Alles Makulatur

Zuletzt erkennen auch immer mehr Marxisten und sonstige Ideologen, die im 20. Jahrhundert hängengeblieben sind, daß ihre abstrakten Debatten und Fragen in einem kaum bewußten kulturellen Resonanzraum stattfanden, der mit dem Großen Austausch vernichtet wird. (Martin Sellner)

Irgendwann im Herbst 2015, als die Meldungen sich überschlugen, tagtäglich neue phantastische Zahlen von Menschen, die die Landesgrenze meist unkontrolliert überschritten hatten, genannt wurden, dazu Bilder scheinbar endloser Menschenschlangen und –mengen, die auf Autobahnen oder über Felder liefen, an Grenzstationen in großen Trauben hängen blieben, während offenbar verrückt Gewordene die Massen mit Heilsgesängen, Blumen, Teddybären und Tonnen an Altkleidern empfingen, irgendwann in dieser Zeit, saß ich mit meiner Frau – mit der ich damals jeden Tag, jede Stunde dieses eine Thema immer und immer wieder und immer fassungsloser besprach – im Wohnzimmer, das vom Boden bis zur Decke mit einer wunderschönen Buchtapete – in sechs europäischen Sprachen – ausgekleidet ist, an der seit Jahren der Blick mindestens ein Mal am Tag liebe- und auch ein wenig vorwurfsvoll – Warum hast du keine Zeit mehr für Fontane? Wie lang willst du den Goethe noch hinausschieben? Du wagst es, über skandinavische Literatur zu schreiben und hast den Olav Duun noch immer nicht gelesen! … – entlang glitt, und sagte plötzlich zu ihr, auf die Regale weisend: Das ist alles Makulatur!

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So geht Heidegger!

Ganz prinzipiell meine ich nämlich, daß man nicht nur die Erlaubnis, sondern sogar die Pflicht hat, zu den Gedanken eines Denkers Stellung zu nehmen, ohne Rücksicht auf den spezifisch persönlichen Hintergrund seiner Gedanken. (K.E. Løgstrup)
Hier erkennt man die gegenwärtige Tendenz, damalige Denker nazistischer zu machen, als sie waren. Je weiter man sich von dieser Zeit entfernt, desto nazistischer scheinen sie zu werden. (Hans Hauge)

Man mache den Test: Man erwähne den Namen Heidegger im Gespräch mit einem Nicht-Heideggerianer und man wird mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich zu Beginn das Zauberwort „Nazi“ zu hören bekommen. Und meist ist das Thema damit beendet.

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Sieferles Sieg

Die hiesige Leserschaft teilt sich, soweit das zu sehen ist, in zwei Teile. Jene, die ähnliche Gedankengänge haben und sich mit einem gewissen Aufwand auf den gleichen Kanälen informieren, und dann die, denen entweder die Zeit oder der Überblick dafür fehlt. Für die letzteren ist diese Seite eine Informationsquelle, die anderen wollen vermutlich Argumente und Diskussionsstoff, an dem sie sich reiben können.

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Magyar Katharsis

Wenn das Schuljahr auf das Ende zugeht und die Lehrerschaft allmählich den Kopf wieder etwas frei bekommt, dann häufen sich die Einladungen und Zusammenkünfte. Abende mit den deutschen Kollegen meide ich nach Möglichkeit – es sind verlorene, verlogene und verlegene Stunden, die einerseits einen unfaßbaren Reichtum an geistiger Armut offenbaren, eine innere Leere, die durch endlose Small-Talk-Kaskaden ausgefüllt, durch Reisen, Essen, Messen – und nicht Lesen – übertüncht wird, aber auch durch eine ganz leicht zu erspürende Unaufrichtigkeit und Verstellung zustande kommt.

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Habermas‘ liberale Auslegung

In der „Rheinischen Post“ hat Jürgen Habermas ein kurzes aber sehr prägnantes Statement zum Thema „Leitkultur“ abgegeben. Die Bündelung der Mitteilung gestattet es, seinen Gedankengang Satz für Satz zu erläutern und kritisch zu kommentieren:

Leitkultur: Das sagt Jürgen Habermas zur Debatte Weiterlesen

Something is rotten

Ryanair machte es möglich. Im Jahre 2006 weilte ich zehn Wochen in Dänemark. Der Flug von London nach Tirstrup, nördlich von Århus, beinahe geschenkt. Fast in Laufdistanz davon entfernt die Folkehøjskole på Kalø – sie war mein Ziel, dort wollte ich Dänisch lernen und tat es auch.

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Migrationsunterricht in Ungarn

Ein seltsames Phänomen: seit ich in Ungarn bin, muß ich mich um nichts mehr kümmern, alles kommt auf mich zu. Aus kaum erklärlichen Gründen werden mir dauernd Vorschläge gemacht, werden Anfragen gestellt und ich kann mir heraussuchen, was ich annehme und was nicht.

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Eine Erfolgsstory

Hin und wieder gibt es Gespräche – ich versuche, sie zu meiden –, die einem lange drinstecken. Immer wieder schweifen die Gedanken ab, geht man die Argumente des anderen durch, bedauert, nicht schlagfertig genug gewesen zu sein.

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Es hat sich was getan

Die Heimatstadt hat sich in den letzten Wochen deutlich verändert. Das ist auch der nationalen Presse nicht entgangen. Was im Großen geschieht und beschrieben wurde, läßt sich auch in den gesellschaftlichen Kapillargefäßen aufspüren – die Dissoziation hat begonnen:

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Der Müllsack

Am frühen Morgen werde ich von einem seltsam scharrenden und klirrenden Geräusch vor dem Fenster geweckt. Gewöhnlich ist es in der südungarischen Kleinstadt, in einer Nebenstraße, auch tagsüber ruhig. Ich stehe mit verquollenen Augen auf, schaue aus dem Fenster – aber anstatt, wie erwartet, ein Tier, sehe ich einen älteren Mann vor unserer Haustüre knien und den Müllsack durchwühlen.

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Leib ist alles!

Das Leib-Seele-Problem bei Nietzsche

Von den Hinterweltlern

Das sogenannte Leib-Seele-Problem kennzeichnet – als eines von mehreren – den Beginn des westlichen, d.i. des europäischen Denkens schlechthin und hat, wie alle großen Gedanken unserer Geschichte, zwei Quellen: die griechisch-akademische Philosophie und die jüdisch-christliche Religionstradition. Von daher bestimmt sich die Bedeutung dieses Problems: wer es fundamental anzweifelt, wer es verwirft oder gar seinen Problemcharakter in Frage stellt, statt es zu modifizieren, rührt an den Grundfesten des westlichen Denkens, seiner Kategorien und seiner Sprache.

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Hamburg, Sodom und Gomorrha

„Da ließ der HERR Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha …“ (Gen. 19,24)

Hamburg brennt! Und ich behaupte, daß auch das ein fernes Ergebnis jener fatalen Fehlentscheidungen des Sommers 2015 ist.

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Die alten Zeiten

Es war einmal, bitteschön, eine wirklich schöne Zeit,
Als ein Mann noch ein Mann war und eine Frau noch eine Frau.
Den dreisten Verleumdungen folgte am Tag darauf das Duell
Und die Beleidigung wurde mit Blut abgewaschen.

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Der Clash zweier Denkstile

„… die Entideologisierung … hat den symbolischen Wert der Kultur insgesamt und des philosophischen Diskurses sehr massiv nach unten gedrückt, weil sie praktisch nur noch die Bedeutung von Waren haben … Sie haben keine grundlegende Relevanz, weil sich die Fundamente der Gesellschaft nicht mehr auf einem Diskurs gründen.“ (Boris Groys)
„Es muß darum gehen, diese mysteriöse Tendenz der menschlichen Seele, sich zu opfern, einzubinden in moralische Prinzipien, die uns erlauben, zu unterscheiden, was ein legitimes Opfer ist und was ein illegitimes Opfer ist. Und dafür brauchen wir praktische Vernunft.“ (Vittorio Hösle)

Aus der akademischen Ecke kommt, wenn es um Sloterdijk geht – vom Karlsruher Kreis abgesehen – fast nur Schweigen oder Häme. Da werden dann auch Ersatzduelle interessant. Eines fand vor 10 Jahren zwischen Boris Groys, wohl einem Sloterdijk geistig nahestehenden Philosophen, den Sloterdijk selbst auch häufig diskutiert und zitiert, und dem einstigen Shootingstar der traditionellen deutschen Philosophieszene, Vittorio Hösle, statt. Daraus ist ein kleines Buch entstanden: „Die Vernunft an die Macht“. Da ich beide Autoren in ihrer Entwicklung verfolgte, entstand eine kleine Rezension des lang erhofften Dialogs:

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Circulus Virtuosus

„Nur die Entkräftung der Vergangenheit – ihre Herabstufung zu bloßem ,Rohmaterial‘ der Selbstformung – bewirkt, daß Menschen sich selber frei ,wählen‘ oder ,erfinden‘ müssen. Die Freien sind nicht nur jene, die einen Herrn abgeschüttelt haben. Sie sind auch die, die man ohne Erklärung auf offener Straße stehengelassen hat. Andernfalls wären sie stabil programmierte Medien prägungsfähiger Generationen geblieben und würden ihr Leben als selbstsichere Vehikel angeeigneter Überlieferungen führen – in den Spielräumern der immer überraschungsoffenen Welt.“ (Sloterdijk: Die schrecklichen Kinder der Neuzeit)

Sloterdijks letzter Großessay – „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ – liegt nun drei Jahre zurück – seither erschienen zwei Aufsatzssammlungen („Was geschah im 20. Jahrhundert“, „Nach Gott“ und ein Roman „Das Schelling-Projekt“).

Die einen stehen Schlange, wenn die neue xbox erscheint oder das neue Apple-iPhone, die anderen beim neuesten Sloterdijk. Ich gehöre zugegebenermaßen zur zweiten Kategorie. Weit davon entfernt, ihm in allen seinen Argumentationen zu folgen – weil ich nicht seiner Meinung bin und weil ich ihn manchmal einfach auch nicht verstehe – halte ich ihn für den wachsten und aufmerksamsten Zeitkritiker unserer Tage, immer in der Lage, bislang unbemerkte Zusammenhänge überzeugend und als ästhetischen Genuß (sofern es den Geschmack trifft) aufzuzeigen.

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Sloterdijk, ohne zu lachen

„Daher sage ich, wir leben nicht so sehr in einer Umwälzung als in einer Ausfaltung. In meinem Sphärenbuch habe ich sogar den Vorschlag gemacht, den Begriff Revolution fallenzulassen und ihn durch Explikation zu ersetzen.“ (Sloterdijk: Ausgewählte Übertreibungen)

Schon Mitte der 80er Jahre, also lange bevor Sloterdijk zum deutschen Interview-Orakel wurde, das auf alles eine Antwort haben soll und offensichtlich auch eine hat, schon damals notierte Otto Kallscheuer in sein Tagebuch: „sturzbesoffen und zugleich überwach, bin ich mit Freunden seit drei Stunden im Gespräch mit Peter Sloterdijk. Ich habe ihn eben erst auf dieser Fete kennengelernt und bin begeistert. Wir reden über Gott und die Welt, vom Bumsen bis zur Negativen Dialektik; endlich einer, der etwas von Philosophie versteht und vom Leben …“[1] Kallscheuer traf den Nagel auf den Kopf und trifft ihn noch immer und wenn es eines Beweises noch bedurft hätte – hier ist er: „Ausgewählte Übertreibungen“!

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Perversionen des Rassismus

Einen Ausblick in die schöne neue Welt der politischen Korrektheit liefert uns Tom Bartels – seines Zeichens Fußballreporter und Paradebeispiel jenes quasi aphasischen Kommentariats, dessen sich die deutsche Medienwelt bedient, um auch dem letzten couch potato die allerletzte Reststärke zu entziehen.

Gänzlich erfolgreich war Bartels nicht, selbst als Sedativ versagt er, denn als er ob einer etwas peinlichen Theatervorstellung Rüdigers (eines deutschen Fußballspielers in dunkler – es ist hier nur von physikalischer Reflexionsfähigkeit die Rede und nicht von Moral – Erscheinung, der nach einem Stupser schmerzverzerrt sich am Boden wälzte), meinte sagen zu müssen, „der soll jetzt nicht den Affen machen“, da waren einige Zuschauer sofort hellwach und witterten, na klar – Rassismus.

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