Merkel – müssen, wollen, können

Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen! Das Alles von Heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stoßen! (Nietzsche: Also sprach Zarathustra)

Merkel muß weg, skandieren Land auf, Land ab hypereifrige Demonstranten. Sie nutzen dabei das falsche Modalverb. Erfolgversprechend wäre der Satz nur, wenn man das „muß“ durch ein „kann“ ersetzen könnte. Und sinnvoller wäre es zudem, den Imperativ in einen Fragesatz zu verwandeln: Kann Merkel weg? Oder, um die Parodieshow „Heute Show“ zu parodieren: „Ist das noch Politik oder kann das weg?“, „Ist das noch Bundeskanzler, oder kann das weg?“, „Ist das noch rational oder sollte man die Ambulanz rufen?“

Wohin man nämlich schaut, und ganz unabhängig davon, wie man zu Merkel steht, fast überall wird sie als Epitom ihrer eigenen Parole wahrgenommen: „alternativlos“. Die deutschen Wähler lehnen mit überwältigender Mehrheit ihre Flüchtlingspolitik ab, würden sie aber mehrheitlich sofort wiederwählen, denn sie ist der Inbegriff von Sicherheit auch in komplett (durch sie) verunsicherten Zeiten und weit und breit kein Wesen am Horizont zu sehen, dem man im Politbetrieb trauen mag. Ihre innerparteilichen und interkoalitionären Gegner zündeln zwar gern, wenn es dann aber zum Rapport geht, kuschen alle zuverlässig. Seehofer spielt dieses perverse Spiel zur „Perfektion“ – wenn dieser Euphemismus erlaubt sei – die großen Geschosse wie Schäuble, de Maizière, Gabriel wagen gerne mal, wenn SIE gerade nicht guckt, den verschämten Seitenhieb, der dann, zur Rede gestellt, ein „Mißverständnis“ gewesen sein soll; die sich-profilierenden Kleindarsteller wie Klöckner und – wie heißt der baden-württembergische Zwerg noch? –, wie Wolf und Co. zucken regelmäßig zurück, wenn der strafende Blick aus Berlin auf ihnen ruht.

Aber auch in Europa pflegt man die Haßliebe: die Briten, die Franzosen, die Italiener …, sie alle hängen an Merkels Strippen, lächeln gequält, üben den Bruderkuß und Schulterschluß – nur durchs Auge sieht der geübte Beobachter den Dolch im Hinterkopf. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon entblödete sich nicht, Merkel als die personifizierte Moral zu preisen.

Ein vergiftetes Lob, wenn man etwas darüber nachdenkt, und ein treffendes Epitaph an das man sich erinnern wird, wenn Merkel einmal Imperfekt sein sollte. Sie wird in die Geschichte eingehen – allerdings garantiert nicht, wie sie sich das vorstellt; das ist noch niemandem gelungen, Tony Blairs Deinstallation in Großbritannien ist nur ein aktuelles Beispiel.

Politik ist wie ein Eisberg – hier ist die überstrapazierte Metapher wirklich recht am Platze. Man bekommt nur einen Bruchteil zu sehen, seine Essenz liegt unter der Oberfläche. Und selbst der sichtbare Bereich wird durch Partialabdeckungen der Medien noch minimiert – vorausgesetzt, die Mär von der Aufklärung ist durchschaut. Daher wäre es müßig und rein spekulativ, aus Sicht des mehrfach umgelenkten Oberflächenbeobachters tiefgründige Analysen zu wagen, aber durch sekundärlogische Reflexionen dürfte sich doch einiges gewinnen lassen.

Offensichtlich ist doch zumindest, daß Angela Merkel keine geistige Leuchte erster Ordnung ist. Davon zeugt jedes beliebige Fernsehinterview und in letzter Zeit werden wir bekanntlich ausgiebig damit beglückt. Und kein Geheimnis ist es, daß Helmut Kohl, ihr einstiger Förderer und selbst schon ein auf der Mediokritätsleiter weit Avancierter, der Größe durch historische Zufälligkeit, den Sprung auf die Mauer und „Helmut, Helmut“-Rufe erlangte, daß also Helmut Kohl sie genau deswegen, aufgrund ihrer intellektuellen Blässe, als Erbin beauftragte, in der trügerischen Hoffnung, eine politische Kohltinuität, eine Dynastie aufzubauen. Auf diese Selbstverarsche sind bislang noch alle „Mächtigen“ hereingefallen, intelligent oder nicht: Sobald der Popanz, der Golem das Bewußtsein tatsächlicher Macht erlangt, wird er den Vater, die Mutter rituell morden. Diese Erwartung hat Angela Merkel perfekt erfüllt und übererfüllt. Nach zwei Generationen strategischen Mittelmaßes ist die CDU nun scheinbar vollkommen entkernt und wird als geistige Hülle noch eine Weile im Politbetrieb herum spuken. Schäuble, vielleicht der einzig übriggebliebene Substantialist mit Rückgrat, wird zusammen mit dem Gerippe Merkel, der letzten Stütze, in die Hölle fahren und man wird abwarten müssen, ob die Spahns und Klöckners noch genügend Rückenmark enthalten, um eine Stammzelltransplantation erfolgreich abschließen zu können. Die ephemeren Figuren hingegen, die Altmaiers, Tillichs, Gröhes und wie sie alle heißen, werden sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden.

Aber, ein großes ABER: Sie sind im Moment die tatsächliche Substanz der Partei, und die vielen Unsichtbaren. Wie sollte man sich sonst Merkels Stabilität erklären? Jeder Politiker, selbst Hitler und Stalin, der sich lange Zeit und/oder erfolgreich behaupten kann, muß einen genialen Zug besitzen – so kaputt wir sie uns auch reden wollen – und wenn es weder der denkerische, noch der strategische ist, so kann es nur der (un)moralische oder besser moralistische sein und/oder der kabalistische, der unmittelbar machtpolitische.

Das ist die aus der sekundärlogischen Reflexion generierte Unterstellung: Merkel muß es gelungen sein, ein überwältigendes, allumspannendes, vieldimensionales, in die Tiefe reichendes Netz an Beziehungen, Abhängigkeiten, Ängsten, Versprechungen geschaffen zu haben. Mit arachnider Empfindsamkeit erspürt sie jedes Zittern und mit perfektionierter (auch weiblicher) Mimikry lullt sie noch jeden ein. International kann sie dabei – wenn das Schauspiel versagt – das wirtschaftliche und geopolitische Gewicht Deutschlands als Preßmasse in die Waagschale werfen, aber intern wird man es sich als intricare vorstellen müssen, als divide et impera, als Kabale und Liebe(sentzug).

So hat sich Merkel scheinbar unersetzlich gemacht. Es umgibt ihre Gesprächspartner eine Angst-Aureole, die sich auch über die Mattscheibe ins Unbewußte der Fernzuschauer frißt. Kann sie also weg? Bis in die Journaille hinein wird uns vorgebetet: Dann würde alles zusammenbrechen. Sie ist der Schlußstein eines ganzen Systems geworden, sie hat sich trotz ihrer geistigen Anorexie genialerweise in eine Position manövriert, die sie alternativlos erscheinen läßt.

Und deshalb muß, was muß!

4 Gedanken zu “Merkel – müssen, wollen, können

  1. Leonore schreibt:

    @Kurt Droffe

    Mich stört an „Wir schaffen das“ vor allem, daß Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher bei dieser Aufforderung sofort in Aktionismus verfallen und vor lauter „schaffen“ nicht mehr darüber nachdenken, ob das überhaupt sinnvoll ist, was sie tun, wohin das führen soll und was morgen sein wird (wieder dasselbe Ärmelhochkrempeln? Und übermorgen – ? Und nächstes und übernächstes Jahr auch wieder? Überhaupt ganz und gar „ohne Obergrenze“ – ?).

    Es ist einfach mies und unfair, das deutsche Volk, das schon so manche Trümmer mit Geduld und Fleiß beseitigt und in Behausungen verwandelt hat, als das „alternativlos“ war und auch sonst keiner in Sicht war, der es für uns hätte tun wollen (auch kein Land in Sicht, nebenbei bemerkt, in das man hätte fliehen können und das bereit gewesen wäre, Millionen Deutsche aufzunehmen, von Versorgung bis an ihr Lebensende ganz zu schweigen) – es ist einfach charakterlos, wenn Leute, die geschworen haben, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, es dermaßen auf den Holzweg schicken.

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  2. Kurt Droffe schreibt:

    Ich bin kein Merkologe, weshalb mir sicher viele Faktoren, die ihren Aufstieg und ihre lange Kanzlerschaft begründen können, entgehen.
    Trotzdem eine Anmerkung: Man sollte nicht vergessen, daß Merkel (historisch gesehen durchaus Hitler vergleichbar) politisch schon fast mal weg war vom Fenster, und daß ihre Kanzlerschaft mit einer ziemlich dünnen Mehrheit, politisch wie „stimmungsmäßig“, begann. Daß sie sich dann so lange halten und ihren Vorsprung ausbauen konnte, liegt m. E. vor allem an rund zehn ihr selbst überhaupt nicht anzurechnenden wirtschaftlich im allgemeinen für Deutschland sehr guten Zeiten, für die zum einen die Reformen Schroeders, aber auch eine extrem gute Weltwirtschaftslage (trotz Finanzkrise) die Ursache sind. Wenn man in solchen Zeiten im Kanzleramt sitzt, dann kann man in aller Ruhe schon qua Amt Beziehungen aufbauen und Abhängigkeiten etablieren.
    Zudem ist es ihr eben gelungen, die horrenden Verbindlichkeiten (Flüchtlingskrise, z. T. Griechenland, Energiewende) ihrer Politik eben wegen der guten Wirtschaftslage und Steuereinnahmen aus der Substanz des Vorhandenen zu begleichen oder aber in die Zukunft zu verlagern. Hinzu kommt das Amtscharisma, von dem auch Hitler (ich will das nicht überstrapazieren, aber der Vergleich drängt sich mir doch oft auf) profitierte: „Die Kanzlerin wird schon wissen, was sie tut“, man stellt sich nicht gegen das Staatsoberhaupt etc. Parallelen sind übrigens auch die die politische Betäubung des Gegners („Ich war ja nie Anhänger der Politik, aber doch toll, wie Österreich/Flüchtlinge ins Reich geholt wurde/n“ und die augenscheinliche Abschottung des Führungskreises.
    Ich bleibe bei meiner ja schon geäußerten Einschätzung: Ein politisches Talent, kein staatsmännisches (-frauliches?): „Aber sie hat ja gar nichts an!“

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    Antwort Seidwalk: Ein schillerndes Phänomen mit vielen Facetten – die von Ihnen genannten spielen eine bedeutende Rolle. Man müßte ein Buch schreiben, wenn man das Phänomen umfassend begreifen wollte. Man kann sich ansonsten sinnvollerweise immer nur Einzelaspekte herausgreifen.

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    • Kurt Droffe schreibt:

      Kleine Ergänzung: Auch der stupende Voluntarismus des „Wir schaffen das, wenn wir nur wollen“, erinnert mich in all seinen Erscheinungsformen an die Ideologen vergangener Zeiten.

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