All unsere Aufmerksamkeit gilt den bewußten Tätigkeiten. Das, was wir tun, was wir denken, was wir beabsichtigen. Der Fokus liegt auf der Präsenz. So erscheint unser Alltag in einer Kontinuität, die er nicht hat, schaut man sich – wie in der Photographie – sein Negativ an. Weiterlesen
Italien
Linkes oder rechtes Ruder?
Schon vor drei oder vier Jahren, als die Grünen einen ersten und scheinbar irrationalen Höhenflug hatten, schrieb ich, daß man sie nur regieren lassen müsse, um sie langfristig zu erledigen. Zumindest als Partei, die Regierungsmacht zu übernehmen droht. Als Ideologie sind sie freilich längst ins Mark dieser Gesellschaft eingesickert. Das Problematische an diesem Gift ist die Mischung aus absolut notwendigen Grundeinsichten und Vorhaben, deren Essenz zu bewahren und zu nutzen ist, und einer hochtoxischen Ideologie, Aktionsextremismus gepaart mit politischer Selbstverdummung. Weiterlesen
Nichts gegen meine Ungarn
Die Kraft und Qual der fünf Herzen in meiner Brust:
Nichts gegen meine Ungarn. Sie haben gekämpft wie wahre Männer und wie immer verloren. Aber in der Niederlage haben sie Größe gezeigt und mit der Hand auf dem Staatswappen gemeinsam mit ihren härtesten Fans – von denen man sich in unseren Gefilden hätte distanzieren müssen – stolz und leidenschaftlich die Nationalhymne gesungen, ein Lied, das exakt die Geschichte dieses Spieles beschreibt: kämpfen, verlieren, und danach sich verhalten, als hätte man gewonnen – das ist so typisch ungarisch wie Pálinka und Paprikahuhn. Die Ungarn waren ein Nachruf, die letzte wahre europäische Nationalmannschaft des Turniers und vielleicht der Fußballgeschichte.
Nathan Never
Es gibt in Italien eine ausgesprochen vielfältige Comic-Kultur, die weit in die Geschichte zurückreicht. Es begann bereits 1948 mit dem legendären Tex Willer, einer Cowboy-Figur, die 20 Jahre später von anderen Wildwest-Erscheinungen, einem „Mister No“ und einer neuen Serie namens „Zagor“ ergänzt wurde. Treibende Kraft war Gian Luigi Bonelli, der sich ein kleines „Fumetti“-Imperium aufbaute, das später von seinem Sohn Sergio Bonelli ins Gigantische ausgebaut wurde. Die Hefte von „Sergio Bonelli Editore“ liegen bis heute in jedem „Edicola“ an der Ecke aus.
Globalizzazione
Gerade lese ich – übrigens zum dritten oder vierten Mal – Tiziano Terzanis großartiges Buch „Un altro giro di giostra“. Terzani war einmal eine große Hilfe – ich las fast alles von ihm. In Italien war er ein Star und ist noch immer eine Berühmtheit, auch 16 Jahre nach seinem Ableben.
Spiele der Macht – weiblich
Getrieben von abstrusen Phantasien, die sich um ein imaginäres Beziehungsdreieck drehen, und auf der bekannten Suche „nach sich selbst“, begibt sich Silvia, eine noch junge und doch schon erfahrene Frau (geschieden, verschiedene Studien, Zeit im Ausland…) in Margarets Dienste, die, gefeierter Kinostar, von ihr vor allem eines verlangt: „Sie gehorchen und bewegen sich nicht; Sie denken nicht, Sie verhalten sich ruhig, wenn Sie mit mir zusammen sind, und ich sehe und höre nichts von Ihnen“. Silvia akzeptiert die unzeitgemäßen Bedingungen, betrachtet sich dabei als im Selbstversuch befindlich und verfolgt einen Plan, der vereinfacht mit „Wer wird gewinnen“ benannt werden könnte.
Budapester Innenstadt
Budapester Impressionen II
„Südliche Innenstadt“, so nennt mein Reiseführer jenen Teil der Metropole, den ich am ersten Tag erkunde. Das ergibt sich aus der einfachen Tatsache, daß die Sprachschule in der Váci Utca liegt. Zu meinem Erstaunen realisiere ich, daß dies die moderne Flaniermeile der Stadt ist.
Ignazio Silone: Vino e Pane
Die Lehre aus der EU-Wahl
… die gibt es nicht. Nur im Plural. Sie zu ziehen, soll hier nicht versucht werden – die Gazetten sind voll und manche Analyse durchaus treffend. Ich möchte hier nur auf ein paar einzelne Aspekte aus ganz persönlichem Interesse eingehen.
Wenn ich sage, es gibt nicht die, sondern viele Lehren, dann kann man daraus vielleicht doch eine Lehre ziehen: Vielfalt. Zu diesem Wort kann man das Synonym „Buntheit“ bilden – das tun unsere politischen Gegner ad nauseam – oder das Wort „Zersplitterung“. Das trifft es wohl eher.
Unter fremden Völkern
Eine These
Ungarn sprechen meist über das Essen.
Italiener sprechen meist über Schönheit.
Engländer sprechen meist über nichts.
Skandinavier sprechen meist nicht.
Deutsche sprechen meist über Geld und Schnäppchen. Oder Arbeit. Oder andere.
Slowenisches Intermezzo
Ein kleiner Urlaubsaufenthalt beim nächsten ungarischen Nachbarn: Slowenien.
Mein erster Muslim
Zum ersten Mal hatte ich 2005 mit einem leibhaftigen Muslim zu tun. In Florenz.
Dort weilte ich zwei Monate lang. Wohnte in der Via S. Guiseppe, gleich gegenüber der weltberühmten Basilica di Santa Croce. Ein Traum, so schien es zu Beginn. Aber der Schleier fiel bald. Auf der großen Piazza di Santa Croce trafen sich jeden Abend hunderte Menschen und feierten in allen Sprachen der Welt und sangen und tranken … an Schlaf war nicht zu denken.
Untergang des Imperiums
Historische Vergleiche hinken immer. Immer! Allein weil es diese konkreten Menschen nicht mehr gibt mit ihren ganz konkreten Denk- und Fühlweisen. Und da wir zum ersten Mal seit Menschengedenken in einem Zeitalter der Gleichzeitigkeit, der permanenten Verfügbarkeit und der Schrumpfung der Erde zu einem gemeinsamen Ort leben, dessen Karte wir zudem im Kopf haben, können wir uns mit keiner historischen Epoche der Vergangenheit vergleichen, die länger als 20 Jahre zurück liegt.
Dennoch: wenn gesagt wird, es gebe keinen historischen Präzedenzfall für die epochalen Ereignisse des Jahres 2015, also das freiwillige Öffnen einer administrativen, durch ein politisches und/oder ethnisches Gefüge definierten Grenze und das gewollte Hereinlassen von Millionen Menschen anderer Kulturkreise, dann kann die Geschichtsschreibung mindestens einen Fall vorweisen, wo derartiges bereits geschehen war. Wir können den Ablauf vergleichen und die Folgen abschätzen.
Über-Setzen nach Hamsun
Ich begriff schon als Heranwachsender, daß diese Sprache sich einfach eignet für die ganz großen Fragen. Bildung – den Begriff kann man nicht übersetzen. Der „Sinn des Lebens“, das klingt auf Italienisch fast lächerlich. Aber auf Deutsch weist einen die Sprache mitten in die organische Einheit des Lebens. Dieses Bohrende, Systematische hat mich ungemein fasziniert. (Claudio Magris)
Hamsuns Jahrhundertroman „Segen der Erde“ gibt uns Gelegenheit an einem Beispiel, die Schwierigkeit des Übersetzens zu verdeutlichen. Wir werden sehen, daß norwegische Leser, die das Buch in der Originalsprache lesen können, ein anderes lesen als deutsche, englische oder italienische.
Von der Sowjetunion lernen
È possibile mettersi l’animo in pace dicendosi che tutto questo è il risultato del fallimento comunista? O è forse altrettanto vero che questa tendenza della gente a voler tornare a essere solo fra simili è il frutto dell’assurdo tentativo di mischiare troppo alla svelte tutti e tutto? (Tiziano Terzani)
Als ich kürzlich ein paar starken Bildern nachsann, griff ich wieder zu einem Buch, das ich vor sieben Jahren gelesen hatte: Tiziano Terzanis „Buonanotte signor Lenin“, einer Reisebeschreibung, die in Italien nach dem Welterfolg Terzanis („Noch eine Runde auf dem Karussell“) und seinem Tod, im Zuge einer Terzani-Euphorie, in allen Buchläden auslag. Die Italiener liebten diesen weisen Mann, besonders die Jugend sah ein Idol in ihm. Plötzlich waren alle seine Arbeiten, auch die kleineren, erhältlich, Biographien und Bildbände erschienen.
Gespräch mit einem Polen
Junger Mann, vielleicht Mitte 30. Banker, angestellt bei einem großen internationalen Finanzunternehmen. Seit Jahren im Ausland unterwegs – hat in London, Prag, Mailand und Wien gearbeitet. In seinem jetzigen Team arbeiten Menschen aus 15 verschiedenen Nationen: die perfekte globalistische Karriere.
Frühe Anzeichen
In Italien kippt die Stimmung, schreibt die „Junge Freiheit“.
Dort, in Italien war es, wo wir im Sommer 2015, einige Wochen vor der Geschichtszäsur, zum ersten Mal eine Ahnung davon bekamen, was auf Europa zukommt.
Am Strand von Rimini …
… hat es ein brutales Verbrechen gegeben: Rimini ist unter Schock und Italien in Aufruhr. Zwei Tage später sehen sich auch die ersten deutschsprachigen Gazetten gezwungen, zu berichten. Man kann daran exemplarisch die verschiedenen Herangehensweisen verdeutlichen – die reichen von Verleugnung über Lüge und Lücke bis hin zur kompletten Uminterpretation. Die jeweiligen Zeitschriften stellen nur verallgemeinerungsfähige Beispiele dar.
Die Weisheit der Sprache
Im Ungarischunterricht wird im Vorbeigang die Steigerungsform erörtert. Man braucht sich nicht lange aufhalten, da es eine der wenigen grammatischen Prinzipien ist, die für den Ausländer unproblematisch sind – die üblichen Ausnahmen nicht berücksichtigt. Dem Adjektiv wird in der ersten Steigerung ein –bb angehängt, wobei die Lautharmonie beim Verbindungsvokal zu beachten ist und in der zweiten Form noch ein –leg vorangestellt.
Links und Rechts
Als man mir kürzlich sagte: „Du unterscheidest immer so streng in links und rechts“, da stutzte ich verdutzt einen Moment und versuchte instinktiv den Vorwurf – der darin enthalten war – abzuleugnen. Aber es genügt, auf die Titelliste zu schauen, um zu sehen, daß ins Schwarze getroffen wurde.