Schach i s t rassistisch

Die Rassismus-Hysterie treibt immer neue Blüten. Nun diskutiert man in Australien, ob Schach nicht rassistisch sei, denn stets ziehe Weiß zuerst.

So absurd es klingt, aber der Gedanke enthält eine tiefe Wahrheit, von der die Aktivisten freilich nichts ahnen. Die Schachszene ist so rassistisch wie die klassische Musik. Farbige, nein, schwarze Spieler sind deutlich unterrepräsentiert – das weiß jeder, der schon einmal an einem Turnier teilgenommen oder in einem Klub gespielt hat. Asiatische Spieler dürften hingegen überrepräsentiert sein …

Wird die Farbe ausgelost, dürften sich die meisten Spieler auch über das weiße Los freuen, denn es verleiht einen geringen, aber spürbaren Vorteil eines Halbzuges. Auch die Statistiken geben dem Weiß-Spieler eine 55% Gewinnchance in einem ansonsten sehr egalitären Spiel. Weiß greift an, Schwarz verteidigt – zumindest in der Eröffnung.

Aber ist das Spiel an sich rassistisch? Natürlich, denn es teilt die Welt in Weiß und Schwarz und die Figuren symbolisieren schließlich Menschen, also kämpfen Weiße gegen Schwarze. Das sind aber nicht Europäer gegen Afrikaner, sondern Prinzipien.

Für die Farbverteilung gibt es wohl zwei Gründe. Der erste ist pragmatisch, die Sichtbarkeit – man kann ihn hier fast ausklammern. Man könnte auch mit grünen gegen rote oder blauen gegen gelbe Figuren spielen, allein die Optik wäre beeinträchtigt, die Unterscheidung fiele schwerer, die Klarheit der Linien, Reihen und Diagonalen wäre gestört und darauf kommt es schließlich an.

Die Kategorie der Sichtbarkeit führt uns ins Grundlegendere. Spiele im Allgemeinen und das Schach im Besonderen haben einen symbolischen Wert. Sie stellen etwas dar, geben etwas wieder, man kann sie zumindest derart interpretieren und hat dies auch immer getan.

Daher ist anzunehmen, daß weder das Weiß-Schwarz-Schema, noch die „Weiß-beginnt“-Regel zufällig entstanden sind. Tatsächlich wäre das Spiel ohne jegliche Einbuße auch andersherum spielbar. Aber im Weißen und im Schwarzen – heutzutage sind viele Figuren eigentlich braun, also besser: im Hellen und im Dunklen – verbergen sich Urphänomene, die unendlich tief in unserer Natur verwurzelt sind.

Ihr eigentlicher Grund ist das Sein des Lebens als Lichtphänomen: wir sind Lichtwesen, (fast) alles irdische Leben ist Lichtwesen. „Wir“ hängen seit den frühen photosynthetischen Einzellern (vor 3 Mrd. Jahren), seit den Pflanzen, seit der Sauerstoff zur Lebensquelle wurde, vom Sonnenlicht ab. Das Licht war stets die verborgene Botschaft des Lebens, sie wurde mit jeder neuen Generation weitergetragen und sie ruht auch in uns.

Das Licht aber ist weiß, sein Gegenteil, die Dunkelheit ist schwarz. Wenn das rassistisch ist, dann ist die Welt, der Kosmos und auch das Schachspiel rassistisch. Man hätte es anders nennen können, das Weiße hätte auch „schwarz“ genannt werden können, aber am Phänomen ändert sich dadurch nichts.

In allen Kulturen, zu allen Zeiten, an allen Orten, in fast allen Mythen steht die Sonne, das Licht, am Anfang der Schöpfung – davor war: Nichts.

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (1. Mose 1)

Wir begrüßen den Tag, wenn die Sonne aufgeht. Wir sagen: Die Nacht folgt dem Tag und nicht umgekehrt, der Begriff der Apokalypse oder der der Aufklärung enthält eine Lichtmetapher, man ist erleuchtet, wenn man etwas verstanden hat … Immer und überall ist das Helle das Primäre.

Von der genetischen Botschaft abgesehen, hat sich dies auch durch jahrmillionenlange Erfahrung in unser Stammhirn-Bewußtsein eingegraben. Weil wir Augen- also Lichtwesen und also auf Distanz ausgelegt sind. Wir leben in einer „Augen-Ontologie“ (Sloterdijk). Das Auge gibt uns den Vorteil, uns orientieren, Gefahren vermeiden zu können. Daher die natürliche Angst vor der Dunkelheit, in der wir nichts sehen können, die jedes Kind schon spürt. Das Dunkel ist seit jeher mit Gefahr assoziiert. In ihm kann sich der Feind ungesehen anschleichen oder das wilde Tier oder der Dämon …

Daher wirkt ein hell gekleideter Mensch in der Dunkelheit weniger beängstigend als ein dunkler gekleideter, denn wer für seine eigene Sichtbarkeit sorgt, von dem können wir ausgehen, daß er nichts Schlimmes gegen uns im Schilde führt. Hell sein heißt in diesen Kontexten, eine sichernde Distanz wahren.

Die Angst vorm schwarzen Mann ist anthropologisch tief in uns verankert, vorerst unabhängig davon, ob die Schwärze der Hautfarbe oder der Kleidung geschuldet ist. Das Dunkle steht seit eh und je für das Böse und das Gefährliche – in dieser Absicht kann der Spiegel Götz Kubitschek „den dunklen Ritter“ nennen –, das Helle für das Offene, Wärmende, Gute und Sichere.

Übrigens oft sogar unter dunkelhäutigen Völkern. So sollen die indigenen Völker Mittelamerikas ihrem eigenen Mythos zum Opfer gefallen sein, der von der Wiederkehr weißer Götter sprach und den Cortés und seine Mannen ausnutzen konnten. Ob das eine Legende ist oder nicht – daß die Götter hell sein werden, daß ist hochgradig wahrscheinlich. Auch unser Jesus-Bild wird davon noch immer bestimmt, obgleich der gute Mann ganz sicher kein blonder Weißer war. Immerhin fällt es uns schwer, uns ihn anders als in weiße Tücher gehüllt und auratisch strahlend vorzustellen. Das Himmelreich ordnen wir den weißen Wolken zu, die Hölle einem dunklen Abgrund.

Der Wahrheitsgehalt der Legenden läßt sich aus den Erfahrungen ekstatischer Zustände schließen, sofern diese als glückhaft erlebt werden. Geglückte Trancen sind gewöhnlich Reisen ins Licht und noch der einfältige Epileptiker Fürst Myschkin sprach davon, daß „sein Gehirn plötzlich aufloderte und Geist und Herz von einem ungewöhnlichen Licht erhellt wurden“. Licht ist Leben, Licht ist Glück, Licht ist Wärme – diese Botschaften sind in unserem Stammhirn gespeichert, keine Rassismus-Debatte wird sie auch nur erreichen[1].

Schwarz hingegen ist der Tod, von dem wir im Schlaf eine vage Ahnung bekommen. Schwarz ist das Nichts, ist der Hades, der Abgrund, die Angst. Die Angst vor dem Schwarzen ist viel viel älter als alle Begriffe und Theorien und Konstrukte.

Das Schachspiel nun wurde seit jeher als Todesmetapher gelesen, aber eben auch als Metapher des Ringens dieser beiden Prinzipien, die sich zwar ausgleichen, die jedoch – instinktiv verwurzelt -, verschiedene Welten symbolisieren. Das Schach ist eine Emanation des ewigen Ying-Yang-Prinzips. Daß es sich trotz seines östlichen Herkommens  vor allem im Westen durchsetzen konnte, liegt an seiner inneren agonalen Dynamik, die dem abendländischen Denken, unserem kulturellen Manichäismus, entspricht. Insofern ist es rassistisch – so rassistisch wie das Sein selbst.

Ingmar Bergmann: „Das siebente Siegel“ (1957)

[1] Siehe dazu: Christof Kessler: Glücksgefühle: Wie Glück im Gehirn entsteht und andere erstaunliche Erkenntnisse der Hirnforschung. München 2017
Es ist eine Ironie der Evolution, daß sie vernunftbegabte Wesen in heller und dunkler Hautvariante hervorbrachte, die zugleich ein Hirn in sich tragen, daß die Helligkeit als befreiend, die Dunkelheit aber als beängstigend empfindet. Diese Tatsache wird man nicht ändern können. Was man ändern kann, sind die Zuschreibungen, sofern sie sich auf Menschen beziehen. Es ist eine weitere Ironie der Evolution, daß sie Attraktionsregeln zum des sich Ähnlichen geschaffen hat, weshalb historisch gesehen die meisten Menschen schwarzer Hautfarbe sich seit eh und je zu ihresgleichen hingezogen gefühlt haben – so, wie alle anderen auch. Die Forderung Habecks, „Rassismus aktiv zu verlernen“, gleicht in dieser Hinsicht dem Versuch, gegen die Gesetze der Evolution vorzugehen – sofern man unter Rassismus die Aufhebung der Differenzen zwischen den phänotypischen Erscheinungen des Menschen und seine Lernfähigkeit als genotypische Eigenschaft versteht.

siehe auch: Weiß und Schwarz

Ein Gedanke zu “Schach i s t rassistisch

  1. Das Bohren mikromillimeter dünner Bretter scheint hier zum Prinzip zu werden. Wieso soll es eine Ironie der Evolution sein, dass Menschen sich dem Licht zuwenden, weil sie wissen, dass es ihr Überleben sichert und dass sie zugleich dunkle Hautfarbe entwickeln, weil das bei internsiver Sonneneinstrahlung nun einmal ein guter Schutzmechanismus ist? Wo ist da die Ironie? Die kann man doch nur sehen, wenn man meint, Dinge seien „gesetzt“. Sind sie nicht, alles ist immer nur Adaption in einem selektiven Prozess. Deshalb gibt es auch nicht die angebliche Anziehungskraft des Ähnlichen. Tatsächlich ist es eher so, dass (unterbewusst) Prozesse bei der Partnerwahl ablaufen, die ein antagonistisches Immunsystem bevorzugen, um wiederum einen selektiven Vorteil für den Nachwuchs zu erzielen. Die Hautfarbe spielt nicht wirklich eine Rolle. Und beim Schach muss mir jemand mal erklären, welche grüne, rote, blaue Holz in der Frühzeit des Spiels geeignet gewesen wäre, Figuren zu schnitzen, die leicht zu unterscheiden waren. Alles Weitere ist mythologisierender Überbau, der der Rechtfertigung von Thesen dient, die erst in die Welt kamen, nachdem alles schon da und geschehen war. Aber Wissenschaft ist halt komplex und kompliziert, Vereinfachung beliebt seit eh und je, weil so bequem und billig.

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