Denkanstoß – Kleine-Hartlage
Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Recht auf legale Opposition und Parteibildung sind ja nicht deshalb zentrale Komponenten des freiheitlich-demokratischen Systems, weil die Väter des Grundgesetzes einem weltfremden platonischen Menschenrechtsidealismus gefrönt hätten, der nur für Schönwetterphasen taugte. Sie waren – unter dem Eindruck der Katastrophen der Jahre 1914 bis 1945 – alles andere als naive Traumtänzer.
Im Grundgesetz verankert sind diese Grundsätze, weil ein Staat, der sie respektiert, die Chance hat, Fehlentwicklungen von sich aus und aufgrund von Argumenten zu korrigieren und nicht erst durch Aufstände dazu gezwungen werden muß. Ein Staat hingegen, der seine Kritiker drangsaliert, statt sich mit ihrer Kritik auseinanderzusetzen, wird mit geradezu physikalischer Zwangsläufigkeit an genau den Mißständen zugrundegehen, die er ignoriert und zu kritisieren verbietet.
Der erst drei Jahrzehnte zurückliegende Untergang der DDR ist unter anderem genau auf diesen Mechanismus zurückzuführen: Deren Staatsführung unterband jede grundsätzliche, das heißt von einem system-transzendierenden Standpunkt aus vorgetragene Kritik. Der „Sozialismus“ war tabu, und jede Kritik, die überhaupt Aussicht auf Gehör haben wollte, mußte von dieser Prämisse ausgehen. Soweit die Dysfunktionalität des Systems also auf dessen sozialistischen Charakter zurückzuführen war, konnte sie nicht thematisiert, konnten mithin auch entsprechende Reformen nicht eingeleitet werden.
Man muß sich bewußt machen, daß derjenige, der von einem systemtranszendierenden Standpunkt aus argumentiert, aus der Sicht des jeweiligen Systems automatisch das ist, was man in der Sprache der BRD „Extremisten“ nennt. Der Schutz, den das Grundgesetz auch (man möchte fast sagen: gerade) extremistischen Positionen zuerkennt, ist also kein Luxus, den der Staat sich leistet, weil’s gut fürs Image ist, sondern eine Notwendigkeit, die ihm hilft, seine blinden Flecken zu erkennen, um nicht, wie die DDR, an ihnen zu scheitern.
…
Man erkennt schlechte Regierungen geradezu daran, daß sie statt über Lösungen für Probleme lieber über die Bekämpfung derjenigen nachdenken, die diese Probleme beim Namen nennen.
Manfred Kleine-Hartlage: Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach. Antaios Verlag. Schnellroda 2021. S. 51ff.
siehe auch:
Man darf sich fragen, wieso die so sorgfältig im Grundgesetz verankerten Mechanismen zur Korrektur falscher Entwicklungen nicht mehr greifen und die Musterdemokratie D (aber genauso die Musterdemokratie Schweden zb) mit Verve in eine Demokratur abdriften.
Ich vermute, das nicht einer der jetzt bestimmenden Faktoren im politischen Geschehen den Autoren des Grundgesetzes überhaupt vorstellbar erschien.
zuallererst die alles überwältigende Macht des Fernsehens! (vorläufig sammelte es sowohl ein Urvertrauen als konkurrenzlose Sozialisierungsinstanz ein und wurde sozusagen in allen Haushalten das „wichtigste Familienmitglied“ speziell bei Ü60, danach wandelte sich das Selbstverständnis komplett dorthin, das Journalisten als Gatekeeper und Hohepriester der Macht sich zu Erziehern des Volkes machten und gleichzeitig eine totale Symbiose mit dem Staat eingingen, so dass gerade SIE keinerlei systemtranszendenten Standpunkt mehr thematisieren wollen) – – > damit ist jede Demokratie und jeder Pluralismus unmöglich geworden.
Journalisten wissen, daß NUR sie festlegen, wer gewählt und wer breit zu hören/zu sehen ist.
die überentschlossene Bekämpfung sowohl der Kommunisten als auch der Nazis widerspricht vollständig dem Demokratieprinzip. Es wurden Präzedenzfälle geschaffen, die es erlauben, bestimmte Weltsichten als „undenkbar“, „teuflisch“ als absolut bar jeden Existenzrechts zu kennzeichnen. (Die USA haben niemals die „white-aryan“ – Bewegung derart stigmatisiert bzw. deren freie Meinungsäußerung radikal unterbunden, wie es zb in D geschieht und geschah. Die USA haben dadurch politisch keinen Schaden genommen.).
–> Fazit: man hat das unbedingt grundlegende Prinzip der Meinungsfreiheit vollständig aufgegeben und auch dies heißt nichts anderes, als das systemtranszendierende Ansichten nicht zugelassen, sondern massiv verfolgt werden.
1945 ff. konnte dich wohl noch kaum einer vorstellen, daß das „Tugendsystem“ des Christentums vollständig verlassen werden würde. Das Grundgesetz kann nicht in einer entchristianisierten Gesellschaft funktionieren, denn erstens, ein Tugendsystem (Moralwerte) braucht JEDE Gesellschaft und zweitens, ist das christliche „weg“, kommt ein anderes. Heute ist es tugendhaft, bestimmte Anrichten im totalitären Stil als das „absolut Böse“ zu betrachten und zu behandeln („die Nazis“) und den ganzen Stadt zu einer Kampfmaschine „gegen Rechts“ zu entwickeln, mit permanenter Propagandaberieselung… und diese Haltung ist sozusagen das Schibbolet der Gatekeeper, einer der ca. drei Glaubenssätze, denen man zu huldigen hat.
man hat sich ebenso niemals vorstellen können, das eine Masseneinwanderung kulturell völlig anders geprägter Menschen stattfinden würde, die sich als Parallelgesellschaft etablieren würden. Dies zu fördern und kritiklos als absolut „gut“ darzustellen ist ebenfalls eine neue Grundtugend, die exklusive Vorrechte genießt.
Fazit: gegen ein völlig neues Wertesystem, das sich zur Zeit der Schaffung des GG keinesfalls absehen ließ, hilft keinerlei Formulierung oder Mechanismus eines Gesetzestextes. Im Gegenteil: das neue Wertesystem hat „override“-power und alle störenden Elemente des GG werden ausgehebelt (das BVG), umdefiniert, einfach ignoriert.
Ein Grundgesetz bietet demnach keinen Schutz irgendeiner Art gegen KI kulturellen Wandel, es sozialisiert niemanden, es wirkt nicht in die Masse, es hat keine Kraft. Es lebt von Voraussetzungen, die es selbst nicht schaffen kann.
Das kulturelle Denken und die aktuell „richtige“ Tugendhaftigkeit werden woanders geschaffen und sozialisiert. Ich nenne Journalisten noch einmal „Hohepriester“ der modernen Welt…
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Ein Staat und seine Träger tendieren wie jedes System dazu, dieses in seinem Bestand zu schützen. Die Kernfrage lautet: Wie groß ist der System-immanente Freiheitsgrat für Reformen in der Praxis? Gesetze wie das Grundgesetz bieten meistens theoretisch Raum für Veränderungen, was praktisch daraus wird, entscheiden die herrschenden Politischen Parteien. Ab 1949 waren in Deutschland Kommunisten und Nationalsozialisten von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen. Die Konservativen der DVP Nachfolgepartei CDU /CSU um Adenauer organisierten die Westbindung der Bundesrepublik. Die Linke wurden politisch & kulturell mit allen Mitteln bekämpft. Erst mit dem Godesberger Programm, und später mit der Ostpolitik Brands, gelang es der SPD, sich Zugang zur Macht zu verschaffen. Dazu musste sie sich vom gewalttätigen Arm der Linken Bewegung, der RAF, lossagen und sie und ihre Mitläufer selber aktiv bekämpfen. Das Ende des Linken-Jahrzehnts der Siebziger Jahre, markierte damit auch das Ende aller Bestrebungen, politisch oder außer-politisch, das System aus Westbindung & Marktwirtschaft zu verändern. SPD & Grüne traten den langen Marsch durch die Institutionen an. Und sind heute kulturell & politisch an den Schalthebeln der Macht angekommen. Die Konservativen haben sich politisch (nicht wirtschaftlich) selber aufgelöst und bekämpfen zusammen mit den Lifestyle-Linken ihren eigenen Ableger, die AfD, mit allen Mitteln. Mit CDSPGrüneFDP hat sich der Neue Bürgerliche Block gebildet, der nichts mehr fürchtet und bekämpft als die Extreme und den Wohlstandsverlust. Solange genügend Geld gedruckt werden kann, gewinnt diese Mitte die Wahlen. Im Fadenkreuz dieser neuen Mitte stehen die Rest-Konservativen, Populisten genannt. Sie sind als Partikularisten der Widerpart der Globalisten, hinter denen sich die Mitte versammelt hat. – Hegel und Marx hatten recht: Geschichte bewegt sich in Wellen von These, Antithese und Synthese. Die Rechten grenzen die Linken aus und umgekehrt. Und die Wirklichkeit fordert ihre Kompromisse. – Wenn Ihr letzter Satz stimmt, hatten wir bisher nur schlechte Regierungen!?
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„Ab 1949 waren in Deutschland Kommunisten und Nationalsozialisten von der Teilnahme am politischen Prozess ausgeschlossen.“
An diesem Satz finde ich zweierlei falsch: Zum Einen steht hier „Deutschland“, gemeint ist aber der westliche Teil, die „Bundesrepublik Deutschland“ genannt wurde. Zum Anderen war die KPD im Westen bis 1956 durchaus tätig, bei der ersten Bundestagswahl 1949 kam sie auf 5,7%.
Bereits vor 1956 hatte sich diese Kommunistische Partei durch interne Streitigkeiten zerlegt; einzelne „kritische“ Kader wurden zudem durch die Stasi aus dem Westen in die DDR gelockt und dort wegen Landesverrat (!!) verurteilt.
Über die Einflussnahme aus der DDR auf die linke Szene im Westen seit Mitte der 50er kann man sehr gut in „Die RAF hat euch lieb“ von Bettina Röhl nachlesen. Es gab praktisch keine linke Gruppe, die nicht von der DDR (- hier per FDJ) und der KPDSU (- per KGB) finenziert und gelenkt wurde. (Das betrifft die ganze Anti-Atom- und Friedensbewegung, ebenfalls die grüne Umweltbewegung.)
Fazit: Eine eigenständige linke, linkssozialistische oder kommunistische Bewegung gab es in Bundesrepublik nicht, sie war extern gesteuert und daher nicht innere Opposition im Sinne des Artikels. Wer sich in seinen politischen Aktivitäten von aussen bezahlen lässt, begeht Landesverrat.
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