Die Anrede mit dem Namen

Denkanstoß Bollnow

Denn in dem Ton, in dem man einen anderen Menschen anspricht, liegt zugleich immer eine bestimmte Erwartung. In diesem Ton wird der andere Mensch in einer bestimmten Weise genommen, in einer bestimmten Weise eingestuft. Und ich hatte in anderem Zusammenhang entwickelt, wie stark sich der andere Mensch nach dem Bilde dieser Erwartung formt, sich dem anpaßt, als der er genommen wird.

Das gilt natürlich in gesteigertem Maß von dem noch formbaren jungen Menschen. Die Weise, wie ich ein Kind anspreche und mit dem Kind spreche, übt auf das Kind eine ungeheuer starke Wirkung aus, und zwar eine Wirkung, von deren Ausmaß der Erzieher oft kaum etwas ahnt. Die Sprache erweist sich hier als ein ausgezeichnetes Mittel der Erziehung.

Das zeigt sich schon im einfachen Akt der Namengebung; denn das Nennen bei seinem Namen ist ja auch eine Art, einen Menschen anzusprechen, und alle Anrede beim Namen weist auf eine ursprüngliche Namengebung zurück. Auch die Namengebung ist ja ein eindrucksvolles Beispiel für das Vertrauen auf die Macht des Wortes; denn wo man das vom Kind erwartete Wesen im Namen zum Ausdruck brachte oder es durch den Namen unter das Vorbild eines Helden oder Heiligen stellte, also dem Kind den Namen wie einen Talisman mitgab, da vertraute man darauf, daß es in seinem Leben das im Namen Vorweggenommene auch realisieren würde. Und wenn heute auch vieles von dieser ursprünglich magischen Bedeutung verlorengegangen ist, so ist vieles doch auch noch heute lebendig geblieben. Und auch wo an eine so ausdrückliche Vorwegnahme eines Vorbilds nicht mehr gedacht wird, da wirkt sich diese Tendenz doch schon im Klang des Namens aus, oder in der sozialen oder literarischen Sphäre, in die der Wunsch der Eltern das Kind durch seinen Namen versetzen möchte. …

Von hier aus begreift man die ganze Unverantwortlichkeit, mit der heute manche Eltern ihren Kindern aus modischen Gründen die absonderlichsten Vornamen geben. Da war die frühere Sitte schon besser, die die Auswahl der Vornamen auf einen bestimmten festen Namensschatz beschränkte.

Siehe auch: Bollnow lesen!

Faschismus-DNA – der Fall Bollnow

und andere Beiträge zu Bollnow

Quelle: Otto Friedrich Bollnow: Sprache und Erziehung. Kohlhammer. Stuttgart 1966. S. 77f.

Sprache und Erziehung

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..