Sloterdijks Judenwitz

Ein Fachblatt des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller deutet den baldigen Durchbruch an der Front der medikamentösen Judäophobie-Therapie an. Man entwickelt soeben ein Produkt unter dem Projekttitel Allojudeosanbinitrat, das bei über 80 Prozent der Probanden zu einer deutlichen Milderung von Erscheinungsformen des Neuropathisch-Kompulsiven Hebräophoben Syndroms (NCHS) führte.

Freilich wurden auch Fälle von Neuroleptika-typischen invertierten Reaktionen beobachtet, bei denen es zu Symptomverstärkungen kam. Namentlich verwandelten sich einzelne Patienten unter höheren Dosierungen in glühende Netanjahu-Anhänger. Im Team der Forschenden (bis vor dem Inkrafttreten der Sprachpolizeiregeln: der „Forscher“) ist noch keine Einigkeit in der Frage erzielt worden, ob man die Untersuchungen abbrechen oder auf die Marktzulassung des Produkts hinarbeiten soll.

Aus: Peter Sloterdijk: Zeilen und Tage III. Frankfurt 2023, S. 489f. Eintrag vom 13. 8. 2016

2 Gedanken zu “Sloterdijks Judenwitz

  1. Pérégrinateur schreibt:

    Man bemerkt an seiner Verwechslung schmerzlich die unzureichende naturwissenschaftliche Bildung Sloterdijks. Der Wirkstoff ist nämlich kein Binitrat, sondern ein Bikarbonat. Die Vermarktung ist völlig ausgeschlossen, denn bei seiner Metabolisierung entstünde im Verdauungstrakt freies CO₂, das dann als Rülpser oder Furz abginge und nach zuverlässigen Modellrechnungen des PIK die Klimaerwärmung um 0,511713 bis 0,511729° K erhöhen würde.

    Inzwischen denkt man, wie sie vielleicht schon gelegentlich bemerkt haben, in manchen Weltverbesserungskreisen eher daran, den Antisemitismus durch Judeo-Capture zu beseitigen. Es gab dazu in letzter Zeit erfolgreiche Ansätze in einem vorderasiatischen Ländchen. Es wäre doch erfreulich, wenn neben dem stromlosen Fernseher, der piezoelektrischen Stromversorgung durch Fußgängertritte, beide auf eher materiell-technischem Feld, auch noch die Bekämpfung des bekanntlich allein in Europa vorkommenden Antisemitismus auf dem sozialtechnischen durch Entwicklungen der bisher wissenschaftlich so sehr diskriminierten Dritten Welt befördert würde.

    Man muss sich natürlich Gedanken über eine angemessene Weiterverwendung unserer eigenen, auf diesem Felde tätiger Sozialwissenschaftler in den Universitäten und den ONGs machen, denn diese Talente darf man doch nicht brachliegen lassen. Insbesondere darf, wenn wir an die weiteren Befruchtungen auf dem sozialwissenschaftlichen Feld denken, die Kritische Theorie keineswegs durch die Critical-Whiteness-Theorie verdrängt werden.

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