Mehr deutsche Messerstecher!

Tragödie in Tirpersdorf – das ist zwei Wanderstunden vom Heimatort entfernt, ein Kaff in den Bergen. Alle großen Zeitungen haben berichtet: Focus, Spiegel, Welt, FAZ, SZ, alle. Hätte es nicht das islamistische Attentat auf Michael Stürzenberger gegeben, in dem ein afghanischer Migrant wild um sich stechend sechs Menschen schwer verletzt und einen davon getötet hat, der Dreifachmord von Tirpersdorf würde vielleicht noch größere Wellen geschlagen haben. Ein junger Mann – hier ist es ein Deutscher, ein Sachse, ein Vogtländer, ein Tirpersdorfer – erschlug mit der Axt die eigene Mutter und die Großeltern. Familiendrama. Der Stoff, aus dem die Legenden gestrickt sind – seit der Antike.

Gleich höre ich im Umfeld aufgeregte Stimmen: Ja, darüber berichten sie groß und breit, aber über die circa 60 Messerangriffe pro Tag – Tendenz rapide steigend – darüber wird nur sehr selten berichtet und nur dann, wenn es sich gar nicht vermeiden läßt. Und warum? Wegen des Phänotyps der allermeisten Täter …

Das ist nicht ganz zu Ende gedacht. Die Wahrheit ist: Davon bräuchten wir mehr! Mehr von der Art Tirpersdorf, mehr deutsche Täter, echte Vogtländer, Franken, Friesen, Rheinländer, Schwaben …  Natürlich nicht absolut, sondern relativ. Denn solche Meldungen haben – bei all ihrer Tragik – auch eine wichtige positive Funktion: sie schweißen zusammen!

Wenn nämlich stimmt, was Peter Sloterdijk erkannte, daß Nationen weniger „Begründungs- und Herkunftsgemeinschaften“, sondern „Erregungsgemeinschaften“ sind, die sich „durch Synchron-Streß in Form halten“, die „von Grund auf hysteroide Gebilde sind“, die man als „Hörgemeinschaften“ oder „gemeinhörige Kollektive“ verstehen sollte, von „umfassenden psycho-akustischen Inszenierungen“ getragen, wo „Zusammenwachsen kann, was sich zusammen hört, was sich zusammen liest, was sich zusammen fernsieht, was sich zusammen informiert und aufregt“, dann braucht es zum einen Ereignisse mit Empörungspotential und relativ gleichgeartete Empfänger, sensibel genug, diese Nachrichten in sich zum Schwingen zu bringen.

Eine medienwirksame Suchaktion nach einem vermißten Kind oder ein Kampf um Leben und Tod vor dem versammelten Volk, ein gesammeltes Bangen – sowas eint. Liebesmassaker, Eifersuchtsdramen, verzweifelte Amokläufer mit deutschen Tätern und deutschen Opfern, aber auch Grubenunglücke, Hochwasser, einstürzende Neubauten … alles, was man sich an Schrecklichem denken kann, aber unter nur einer Bedingung: es muß auf unserem Mist gewachsen sein, es muß sich aus unserer Geschichte, unserer Mentalität, unserer Psychopathologie, unseren Ressentiments, unseren Sorgen und Ängsten ergeben. Dann taugt es zur gemeinsamen Streßerzeugung, zur nationalen und volklichen oder auch stämmischen, regionalen Erregung. Dann schweißt es zusammen.

Die heutige Situation ist doppelt unbefriedigend. Sie ist durch ein Übermaß an Verbrechen gekennzeichnet und es sind oft die falschen Täter, Leute, die nicht unserer Geschichte entstammen, die aus ganz fremden Zusammenhängen hereingeholt, uns übergestülpt wurden und sich nun wie freie Radikale im nahezu luftleeren Raum hektisch bewegen und oft zwar zufällig, letztlich aber statistisch zwangsläufig mit anderen Körpern – eigenen und ebenso fremden – gewaltsam zusammenstoßen.

Schon deshalb kann diese Form der Untat kaum einigende Effekte erzeugen – außer: die gegen uns –, aber auch, weil sie auf eine gespaltene Gesellschaft treffen und diese weiter spalten: in jene, die den Gesamtprozeß bejahen und die Kollisionen als akzeptable, am besten noch zu relativierende oder selbstbeschuldigende Ereignisse bewerten, und in die anderen, die sich eine Welt vor dem Masseneinbruch des anderen herbeiwünschen und daher auf jeden dieser Fälle äußerst allergisch reagieren.

Zudem zeigt sich, daß Sloterdijks Analyse aus den 90er Jahren – so originell sie nach wie vor auch sein mag – zum Teil doch überaltert ist: „Die modernen Massenmedien produzieren unmittelbar die modernen Nationalpopulationen und Nationalimperien in eben dem Maß, wie es ihnen gelingt, diese politischen Großkörper als thematische Erregungsgemeinschaften ins Dasein zu rufen.“

Das sind noch Vorstellungen aus Zeiten, als man gemeinsam am Fernseher saß und Tagesschau, Länderspiel, Überschwemmung oder Terror schaute, in der die Idee des Amphitheaters, des großen, einigenden Runds, noch halbwegs stimmig war. Die Fragmentierung der Medien ist damals noch kaum absehbar gewesen; daß jeder abends vor einem anderen Erregungsprogramm sitzt, manchmal nur mit ein paar Einzelindividuen zusammen, manchmal mit ein paar tausend, aber immer seltener in großer Millionenzahl. Allein die Zahl der Plattformen, auf denen „man“ sich heutzutage herumtreibt, übersteigt alles damals Vorstellbare. In der Regel schaut man, hört man sich heute zur konsequenten Selbstbestätigung. Wenn es eine Gemeinsamkeit in der Erregung gibt, dann ist es die Überzeugung von der Idiotie, der Blindheit, Verbohrtheit der jeweils anderen.  

Der Vorteil der Taten à la Tirpersdorf ist ihre unmittelbare Einfühlungsmöglichkeit und zwar in Opfer und Täter. Wir verstehen die Menschen aus unserem eigenen Kontext bis hin ins Extreme, wir haben alle geliebt und gehaßt, beschimpft und Beschimpfungen erfahren, in der selben Sprache geflucht, nach den selben Werten gehandelt, uns auf die selbe Vorzeit berufen …, und dort, wo uns die Tat psychisch unbegreiflich bleibt, dort hat sie noch immer ein wohliges Element des Grauens und des Grusels erzeugt – und auch das konnten wir mit dem Nächsten teilen.

Man erreicht das in erster Linie – und nur so ist es hier gemeint, nicht Wunsch oder Verherrlichung –, indem man den relativen Anteil heimischer Taten erhöht und das wiederum, indem man den Anteil fremder Taten senkt, soll heißen: durch deutliche Verminderung der Migrantenzahl, all jener also, die hier nichts zu suchen haben.  

Den Motivlagen der Fremden stehen wir oft verständnislos gegenüber, wir spüren, daß die Begriffe, die wir dafür verwenden, die Sache nicht wirklich fassen und so hapert es oft sogar mit der Einfühlung ins Opfer, selbst wenn dieses eines von uns ist, aus unserem historischen Zusammenhang stammt. Diese Taten spalten das bereits Gespaltene noch einmal und das auf vielen verschiedenen Ebenen.

Quelle: Peter Sloterdijk: Der starke Grund zusammen zu sein. Erinnerungen an die Erfindung des Volkes. Frankfurt 1998

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