Die 100 000-Euro-Banane

Als Anfang Mai ein Galeriebesucher eine an die Wand geklebte Banane verspeiste, da ward zum einen die Welt erschüttert, zum anderen fiel ein Sack Reis in China um. Die Südfrucht war konstitutiver Bestandteil eines Kunstwerkes, einer sogenannten Installation, der man einen Wert von 110000 Euro zugesprochen hatte. Der Materialwert bestand aus zwei Streifen Bauklebeband und eben jener Banane. Die Schöpfungszeit darf man selbst bei einem Menschen mit zwei linken Händen in Sekunden messen.

Man könnte über die Aktion ganze Bücher schreiben, denn die Vielzahl der Bedeutungsschichten wird schnell unübersichtlich, wenn man etwa die Motive des Besuchers in die Rechnung einspeist. War er wirklich nur hungrig, hatte er das Kunst-Werk nicht als solches erkannt, wollte er selbst eine Performance vollführen, war es ein Akt der Rebellion, der Subversion und des Widerstandes, vielleicht auch nur Dummheit …?

In jedem Falle aber wirft die Aktion die Frage nach der Kunst auf. Man kann an ihrer Entwicklung sehr wohl den Zustand der Welt begreifen. Die Kunst war und ist schon immer eine Parallelgeschichte zur Geschichte der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse. An ihr kann man wunderbar die politische und gesellschaftliche Kinetik exemplifizieren. Sie entstand, wie alles in der Geschichte der Menschheit, aus der ewigen Wiederkehr des Gleichen, einer über Jahrtausende dauernden Wiederholung bestimmter Handgriffe, die dann in Kunstfertigkeit übergingen, wenn durch eine Mischung aus Übung und individueller Begabung Virtuosen entstanden, ob nun beim Steine-Beschlagen, Feuer-Entfachen, Pfeile- Schnitzen, Bogenschießen … Kunst wurden die Gegenstände in dem Moment, wo ihnen ein Surplus an Nutzlosem beigefügt wurde. Die Zickzacklinie im Tongefäß ist erstmal zu nichts gut, später mag sie symbolische Funktionen – etwa der Distinktion zu Zugehörigkeit – erlangt haben.

Das Handwerk war das konstitutive Element des Kunstwerkes und das blieb es über den allergrößten Zeitraum der Kunstgeschichte. Aber mit der historischen Akzeleration nahm auch das Kunsthandwerk Fahrt auf. Die Kunstperioden wurden immer kürzer, mit der sich selbst beschleunigenden technischen Entwicklung – eine Neuentdeckung ist die Voraussetzung der kommenden – bekamen auch die Künstler neue Mittel in die Hand, neue Weltbilder, neue Wahrnehmungsweisen, neue Phantasien. Mit der Säkularisation war in Europa das Darzustellende immer weniger an die mythischen und biblischen Motive gebunden, der Mensch rückte in den Fokus und wurde sich selbst zum Problem, die Kunst übernahm nun selbst das Lenkrad, wurde schneller als die Gesellschaft und trieb diese immer weiter in die Beschleunigung. Vielleicht war die Renaissance der Kipp- und zugleich Höhepunkt. Nie stand der Kunstkomet höher am Firmament, sein langer heller Schweif brachte noch bis in die industrielle Revolution, bis in die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zahlreiche Meisterwerke ans Licht.

Im Jahre der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ stellte dann Marcel Duchamp sein „Fountain“ aus, ein auf die Rückseite gestelltes Urinal und erklärte dies zur Kunst. Indem eine Öffentlichkeit dies anerkannte und die Ignorierung ausschloß, hatte sie den Kreis geschlossen: Kunst- und Handwerk haben sich wieder getrennt. Zwei Jahre zuvor hatte Malevich mit seinem „Schwarzen Quadrat“ die Botschaft bereits angedeutet: die Kunst hat alles, was zu zeigen und zu hören war, präsentiert, Dadaismus, Surrealismus, Bauhaus, Zwölftontechnik …, all diese Entgrenzungen traten in den Jahren um das Jahr 1917 auf: politische Revolution und artistischer Umsturz gingen Hand in Hand, auch wenn die jeweiligen Protagonisten mitunter Antipoden waren. Die Rede vom Leben nach der Geschichte kann erst ab da verstanden werden. Zwar gab es Widerstände und Wellen – der Nationalsozialismus kann in seiner Anfangs- und Tiefendimension als solcher verstanden werden; daß er so viele Intellektuelle anzog und einsog kann man nur vor diesem Hintergrund und nicht vor seinen Atrozitäten verstehen –, gab es Rückwärtsbewegungen, aber als diese krachend gescheitert waren, nahmen die sich selbst ernannten Avantgarden die losen Fäden wieder auf.

Als Joseph Beuys den fatalen Satz sprach „Jeder Mensch ist ein Künstler“, da war der Geist auch für den letzten Dorftrottel aus der Flasche. Ein Scheuerlappen, eine Badewanne konnte nun Kunst sein, obgleich sie kategorial schon längst nichts mehr dem Pissoir zufügten. Wer einen Pinsel halten konnte, hatte plötzlich das Zeug in sich, ein Künstler zu sein. Es brauchte nur jemanden, der dies als Kunst identifiziert und anerkennt. War der erste „Schöpfungsakt“ noch als Kunst, wenigstens aber als Ereignis anzuerkennen, so begann mit den wiederholenden Variationen und Entgrenzungen der Eintritt in die schier ewig fortsetzbare Beliebigkeit.

Aber Menschen sind Übungswesen und so konnte es nicht ausbleiben, daß einige wenige sogar in der Herstellung von Insignifikanz, Beliebigkeit und Unsinn exzellierten und tatsächlich aus dem scheinbaren Nichts große, geheimnisvolle Kunst schufen, etwas, das nur sie erschaffen konnten und niemand sonst. Für sie galt tatsächlich, was Beuys gefordert hatte, nämlich jedes Werk als individuelles Kunstwerk zu betrachten. Abstrahiert man jedoch von der Ästhetik, so blieb das gigantische moralische Problem der Gleichheit, das logische Paradox des „Alles“. Wenn alles etwas ist, dann ist nichts etwas. Wenn alles Kunst sein kann, dann ist nichts mehr Kunst, dann fehlen uns die Begriffe zur Distinktion. Und wenn jeder Künstler sein kann, dann fehlt uns die Möglichkeit, selbst dem letzten Stümper dieses Attribut abzusprechen, ohne „diskriminierend“ zu sein.

Immerhin wird uns damit das eigentliche Geheimnis der Kunst verraten. Es ist wie mit allen nichtsubstantiellen Werten, wie mit allem, was man nicht essen oder nutzen kann: Geld, Werte, Titel und dergleichen. Ihre Existenz beruht auf der Illusionsbereitschaft der Menschen: Der Schein buntes Papier ist nur dann als Tauschäquivalent etwas wert, wenn alle Tauschpartner sich einreden lassen, daß er etwas wert sei. Auch die Hyperinflation gehört chronologisch in jene Schicksalsjahre der Revolutions- und Kriegsfolgen. Spätestens seit Bretton Woods wurde das Geld zum reinen Phantasieprodukt – freilich lebt auch Gold in seiner nichtindustriellen Bedeutung von der Einbildungskraft seiner Besitzer. Finanzkrisen entstehen immer dann, wenn das Vertrauen in den Selbstbetrug schwindet, wenn wir alle sehen, was das naive Kind am Kaiser sieht. Marx brachte das auf die Formel: „Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.“

Der Unterschied zwischen der Kunst des alten und des neuen Typus ist tatsächlich die Einmaligkeit, aber nicht im Sinne Beuys, daß alles, was ist, einmalig zu sein hat, sondern im umgekehrten Sinne: wahre Kunst ist das, was nur einer schaffen kann und kein anderer. Kunst kommt tatsächlich – auch etymologisch – von Können und Können kommt von Kommen, von Vervollkommen, also von Üben.

Die umstürzende Tat des südkoreanischen Studenten, der die 100000-Euro-Banane dreist verspeist hat, liegt nun in der Aufkündigung des Illusionszwanges im Angesicht des Beliebigen. Das ist ein riskanter Akt, der an diesem Objekt nützlich sein kann, den man befürworten und vielleicht sogar nachmachen sollte, doch muß man sich auch der Gefahr solcher Aktionen bewußt werden, die, wenn sie in die falschen Hände – das sind die Hände Jedermanns – kommen, fatale Folgen haben können. Wenn wir uns tatsächlich die Schleier von den Augen reißen, dann besteht die Gefahr, daß alles verschwindet, auf dem unsere Existenz gegründet ist.

4 Gedanken zu “Die 100 000-Euro-Banane

  1. drk schreibt:

    Man sagt, dass die Kunst das Spiegelbild unserer Kultur sei. Das ist aber falsch, denn es ist nicht das Kunstwerk selbst der Spiegel, sondern das Faktum, dass wir das Objekt und seine Genese zum Kunstwerk erklären.

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  2. Ulrich Sckaer schreibt:

    Der hungrige Kunstkritiker hätte zumindest ein modifiziertes Zitat in die entstandene Leerstelle schreiben können: „Ich bin keine Banane.“

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  3. Nevem van schreibt:

    „Kunst ist, was ich an die Wand hänge“, soll ein mir Unbekannter gesagt haben. Eine „bildende Künstlerin“ kenne ich jedoch persönlich, die einsichtig sagt: „Talent würde mich bloß hindern, produktiv zu sein“.

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  4. Pérégrinateur schreibt:

    Unsere Existenz gründet nicht auf ungegessenen Bananen, sondern allenfalls auf gegessenen. Die Sinnsysteme der modernen Künste gehen ohnehin den meisten Menschen am Allerwertesten vorbei. Zugegeben, die conspicuous nonsense-consumers und spießigen Nichtspießer werden einen Augenblick stutzen, dann aber bald wieder unter Anleitung kundiger Vernissagenplauderer und deren valorisierender Bedeutsamkeits-Irrereden ein anderes Objekt für ihre Superioritätsdemonstration finden.

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