Den Koran lesen

I took up the Bible and began to read, but my head was too much disturbed with the tobacco to bear reading, at least that time; only having opened the book casually, the first words that occur’d to me where these: Call on me in the day of trouble, and I will deliver, and thou shalt glorify me. (Robinson Crusoe)
Ich fummelte wie ein Irrer in dem ganzen Klo rum. Und dabei kriegte ich dann dieses berühmte Buch oder Heft in die Klauen … Leute, das konnte wirklich kein Schwein lesen. Beim besten Willen nicht. (Die neuen Leiden des jungen W.)

Robinson Crusoe, so erzählt uns Daniel Defoe, überlebte 28 Jahre auf einer einsamen Insel und dabei hat ihm – entgegen allen Popularisierungen – vor allem eines geholfen: die Bibel. Der Zufall (oder Gott?) wollte es, daß in einer der angeschwemmten Kisten auch das Buch lag, mit dem der junge Seemann zuvor noch keine Bekanntschaft geschlossen hatte. Im zweiten Jahr, während einer schweren Krankheit und psychischen Anfechtung, schlägt er es nach einem offenbarenden Traum auf und es spricht zu ihm. So, denke ich, muß man ein solches Buch lesen. Ohne Vorwissen, Vorgaben, Voreingenommenheit.

Robinson entdeckt die Bibel ©Wikisource

Robinson entdeckt die Bibel ©Wikisource

Mehr noch. Man muß es lesen wie der junge W. in Ulrich Plenzdorfs Geniestreich. Im Dunkeln einer Gartenanlage sucht er das Plumpsklo, wollte „sich nur verflüssigen“, findet es in letzter Sekunde, als es ihm auch in die Därme fährt, und blind ertappt er ein Buch, reißt nach „der Gedenkminute“ die ersten Seiten heraus, um es später – zu lesen. Weder kannte er den Autor – Goethe – noch den Titel des Werkes – „Die Leiden des jungen Werther“ – und gerade deswegen und nur unter dieser Vorgabe, kann es zu ihm sprechen.

Stellen wir uns also folgendes vor: ein Mensch strandet auf einsamer Insel, ein gebildeter und durchaus lesegewohnter Mensch, und das einzige Buch, das er dort vorfindet, ganz ohne Titelblatt, beginnt mit den Zeilen: „Die Kuh. A.L.M. Dies Buch, daran ist kein Zweifel, ist eine Leitung für die Gottesfürchtigen.“

Noch nie hatte dieser Mensch von Mohammed, Allah oder dem Islam gehört, doch in seiner existentiellen Angst, durch die beängstigende Einsamkeit und die unendlichen Weiten des Ozeans hervorgerufen, beginnt das Buch zu ihm zu reden und er beginnt zu lesen. Er kennt keine Zusammenhänge und er hat auch keine Erwartungen – außer jene, die man an ein gutes Buch eben hat.

Was wird er empfinden? Was wird er denken?

Trotz eisernen Willens wird er das Buch vermutlich bald entnervt in die Ecke schleudern. Lange Passagen erscheinen ihm sinnlos. Immer wieder schweift der Geist ab, weil es dem Text an Konzentration fehlt. Unzählige Wiederholungen der immergleichen Ideen und Phrasen verlangen einen langen Geduldsfaden, die simplizistische, strikt zweiwertige Ja-Nein-Logik stößt ihn ab, Schattierungen, Übergänge, Differenzen scheinen dem Autor, der zudem von sich einmal behauptet, Gott zu sein, andermal die Botschaft von Gott erhalten zu haben, ein weiteres Mal selbst nicht zu wissen, was er da sagt, unbekannt zu sein. Das Buch strotzt vor Widersprüchen. Die Passagen wirken zusammengestückelt wie ein falsch gelegtes Puzzle, das man mit Gewalt passend gemacht hat. Der Verfasser versucht weniger zu überzeugen als Angst einzujagen. Zuckerbrot und Peitsche ist sein Hauptargument, Belohnung oder Strafe mit deutlichem Übergewicht auf letzterem. Unmengen an Ver- und Geboten versäuern die Lektüre: Tut das, tu dies, vor allem: tu das nicht und tu jenes nicht! Alle Menschen werden in Gläubige und Ungläubige unterteilt und wehe denen, die nicht glauben können. Ihnen drohen die schlimmsten Strafen: Tod auf der Erde und ewiges Höllenfeuer im Jenseits. Paradies und Hölle, vor allem aber Hölle in scheinbaren Endlosschleifen. Tod, Krieg, Krieg, Tod, Hölle. Erleichtert stellt er fest, keine Frau zu sein – ihr ist die Hölle schon deswegen nahezu sicher, im Hier und im Hiernach. Ein grausamer Gott, der nach jeder Grausamkeit in Gehirnwäschemanier von sich behauptet, barmherzig und vergebend und allwissend und allmächtig zu sein.

Nach und nach ermüdet der Leseeifer und er muß sich über Wochen und unter äußersten Willensanstrengungen zwingen, das Buch zu Ende zu lesen und sich auch eingestehen, daß er es nur noch überfliegt, auf der vergeblichen Suche nach etwas Neuem.

So in etwa könnte das ablaufen.

Nun haben wir freilich gegenüber diesem naiven Leser den Vorteil, zu wissen, daß es sich um ein Heiliges Buch, ja mehr noch, daß es sich um die letzte und letztmögliche göttliche Offenbarung handelt, deren deutsche Übersetzung nie adäquat sein kann, denn Gott sprach in wunderbarer Poesie und Musikalität Koranarabisch, mit dem sich das deutsche Gekrächze nicht messen kann. Wir streichen sanft über den ornamentalen Rücken und stellen das Buch ehrfürchtig ins Regal zurück, wir achten die religiösen Gefühle von anderthalb Milliarden Menschen. Wir wissen auch, daß es Menschen gibt, deren Herz sich nach der Lektüre des Buches unmittelbar Gott geöffnet hat, die zu devoten Muslimen wurden und wir bewundern deren schnelle Auffassungsgabe, das Buch sofort erkannt zu haben.

Sehr viel Zeit habe ich mir genommen, mußte ich mir nehmen, das Buch zu lesen und ich empfehle es hiermit sehr gern weiter. Ich empfehle es sogar dringend, sehr dringend! Es könnte auch Ihre Rettung sein.

PS: Ich empfehle allerdings nicht, es auf dem Klo zu lesen, besonders wenn Sie Freunde muslimischen Glaubens haben, denn nach Meinung vieler Muslime und der Fatwa Nr. 6915 des Ständigen Komitees für Rechtsfragen ist es verboten, Kopien des Heiligen Koran oder irgendetwas mit dem Namen „Allah“ aufs Klo mitzunehmen.

Dort ist Goethe besser geeignet.

Ein Gedanke zu “Den Koran lesen

  1. Pérégrinateur schreibt:

    Mir ist die Lektüre nicht gelungen. Zusammengenäht von einem verrückten Kürschner, ist das Werk wohl nur leidlich verständlich, wennman sich ein halbes Jahr mit einschlägiger Sekundärliteratur herumschlägt, nur um sich am Ende dann zu fragen, was man jetzt wohl wegen welcher Beeinflussung darüber denkt und ob wirklich mit Grund. Da lese ich doch lieber Gides Verliese des Vatikans zum zehnten Male – mehr Seligkeit in allenfalls einem Tag erworben und dies für Wochen als dort in Monaten für die Ewigkeit. Für ein Urteil über Koranverzückte hat allerdings meine Probelektüre ausgereicht; ich teile anscheinend das einiger Arabisten aus meinem Bekanntenkreis, die den Text kritisch gelesen haben und vom Inhalt selbst nicht verzückt waren; zuviel qatal.

    Mein Urteil ist wohl recht forsch; aber seit ich über das Alter hinaus bin, in dem man noch wähnt, man könne alles irgendwie Wichtige lesen, beschneide ich mein Leseprogramm konsequent durch Vorfiltern. In ähnlicher Weise traue ich mir ein ausreichendes über Traktätchenliteratur zu oder über sonstige von eifersüchtigen Göttern offenbarte heilige Texte mit dem Donner der Verdammnis und dem Honigseim des ewigen Lebens.

    “They were all contrived in spite,
    To torment us, not delight;
    But to scold and scratch and bite,
    And not one of them proves right, […]”

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