Die letzten Helden

Some people think football is a matter of life and death. I assure you, it’s much more serious than that. Bill Shankly

In einer wertentkernten Welt wird die identitätsstiftende und geschichtstragende Rolle des männlichen Helden, die seit Jahrtausenden im mythologischen Zentrum der Großzivilisationen lag, nach außen verlagert und medial an Männer vergeben, die es zu überragender und beeindruckender Meisterschaft im Werfen oder Treten von Bällen geschafft haben.

Einst hießen sie Achilles oder Hektor, Siegfried oder Hagen und waren Krieger, später hießen sie Jeanne d’Arc oder Napoleon und führten Heere, es folgten Gandhi, Mandela oder Martin Luther King, Helden des Leides, Antihelden, die die alten Helden auf sinnlos gewordenen Schlachtplätzen verbluten ließen, wiederum gefolgt von den Helden der Arbeit oder der Wissenschaft …

Und heute heißen die Helden Beckham, Rooney, Messi und Ronaldo. Mehr oder weniger durchgestylte, komplettvermarktete eindimensionale Menschen und Fachidioten. Ihr Fach: der Sport, ein Sport.

Aber der alte Held, die Siegfrieds und Hagens, sind nicht ausgestorben. Sie leben durch die Jahrtausende weiter, sie sind nur unsichtbar geworden, führen nur ein Randdasein, ihre Wut wurde sublimiert in vollkommen neue Rituale. Und manchmal – dem Terrorismus sei Dank – kommen sie ans Licht. Auf beiden Seiten.

So war der Mann, der sich Anfang Mai in Manchester für seinen Glauben in die Luft sprengte ein Fan von Manchester United. Mich, als Manchester City-Fan (ein Klub, dessen offizielles Motto superbia in proelia[1] lautet, dessen inoffizielles das durch und durch quijoteske „typical City“ ist), konnte das nicht überraschen – niemand soll sagen: Hat alles nix mit nix zu tun.

So trug einer der Londoner Attentäter –  Khuram Shazad Butt –, der sich von der Polizei hat durchsieben lassen, ein Arsenal-T-Shirt.

(Vor vielen Jahren sagte ich zu einem Freund, als wir die Islamisierung diskutierten: Die sind keine Gefahr. Sie werden von Coca Cola und McDonalds besiegt werden. Sobald sie ein Barcelona-Trikot tragen, sind sie infiltriert und stehen auf der Seite des Westens … – das war ein großer Irrtum!)

Man hat immer wieder versucht, uns die Londoner (oder Mancunians oder Pariser …), die Gestrandeten eine Übernachtung anboten oder die ihr Bierglas durch das Gemetzel retteten oder die einfach nur normal taten, als Helden zu verkaufen. Aber das ist Fake News, nichts daran ist wert, erwähnt zu werden.

Ein wirklicher Held ist Roy Larner. (Solche Helden gibt es auch in Deutschland, aber sie werden hier lieber verschwiegen, denn die Anerkennung ihres Heldentums bedeutete die Anerkennung des Problems.) Er kämpfte mit bloßen Händen gegen ebenjenen Arsenal-Terroristen und ging mit dem Schlachtruf „Fuck you, I’m Millwall“ in den Kampf. Acht Messerstiche sind seine „red badges of courage“.

Dazu muß man wissen, daß Millwall eine der gefürchtetsten „firms“ Englands war, hoch organisierte Hooligantruppen, die über viele Jahre das Bild des englischen Fußballs bestimmten. Und im Osten Londons, wo Millwall – einst ein großer Klub –, West Ham und Tottenham sich ein Revier teilen, haben sich die bizarrsten Subkulturen herausgebildet, die noch immer existieren, aber von den Medien kaum noch beachtet werden. Diese damals jungen Männer wurden auf Kampf gedrillt – Roy dürfte, seinem Aussehen nach zu urteilen, gut 30 Jahre Kampferfahrung haben. Ohne Angst, ohne Schmerzempfinden und ohne Rücksicht haben sie alles mit bloßen Händen bekämpft, was sich ihnen in den Weg stellte, mit Uniform oder ohne, mit Fußballschal oder ohne, mit Erkennungszeichen oder ohne. Der Islamismus versorgt sie mit einem neuen Feindbild.

Es ist nicht auszuschließen, daß Roy, mit der typischen englischen Hooliganvisage – man erkennt diese Typen, wenn man ein Auge dafür entwickelt hat, auf drei Meilen – eher vom Arsenal-Shirt als vom 3-inch-knive getriggert wurde, aber er hat den Kampf nicht gescheut. Er hat damit aller Politik der letzten Jahrzehnte widersprochen, er hat sein Revier, er hat seine Heimat verteidigt und dabei sein Leben riskiert. Fußballultras wissen noch, was ein Territorium ist und was eine Grenze und wie Übertritt bestraft wird.

So fremd mir diese Menschen persönlich sind – ich hatte mal eine zweistündige Diskussion mit so einem, Paul, Birmingham City … davon vielleicht später mal –, so schnell ich selber die Straßenseite wechsle, wenn ich sie sehe, man muß sie in mancherlei Hinsicht sympathisch finden. Ihr bißchen Fußballverstand, das meiste davon oft schon weggesoffen, ist weise genug, die einfachsten und natürlichsten Gedankengänge zu fassen, die einem Großteil der „Intelligenz“ längst unverständlich geworden sind.

Unter dieser Perspektive erscheint auch der arg skandalisierte Marsch der Dresdener Fans in Karlsruhe – in den späten 80ern bin ich selbst in gelb und schwarz durch die DDR gereist („selige Zeiten, brüchige Welt“) – in neuem Licht. Es hat freilich ebenso mit den Idiosynkrasien Dynamos als auch Dresdens, dem Klub, der Stadt und dem Osten zu tun, wie mit dem Fußball.

Es dürfte kein Zufall sein, daß die 2000 Fans sich just eine Woche nach dem Beginn der selbstzerstörerischen Demontage der Bundeswehr durch ihre oberste Dienstherrin – ein Witz in sich, denn gerade die Idee des „Dienens“ versteht diese Politikerriege nicht mehr[2] – in Camouflage-Uniformen versammeln, von einem Militärtrabi angeführt – daraus spricht ein großartiger Sinn für Witz, Schlagfertigkeit und Ironie – im Gleichschritt und mit Trommelklang zum Stadion ziehen, um dort eine grandiose, noch nie zuvor gesehene Choreographie abzuziehen, die an Humor und Originalität kaum zu übertreffen ist. Selbst die Pyrotechnik war in Tarnfarben.

Dahinter steckt nicht nur eine tiefe Aussage, sondern auch ein enormes logistisches Talent und eine ganze Wertetafel, denn ohne Disziplin, Ordnung, Verzicht, Dienst, Unterordnung, Gehorsam, Drill und Phantasie ist eine solche Aktion undenkbar.

Die deutschen Medien haben das Ereignis komplett mißverstanden und es reflexartig sofort in die alte (nicht mehr) bewährte Schublade geschoben: Nazis!

Eine Kultur, die die Buntheit als Idee feiert, die die Verrücktheit, Originalität und Subtilität verabsolutiert, erkennt das künstlerisch bedeutsamste Ereignis und Happening nicht mehr.

Wir waren – in London und in Karlsruhe und sicher auch bald anderswo – Zeugen der letzten Heldenparaden. Sie sind keine Siegfriede oder Hagens mehr … aber sie gehören zum  Heldenhaftesten, was unsere Welt noch hervorbringen kann. Sie werden bereit sein, wenn es gilt.


Kommando zurück! Gerade lese ich folgende unglaubliche Geschichte: Gareth Southgate, Manager der englischen Nationalmannschaft, verdonnerte seine Jungs – alles Fußballmillionäre – als Vorbereitung für die entscheidenden Spiele gegen Schottland und Frankreich (die Erzfeinde Schottland und Frankreich – das ist besonders delikat!), zu einigen Übungstagen bei den Royal Marines, einer Eliteeinheit – inklusive Marsch, Übernachtung im Freien und, wie man sieht, einigen Härtetests:

Da bleibt einem die Luft weg! Southgate, der Trainer und eines der Kampfschweine der alten englischen Schule, geht mit gutem Beispiel voran und läßt sich in die Mangel nehmen. Impressed!

Es fallen beeindruckende Sätze von ihm: „These guys represent Queen and country, and we do the same – but the consequences of failure for the Royal Marines are far higher. That gives us a good context and comparison.“ Und: „We’ve seen their standards and the pride they have in their identity and the green beret, which is a powerful message for us to link with the Three Lions. We’ve got to be brave in terms of how we play and what we do.“

Kleines Gedankenspiel: Was würde geschehen, wenn Nivea-Werbeträger Jogi Löw seine Truppe zum Spezialeinsatz schickte, wenn die Spieler in Camouflage-Uniform zu sehen wären, und wie würden Mezut Özil oder Shkodran Mustafi darauf reagieren und würde der Name Boateng wieder eine Rolle spielen? …

[1] proud in battle
[2] Sie hat damit gegen das Grundgesetz des Fußballtrainings verstoßen: never ever criticise your own team, your own players in public!

 siehe auch:

West Ham

Die große Fußballmetapher

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