Augen auf und durch!

Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem

Es war voreilig, als ich Anfang Januar Lothar Fritzes „Der böse gute Wille“ als das Buch des Jahres 2016 anpries. Rolf Peter Sieferles „Das Migrationsproblem – Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“, das nachfolgend vorgestellt werden soll, macht noch stärkere Ansprüche auf diesen Titel. Wo Fritze auf stringente Art und Weise all das zusammenfaßt, was jedem common-sense-Inhaber bewußt und einleuchtend sein muß, geht Sieferle weiter, denkt einerseits um die Ecke, deckt die Dialektik und die Paradoxien des Prozesses auf, nimmt aber auch die Außenposition ein und ist so in der Lage, das jüngere Geschehen in die großen historischen Prozesse einzuordnen.

In fünf Durchgängen werden verschiedene Aspekte beleuchtet.

In einer kurzen Analyse der Migrationsursachen wird die Wucht der Bewegung deutlich. Zu Ende des 21. Jahrhunderts, also im Laufe eines Menschenlebens, wird der prozentuale Anteil der Afrikaner an der Weltbevölkerung von derzeitigen 16% auf 40% gewachsen sein. Dem werden 5,7% Europäer entgegenstehen – sofern es noch Europäer geben wird. Auch räumt Sieferle mit der Armutskeule auf, denn Migration braucht einen gewissen Reichtum und auch statistisch läßt sich belegen, daß „die Zunahme des relativen Wohlstandes die Massenimmigration eingeleitet hat.“

Nebenbei stellt er eine alternative Revolutionstheorie vor, nach der nicht „Armut“ und „Unterdrückung“ – das klassische marxistische Vokabular – den sozialen Unfrieden anfeuern, sondern „eine wachsende Spannung zwischen Erwartungen und Befriedigungen von Erwartungen“. Wenn das stimmt, dann gießt die Entwicklungshilfe, wie sie bisher geleistet wurde,  Öl ins Feuer, da die „Steigerung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern den Migrationsdruck“ vergrößern wird, weil auch das Begehren wächst.

Um zu begreifen, was in den „Zielländern“ im Zuge der Masseneinwanderung ökonomisch geschieht, muß man die Wirkungsweise des Sozial- und Rechtsstaates und die Sozialpsychologie verstehen. In einer seltenen historischen Anomalie war es den „Armen“ in den westlichen Ländern in einem kurzen Zeitfenster gegönnt, global gesehen zu den „Reichen“ zu gehören. Sie wurden vom produktiven Teil des Volkes unterstützt, sie erhielten eine „Bürgerschaftsrente“. Voraussetzung dafür war eine gewisse Homogenität der Bevölkerung. Bereits im Zuge der Globalisierung geriet dieser Zustand in die Krise, da auch interne Mobilität Homogenität auflöst. Externe Mobilität, sprich große Migrationsströme müssen dem System den Todesstoß verpassen. Von daher, so schließt der Autor, ist der „populistische“ Protest „gegen Freihandel, Globalisierung und Immigration ökonomisch rational und keineswegs nur Ausdruck dumpfer Vorurteile“.

Umgekehrt kann Sieferle verdeutlichen, weshalb ausgerechnet die Globalisierungsgewinner für eine multikulturelle Gesellschaft plädieren, denn für sie kann es einen kurzzeitigen Zugewinn bedeuten – der freilich nicht nachhaltig sein wird.

Aus demographischer plus ökonomischer Sicht steht der Sozialstaat unter enormem intrinsischem Streß, „den eigentlichen Todesstoß erhält er jedoch durch die Massenimmigration unqualifizierter Menschen.“

Darauf wird die politische Klasse reagieren müssen, doch stehen ihr innerhalb des eigenen Paradigmas nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die alle den Kollaps nur verzögern und die Fallhöhe steigern können. Auch andere Konzepte, etwa das der totalen Abschottung (Japan, China) oder das der selektiven Zuwanderung (Kanada, Australien) garantieren das Überleben nicht, aber sie sind weit weniger bedrohlich als die von Deutschland vorgelebte „hochriskante, geradezu abenteuerliche Politik“.

Müßig zu betonen, daß es sich hierbei um ökonomische, also objektive Zusammenhänge handelt, die sich nicht darum kümmern, was die Menschen wollen oder nicht.

Im vielleicht originellsten Teil des Buches zerlegt Sieferle die „Narrative zur Legitimation“, das „Flüchtlings-Narrativ“, dem eine eschatologische Denkfigur zugrunde liegt und das gerade durch das besonders Andere – große Kulturferne – an Attraktivität gewinnt, das „demographische Narrativ“, das den evolutiven Anpassungsprozeß an die neue Demographiestruktur durch Geburtenrückgang – Sieferle  hält dies für einen quasi-Heilungsprozeß! – gewaltsam unterläuft und im Übrigen auch eine katastrophale Ökobilanz aufweist, das „Arbeitsmarkt- und Fachkräftemangel-Narrativ“, das rein quantitativ argumentiert, wo qualitative Steigerung notwendig wäre und das basale entwicklungspsychologische Konstanten negiert, das „Multi-Kulti-Narrativ der Innovation“, das das teuer erkaufte „kulturelle Kapital“, sprich soziale Kohärenz und Vertrauen verspielt und das „Multi-Kulti-Narrativ der Buntheit und des Abenteuers“, das nichts anderes als eine geistige und kulturelle Degenerationserscheinung ist.

Aber Sieferle wagt sich auch an die heikle und weitgehend noch mysteriöse Frage nach den Motiven der politischen Akteure.

Unter der klassischen Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, differenziert Sieferle noch einmal zwischen „empirischer Moral“ – das ist die durch den common sense und die alltägliche lebensweltliche Erfahrung diktierte „natürliche“ Handlungsvorgabe – und „normativer Ethik“, also einer von einem Abstraktum ausgehenden Folgerichtigkeit. Damit wird der Umgang mit der Migration in den jahrhundertelangen Denkprozeß der westlichen Gesellschaften eingeordnet. „Die empirische Moral ist partikular, instinktiv und gruppenbezogen, sie kennt Beziehungen der Nähe und der Ferne, die jeweils affektiv hoch besetzt sind … Die normative Ethik dagegen ist indifferent, was ihren Gegenstand betrifft und daher von einer gewissen Gleichgültigkeit im affektiven Sinn geprägt.“ Das ist ein schönes Beispiel für Sieferles dialektisches Denken, denn plötzlich erweisen sich die kopfgesteuerten Betroffenheitsweltmeister als Vertreter der Indifferenz und die affektiv reagierenden als die eigentlichen Empathiker.

Auch die „Gleichheitsreligion“ wird befragt und mit dem Bescheid verabschiedet: „Die implizite Devise der materiellen Gleichheit lautet daher: ‚Armut und Bürgerkrieg für alle‘, denn nur durch die Nivellierung nach unten ist diese Gleichheit herzustellen.“

Zudem macht der Historiker eine „Politik des Verschwindens“ aus, die in der spezifisch deutschen Vergangenheit als „singuläres Tätervolk“ wurzelt. Das führt zu allerlei verqueren Paradoxien und zu dem mehr oder weniger bewußten Wunsch, das deutsche Volk in der Menschheit aufgehen, verschwinden zu lassen.

Der stark politikwissenschaftliche Abschnitt „Demokratie oder Technokratie“ beschreibt die westliche „Demokratie“ als deren Verfallsform, als Ochlokratie (Pöbelherrschaft), die in nahezu unlösbare Selbstwidersprüche verstrickt ist. Vor allem linke Parteien sind ochlokratische Parteien. Die einzige Alternative dazu sieht Sieferle in der Technokratie, das heißt einer quasi aristokratischen Demokratie des Wissens und der Technik, doch stehen diesem, dem qualitativen Ausweg, die hohen Zahlen an bildungsfernen Menschen, die zudem importiert werden, im Wege. Sofern die Technokratie überhaupt noch möglich sei, wird sie auf demokratische Elemente verzichten müssen. Treibender Akteur sei dabei die EU: „Das politische Ziel der europäischen Akteure besteht offenbar darin, diese Zuwanderung in einem solchen Ausmaß und Tempo herbeizuführen, daß die überkommenen, kulturell als ‚Ethnien‘ definierten europäischen ‚Völker‘ in eine amorphe Ansammlung von Individuen verwandelt werden, die leichter despotisch-technokratisch regiert werden können. Die Atomisierung der ‚Bevölkerung‘ ist die Voraussetzung für die totale bürokratische Herrschaft“.

Freilich wird diese Rechnung nicht aufgehen, wie Sieferle im folgenden Abschnitt darlegt, denn das Ergebnis wird keine blühende Multikultiwelt, sondern eine „multitribale Strukturierung“ sein. Es ist just diese Alternative, vor der wir stehen: „Rechtsstaat oder Multitribale Gesellschaft“.

Rechtsstaat, Sozialsaat und Nationalstaat bilden eine untrennbare Einheit. Wird der Rechtsstaat durch den Vertrauensverlust und die soziale und ethnische Parzellierung bedroht, so leidet der Sozialstaat schon seit langem an seiner eigenen destruktiven Dialektik, die unter anderem und ganz unabhängig von der Zuwanderung den „betreuten Menschen“ hervorbrachte. Dieser wird nicht nur „immer weicher und unselbständiger“, „empfindlicher, allergischer, veganer“, er fordert nicht nur immer mehr Rechte ein, „auf Wohnung, Nahrung, ,Bildung‘, Urlaub, Kultur, Gesundheit, intakte Umwelt“, sondern er macht auch die klassischen Sozialverbände – die Familie etwa – überflüssig und es mangelt ihm systemisch an historischem und abstraktem Denken, so daß er die Folgen seines Tuns nicht mehr überblicken kann.

Sollten diese beiden Entwicklungen sich fortsetzen, dann liegt die Zukunft, meint Sieferle, „nicht so sehr in einem Nebeneinander von Rechtsstaat und Tribalgesellschaft, sondern in einer multitribalen Gesellschaft, in welcher der Rechtsstaat einen Stamm unter Stämmen bilden kann.“

In einem letzten Anlauf versucht der Historiker die derzeitigen Prozesse im großen historischen Kontext der letzten 10000 Jahre, der Zivilisationsgeschichte, einzuordnen und kommt zu dem Schluß: „Die europäische Zivilisation befindet sich zur Zeit in einem Prozeß der Selbstzerstörung, der vor allem vom Umgang mit dem Zuwanderungsdruck vorangetrieben wird.“

Kurz nach Fertigstellung dieses Textes nahm sich Rolf Peter Sieferle das Leben. Ob es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesem Testament und der suizidalen Entscheidung gab, bleibt Spekulation. Mir wurde für einen Moment ebenfalls übel und dunkle Visionen stellten sich ein.

Ein Grund mehr, sich dieser Thematik zu stellen und Sieferles originellen Beitrag wahrzunehmen, zu diskutieren, zu kritisieren und zu verbreiten – denn selbstredend beschweigen die Qualitätsmedien vielsagend das Buch des Jahres (Allein der „FAZ“ fiel dazu was ein, was sich durch ein altbekanntes Wort wiedergeben läßt: Nazi!)

Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung. Berlin 2017

Siehe auch: Worum es geht

und Finis Germania

5 Gedanken zu “Augen auf und durch!

  1. „Die europäische Zivilisation befindet sich zur Zeit in einem Prozeß der Selbstzerstörung, der vor allem vom Umgang mit dem Zuwanderungsdruck vorangetrieben wird.“

    Ich glaube, daß ein wesentlicher Punkt, den auch Kurt Droffe sieht, der ist, daß die Mehrheit just diesen „Prozeß der Selbstzerstörung“ nicht g l a u b t. Weshalb sie auch der bisherigen Politik weiterhin huldigen und alle Warnungen und allen Realismus und alle Zukunftsszenarien (auch solche, die einfach auf Zahlenmaterial basieren, wie die Zahl der Afrikaner bspw.) als Unsinn in den Wind schlagen. Man kommt fast auf die linke Idee, sie retten und erlösen zu wollen aus ihrem „falschen Bewußtsein“, denn mit ihnen gemeinsam den großen reality check zu erleben kann ja keiner wirklich wollen.

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    • @ fauxelle
      Keine Frage: Das Dilemma wurde ja gerade erst an anderer Stelle beschrieben und ausgiebig diskutiert. Auch ich werde immer wieder mit der Frage konfrontiert: Woher willst du denn wissen, daß du recht hast? Es kann doch auch alles ganz anders kommen! u.ä.

      Ja, woher? Die Frage ist das Ende des Gespräches, vor allem dann, wenn die Gesprächspartner sich als uninformiert oder desinteressiert erweisen. Mir scheint, das ist oftmals auch Selbstschutz. Man will sich seine kleine Illusionsblase nicht kaputt machen lassen oder man ist sogar so sehr im Alltag verstrickt, daß ein Blick über das Privatknäuel gar nicht möglich ist und sofern man überhaupt noch eine Außenwahrnehmung hat, speist man sie mit öffentlich-rechtlichem Agitprop.

      Aber Sie haben recht und das sollte auch gleich die Antwort auf

      @ Kurt Droffe sein.

      Selbst wenn man es nicht selber lesen möchte – aber es ist wirklich in einigen Passagen neu und anders -, ist es ein Buch, das auch Skeptiker zum Nachdenken bringen könnte, dessen Hauptthesen man auf jeden Fall aber kennen sollte in künftigen Diskussionen. Sieferles Verdienst ist diese neue, ungewöhnliche Optik. Konkrete Lösungsvorschläge – sofern ich nichts überlesen habe – hat auch Sieferle nicht, vom Offensichtlichen abgesehen. Wenn aber genügend Leute überhaupt erstmal für die Auseinandersetzung mit der Realität gewonnen werden könnten, dann würde auch eine breite Diskussion über Lösungen entstehen, die wiederum, mit Glück, auch zu Handlungen führen könnten.

      Warum die Leute (aus unserer Sicht) blind sind, beschreibt Sieferle in der Diskussion um die Legitimationnarrative, denen die Menschen aufsitzen und in der ochlokratischen Tendenz der Demokratie, die den dekadenten Menschen, den „letzten Menschen“ oder den „betreuten Menschen“ hervorbringt. Das war für mich eine neue Sichtweise, daß die sozialen Beziehungen durch die Rundumvorsorge systemisch zerstört und eben nicht gestärkt werden, wie uns das Sozialstaat-Narrativ erzählt. …

      Im Übrigen verstehe ich Ihren Eskapismus sehr wohl. Auch das ist eine Form des „Widerstandes“ und eine wesentliche dazu. Wenn man das „alte Wissen“ dann noch weitergibt oder zumindest die Liebe dafür, dann wird es regelrecht wichtig.

      Insgesamt durchzieht Sieferles Werk ein Zug pragmatischer oder objektiver Resignation – das gilt auch für das kleine gewichtige Buch „Finis Germania„. Wie kann es auch anders sein?

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      • Kurt Droffe schreibt:

        Danke für die Antwort, das klingt alles sehr plausibel; ich werde überlegen, ob ich mir das Buch mal als Urlaubslektüre mitnehme (auf die Gefahr hin, mir diesen dadurch zu versauen..)
        Nur eines noch: „Das war für mich eine neue Sichtweise, daß die sozialen Beziehungen durch die Rundumvorsorge systemisch zerstört und eben nicht gestärkt werden, wie uns das Sozialstaat-Narrativ erzählt“ – für jemanden mit liberalem Hintergrund wie mich, also aus der eher anderen Richtung kommend, ist das gar nichts so Neues; der fürsorgende Sozialstaat monopolisiert, versachlicht und anonymisiert das Soziale in hohem Maße. Kleine Anekdote zum Abend: Mein Vater, honoriges Mitglied eines Rotary-Klubs, erzählte, daß der Klub, wie für solche Klubs gehörig, auf der Suche nach einem sozialen, unterstützenswerten Projekt gewesen sei. Das Problem: Sie hätten fast keines gefunden, da in Deutschland nicht zuletzt die staatliche und semistaatliche Konkurrenz so groß war – es gab immer schon jemanden, der sich kümmerte.. In Rumänien haben sie dann was Sinnvolles tun können…

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  2. Kurt Droffe schreibt:

    Werter Seidwalk, danke für diese Buchvorstellung!
    Lesen werde ich es dennoch wohl nicht, zu Selbstverständlich ist mir das, was Sie hier als Inhalt wiedergeben; verfolgte man in den letzten Jahren ein wenig die Diskussionen außerhalb des Mainstreams, so z. B. neben anderem Ihr Blog, so konnte man das Wesentliche eigentlich schon wahrnehmen. Ich gebe auch zu, daß ich angesichts der offen zutage liegenden Probleme und Analysen einem gewissen Eskapismus fröne und mich in meinen wenigen Mußestunden lieber der Musik oder Lektüre von Klassikern widme – im Moment poliere ich mein Latein wieder auf, auch ein Akt der Résistance vielleicht..
    Dennoch zwei Fragen zum Buch, die Sie vielleicht ganz knapp beantworten können, bitte ohne sich als als Auskunftgeber für Lesefaule mißbraucht zu fühlen:
    1. Hat Sieferle denn eine Erklärung dafür, warum (sieht man sich aktuelle Umfragewerte und Wahlen an) die große Mehrheit der Menschen mit einer solchen Politik einverstanden scheint und nicht auf Remedur dringt? Dummheit, materielle Sicherheit, Trägheit, Vogel-Strauß…?
    2. Hat Sieferle Vorschläge, was genau zu unternehmen sein könnte, wie eine Politik aussehen müßte, die sich um Wahrung genuin spezifischer europäischer Errungenschaften bemühte? Hat er eine politische Perspektive, oder ist es weitgehende Resignation?

    PS: Der geschätzte Blogger Don Alphonso hat heute auch einen schönen Text zum Thema:
    http://blogs.faz.net/stuetzen/2017/05/17/die-gebaute-islamophobie-im-alten-europa-7718/

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    • Pérégrinateur schreibt:

      Zur Frage 1: Nach dem ersten Neuabschnitt auf Seite 26 von

      Klicke, um auf f28cf-tumult_winter2015_16_sieferle.pdf zuzugreifen

      sieht er wohl die Universalisten in einer selbstgestellten ideologischen Begründungsfalle.

      Aufgrund persönlicher Beobachtung würde ich banaler hinzufügen wollen, dass es hierzulande erschreckend viele Menschen gibt, die begierig auf jede hingestellte moralische Leiter steigen, noch ehe sie sich Gedanken gemacht haben, wo diese hinführt. Sind sie erst einmal aufgestiegen, kommen sie ohne massive Heuchelei nicht mehr herunter. Gefühl schlägt regelmäßig den Wirklichkeitssinn. Vielleicht ein Ausfluss des naiven Glaubens in die Selbstverständlichkeiten der eigenen Gesellschaft, die so selbstverständlich eben doch gar nicht sind. Vermutlich lernt der Esel erst dann für eine gewisse Zeit, vorsichtiger zu sein, nachdem er wieder mal ins Eis eingebrochen ist.

      Zur Frage 2: Seriöse Historiker sind oft sehr skeptisch im Hinblick auf die Machbarkeit von Geschichte, vermutlich auch Sieferle. Sein nüchternes Wenn-Dann ist jedenfalls gegenüber dem üblichen Wünschen und Hoffen so erfrischend wie der Gang aus dem durch allzu große Geselligkeit erwärmten Zimmer in den kühlen Dezembermorgen. Die Gedanken klären sich.

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