Vom Torwart

Beim Fußballschauen in Ungarn kann man einiges lernen – über die deutsche Sprache. Natürlich nicht nur beim Fußball, sondern überall, wo man eine andere Sprache spricht oder hört – und besonders, wenn es eine ganz andere ist –, aber hier fiel es mir auf. Welche Kraft sie hat, die deutsche Sprache und welche versteckte innere Gewalt.

Dibusz hält einen Ball und der Reporter spricht von einer großartigen „védés“ des „kapus“, einer tollen Abwehr des Torwarts.

Zwei Wörter fallen hier, die in den beiden Sprachen nicht unterschiedlicher sein könnten. Wir sagen „Torwart“, wo der Ungar vom „kapus“ spricht. Das leitet sich ebenfalls vom „Tor“ ab: „kapu“. Das Ungarische liebt es, an seine Substantive und auch an seine Verben und Adjektive und Personen und überhaupt an alles, Sprachzeichen anzufügen, Präfixe und vor allem Suffixe. Das ist es, was man „agglutinierend“ nennt, von lateinisch „glutinum“ = Leim oder „glutinare“ = leimen. Diese Sprachen leimen also alle möglichen Sinnträger an ihre Kernwörter und verändern sie dadurch. Die Möglichkeiten sind endlos, die Differenzen für das fremde Ohr oftmals kaum zu hören, die dadurch entstehende Kompaktheit – wenn z.B. drei, vier, fünf solche Präfixe wie „nak/nek“, „hat/het“, „tat/tet“, „gat/get“, „ból/ből“, „tól től“ „ról ről“ und viele andere nacheinander angeleimt werden können. Auch die deutsche Sprache hat agglutinierende Potenzen, wenn man etwa die Komposita dazu zählen möchte oder unsere zahlreichen und bedeutungsreichen Vorsilben: „ver“, „zu“, „an“, „ent“, „be“ etc.

Beim „kapus“ ist es einfach. Hier macht das Sprachzeichen „s“ aus einem Gegenstand einen Beruf, eine Tätigkeit, so wie aus der „gitár“ der „gitáros“ werden kann oder aus dem „hajó“ (Schiff) der „hajós“. Wollte man das wortwörtlich übersetzen, dann könnte man vielleicht vom „Schiffer“ „Gitaro“, „Tori“ oder „Torer“ sprechen. Harmlos.

Aber der „Torwart“! Was steckt da nicht alles drin. Oder die „Abwehr“ (védés), das „Abseits“ („les“). Das Tor bleibt, der „Wart“ macht es so schwer. Sofort sind wir in der Raum-, Zeit- und Kampfbesessenheit der deutschen Sprache. Der „turiwart“ war mittelhochdeutsch der Wächter des Burgtores. Ein „Wart“ bewacht etwas, selbst noch als „Hüter“, „Torhüter“. Es steckt darin ebenso die „Wart“ (Burg), die „Warte“ (Wachturm) wie der „Wart“, aber auch das Warten und „warten“ wiederum kennen wir als Zeitvertreib wie auch als Pflege und Reparatur. Der Wart ist uns als „Tankwart“, „Hauswart“, „Platzwart“, „Kassenwart“ und natürlich auch als „Blockwart“ und vor allem als „Blockwart“ gegenwärtig. Und plötzlich wird das Tor vor dem inneren Auge ein ganz anderes, ein schmiedeeisernes, plötzlich hat der Sport ein Stück seiner Unschuld verloren, zumindest die über ihn berichtende Sprache.

Wir können es nicht leugnen: der deutschen Sprache liegt – auch – eine wesenhafte Tendenz zur Gewalt inne, zum Kriegerischen und zum Raumgreifenden und das liegt in ihrer eigenen Logik und in unserer Geschichte.

Und hier breche ich ab und lasse das einfach so stehen – wie im Deutschen ohnehin sehr viel steht.

2 Gedanken zu “Vom Torwart

  1. Nevem van schreibt:

    „Kapus“ hört sich wirklich an wie „Pförtner“, der nicht so viel laufen muss (kann) wie andere. Als Exil-Ungar und Beute-Deutscher hatte ich bisher beim Hören des Wortes Torwart allerdings an „Kapus“ gedacht, von heute an jedoch nicht mehr. Selbst schuld, wer zu viel liest. Bei Danisch gestern angelesen: er habe immer mehr den Eindruck, „Verfassungsschutz“ ist wie „Sonnenschutz“ zu verstehen: Der schützt ja auch nicht die Sonne, sondern vor der Sonne. (… Bankkonto weggeschossen … Wie. Und warum.) Auch wunderbar beobachtet.

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    • Pérégrinateur schreibt:

      Es gibt ein Gedicht oder einen Aphorismus von Erich Fried über den deutschen Verfassungsschutz mit (ungefähr) folgender Zeile:
      „Wir schützen die Freiheit – vor jedem, der ihr zu nahe kommt.“

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