Rechtsschwenk Marsch! Warum?

Wenn man glaubt, der Tiefpunkt einer Debatte sei erreicht, dann gibt es meist noch einen, der auch das letzte Halteseil kappt und den Flug in die Hölle antritt.

So einer war – ausgerechnet Herfried Münkler, der am Freitag die allmählich abebbende „Debatte“ um Rolf Peter Sieferles Buch „Finis Germania“ – es war in Wirklichkeit eine unglaublich aggressive Beschimpfung – mit einem an Niedertracht kaum zu überbietenden Tiefschlag neu anheizte.

Herfried Münkler über „Finis Germania“: Ein miserables Buch

Gleich zu Beginn nennt er das Buch als „möglicherweise strafrechtlich relevant“, als „zutiefst von antisemitischen Vorstellungen geprägt“ und glaubt süffisant anmerken zu müssen, daß der Titel auch noch schlechtes Latein sei … als ob ein umfassend Gebildeter wie Sieferle nicht in der Lage gewesen wäre, die Standardformel „Finis Germaniae“ zu finden. In diesem letzten Detail zeigt sich Münklers Herangehensweise: anstatt zu fragen, warum ein Kopf wie Sieferle diesen Titel wählte, warum er so denkt, wird versucht, ihn lächerlich zu machen oder aus der „Kommunikationsgemeinschaft der Vernünftigen“ (Habermas) auszuschließen. Es ergibt sich die Frage, ob Münkler den Gegenstand seiner ehrabschneidenden Kritik überhaupt kennt.

Der Gipfel der Unverschämtheit ist freilich die Insinuation, daß der Text möglicherweise gar nicht oder nicht in dieser Form von Sieferle stamme und niemand sagen könne „was möglicherweise auf Rittergut Schnellroda hinzugefügt worden“ sei.

Zu diesen und den noch folgenden Ungeheuerlichkeiten, Unanständigkeiten, Unaufrichtigkeiten (als hätte Saltzwedel das Buch im „Spiegel“ lobend besprechen können) und Ungereimtheiten sage ich kein Wort; Götz Kubitschek, dem die Botschaft schließlich galt, hat sich dazu in einem Offenen Brief zur Genüge geäußert.

Kubitschek: Offener Brief an Herfried Münkler

Marco Gallina erledigt den Rest: Selbst Hitler hat gewußt, daß es Finis Germaniae heißen muß

Zu einem Gedanken, einer Frage Münklers kann ich freilich eine Kleinigkeit beitragen. Er lautet:

„Nun ist das ein interessantes Phänomen. Sie können das ja an vielen sehen. Leute, die ganz links begonnen haben, sagen wir mal als Redakteur der „Roten Fahne“ oder beim KBW oder was auch immer, die dann in einem Eilmarsch nach ganz rechts marschieren“ – „Das Horst Mahler-Syndrom“ – „Horst Mahler. Aber Sie können das auch in mancher Hinsicht – jedenfalls was die Frage der Identität des deutschen Volkes, also der Ethnoidentität betrifft, bei Leuten wie Safranski oder Sloterdijk sehen. Man kann fast sagen, fast alle diejenigen, die jetzt als Rechtsintellektuelle in dieser Republik auftreten, haben irgendwann ihre intellektuelle Biographie ganz links begonnen und darüber lohnt sich schon mal nachzudenken, in welcher Weise hier möglicherweise entweder sozusagen eine Liebe zum Extrem oder aber mangelnde politische Urteilskraft, Einschätzungsfähigkeit, intellektuelles Abenteurertum, was auch immer, eine Rolle spielt …“

Auch hier ist das meiste schlicht und einfach falsch. Safranski kam tatsächlich aus der maoistischen Ecke und man wird es als großen Emanzipationsschritt werten und nicht bedauern müssen, daß er sich frühzeitig aus diesem Primitivkorsett gelöst hat. Sloterdijk jedoch war in diesem Sinne nie links – das linkeste ist seine frühe Auseinandersetzung mit Foucault und seine kurze Hippiephase, die er geistig wie körperlich intensiv nutzte. Auch bei Sieferle – soweit man erfährt – stimmt das Schema nicht und unter den „neurechten“ Denkern ist diese Biographie eher die Ausnahme unter der älteren Generation (Mahler, Sander).

Der Unsinn beginnt aber dort, wo man Sloterdijk und Safranski überhaupt zu den „Rechtsintellektuellen“ zählt – allein aufgrund der Tatsache, daß sie sich, anders als Münkler, der gleich über „die neuen Deutschen“ schrieb, kritisch zur Einwanderungspolitik äußerten. Usw.

Trotzdem, die Frage ist tatsächlich interessant: Warum bewegen sich viele Intellektuelle von links nach rechts?

Münkler bietet vier Erklärungsmodelle an: eine Liebe zum Extrem, „mangelnde politische Urteilskraft, Einschätzungsfähigkeit, intellektuelles Abenteurertum“– jedes eine Unterstellung.

Schaue ich nun selbst auf meine intellektuelle Vita – ohne mich freilich als Intellektuellen oder Akademiker zu begreifen (ich verdiene damit nichts) und schon gar nicht mit besagten Denkern zu vergleichen –, dann trifft mich diese Frage sehr persönlich!

Auch ich war links (und bin es im Grunde noch immer: ein Freund alter Tage, seinerzeit Derrida-Anhänger und Pfleger im Behindertenheim sagte einst: einmal Marxist, immer Marxist; die Dialektik bekommt man nicht mehr aus dem Kopf, man muß sich vor ihr schützen … bei mir war’s zu spät dafür). Sogar sehr.

In jungen Jahren war ich überzeugtes Mitglied der Partei, wollte den Sozialismus. Von der Perestroika war ich anfangs abgestoßen und lange klammerte ich mich an Gorbatschows Satz, daß Glasnost und Perestroika Leninismus seien.

Zur Wende glaubte ich an die Chance, einen demokratischen Sozialismus aufbauen zu können. Ich kandidierte an der Hochschule für den ersten Sonderparteitag der SED/PDS und hielt in der Aula ein zitatengesättigtes Plädoyer für eine Rückkehr zu den Ideen von Marx, Engels und Lenin, das glücklicherweise nur ein paar Dutzend überzeugte. Meine erste Veröffentlichung war ein doppelseitiger Beitrag im „Neuen Deutschland“ über das späte Verhältnis Lenins zu Stalin und dessen sogenanntes Testament. Meine erste Reise in den Westen trat ich nicht an, um die 100 DM abzukassieren, sondern auf Einladung einer kommunistischen Gruppe irgendwo in Hessen, wo wir über Ruth Fischer und August Thalheimer und den Trotzkismus diskutierten und ich zum ersten Mal fassungslos einen Kopierer sah, der in Nullkommanichts alle wertvollen Texte vervielfältigte: da war ich plötzlich für den Westen gewonnen, ein klein wenig.

Aber dann brach die geistige Öffnung über mich herein. Das Philosophiestudium an einer westlichen Universität ließ alle Dämme brechen. Man mußte keinen Schein mehr ausfüllen, um sich Nietzsche auszuleihen, und Husserl war dann das große Ereignis. Weniger die Phänomenologie als solche, als der Schock, einen durchunddurch ernsthaften, seriösen Denker zu lesen, der sich überhaupt nicht für Marx interessierte, ihn nicht erwähnte, ja ihn vielleicht nicht einmal kannte! Bis dahin hatte ich oft Bücher im Personenverzeichnis aufgeschlagen, um zu sehen, wie oft Marx und Lenin – meine Hausgötter – erwähnt waren.

Vielleicht trifft Münkler hier eine empfindliche Stelle: gab es eine Liebe zum Extrem?

Die neu geöffneten Augen konnten freilich nicht übersehen, daß das politische und wirtschaftliche Konzept des Sozialismus gescheitert war und daß es auf lange Sicht keine reale Möglichkeit gab, es noch einmal zu probieren. Noch war ich Teilnehmer der „Marxistischen Gruppe“ und mit ein bißchen Ehrgeiz hätte ich es vielleicht sogar (wie eines der Mitglieder) in den Landtag nebst 6000 monatlich schaffen können – die PDS gierte nach jungen, neuen Leuten –, aber während wir offiziell noch Marx diskutierten und die Frage, ob man für die Kurden in den bewaffneten Kampf ziehen solle – was ein junges blondes Mädchen bald tat –, las ich im Stillen schon den „Gegner“. Das reichte von der Postmoderne bis zu Heidegger, von Sartre bis zu Meister Eckhart, Eco bis zu Hamsun … es ist müßig all die Namen aufzuzählen. Nur einer noch: Sloterdijk!

Immer deutlicher wurde, daß die Linke den Kontakt zur Realität verloren hatte, daß sie mit leeren eingeübten Phrasen auf existentielle Probleme reagierte. Nur einige Offene unter den Linken, wie Rudolf Bahro, die dann als „Rechte“ ausgesondert wurden, nur einige im Herzen Konservative waren in der Lage, die Situation zu beschreiben. Welt, Natur, Zivilisation, Kultur und, ja, auch das Volk schienen ihrem Ende entgegen zu gehen und sind doch erhaltenswerte Größen; es waren konservative Denker, wie Spengler oder Heidegger, die das beschrieben, es war Klages, der als erster den (nun sichtbaren) Verlust der Natur betrauerte. Neue technische Lösungen oder gesellschaftliche Experimente entpuppten sich als Brandbeschleuniger und nicht als Lösung der Probleme. Nur eine Verlangsamung, Kontrolle, Konservierung schien mir zusehends in der Lage, das Schlimmste zu verhindern oder doch wenigstens zu bremsen.

Und so kommt man von links nach rechts – nicht im Eilmarsch, wie Münkler meint, sondern quälend, schmerzhaft und sehr schleppend. Ob das nun Liebe zum Extrem, mangelnde politische Urteilskraft, Einschätzungsfähigkeit, intellektuelles Abenteurertum ist, mögen andere entscheiden. Ich glaube, es hat mit Vernunft zu tun[1] und ist ein ganz normaler, zwangsläufiger evolutiver Vorgang für jeden unvoreingenommen Kopf, für jedes wieder reingewaschene Hirn. Ich empfinde es als Sorge um das Bestehende. Menschen, die diese Tragik begreifen können, müssen zwangsläufig irgendwann den linken Pfad verlassen und nach rechts schwenken. Rechts ist nicht böse, rechts ist Verantwortung, ist Bewahrung des Bewahrenswerten und Verändern des Veränderungsbedürftigen. Und die bittere Einsicht: man kann die Welt nicht nach Plan besser machen, nur nicht schlechter … ein Massenbeglückungsunternehmen wie die Masseneinwanderung ist ein Riesenschritt auf die Apokalypse zu …

Kaum ein zeitgenössischer Denker hat mehr und gründlicher über Verantwortung geschrieben, als Rolf Peter Sieferle und das im Übrigen seit fast 40 Jahren.

[1] Aber vielleicht ist es einfach nur Biologie oder Hirnphysiologie, die Amygdala, wie Jonathan Haidt beschreibt.

Siehe auch:

Die Sloterdijk-Debatte I

Die Sloterdijk-Debatte II

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