Wehrdienst, Treue, Liebe, Triebe

Ungarische Rock-Kultur III

Das hier ist dritte Liga und dennoch ein paar Worte wert. Zum einen, weil wir von einer Künstlerin sprechen – Ica Bìró, alias Metal Lady – zum anderen, weil sie in diesem Lied ein Thema besingt, daß viele DDR-Bürger aus eigener Erfahrung kennen. Sie besingt es auf einfache Weise und mit einer Stimme, die künstlerisch wenig hergibt. Sie ist wohl die einzige ungarische Rock- und Heavy-Metal-Sängerin, die es überhaupt zu einem gewissen Ruhm gebracht hat. Im Land ist sie ansonsten nur als frühe Aerobic-Ikone und als Skandalnudel bekannt, der es später schwer fiel, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Heute wirken die Gymnastikvideos, die bewußt den Sex-Appeal einsetzen, nahezu lächerlich, sie verraten aber viel über die Zeit.

Es versteckt sich also noch eine dritte Frage in diesem Clip. Warum ist der Heavy Metal weitgehend eine Männerdomäne? Als er aufkam, war er es fast ausschließlich – ich entsinne mich wohl der Abscheu, die von weiblicher Seite meist kam. Heute sieht man auf Konzerten immerhin jede Menge Partnerinnen und auch Kinder, noch immer deutlich unterrepräsentiert.

Die harte Musik spricht vornehmlich Männer an. Sie wird auch fast nur von Männern gemacht. Auf eine Diskussion lasse ich mich hier nicht ein, irgendjemand wird mir jetzt von Nightwish, Evanescence, Doro oder von Arch Enemy oder anderen Sängerinnen erzählen, mir geht es aber um die Gründerzeit und um die Menge. Das Geschäft ist männlich, der Markt ist männlich und die Massen sind männlich dominiert. Warum?

Zwei Gründe liegen auf der Hand. Bühnenseitig verlangt die Musik Kraft, Energie, Wut und Aggression, sie verlangt Testosteron. Es ist wie beim Frauenfußball – es gibt nach langen Jahren lächerlicher Performance mittlerweile gute Mannschaften, deren Spiel man im Kontext ansehen kann, aber im Vergleich mit Männermannschaften müßten diese gnadenlos untergehen. Die Ausnahmen bestätigen hier die Regeln.

Diejenigen Damen, die es auf die Bühne geschafft haben – das darf man nicht vergessen – profitieren in den meisten Fällen auch von ihrer Optik, die sie zudem gut in Szene setzten. Frauen haben im Durchschnitt einfach nicht die Physis, den Körper, die Ausdauer, das Volumen, den Schweiß, die genuine Aggression …, den diese Musik erfordert. Keine reine Frauenband hat es je in die erste Riege geschafft.

Publikumsseitig wiederum entspricht der Sound ebenfalls eher der harten männlichen Persona, dem Mann an sich, dem Spieler und Krieger, dem Eroberer und Kämpfer. Der Heavy Metal fungiert als Triebabfuhr und Einübung des Zorns zugleich. Er ist eine thymotische Kunst, ganz sicher als Performance, spricht aber dennoch tief eingelagerte menschliche, vornehmlich männliche Bedürfnisse an. Daß viele Männer dem dennoch nicht folgen können, liegt oft an ihrer Sozialisierung und an der mangelnden Kenntnis, die geheimen Tore aufzuschließen – wie bei jeder unverstandenen Kunst.

Frauen wie die Metal Lady sind als Pioniere, frühe primitive Feministen, Bergleute, Autoschlosser oder Elektroniker auf der Bühne – daß sie noch immer die Minderheit bilden, zeigt, wie sehr ihr Kampf gegen die Natur ist. Dieser Kampf ist freilich im Individuellen legitim und schätzenswert.

Selbst der Text des Songs bestätigt diese Thesen: die Dame spricht darin ein genuin männliches Thema an, zwar aus weiblicher Sicht, aber diese bleibt sekundär. Sie thematisiert das Leid der verlassenen Frau – im Gegensatz zu Kárpátias „Feldpost“ allerdings aus einer Luxusposition heraus. Ihr Freund, Geliebter, Partner wurde zum Militär eingezogen, nun ist sie allein, das „Bett ist leer“. Ursache der Sehnsucht ist die reine Männerwelt. Der Soldat hingegen leidet mehrfach. Er hat nicht nur die Trennung zu überstehen, sondern auch die Härten, Entbehrungen und Erniedrigungen des Militärdienstes. Für sie hat sich nur eine Komponente geändert, für ihn alles: neue Menschen, neuen Rhythmen, neue Regeln, neue Gesetze, alles neu. Zu alldem kommt die Ferne von Liebe und Heimat.

Jeder gediente ostdeutsche Mann kann das nachempfinden. In Ungarn galt bis in die 70er Jahre hinein eine zweijährige Militärpflicht, ab dann eine anderthalbjährige. In der DDR galten die 18 Monate als Grundwehrpflicht, viele junge Männer wählten einen dreijährigen Dienst – die Gründe waren höchst unterschiedlich und reichten von ideologischer Verblendung über Opportunismus bis hin zu Angst. Der Dienst konnte vom 18. bis zum 26. Lebensjahr erfolgen. Die besten Jahre im Leben eines jeden Menschen. Geist und Körper ächzen nach Liebe. Wie viele schwuren Treue und ahnten nicht, was es bedeutet, wochen- und monatelang allein zu sein und den geliebten Menschen auch dann nur für wenige Stunden zu haben, von denen die ersten oft fremd waren, denn unterschiedliche Lebenswelten, unteilbare Erfahrungen verändern die Menschen.

Auch die Metal Lady verspricht das Warten und doch steckt eine stille Drohung in ihren Worten: „mein Bett ist leer“ und: „ich halte es nicht länger aus“. Wir alle haben diese Erfahrung gemacht und sie bei anderen gesehen: gerade dann, wenn man die Partnerin am meisten brauchte, hielt sie es nicht mehr länger aus.

Die Jugend in den sozialistischen Ländern konnte mit diesem Text unmittelbar etwas anfangen, so sprach dieses an sich recht primitive Lied ein wahres Verlangen von hunderttausenden jungen Menschen aus.

Kicsi Katona – Kleiner Soldat

Emlékszem nyáron még hosszú volt a hajad,
de elvettek tőlem, hívott a parancs.
Várhatok rád, hogy mikor jöhetsz már haza.
Múlnak a napok és egyedül vagyok,
örülök, ha tőled levelet kapok.
Az ágyam olyan üres, mikor jöhetsz már haza?

Ich entsinne mich, im Sommer trugst du noch lange Haare,
aber sie nahmen dich von mir, so lautete der Befehl.
Ich kann auf dich warten, bis du nach Hause kommst.
Die Tage vergehen und ich bin allein,
ich freue mich, wenn ich einen Brief von dir bekomme.
Mein Bett ist so leer, wann kannst du nach Hause kommen?

Amíg parancsra élsz, amíg nem velem élsz,
amíg hozzám nem érsz, addig várok én.
Kicsi katonám, gyere haza már!
Várok nagyon rád, már nem bírom tovább.
Kicsi katonám, gyere haza már!
Várok nagyon rád, már nem bírom tovább.

Solange du auf Befehl lebst, solange du nicht mit mir lebst,
solange du nicht zu mir kommst, solange warte ich.
Mein kleiner Soldat, komm endlich nach Haus!
Ich warte sehr auf dich, ich halte es nicht länger aus.
Mein kleiner Soldat, komm endlich nach Haus!
Ich warte sehr auf dich, ich halte es nicht länger aus.

Hajnali kelés, megy a menetelés,
hosszú a centid, az örömöd kevés.
Mindennap várod, hogy mikor jöhetsz már haza.
Múlnak a napok és egyedül vagyok,
örülök, ha tőled levelet kapok.
Az ágyam olyan üres, mikor jöhetsz már haza?

Im Morgengrauen aufstehen, es beginnt der Marsch,
lang ist dein Maßband, kurz deine Freude.
Jeden Tag warte ich, wann du nach Hause kommen kannst.
Die Tage vergehen und ich bin allein,
ich freue mich, wenn ich einen Brief von dir bekomme.
Mein Bett ist so leer, wann kannst du nach Hause kommen?

siehe auch: Ein altes Soldatenlied

Ungarische Rock-Kultur

Ungarn in Rock

3 Gedanken zu “Wehrdienst, Treue, Liebe, Triebe

  1. Nordlicht schreibt:

    Heavy Metal war nie mein Ding, es war keine Studenten-Musik. Und ich war Mitte der 70er auch schon zu alt – ab 1973 verheiratet mit Kind, das passte nicht. Stones, Led Zeppelin und ELO sowie Queen markierten die Härte-Grenze. Meine Gefühlslage ab 1968 sprachen Leonard Cohen und Joni Mitchell an.

    Aber ich kann die Begeisterung für diesen Musik-Typus verstehen, bis hin zu Rammstein.- Und Wacken finde ich als Schleswig-Holsteiner einfach cool.

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  2. Otto schreibt:

    „Er ist eine thymotische Kunst, ganz sicher als Performance, spricht aber dennoch tief eingelagerte menschliche, vornehmlich männliche Bedürfnisse an.“ thymotisch – war es notwendig? Den Thymos dahinter erkenn ich noch, aber hätte „lebenskräftig, vitalisierend“ nicht auch gereicht. Das „dennoch“ wird nicht deutlich. Wieso dennoch?

    Interessant das Thema, der Kelch Armeedienst ist wunderbarerweise an mir vorbeigegangen. Unweigerlich hätte er tödlich geendet. Aber auch Heavy Metall berührt mich in keiner Weise. Wacken – eine Unmöglichkeit – ein vormenschlicher Atavismus.

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  3. Fuzzer schreibt:

    Daß viele Männer dem dennoch nicht folgen können, liegt oft an ihrer Sozialisierung und an der mangelnden Kenntnis, die geheimen Tore aufzuschließen

    Na. Ja. Die Aussage eines Fans, würde ich sagen :-). Das ‚oft‘ rettet es noch geradeso ins Objektive.

    Ich konnte mit klassischem Heavy Metal nie etwas anfangen. Die genuine Aggression z.B. kam gerade nicht so bei mir an, sondern eher wie eine Travestie. Die Musik selbst, einfach Krach…

    Das gesagt, Nightwish höre ich ganz gern, was explizit an der Brechung durch die Sängerin liegt und eine Kombination schafft, die sie auch dominiert. Ganz seltenes akzeptiertes Beispiel gegen meine generelle Einstellung zu einer solchen Konstellation. Und manchmal gibt es natürlich doch Ebenen, die man nicht erkennt („wie bei jeder unverstandenen Kunst“). Wagner – für mich ursprünglich auch nur viel Blech – hat mir einer meiner wenigen Freunde, ein sehr guter klassischer Orchestermusiker, einmal am lebenden Objekt auseinandergenommen. Dann hört sich das anders an. Gilt als weiteres Beispiel auch für Rammstein.

    Die Richtung Heavy Metal als Stil/Genre bleibt allerdings in meiner o.g. Schublade.

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