Hans im Glück

Endlich mal wieder etwas ohne Verwertungsabsicht lesen, das war die Idee, als ich erneut zu Henrik Pontoppidans „Lykke Per“ griff, zum dritten Mal im Leben, zum zweiten Mal auf Dänisch, die anderen Lektüren liegen 15, 16 Jahre zurück. Und selbst wenn man diesen gigantischen Roman in aller Kürze besprechen will, steht man vor schier unlösbaren Aufgaben, denn an Fülle der Gedanken und an Größe der Konstruktion kann man ihn mit den großen Werken Dostojewskis, Tolstois oder Thomas Manns etc. vergleichen.

Hinzu kommt, daß Pontoppidan ihn als Mittelstück einer Trilogie verstanden hatte – wofür er 1917 den Nobelpreis bekam –, man ihn also in das Gefüge „Det forjættede Land“ (1898 – „Das gelobte Land“) und „De Dødes Rige“ (1917 – „Das Reich der Toten“) einordnen müßte. Trilogie sind sie insofern, als sie uns drei moderne Menschentypen vorstellen, in aller Breite, mit all ihren Widersprüchen, die man bis heute und vielleicht noch mehr als zu des Dichters Zeiten antreffen kann. Darin zeigt sich sein tiefes an Schopenhauer, Nietzsche und Georg Brandes geschultes psychologisches Genie.

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Im ersten Großroman wird uns der Eiferer und Weltverbesserer vorgestellt und im letzten die neue Generation jener Menschen, die Sloterdijk als „Bastarde“ kenntlich gemacht hat. Im mittleren und gemeinhin als bedeutendsten Roman Pontoppidans wenn nicht der gesamten dänischen Nationalliteratur angesehenen, begegnet uns nun der unstete Mensch, voller Versprechen und potentieller Begabungen, der es aber nie zu einer tatsächlichen Leistung schafft, immer nur Ideen, Pläne, gesellschaftsumstürzende Phantasien hat, aber nicht die Kraft aufbringt, irgendetwas davon zu verwirklichen. Stattdessen versucht er andere zu instrumentalisieren, vornehmlich Frauen und davon stürzt er gleich eine ganze Reihe ins Elend.

Elend ist es aber nur vordergründig, denn auch wenn er seine Partnerinnen enttäuscht – das sind im Übrigen ganz großartig gezeichnete Frauengestalten, sowohl die reiche Jüdin Jacobe als auch die einfache Pfarrerstochter Inger – und sie allein zurück läßt, so begreifen beide doch die Chance im Verlust ihrer großen Liebe und bauen sich erst danach ein eigenständiges Leben auf. So ist Per Sidenius – der Nachnahme gehört einem alten Pfaffengeschlecht – gleich doppelt der Hans im Glück: Er macht seine Frauen glücklich, indem er sie ins Unglück stürzt, sie von sich befreit, und er verspielt – ganz im Sinne des Grimmschen Märchens – immer wieder seine Gaben und tauscht sie durch kleinere aus und findet immerhin als Mittelloser und Gescheiterter so eine Art Erlösung.

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Die theologische Kategorie ist nicht zu hoch angesetzt, liegt doch hinter allen Konflikten und auch hinter seiner Ziellosigkeit das lange Ringen mit und um Gott. Hinter den typisch dänischen Fragen, ob das Christentum Grundtvigs, Kierkegaards oder das der Inneren Mission oder letztlich gar der Atheismus der rechte Weg sei, kann man die großen Fragen des Lebens und des Glaubens erahnen. Pontoppidan entwirft uns hier einen Gegen-Hiob, der in Verlust und Qual und über komplizierte Wege den Glauben an den Nichtglauben erringt. Es gehört zu Pontoppidans Größe, diese Fragen tief zu diskutieren, aber apodiktische Antworten zu vermeiden. Das ist einer von vielen Gründen, weshalb dieses Meisterwerk bis heute in Dänemark lebhaft gelesen und diskutiert wird.

Ernst Bloch zählte es zu den „Grundbüchern der Weltliteratur“ und Lukács sah in diesem „großen Roman“ den einzigen des 19. Jahrhunderts, der „die Seelenstruktur zentral nimmt und in Bewegung und Entwicklung darzustellen versuchte“.  Leider ist das Buch – wie überhaupt das Werk Pontoppidans – in Deutschland trotz dieser Referenzen noch immer so gut wie unbekannt. Buchausgaben aus den 20er und den DDR-Jahren sind nur noch schwer zu bekommen, aber im Projekt Gutenberg kann man alle drei lesen. Wer Dänisch versteht, dem empfehle ich zudem die Komplettlesung von Dan Schlosser.

Mehr will ich dazu gar nicht sagen – ich müßte es ein viertes Mal lesen, um der Sprachlosigkeit zu entkommen.

Henrik Pontoppidan: Lykke Per. Gyldendal København 1937. 2 Bind
Henrik Pontoppidan: Hans im Glück. Insel Leipzig 1919. 2 Bände

Siehe dazu:

Das Reich der Toten
Die schrecklichen Kinder
Stoisch gehen
Das große Schlachten
Raptus

 

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