Albert Wass’ größte Romane – „Gebt mir meine Berge zurück” und „Die Hexe von Funtinel” gehören zur Weisheitsliteratur, in der ewige Wahrheiten mit großer Selbstverständlichkeit und in ganz einfachen Worten vorgetragen werden. Die große Kunst dabei ist es, nicht ins Triviale abzurutschen. Wass gehört neben einigen Skandinaviern – allen voran natürlich Hamsun – zu den Meistern dieses Metiers.
Auch zum Krieg können wir Wesentliches lesen. „Gebt mir meine Berge zurück” ist überhaupt ganz wesentlich ein Kriegs- oder Antikriegsbuch. Der Held und Ich-Erzähler erleidet unvorstellbares Leid, aber er ist auch Ungar und liebt seine siebenbürgische Heimat. Deshalb kommt es ihm gar nicht in den Sinn, sein Heimatland nicht gegen die Russen zu verteidigen. Daß er und seine Kameraden dabei Spielball der großen Politik sind, wird ihm nur allmählich bewußt.
Nach einem langen und aussichtslosen Stellungskampf gelingt ihm verletzt die Flucht. In einem Lazarett, unter freiem Himmel, wird er von einem Sanitätshauptmann einer Gewissensprüfung unterzogen. Der Hauptmann hält den Krieg für verloren und vor allem für falsch, gerade aus ungarischer nationaler Sicht, denn in ihm werden ungarische Männer verheizt, die ihrem Land dadurch verloren gehen. Beide Männer vertreten das nationale Interesse, aber beide kommen zu ganz gegensätzlichen Schlüssen. Es entspinnt sich der folgende Dialog, dessen Kernfrage noch immer – und gerade jetzt – aktuell ist. Dem Soldaten kommt der Gedanke der Aufgabe absurd vor, er will weiterkämpfen, sobald er wieder gesundet:
Der Hauptmann seufzte.
– Das sagt ihr alle. Störrisch wie die Kinder. Aber wißt ihr denn nicht, daß dieser Krieg schon verloren war, als er begann? Das wißt ihr nicht?
– Schon damals? – ich stöhnte erschrocken auf und beeilte mich etwas zu sagen, denn ich spürte, daß die Wörter in mir brannten.
– Wieso schon damals?
– Weil Bosheit hinter den Waffen war. Nicht hinter deiner Waffe, so meine ich das nicht. Nicht hinter den Waffen der Soldaten, sondern weiter hinten. Ganz hinten. Von wo aus der Krieg losgegangen ist. Dort gab es die Bosheit, Ungerechtigkeit, Haß und Rache. Und wo solche Dinge hinter den Waffen stecken, dort können die Waffen nicht gewinnen. Das hättet ihr vorher wissen sollen …
Der Mond beleuchtete die Lichtung. Überall lagen stumm die Körper, wie die Toten. Nur der Hauptmann saß dort neben mir und sein Kopf zeichnete sich gegen den Sternenhimmel ab.
– Ich weiß, was du sagen willst – fuhr er fort, als ob er die in mir kämpfenden Gedanken erraten hätte –: ob wohl auf der anderen Seite hinter den Waffen nur Reinheit, Wahrheit und Liebe stünden? Nun, nein. Auch dort gibt es nur Bosheit, Ungerechtigkeit, Haß und Rache. Vielleicht sogar noch mehr Haß und noch mehr Ungerechtigkeit. Das können wir erst am Ende wissen. Es gibt jedoch im Krieg ein Gesetz, das so lautet: Die sauberen Waffen gewinnen über die schmutzigen Waffen. Wenn jedoch unter den Waffen keine sauberen sind, dann wird immer die größere Bosheit und der größere Haß gewinnen. Die Reinheit und Sanftmut der Heiligen besiegt die wilden Tiere, zumindest wird es so gelehrt, aber wenn zwei wilde Tiere einander bekämpfen, dann ist das wildere Tier immer das Triumphierende. Wenn zwei Barbaren gegeneinander Krieg führen, gewinnt der barbarischere. So lehrt es die Geschichte. Wir hätten entweder reiner sein sollen oder barbarischer. Aber so … auf halbem Wege zwischen beiden … ihr hättet das von Anfang an wissen müssen.
Er verstummte, und plötzlich herrschte eine schreckliche, taube Stille, und wieder stand in mir diese fürchterliche Angst auf, die ich empfunden hatte, als ich vom Cserbükk durch all das Dickicht hinunter gerannt war.
– Und was wird jetzt? – fragte ich, denn nur das interessierte mich, sonst nichts.
– Was jetzt wird? Dieser Krieg wird vielleicht noch ein paar Monate dauern. Wenn ihr nicht eher zu Verstand kommt, vielleicht auch noch ein Jahr. Je länger es dauert, umso schlimmer wird es. Umso mehr Tod und Zerstörung wird es geben, niedergebrannte Dörfer, zerstörte Städte, ermordete Frauen und Kinder. Es bleiben umso weniger Ungarn, je später der Verstand kommt.
Ich stützte mich auf. Ich spürte nicht einmal den Schmerz in der Schulter, so sehr preßte sich in mir der verzweifelte Schrecken zusammen.
– Also was sollte man tun, Herr Hauptmann? Gibt es keine Hilfe mehr? Wenn wir alle sterben, nur nicht zu Hause …
Er fiel mir fast wütend ins Wort.
– Sterben, ja, das könnt ihr. Glaubst du nicht, wenn ihr alle sterbt, daß dann kein Ungar mehr übrig bleibt? Nein, mein Sohn, es gibt keine Hilfe mehr. Alles, was man tun kann, ist, diesem sinnlosen Selbstmord ein Ende zu setzen, die Waffen niederzulegen, die Uniform auszuziehen und nach Hause zu gehen. Und zu Hause zu retten, was noch zu retten ist. Und alles, was noch kommt, zu ertragen versuchen. Und irgendwie zu versuchen, die Familie, das ungarische Leben, das ungarische Kind und die ungarische Zukunft zu erhalten. So weit es noch geht. Verstehst du, Junge? Soweit es noch geht …
– Aber wenn wir die Waffen erst einmal weggelegt haben, Herr Hauptmann, dann werden wir sie vielleicht nie wieder ergreifen können! Das weiß ich!
– Woher weißt du das?
– Ich bin Székeler, Herr Hauptmann, bitte, das weiß ich! Der Hauptmann schwieg einen Moment, dann fragte er.
– Und wenn du keine Waffe mehr in die Hand bekommst, ist das ein Problem?
– Sicher, ein Problem, ein großes Problem.
– Warum?
– Weil es dann zu Ende mit uns ist. Dann werden sie uns einen nach dem anderen, Mann für Mann vernichten. Das weiß ich …
– Wer denn, sag?
Die Stimme des Hauptmannes wurde ungeduldig. Ich sah ihn an.
– Die Welt. Die anderen Völker. Die Rumänen, und die Russen, und alle, die auf uns treten können!
Der Hauptmann winkte ab.
– Komm schon. Diese Zeiten sind vorbei, mein Junge, als ein Volk noch ausgelöscht werden konnte. Heutzutage hat die Zivilisation die Menschheit zusammengezimmert. Es gibt Völkerrecht, es gibt die Verteidigung der Freiheit und Demokratie, und internationale Konventionen schützen die Menschenrechte der kleinen Völker.
So sprach der Hauptmann, und ich habe zugehört. Der Mond stieg immer höher, und der Wald hinter uns war, als wäre er ein Garten voller Geister, beängstigend und gruselig. Ich hatte den Wald noch nie so empfunden, und ich wußte, daß das daran lag, weil ein fürchterlicher Streich auf uns niedergesaust war und wir darunter nur zuckten wie die Gespenster, die zwar nicht mehr lebten, aber auch nicht tot genug waren, um zur Ruhe zu kommen.
Später gab er mir noch eine Zigarette, dann stand er auf.
– Und warum ist der Herr Hauptmann noch nicht nach Hause gegangen? – fragte ich.
– Weil es meine Pflicht ist, euch zu heilen.
– Sehen Sie – sagte ich – unsere Pflicht ist es, unsere Heimat zu verteidigen und für sie zu sterben.
– Eure Pflicht ist, mein Sohn, für eure Familien und für die ungarische Zukunft zu leben und zu arbeiten – antwortete er streng und hart, und damit ging er.
Ich lag noch lange mit offenen Augen und sah in die Sterne, die so friedlich und sanft waren wie immer, und ich dachte daran, daß dieser Hauptmann vielleicht doch recht haben könnte. Und wenn er recht hat, dann ist das für uns Székeler sehr sehr traurig. Denn es bedeutet, daß wir unser Leben wieder mit der Freiheit bezahlen müssen, weil unser Blut nicht gut genug ist.
Quelle: Wass, Albert: Adjátok vissza a hegyeimet. Bad Wörishofen 1949
Übersetzung: Seidwalk
siehe auch:
Das ist ein merkwürdiges Gesetz: „Die sauberen Waffen gewinnen über die schmutzigen Waffen.“ Vor allem deshalb, weil es im selben Stück Literatur dann sogleich von seinen Gegenteil „Wenn jedoch unter den Waffen keine sauberen sind, dann wird immer die größere Bosheit und der größere Haß gewinnen.“ als Ausnahme persifliert wird, vulgo: „Der grössere Schurke besiegt die weniger grossen.“ Márai bemerkt nicht: Die vielen Hassenden sind immer nur Werkzeuge. Die Kühlen dagegen hassen nicht, aber angetrieben von ihrer Gier betreiben sie den Krieg und den Tod, und nutzen den Hass um die Dummen damit zu füttern und vor ihren Karren zu spannen. Wenn das erste Gesetz, ausser einer moralischen Wunschvorstellung irgendeinem Stück Realität entspräche, wäre Gott nicht auf die Erde gekommen, und die Welt, wäre im Deutschen lautlich nicht so nahe bei der Gewalt geparkt.
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Krieg bedeutet immer das Versagen der Politik. Oder mit den Worten von Clausewitz … „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Um normale Menschen zu Kriegern zu machen, muss ihnen die herrschende Elite eine Geschichte erzählen über den blutrünstigen Feind. Das war schon immer so, auch heutzutage in unserer ach so „aufgeklärten“ Zeit. Nur die Mittel unterscheiden sich., im Dreißigjährigen Krieg wurde Propaganda mit Flugblättern gemacht. Heute mit Schauspielern im Fernsehen.
Reiche Herrscher führen Kriege. Die gemeinen Menschen sind ihr Kanonenfutter. Die Kollateralschäden ihres Hasses, ihrer Verblendung und ihrer Machtgelüste. –
Immer stehen sich die „Guten“ und die „Bösen“ gegenüber. Doch wer ist gut und wer ist böse? Immer geht es um Geld und Ressourcen, um Macht und Einfluss. Dafür werden Menschen geopfert. –
Da jeder sich für den Guten hält, ist der andere automatisch der Böse. Das schürt das Mißtrauen und treibt die Bewaffnung beider Seiten in die Höhe. Wo Waffen sind, müssen sie ausprobiert werden. Denn jede Seite glaubt, sie hätte die besseren Waffen. Und könnte am Ende damit gewinnen. Am Ende heißt, nachdem das Land in Schutt und Asche liegt. Oder die ganze Erde. Welche Verblendung um der Gier Willen! –
Angetrieben werden sie von den Wortakrobaten, den Maulhelden der schreibenden Zunft. Den Schreibtisch-Bellizisten. Da sie selber keine Macht haben, kompensieren sie ihre Machtlosigkeit mit Parteinahme und verdecken diese mit Moral. Wobei ihre Moral etwas Wohlfeiles ist. Sie fürchten keine Konsequenzen, da sie immer mit den Siegern sind. Schnell schalten sie um vom Corona-Modus in den Kriegs-Modus. Immer mit der Macht.-
Die Warner sind Wenige, meist Ältere. Sie haben viel gesehen und viel erlebt. Auch ihre eigenen Irrtümer. Sie rechnen mit den Beständen und nicht mit Illusionen. Doch wer hört auf sie? –
Der Hauptmann hat das alles erkannt. Sein Soldat noch nicht. Aber das Grauen des Krieges in dem beide knietief stehen, lässt ihn ahnen, dass der Hauptmann recht hat. Nur, wieviele Hauptleute wie ihn gibt es?
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