Das Märchen von der Prinzessin und dem Edelstein

Es war einmal eine kleine Prinzessin, die fand auf einem Spaziergang durch den Wald einen großen glänzenden Stein.

Der Stein war so schwarz wie ihr Haar, so schwarz, wie sie nie zuvor einen gesehen hatte. Er glitzerte und glänzte an einigen Ecken, war rauh und spitz an anderen. Als sie ihn aufheben wollte, riß sie sich an ihm die Hand und leise begann sie zu schimpfen. Doch im gleichen Moment fiel ein Sonnenstrahl auf den Stein und ließ ihn wie einen Spiegel erglänzen, in dem das schöne Gesicht der kleinen Prinzessin widerstrahlte. So griff sie noch einmal danach, überwand allen Schmerz und alle Anstrengung und schleppte den großen Stein nach Hause.

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Die Ratten

Ein Märchen

Das Haus des Mannes stand auf dem Berg und herrschte. Es herrschte über den Garten, die Bäume,  Büsche und über die Saat. Es herrschte über die Felder, Wiesen und Weiden, und herrschte auch über den Wald, der gleich hinter dem Hügel begann und bis in die Berge hineinragte. Die Bäume trugen Früchte, und der Mann, der in dem Haus lebte, pflückte die Früchte und lagerte sie für den Winter. Er sammelte die Saat zusammen und lagerte sie im Keller, daß sie nicht vom Frost vernichtet werde. Vom Feld holte er das Getreide, von den Wiesen das Heu und aus dem Wald das Feuerholz. Und alles lagerte er im Haus oder um das Haus herum, wie es am zweckmäßigsten war. Als der Winter kam, trieb er seine Tiere von der Weide, gab ihnen Unterschlupf in den warmen Ställen und sorgte sich um sie. So lebte der Mann.

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Die Drachentöter

Ein Märchen

Es war einmal eine schöne Prinzessin, die war schon als Kind so lieblich anzuschauen, daß man im ganzen Reich die größten Hoffnungen hegte. Und da man aus ihr eine richtige Prinzessin zu machen gedachte, wie sie im Buche stand, las man ihr tagaus, tagein und wann immer sie wollte, die alten Märchen vor, jene besonders, die von ebensolchen wunderhübschen Prinzessinnen berichteten.

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Das glückliche Volk

Ein Märchen

Es war einmal ein Volk, das hatte sieben Stämme und jeder Stamm hatte einen König und jeder König einen weisen Wesir und jeder weise Wesir hatte ein Geheimnis und jedes Geheimnis erklärte das Glück dieses Volkes und niemand kannte es, nur die weisen Wesire, aber die hatten keine Sprache, es zu sagen.

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Der Efeu – als Lehrmeister

Zur gestrigen Diskussion zwischen den Chefredakteuren des ARD und des ZDF und einigen prominenten AfD-Politikern sowie Kulturschaffenden – nebst medialer Beschäftigung – gäbe es eine Menge zu sagen, nicht zuletzt über Klonovskys seltsames „Kreide fressen“.

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Auf der Lichtung

Ein Märchen

Zwei Wanderer, ein alter Mann und ein junger, traten aus dem Wald heraus in eine ausladende Lichtung. In ihrer Mitte stand ein Baum enormen Ausmaßes, mit weit hängenden Ästen – verdorrt. Tot war der Baum. Eulen nisteten in seinen Löchern, die arbeitsame Spechte einst geschlagen.

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Die Kuh

In Indien saßen ein Weiser und ein Erleuchteter seit Jahren nebeneinander und taten nichts anderes, als zu sitzen und zu denken und zu sinnen. Sie saßen jeder in einem großen Ring aus grauer Asche, denn über Asche gehen keine Ameisen, die auch dem tief Versunkenen eine Plage werden können. An den Rändern des Kreises brannten bunte Duftstäbchen, das lästige Getier zu vertreiben und als Zeichen der Bewunderung. Von den Bewohnern des nahen Dorfes wurden sie entzündet und jeden Tag erneuert.

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Die verlorene Unschuld

Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Wir sind Gottes Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück. Niemand entgeht dem, was geschrieben steht. Und was einem Manne im Verborgenen bestimmt ist, das muß an ihm erfüllt werden.“ (Ali Baba und die 40 Räuber)

Wie sehr Deutschland sich in den letzten Jahren verändert hat, merkt man auch an den hysterischen Reaktionen in Sachen Islam. Hat man einmal den Fokus auf Islamisierung eingestellt, dann erscheint plötzlich jedes arabische Wort, jede „Alis Dönerbude“, jeder Koran im Schaufenster oder der Halbmond am nächtlichen Firmament als weiterer Schritt einer Invasion. Selbst die alten und klassischen Texte, die jahrhundertelang als unverfänglich galten, werden mit einemmal suspekt.

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Die Lemminge

oder: Der Einzige und sein Eigentum

Ein Märchen

Lange bevor es Menschen auf der Erde gab, herrschte ein Zwergenvolk über alle Kreatur. Sie besiedelten den Norden, den Süden, den Osten und den Westen.

Zahllose Generationen waren sie selig, schafften sich Nahrung, erzogen ihre Kinder, tanzten und lachten, doch am liebsten schliefen sie. Sie schliefen vor lauter Glück und Freude, denn nichts konnte ihnen geschehen. So ging es bis an ihrer Tage Ende.

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Von einem, der das rechte Wort nicht fand

Ein Märchen

Mitten im Gebirge, den Ort kennt heute niemand mehr, steht eine alte Eiche, wohl tausend Jahre alt, die in vielen Zungen flüstert, wenn der Wind in sie fährt. Bei Unwetter und Sturm kommen die Tiere des Waldes und suchen Schutz unter ihrem dichten Laubdach oder kriechen in ihren hohlen Stamm.

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Segen und Frieden II

Die gestrige Geschichte, die dem allgemein anerkannten Hadith Malik entstammt, erzähle ich einem meiner muslimischen Freunde. Er kennt sie, wenn auch ein klein wenig anders; demnach fehlte ihr eine wesentliche Ergänzung: die Frau wollte das! Sie sei zum Propheten gegangen und nicht er zu ihr, sie wollte ein Urteil über ihre Sünde, sie wollte bestraft werden.

Es gibt, sage ich, eine Parallelerzählung in der Bibel, wo auch Jesus über eine Ehebrecherin, die gesteinigt werden soll, richtet. Die geht so:

„Jesus aber ging nach dem Ölberg. Frühmorgens aber kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzte sich und lehrte sie. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellen sie in die Mitte und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Du nun, was sagst du? Dies aber sagten sie, ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber dies hörten, gingen sie, einer nach dem anderen, hinaus, angefangen von den Älteren; und er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat niemand dich verurteilt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh. 8.1-11)

… Kurzes Schweigen. „Ich verstehe.“

Segen und Frieden

Kein Märchen

Eines Tages trat eine Sünderin vor den  Propheten – möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren – und gestand, Ehebruch begangen zu haben und schwanger zu sein. Allahs Prophet – möge Allah ihn  segnen und ihm Frieden gewähren – sprach zu ihr: „Kehr um und komme nicht wieder, bevor du entbunden hast.“

Als die Frau entbunden hatte, trat sie erneut vor ihn. Allahs Prophet – möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren – sprach zu ihr: „Kehre um und komme nicht wieder, bevor du das Kind gestillt hast.“

Als die Frau das Kind gestillt hatte, trat sie erneut vor ihn. Allahs Prophet – möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren – sprach zu ihr: „Kehre um und komme nicht wieder, bevor du das Kind entwöhnt hast.“

Als die Frau das Kind entwöhnt hatte, trat sie erneut vor ihn. Allahs Prophet – möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren – sprach zu ihr: „Kehre um und vertraue das Kind jemandem an.“

Die Frau vertraute das Kind jemandem an und trat erneut vor ihn hin. Allahs Prophet – möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren – befahl, sie zu steinigen.

Nach: Malik Hadith, Muwatta 41.1.5.

Die Magd

Ein Märchen

Dort wo die Menschen dunkle Haut und dunkle Haare und dunkle Augen haben, verehrte man vor vielen hundert Jahren ein hellhäutiges Völkchen, von dem niemand wußte, wie es in die Wüste kam. Nur eine alte, alte Frau flüsterte, als sie verhutzelt und verdorrt auf dem Sterbelager lag, eine sagenhafte Geschichte, die allein ein junger Bursche mit besonders scharfen Ohren verstand, denn die Alte war matt und hatte auch keinen Zahn mehr im Mund. Von ihm erfuhren es die Enkel und deren Enkel und die trugen es den Ohren meines Urgroßvaters Urgroßvater zu.

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Paradies Al-Andalus

Achtzig Jahre nach dem Tod ihres Propheten Mohammed hatten die Moslems ein Weltreich aufgebaut, welches sich von der indischen Grenze ununterbrochen durch Asien und Afrika die südlichen Gestade des Mittelmeeres entlang bis zur Küste des Atlantischen Ozeans dehnte. Im achtzigsten Jahr ihres Eroberungszuges setzten sie über die schmale westliche Enge des Mittelmeeres hinüber in das „Andalús“, nach Spanien, zerstörten das Reich, welches dort die christlichen Westgoten drei Jahrhunderte vorher errichtet hatten, und unterwarfen in gewaltigem Schwung die gesamte Halbinsel bis zu den Pyrenäen.

Die neuen Herren brachten mit sich eine überlegene Kultur und machten das Land zu dem schönsten, bestgeordneten, volkreichsten Europas. Von kundigen Architekten und einer weisen Baupolizei geplant, entstanden große, herrliche Städte, wie sie der Erdteil seit den Römern nicht mehr gekannt hatte. Córdova, die Residenz des westlichen Kalifen, galt als die Hauptstadt des gesamten Abendlandes. Weiterlesen

Die Unzertrennlichen

Ein wahres Märchen

Es war einmal ein König, der liebte Vögel über alles. Und da er reich war und über große Macht verfügte, ließ er sich Vögel aus aller Herren Länder bringen. Überall in seinem Palast zwitscherte und flatterte es, kein Raum, kein Winkel in seinem Schloß mit tausend Zimmern blieb ungenutzt; Käfige, Vogelbauer und Volieren sah man allerorten. Nur ein großer Zwinger blieb leer und dieser stand inmitten des weitläufigen Hofes. Dieser Käfig war für den schönsten Vogel der Welt bestimmt, doch gerade dieser fehlte dem König in seiner einmaligen Sammlung.

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Die Wolken

Ein Märchen

Weit draußen über dem endlosen Meer wuchsen zwei Wolken heran. Sie wurden dick und fett und reichten fast von einem Ende des Himmels bis zum anderen. Sie trieften vor Nässe. Wie zwei massige Schwämme sogen sie noch mehr Feuchte in ihren weißen Bauch, der schier unerträglich anschwoll, und waren schließlich so schwer, daß sie sich kaum noch über Wasser halten konnten. Endlich schwebten sie dem grünen Lande entgegen, dem hohen Gebirge, wo sie erleichtert ihre Last abzuwerfen gedachten. Dies war jener Teil der Erde, wo es reichlich regnete, wo die saftigen Matten grünten, wo die Kühe und Kälber auf den Weiden prächtig gediehen. Regengüsse gab es hier im Überfluß und mit ihm den Wohlstand. Sich hier abzuregnen war das Los der Wolken seit Menschengedenken. Die eine Wolke folgte dem Ruf des Geschicks, mit Donner und Blitz entleerte sie ihren prallen Wanst und ward mehr und mehr entlastet, mit jedem Regentropfen, den sie spendete. So ging sie ein in den großen Kreis der Natur und so ist es immer gewesen und wird wohl immer so sein.

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Der Efeu

Ein Märchen

Einstmals trug der Efeu die wunderlichsten Blüten, voller Farbenpracht und süßlichem Duft. Zu seinen Füßen fielen die Bienen und Hummeln ermattet zu Boden, denn sie konnten sich nicht satt trinken am süßen Nektar und vergaßen Ruhe und Schlaf darüber. Ein bunter Teppich aus Schmetterlingen deckte den Grund, als Zeichen in Liebe verendeter Geschöpfe.

Majestätisch und stolz rankte sich die herrliche Pflanze am Baume empor, die Gunst der gesamten Tierwelt genießend. Die frühen Menschen verehrten den Efeu als eine göttliche Pflanze und feierten alljährlich ein Fest, wenn die erste Blüte am Zweig erschien. Den starken Stamm aber, an dem sich das Gewächs emporrankte, den würdigte man nicht und so kam es, daß auch der Efeu ihm keine Beachtung mehr schenkte. Endlich wuchs er höher und stärker als je zuvor, trieb immer neue prachtvolle Kelche und langte zu guter Letzt an der Baumeskrone an. Noch achteten die Vögel der Lüfte seiner nicht, konnten sie das Blütengepränge unter dem Wipfel des Baumes nicht sehen, und just die Vögel suchte der Efeu sich gefügig noch zu machen. Auch sie sollten in stiller Anbetung zu seinen Füßen liegen und ihr letztes Lied versingen. Also schickte der Efeu sich an, selbst das Laubwerk und die äußersten Äste des Riesen zu erklimmen. Das warnende Ächzen und Stöhnen des Baumes verhallte ungehört im Wald. Und während der Efeu zu guter Letzt seine höchste und schönste Knospe entfaltete, durchlief den alten Baum ein leises ersticktes Zittern – nicht der Wonne, wie mancher glaubte.

In diesem einen Frühling kamen auch die Vögel und taten ihren letzten huldigenden Hauch am Fuße des Efeus, der am hohen Stamme rankte. Dann kam der Sommer und der Herbst und der Winter und ein jeder arbeitete hart am toten Gehölz. Als sich im nächsten Lenz der Efeu anschickte, seine Blüten zu bauen, und Wasser und Nahrung durch seine Adern trieb, da brach der Baum in seinem Innern laut krachend in sich zusammen. Wie ein Gerippe sah der Efeu nun aus. Verzweifelt versuchte er die häßlichen Lücken im Blüten- und Blattwerk zu schließen, doch als ein Windstoß kam, da sackte auch er zusammen und ging jämmerlich zugrunde.

Vorbei die schöne Zeit. Kein Vogel und kein Insekt kümmerte sich mehr um die gefallene Köstlichkeit, nichts als ein Rudel Schweine kam vorbei und fraß laut grunzend die welken Blüten.

Um den schönen Efeu war’s geschehen.

Ein einziger Trieb nur überlebte und verkroch sich viele Lenze schamvoll in der Erde. Nur langsam wagte er sich wieder hervor; eine Blüte zu treiben, traute er sich jedoch nicht. Seither kriecht der Efeu ängstlich am schattigen Boden, und zeigt das gewöhnlichste Grün. Nur wenn ein Baum ihm freundlich zuspricht, wagt er einen langsamen Aufstieg.