Die Stunde des Gebets

Die Engländer nennen das „an awkward situation“. Die Tür geht auf – ich bin fünf Minuten zu zeitig –, Hussain, barfuß, läßt mich ein und plötzlich steht zwei Meter neben mir ein betender Mensch. Muslim natürlich. Hände vor der Brust, Oberkörper in der Waage, Gemurmel, Allah und so, Kniebeuge – das volle Programm.

Man kommt an diesem Allah einfach nicht vorbei, wenn man bei den Syrern ist. Gefühlt jedes zweite Wort fängt mit A an und endet mit ah, Allahu-Akbar-Klingeltöne, Koranseiten auf dem Handy, Gebetsgeräusche im Nebenzimmer oder eben, wie gerade erlebt, Rezitation und Gymnastik in Armeslänge.

Salim ist vertieft, würdigt mich keines Blickes. Ich schleiche als beschämter Europäer, etwas unangenehm berührt, an der Szene vorbei, nicht recht wissend, wohin mit mir und meinen Blicken. Fühle mich wie ein unverhofft ins elterliche Schlafzimmer eintretender Teenager. Schiebe mich selbst in Hussains Zimmer – sonst nutzen wir die Küche. Als guter Pfadfinder hätte ich die Zeichen lesen können. Nasse Fußspuren auf dem Laminat. Verstehe ich aber erst, als Hussain mich bittet, noch fünf Minuten zu warten – auch er müsse noch beten. Das war garantiert das letzte Mal, daß ich zu Sonnenuntergang dort antanze. Nun also geht Hussain ins Bad und wäscht sich Gesicht, Hände und Füße und befeuchtet sich das Haar. In der Küche haben sich mittlerweile Männer versammelt, ist es unruhig geworden. Also fragt er mich, ob es mich störe, wenn er hier bete? „Nö, of course not!“

Während ich mir ein paar Notizen mache, um die seltsame Szene festzuhalten, betet man nun hinter mir. Ohne Teppich und in ganz andere Richtung als Salim, alles ganz dezent und leise und kaum daß ich diesen Allah im Getuschel unterscheiden kann. Auch drüben scheint jemand bei der Gebetsgymnastik zu sein. Mohammed. Salim hat die Wohnung inzwischen verlassen. Es klingelt, keiner geht ran oder läßt sich auch nur stören. Gebet geht vor.

Hussain ist nun fertig. Ich frage ihn, wie oft er sich verbeugt hat. Er erklärt: Fünf Mal Beten am Tag: Zu Sonnenaufgang zwei Verbeugungen, mittags vier, nachmittags, wenn der Schatten doppelte Manneslänge aufweist, wieder vier, zum Sonnenuntergang – also gerade eben – drei Mal und in der Nacht, aber vor Mitternacht, noch einmal vier. Macht 17. Hatte ich nicht erst von 18 gelesen? 17 ist wohl die Mindestzahl, Eifrige dürfen demnach auch mehr.

Aber Hussain weiß offensichtlich, was sich gehört.