Tod eines mutmaßlich Kriminellen, der nebenbei phänotypisch „schwarz“ war, der Linken wieder einen Vorwand gegeben, die Themenhegemonie zu beanspruchen.
Gombrowicz und Gummischutz
PDF-Version: Gombrowicz und Gummischutz
Never before has pornography been this rampant. And those films are lit so badly! Woody Allen
„Gummischutz“ war eines der ersten Wörter, die ich zu lesen vermochte. Die väterliche Zeitung, nach der Lektüre achtlos liegen gelassen, enthielt zahlreiche Hieroglyphen, an denen sich der Jüngling üben konnte. Aber „Gummischutz“ blieb hängen und beschäftigte die kindliche Phantasie. Was sollte man sich darunter vorstellen? Die Eltern dreier kurz nacheinander geborener Kinder reagierten ausweichend, man ahnte also, daß es was mit „unten“ zu tun haben mußte. Und einen vagen Sinn ergab das Wort ja. Nicht umsonst hatte man sich jahrelang mit Reinlichkeitsübungen abgegeben. Eins und eins macht zwei: ein Gummischutz konnte nur jene große rote und penetrant riechende Gummiunterlage im Bett sein, die, wie etwa im Krankenhaus gesehen, die Matratze vorm Einnässen schützen sollte. So erklärt man sich die Welt – und es funktioniert … für eine Weile, bis eine neue Realität andere Erklärungsmuster verlangt.
Dies ist ein Artikel für Leute mit Freude an und Gespür für Differenzen. In ihm werden vier verschiedene Übersetzungen von Gombrowiczs „Pornografia“ miteinander verglichen: die deutsche, die zweite englische, die dänische und die italienische.
Der Sherrock-Klub
„Es ist unvermeidlich, daß die Natur gegen sie arbeitet, und das sehr bald. Sie besitzt phantastisches Schachtalent, aber sie ist trotz allem eine Frau. Das liegt alles an den Unvollkommenheiten der weiblichen Psyche. Keine Frau kann einen längeren Kampf durchhalten. Sie kämpft gegen die Gewohnheit von Jahrhunderten und Jahrhunderten, seit Anbeginn der Welt.“ Garri Kasparow
Die Presse hatte sich fast nicht mehr einbekommen. Zum ersten Mal gewann eine Frau bei der legendären Darts-Weltmeisterschaft ein, dann zwei Spiele gegen Männer. Ihre Siege wurden Weltnachrichten, jeder Pfeil wurde ein „Fanal für Frauenrechte“, wie Billie Jean King schrieb – die Presse nahm den Ton begeistert auf und verstärkte ihn hundertfach.
Vom Knüppel zur automatischen Fabrik
Jürgen Kuczynskis Werk glaubte ich eigentlich zu kennen aber im Verdi-Buchladen in Berlin fällt mir ein Buch in die Hand, das meiner langjährigen Aufmerksamkeit bisher entgangen war. „Vom Knüppel zur automatischen Fabrik“ wurde im Kinderbuchverlag der DDR herausgegeben und wandte sich 1960, als es zum ersten Male erschien, an die Jugend und vielleicht auch den Arbeiter, der noch nicht am Marxismus-Leninismus geleckt hatte. Nun bringt es ein „Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung“ neu heraus, im Reclam-Format zum unschlagbaren Preis von sechs Euro.
Rosananz
Die schrecklichste Zeit des Jahres steht vor der Tür: Weihnachten. Man muß andächtig tun, sich sinnlos den Bauch vollschlagen, sein Dauergrinsen auflegen und vor allem: man muß verschenken – womit die Idee des Schenkens bereits torpediert ist. Es gibt überhaupt nur ein passendes Geschenk – ein Buch. Ich schenke nie etwas anderes und auch das nur meiner Frau und ein, zwei Auserwählten. In den kommenden Wochen werde ich einige mehr oder weniger verschenkbare Bücher besprechen.
Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit – eine Buchbesprechung
Die Budapester Burg
Budapester Impressionen VIII
Auch die Burg gehört zum Basisprogramm eines jeden Budapest-Reisenden. Vom Szell-Kalmán-Ter nehme ich den Bus, der den Anstieg bequem in drei Minuten schafft und steige gleich an der ersten Station innerhalb der Mauern aus. Wie der Zufall es will, stehe ich fast direkt vor dem Militärmuseum, das schon von Anfang an auf meiner Liste stand. Also wird der Burgspaziergang nach hinten verschoben, wohl wissend, daß sich das Gelände am Sonntagmittag bald zu einem Ameisenhaufen verwandeln wird.
Budapester Höhlenwunder
Budapester Impressionen V
Der Reiseführer empfiehlt unter den Höhlen Budapests besonders die Pál-Völgyi-Barlang. Da sie nur wenige Minuten Laufweg von meiner Wohnstatt entfernt ist, ist ein Besuch obligatorisch. Ich gehe an einem Montag. Das Handbuch sagt, daß die Höhle täglich von 10 – 20 Uhr geöffnet und der Eintritt frei sei. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Montag geschlossen, Begehzeiten von 10 bis 16 Uhr und der Eintritt kostet 2000 Forint (ca. 6 Euro).
Die Erde brennt!
Gestern mußte ich wieder mal den Oberschlauen spielen. Meine Frau kam mit ganz besorgtem Gesicht ins Zimmer und klagt über das Abbrennen des Urwaldes in Brasilien. „Feuer neben Feuer neben Feuer“, „in zehn Jahren sei alles vorbei“ …
Wohl der Frau, die einen starken Mann an ihrer Seite weiß, der ihr die Ängste nimmt, an den sie sich anlehnen kann. Ich nahm sie tröstend in den Arm und sagte:
(Konservatives) Denken und seine Fehler
In den Sommerferien genehmige ich mir gern ein Buch, das ich sonst nie gelesen hätte. Es ist wie beim Schatzsuchen – man hofft auf einen seltenen Fund … und wird doch meist enttäuscht.