Crystal Clear

Die Dummen werden von der Politik angezogen, weil diese einen Machtgenuß verspricht, deren Verlockung uns unverständlich bleibt. (Günther Anders)

Volker Becks Rendezvous mit dem Affen wirft eine ganze Reihe Fragen auf. Mag sein, daß ein Moralist nach einem Fehltritt härter angegangen werden sollte, wie die „Süddeutsche“ behauptet, weil er sich selbst einem höheren Standard unterwarf, indem er andere belehrte. Mir scheint der Fall in anderer Hinsicht vielsagend.

Die Droge Crystal Meth ist offensichtlich kein Spaß, sie führt zu starken Persönlichkeitsveränderungen, Enthemmungen und Räuschen und ist ausgesprochen abhängig machend. Die bei Beck mutmaßlich gefundene Menge – so man der „BILD“ trauen darf – reicht für ein halbes Dutzend Vollräusche. Wer dort landet, ist vermutlich kein Einsteiger mehr; man muß von einer langen Suchtbiographie ausgehen. Insofern ist Becks als Entschuldigung zu lesende Äußerung „Ich habe immer eine liberale Drogenpolitik vertreten“ ein schwerwiegender Offenbarungseid, suggeriert sie doch eine Gleichstellung von Cannabis etwa mit Heroin oder Crystal. Zu dem einen mag man sich liberal verhalten, das andere ist schwerlich zu akzeptieren. Vielleicht war Beck nicht gänzlich Herr seiner Sinne, als er das schrieb.

Uns hingegen sollte der Vorfall die Sinne schärfen, denn er wirft ein Schlaglicht auch in unser politisches System: auf die menschliche Ebene. Einmal mehr war es Peter Sloterdijk, der viele Male auf die prinzipielle Überforderung unserer Politiker hinwies. Sie seien Athleten der Daueranspannung und des Überkomplexen.

Es gehört in der Regel eine gewisse seelische Verdumpfung dazu, sich freiwillig in diese Tretmühle zu begeben. Gute Entlohnung oder lebenslange Renten können das bei weitem nicht aufwiegen. Macht an sich ist schon eine Droge, deren Entzug bislang kaum aufgezeichnet wurde, und das permanente „Etwas-Wichtiges-Zu-Tun-Haben“, die komplette Ausblendung der transzendenten Sinnfrage – weil man ja ständig „Sinnvolles“ tut –, dürften ebenso süchtig machen wie das dadurch erlangte Selbstbild: Bedeutend zu sein, Dinge verändern, Menschen beeinflußen zu können, ein bißchen Gott spielen.

Hinzu kommt die Dauerbelastung. Vier, fünf Stunden Schlaf über Wochen und Monate hinweg, permanente Präsenz zeigen, Wachheit, Mitdenken ohne Pause, Lesen, unendliches Memorieren und schlagfertig sein, sobald eine Kamera surrt. Und sich gegenwärtig halten, daß überall eine Kamera aufblitzen könnte – jedes Smartphone birgt eine potentielle Gefahr. Einmal eine Nutte angelächelt, einmal Pädophilie frei- oder einhändig „recherchiert“ … und das Gebirge könnte über einem zusammenbrechen. Ein solches Leben kann nur ein permanentes covering-up sein – wir alle haben unsere heimlichen Schwächen, aber wir sind sicher vor Zuschauern und wir müssen uns nicht als moralische Instanz gerieren.

Am schwersten dürfte die Verantwortung wiegen. Wie jemand noch ruhig schlafen kann, der Bomber nach Sarajevo schickt oder zehntausende Flüchtlinge ins Land ruft oder den Ruf eben verweigert, ist mir ein Rätsel. Außer man zwingt Gott Morpheus mit Morphium oder eines seiner Geschwister, um wenigstens für ein paar Stunden auszublenden, daß die Probleme die menschliche Auffassungsgabe und folglich die Lösungshypothese unendlich überragen.

Sloterdijk for President – wäre das die Lösung? Sollten nicht diejenigen, die die Metaebene beherrschen, auch auf der Primärebene herrschen? Schon Platons Philosophenstaat und sein peinlich gescheiterter Versuch der Tyrannenbekehrung in Syracus belehrt uns eines besseren: Man muß davon ausgehen, daß der Sog der Macht und der Nacht stärker ist als alles, was ein Mensch dagegen setzen kann. Kein Wunder, daß die großen Weisheitslehrer der Menschheit – Buddha, Laotse, Sokrates, Jesus – davon Abstand nahmen (während Mohammed, aber das steht auf einem anderen Blatt …).

Schon im Jahre 2000 wurden auf 22 von 28 untersuchten Toiletten des Bundestages Kokainspuren nachgewiesen. Koffeinsucht ist a priori unterstellt, Sexsucht, Alkohol und dergleichen tauchen immer wieder mal auf.

Menschlich ist das Problem wohl kaum zu lösen – es wird mit der Zunahme an Welt- und Konfliktkomplexität eher zunehmen (deshalb können Maximalvereinfacher wie Bush und Trump überhaupt erst erscheinen). Nur institutionell läßt es sich „irgendwie“ regulieren: Gewaltenteilung, Kontrollinstanzen, Abstimmungen, Presse …

Wenn diese Instanzen außer Kraft gesetzt werden, wenn vitale Entscheidungen von per se überforderten und berauschten Einzelpersonen aus dem Bauch heraus getroffen werden können, wenn weder Parlament noch Volk in Existenzfragen eine Rolle spielen, wenn selbst geltendes Recht kommentarlos übergangen werden kann, wenn eine inquisitorische Stimmung gegenüber Andersdenkenden generiert wird, wenn die „Vierte Macht“ der ersten gläubig an den Lippen hängt, dann, ja dann … Gute Nacht!

Wie sagte Günther Anders? „Nicht die Politiker sind beschränkt, sondern die Beschränkten werden Politiker.“