© Daniela Hartmann, flickr.com
Vor zwanzig Jahren, während meines ersten Aufenthaltes in Italien, erschrak ich, einen McDonald’s-Palast zu sehen. Das war in Cagliari, Sardinien. Als Liebhaber der vielfältigen und genialen italienischen oder gar der herben sardischen Küche konnte ich nicht begreifen, wieso sich junge Menschen – diese attraktiven, braungebrannten, durchweg schlanken Schönheiten beiderlei Geschlechts – solch pappige Normkost in Massen antaten. Aber sie taten es – McDonald’s war kurz nach der Eröffnung schon ein Hit in Cagliari und begann die Sitten und Rhythmen der sardischen Jugend zu verändern. Heute überragen die Obesitätsraten der jungen Italiener ganz Europa.
Um die gleiche Zeit begannen sich die ostdeutschen Städte mit aller Gewalt einer Synchronitätstortur zu unterziehen – eine Stadt, die nicht der westdeutschen Partnerstadt glich, mußte ein verachtungswürdiges Kaff sein. Ob Hof oder Plauen, der Unterschied bestand bald nur noch im Dialekt der Verkäuferinnen.
In England dann gab es Einkaufsmeilen und Straßenzüge, die den deutschen verblüffend ähnelten. Boutiquen und Kaufhäuser weltweiter Marken reihten sich aneinander und bei Tesco traf sich die ganze Welt als Produkt. Deutsches Bier und italienische Pasta und französischer Käse und spanische Chorizo und multinationale Chips im Korb zu haben war Normalität. … Konsumismus und Kapitalismus haben die nationale und regionale Vielfalt besiegt, indem sie die Vielfalt, alles an alle Orte der Welt karrten.
Als ich ein Kind war, konnte ich noch am Akzent hören, ob mein Gesprächspartner aus Auerbach oder aus Klingenthal oder auch nur aus dem drei Kilometer entfernten Rodewisch stammte. Selbst der Brunner, aus einem anderen Stadtteil, hatte einen leicht diversen Klang. Spreche ich heute mit „gebildeten“ jungen Menschen, dann imitieren sie oft ein unerträglich arrogant klingendes Standard-Westidiom, kalt und gierig und fad wie die Bürokraten, denen sie das „Hochdeutsch“ abgelauscht haben.
Deutschland wird bunt. Deutschland ist Vielfalt. Gezeigt werden uns dazu lächelnde Menschen verschiedenen Aussehens, friedlich vereint. Bunt ist hübsch, bunt ist aufregend. Sehe ich genauso: Ich mag das Blau Frankreichs und das Weiß Italiens und das Rot Polens und das Gelb Deutschlands und auch das Grün Arabiens …, ich liebe die geheimnisvolle Tiefe der Russen, den Esprit der Franzosen, die Ironie der Engländer, den metaphysischen Schwermut der Deutschen, die Innerlichkeit der Ostasiaten … ich liebe den melodischen Klang des Italienischen, die rauen Töne der Holländer, den Singsang der Norweger, die Kehllaute der Berber … Aber diese Farben, Klänge, Idiosynkrasien werden verschwinden und verwischen, wenn Europa ein „Meltingpot“ geworden sein wird, wenn man überall – in London, Paris, Berlin – den Muezzin rufen hören wird, wenn auf den Straßen in Mailand, Brüssel, Zürich der gleiche Babelsprech gesprochen werden wird.
Was die Apostel der „Vielfalt“ nicht begreifen: daß sie genau diese Vielfalt zerstören. Wirkliche Vielfalt besteht aus vielen distinkten eigenen Identitäten, nicht aus einem weltweit ununterscheidbaren bunten Brei.
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