Silvesterböller verbieten?

Man gilt schnell als elitär, will man „dem Volk“ vorschreiben, was es zu tun oder zu lassen habe. Auch die Grünen leiden unter dieser Anklage – sie fordern ein Böllerverbot zu Silvester. Nun, nicht alles, was von den Grünen kommt, ist deshalb schon verkehrt. Die Forderung hat gute Gründe für sich.

Man kann sich sogar auf Schopenhauer berufen, wenn man gegen den allgegenwärtigen Lärm argumentieren möchte. Der hatte immerhin noch die Chuzpe, willentliche Lärmverursachung umgekehrt proportional zur Intelligenz wahrzunehmen: „Allerdings gibt es Leute, ja, recht viele, die hierüber lächeln; weil sie unempfindlich gegen Geräusch sind: es sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind.“ Oder weiter: „Ich hege wirklich längst die Meinung, dass die Quantität Lärm, die jeder unbeschwert vertragen kann, in umgekehrtem Verhältnis zu seinen Geisteskräften steht!“ Weiterlesen

Hans im Glück

Endlich mal wieder etwas ohne Verwertungsabsicht lesen, das war die Idee, als ich erneut zu Henrik Pontoppidans „Lykke Per“ griff, zum dritten Mal im Leben, zum zweiten Mal auf Dänisch, die anderen Lektüren liegen 15, 16 Jahre zurück. Und selbst wenn man diesen gigantischen Roman in aller Kürze besprechen will, steht man vor schier unlösbaren Aufgaben, denn an Fülle der Gedanken und an Größe der Konstruktion kann man ihn mit den großen Werken Dostojewskis, Tolstois oder Thomas Manns etc. vergleichen. Weiterlesen

Das sprachliche Negativ

All unsere Aufmerksamkeit gilt den bewußten Tätigkeiten. Das, was wir tun, was wir denken, was wir beabsichtigen. Der Fokus liegt auf der Präsenz. So erscheint unser Alltag in einer Kontinuität, die er nicht hat, schaut man sich – wie in der Photographie – sein Negativ an. Weiterlesen

Erhört Eure Gebete!

Wahrscheinlich muß man hin und wieder, vor allem die Jüngeren, daran erinnern, daß Weihnachten „was mit Jesus zu tun hat“. Wer dieser Jesus freilich war, liegt offenbar im Auge des Betrachters. Eine interessante – ich sage nicht: korrekte – Sicht auf diese Fundamentalgestalt hatten Hans Kirk und Henri Barbusse, die heute kaum noch jemand kennt.

Allerorten wird Barbusse als der Autor von „Das Feuer“ erwähnt, vielleicht auch noch seine politische Tätigkeit – er war Kommunist und straffer Stalinist -, aber daß der ursächlich vom Symbolismus herkommende Autor sich ein Leben lang mit der Gestalt des Religionsgründers befaßte, ist weitgehend vergessen.

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Führers Autobahn

Meine Weihnachtslektüre

Vermutlich lag es am Schutzumschlag, der von einer Grafik von Olaf Gulbrannson geschmückt wird, weshalb dieses Buch in meinem Regal landete. Gulbrannson hatte auch Hamsun oder Gudmundsson gestaltet – alles sehr positive Leseerlebnisse. Zufällig zog ich es vor ein paar Tagen heraus, um zu schauen, womit wir es hier zu tun haben. Wilhelm Utermann, der Autor, war mir kein Begriff. Interessanter schon die Widmung: „Ein kleiner Weihnachtsgruß 1940 von Deinem Horst“. Bei dem Beschenkten scheint es sich um einen Götz gehandelt zu haben – so lautet zumindest ein Namenseintrag. Vielleicht läßt der Ton der Widmung auf einen Jugendlichen schließen? Gut denkbar dann, daß er fünf Jahre später nicht mehr gelebt hat oder zumindest ein anderer Mensch geworden sein dürfte. Weiterlesen

Zwei ewige Lebensweisheiten

Im letzten halben Jahr habe ich viel Albert Wass gelesen. Romane, Novellen, Autobiographisches, Briefe, dazu auch Sekundärliteratur, biographische und literaturwissenschaftliche. Entgegen meiner Gewohnheit habe ich fast keine Anstreichungen oder Notizen gemacht, einfach nur gelesen, genossen, aufgesaugt, wirken lassen, ich wollte ein Gefühl für diesen Autor entwickeln, wollte mich einfühlen, eindenken, wollte ein inneres Urteil finden. Denn nach der Lektüre der ersten beiden Romane stand der Verdacht im Raum, daß wir es mit einem ganz Großen zu tun haben, einem vergessenen Genie, der häufig zu lesenden Ansicht gegenüber, daß Wass literarisch bedeutungslos und ohnehin ein Nationalist und dergleichen sei. Weiterlesen

Traue keinem Politiker

Das ist die Lehre aus der Wahl in Dänemark. Sie ist nicht neu und sie wird sich noch viele Male wiederholen, aber mit der gestrigen Bekanntgabe der neuen Regierungskoalition in Marienborg wurde ihr ein besonders instruktives Kapitel beigefügt. Denn alle drei Koalitionäre haben den Spruch bestätigt. Weiterlesen

Precht/Welzer – Die Vierte Gewalt

Precht und Welzer versuchen, einem mysteriösen Phänomen auf die Spur zu kommen und Abhilfe zu schaffen: der Selbstgleichschaltung und Kritikresistenz der Hauptmedien. Diese reagierten auf allen Kanälen fast unisono mit Leugnung, Verriß, Häme und Wut – eine bessere Bestätigung der These konnten sie kaum liefern. Daß dem so ist, weiß jeder, der nicht die Mainstream-Meinung in puncto Migration, Corona oder Ukraine-Krieg vertritt. Die Kritiker aber wollen Evidenz, Statistiken, Studien; Precht und Welzer bieten hingegen viel anekdotische Evidenz und gefühlte Eindrücke. So machen sie sich in einer wichtigen Sache angreifbar – die Relevanz ihrer Überlegungen wird davon nicht tangiert. Die eigentliche Schwäche ihrer Argumentation ist bisher – in den Hauptmedien – allerdings noch nicht ausgesprochen worden. Weiterlesen

Radikalisierter Konservatismus

Gegneranalyse V

Das Buch ist ein Skandal! Bisher hielt ich Natascha Strobl für eine der intelligenteren in der Phalanx der „Rechtsextremismusexpert:innen“ – warum nur? Weil sie eine Frau im Männergeschäft ist? Weil sie so nett lächeln kann? Oder ist es ihr Wiener Akzent? Nein, ich weiß es: ihr Buch mit dem gewichtigen Titel erschien in der Suhrkamp Edition. Weiterlesen

Über die Freundschaft

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LIX

Über die Freundschaft

Es gibt keine menschliche Beziehung, die ergreifender, tiefer wäre als die Freundschaft. Bei den Verliebten, ja selbst in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern gibt es so viel Egoismus und Eitelkeit! Nur der Freund ist nicht egoistisch; sonst ist er kein Freund. Nur der Freund ist nicht eitel, denn er will dem Freund nur Gutes und Schönes, nicht für sich selbst. Weiterlesen

Homosexualität, Macht und Krankheit

Fortsetzung von Homosexualität und Sexualität

Sex ist und war ein Machtinstrument. Michel Foucault, der selbst homosexuell war und ein frühes AIDS-Opfer wurde, hat in seinem tiefsinnigen Monumentalwerk „Sexualität und Wahrheit“ die verworrenen und verwobenen Fäden dieser Beziehung aufzeigen können. Zuvor hatte bereits Simone de Beauvoir mit ihrem „Das andere Geschlecht“ das männlich dominierte Bild der Frau offen gelegt. Männer haben demnach in patriarchalischen Gesellschaften m Weiterlesen

Homosexualität und Sexualität

Fortsetzung von: Homosexualität und Evolution

Liebe ist ein Konstrukt und die romantische Liebe ein Produkt der Aufklärung. Diese Aussagen sind so falsch wie richtig. Richtig ist, daß das Verständnis von Liebe kulturell-historisch konnotiert ist. Falsch ist, Liebe und Sexualität apodiktisch zu trennen. Sie bedingen sich zwar nicht gegenseitig – man kann lieben, ohne sexuell zu verkehren, und man kann verkehren, ohne zu lieben –, aber sie umkreisen einander doch. Die Liebe könnte ein evolutionärer „Trick“ sein, die Sexualität zu steuern, d.h. sie hat sich als fortpflanzungsgünstig durchgesetzt. Damit wäre sie ein „Plädoyer“ für die relative Treue in der Sexualität der Menschen. Weiterlesen

Homosexualität und Evolution

Fortsetzung von: Homosexualität und Verantwortung

Zwei Prämissen.

Es gibt ein weit verbreitetes Mißverständnis über die Evolution, vermutlich ist die unglückliche Formulierung „survival of the fittest“ dafür mitverantwortlich. Es äußert sich in Wozu-Fragen oder etwa in der Konstruktion: Was will die Evolution/Natur damit? Selbst weltberühmte Wissenschaftler treten in diese Falle – zuletzt hörte ich einen nach dem evolutionären Sinn von vererbbaren Geisteskrankheiten fragen. Weiterlesen

Homosexualität und Verantwortung

Unsere Eigenliebe verträgt Kritik an unseren Neigungen weniger als Kritik an unseren Überzeugungen. (La Rochefoucauld)

Also ich habe nichts gegen Schwule, aber …

Ja, das ist ein heikles Thema, es geistert mir seit einigen Wochen im Kopf umher, Kim de’l Horizons „Blutbuch“ hat nun den Ausschlag gegeben, es dennoch zu wagen. Das Thema ist komplex – wir werden ohne an sich unzulässige, aber auch unvermeidbare Vereinfachung zu keinen wertenden Aussagen kommen. Objektiv. Ich behandle zudem „aus dem Bauch heraus“, ohne längere Auseinandersetzung mit Forschung und Literatur, quasi am inneren Stammtisch. Wenn ich Unsinn erzähle, dann weise man bitte darauf hin – gesittet!

Ursächliche Auslöser waren zwei längere Beiträge in der „Berliner Zeitung“. Im ersten wird ein junger und offensichtlich vielseitig begabter Künstler vorgestellt, der zudem als Gigolo arbeitete, also als Prostituierter einer höheren Klasse, der darauf besteht, kein „Straßenstricher“ zu sein, und der gern Pornos dreht – „Ficken und Blasen“, „Pisse geht leider (sic!) nicht“. Seine Partner sind Männer. Weiterlesen

Toxische Menschen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LVII

Über den Neid

Es gibt unheilbar verletzte Menschen, die sind so tief von Gier, Eitelkeit und Neid zerfressen, daß es keinerlei Möglichkeit gibt, sich ihrer kranken Seele zu nähern und sie zu besänftigen. Weiterlesen

Die tiefe Ordnung der Aufgaben

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LVIII

Über die Ordnung der Bewegungen

Achte darauf, daß du nichts überstürzt und in deiner Arbeit, deinem Gesellschaftsleben, ja, in deinen tagtäglichen Handlungen die strenge Folgerichtigkeit der Tatsachen und Umstände befolgst. Weiterlesen

Irrtum und Lüge

Mir scheint, ein recht sicheres Indiz dafür, einen „Verschwörungstheoretiker“ zu erkennen, ist sein Wortgebrauch. Das läßt sich wohl eher charakterlich, mit der Veranlagung, der persönlichen Disposition erklären, denn ich sehe keinen stringenten inneren Grund, weshalb das so sein müßte, und ich argumentiere hier eher individual-empirisch.

Die Erfahrung lehrt, daß man in diesen Kreisen sehr oft, nahezu inflationär das Wort „Lüge“ – am besten mit Ausrufezeichen! – gebraucht, wo es die Vokabel „Irrtum“ vermutlich auch getan hätte. Mich macht dieser harte Vorwurf sofort stutzig. Weiterlesen