Bei Anne Anne Will hat Bundeskanzlerin Merkel nun schon zum zweiten Mal ihr Erfolgsgeheimnis verraten. Daß sie ein mediokrer Kopf und „eindimensionaler Mensch“ ist, daraus macht sie kein Geheimnis, aber gerade diese Einfältigkeit beschert ihr Erfolg. Man kann ihr nur Hochachtung zollen, wie sie gerade dieses Format immer wieder nutzt, um die Gefolgschaft auszurichten. Sie wirkt sympathisch, sie lächelt angenehm, ja sie kann sogar kichern wie ein flirtendes Girlie – all das ist die Matrize, in die Mama Merkel ihre einfache Botschaft gießt. Nicht nur die zahme Interviewerin hängt gläubig an ihren Lippen, auch im Auditorium ist man schnell berückt und das mediale Urteil fällt zumindest teilweise euphorisch aus. Wir haben eine starke Kanzlerin – lautet die Subbotschaft, die TV-Rambos wie Til Schweiger auch direkt ausplaudern.
Starker Kanzler? Klingelt es da nicht irgendwo?
Argumente waren nicht vonnöten, um die Anhänger zu bestärken und die Kritiker zu sedieren. Stattdessen bemüht Merkel transzendente Kategorien: Glaube, Hoffnung, Logik.
Die Pfarrerstochter kennt ihre Bibel: „Denn wahrlich ich sage euch: So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben (Mt. 17.20) Auf Kanzlerdeutsch lautet der Satz: „Deshalb wünsche ich mir möglichst viele, die mit daran glauben, dann kann man auch Berge versetzen“. Realität spielt keine Rolle mehr, sie wird durch Wunsch und Glaube und immanente Vergatterung ersetzt. Ihre Logik ist noch immer die gleiche: Wenn es schief geht, dann habt ihr nicht genügend geglaubt, ihr Kleingläubigen. So wie die SPD, die sich klein mache. Damit ist im doppelten Sinne alle Verantwortung von ihr genommen.
Kierkegaard nannte das den „Sprung in den Glauben“ und die „Kreuzigung des Geistes“ – der wahre Glaube enthält immer ein irrationales Element: Credo qia absurdum, brachte Tertullian es auf den Punkt. Ist man einmal in diesen Kreidekreis gesprungen, kann man auch die Schwerkraft überwinden und Berge versetzen. So kann man jeden aufkeimenden Zweifel überwinden: „Ich bin auch manchmal verzweifelt. Aber dann hoffe ich, daß aus der Verzweiflung wieder etwas Vernünftiges wird.“, kontert die Kanzlerin. Das Berufen auf die Vernunft stellt hier einen Kategorienfehler dar, denn Merkel steht gerade nicht in der aufklärerischen Tradition. Mit „etwas Vernünftiges“ meint sie etwas in ihr Weltbild passendes.
Die zweite höhere Instanz, auf die sie sich beruft, ist die Logik: „alles ist gut durchdacht und auch logisch“ und um uns gänzlich davon zu überzeugen, gesteht sie, noch nie so viel nachgedacht zu haben. Ein paar auswendig gelernte Zahlen, nach denen niemand gefragt hatte, sollen den Eindruck umfassenden Wissens und von Kompetenz erwecken. Daran verrät sich diese Logik – es ist nicht die Logik, es ist ihre Logik, es ist die Logik des Kremls, in dem das Licht noch brennt. Wenn Merkel auch nur eine Spur Verständnis von Logik hätte, dann würde sie die Prämissen befragen; sie aber denkt nur vom Ende her und dieses Ende wiederum legitimiert sich aus der Gesinnung. So entwirft sie eine Heilslehre und das Erschreckende ist, daß große Teile der Bevölkerung und der Medien tatsächlich an ihren Lippen hängen und beruhigt ins Bett gehen, weil sie, die starke Kanzlerin, es weiß, es kann, einen Plan hat, nicht abweicht, nicht umsteuert … (Im Focus z.B. wird, ganz Staatsfernsehen, ein zögerlicher Zwischenapplaus zum „begeisterten Applaus“ hochstilisiert.) Das sind für eine Demokratie äußerst bedenkliche Gehorsamsäußerungen, einer sich einem Gesinnungsdiktat ergebenden Gläubigkeit.
Elf Jahre Bundeskanzlerschaft sind offensichtlich für jeden zu viel – wenn selbst eine Nullachtfünfzehn-Person sich danach für unfehlbar halten kann. Das große ICH strahlt überall durch, da helfen auch die Beteuerungen nichts, man nehme die Sorgen der Menschen ernst. Auch wenn sie „verständlich“ seien und sie allen zuhöre, falsch sind immer die Sorgen und irrend immer die Sorgenden. Interessanterweise bemüht Merkel auch die Kategorie des Dienstes, die man normalerweise dem rechten Spektrum zurechnet. Warum gerade ihre Politik Deutschland dienen solle, bleibt offen, Begründungen werden durch Visionen ersetzt, die sich wiederum auf einer totalitären Moralkategorie gründen: Das krumme Holz der Humanität. Dialektisches oder gar rhizomatisches Denken ist Merkel fremd und unbegreiflich.
Aber wer genau hingehört hat, dem ist nicht entgangen, daß es sich um eine Fassade an Selbstsicherheit handelt. Zwei Mal erwähnte Merkel unaufgefordert Heidenau, den Ort, an dem sie im späten August zum ersten Mal mit direkten Angriffen auf ihre Person konfrontiert war. Meinungsumfragen sind Papier, die nimmt man aus einer Distanz wahr, aber unmittelbarer Kontakt mit dem Unwillen kann so manche Lebenslüge erschüttern. Unvergessen bleibt der letzte Auftritt Ceausescus, wie ihm das Gesicht einschlief, als die Menge sich plötzlich nicht mehr konform und wie erwartet verhielt und das, obwohl er wußte, wie es gärt im Lande.
Heidenau, Merseburg, der CSU-Parteitag … das sind die Orte, live, die auch eine Angela Merkel erschüttern können. Und sonst wohl nichts mehr.