Die Invasion der zu vielen

Wir hatten geglaubt, das Problem gelöst zu haben. Die anfänglichen Zeichen waren ermutigend. Der Angriff blieb aus.

Vereinzelte Exemplare, die im April und Mai auftauchten, konnte man als innere Zugänge schönreden. Vielleicht hatten sie sich in unterirdischen Höhlen versteckt, waren schon da, oder waren durch Wasserablaufrinnen eingedrungen, vielleicht lagen sie auch schon im Material. Es schadete nichts. Das Biotop gedieh, die Erträge waren gut, was frühzeitig wuchs, konnte als Erfolg gewertet werden.

Dennoch konnte man die Augen allmählich immer weniger verschließen. Mitte Mai waren sie schon Dauergäste. Vor allem in der Nacht wagten sie sich über die Hindernisse, die wir wohlweislich aufgebaut hatten. Einem Zaun gleich, einer Mauer vergleichbar, mußten sie einen Graben überwinden, was viel Geschick und Verrenkung erforderte. Aber einigen schien es zu gelingen. Ich verwies sie in unermüdlichen Einsätzen des Platzes und beförderte sie weit über die Hecke. Auch baute ich ein neues Hindernis, das noch mehr Verrenkung verlangte und doch abweisend sein mußte. Die Einsätze mußten nun öfter erfolgen, sollte die Ernte nicht gefährdet werden. Auch begann ich, Fallen aufzustellen, in die viele hineinfielen.

Dann kam die Nebelnacht des 18. Juni. Die Luft war feucht und satt, tagsüber hatte es genieselt, Nebel bildete sich über den Wiesen, die Temperatur eher kühl. Da geht man nicht gern auf Kontrolle. Ich tat es trotzdem, schlich mich gegen zwei Uhr heran, die 1500 Lumen Stirnlampe auf dem Kopf, hatte meine Schere dabei – sie gilt als schmerzloses Tötungsgerät – und: bekam einen Schock!

Dort, wo ich grün erwartet hatte, war alles braun. Auf dem Zwiebellauch das gleiche Bild wie auf Kohlrabi und … Ich nahm die Schere und begann zu zerschneiden, aber schnell wurde klar, daß dieses Gemetzel nur eine üble Schweinerei erzeugen würde. Also ging ich hinein, heißes Wasser in einen Eimer, einen Löffel in der Hand und so warf ich 150 Nacktschnecken in den Sud, und das nur von zwei klitzekleinen Hochbeeten, ausgedienten Wasserfässern.

Die gesamte Ernte im Eimer. Aller Lauch zerfressen und der, der noch stand, von oben bis unten eingeschleimt. Die Kohlrabiblätter zeigten nur noch ihr Gerüst, der Rucola verschwunden …

Mit einem Male war es explodiert. Das läßt sich nur als eine Kombination aus exponentiellem Wachstum und optimalen Bedingungen – die feuchte Nacht – erklären. Wir haben das Problem im Anfangsstadium verpaßt und unterschätzt. Die Hochbeete waren selbst schon die Reaktion auf die vorjährigen katastrophalen Erfahrungen. Selbst, wenn sie hochkriechen – so die Überlegung –, dann würde es doch nur ein Bruchteil derer sein, wie am Boden. Und dann hatten sie den gewölbten Rand zu überwinden, sie würden kopfüber kriechen müssen und schließlich hatte ich diesen noch mit Klebeband verlängert, damit der Grund vage wird – aber sie haben es geschafft, sie haben alles überwunden und sind eingedrungen und sie haben ein Massaker am Gepflanzten angerichtet.

Meine Rache kam schließlich zu spät, auch wenn ich seither fast tausend Schnecken aufgebrüht habe.

Einige Wochen zuvor hatte ich noch experimentiert. Es stellte sich heraus, daß sie Salzflächen nicht überwinden können und am Salz auch zugrunde gehen. Ich hatte Klebeband mit Salz bestrichen und das wirkte auch. Aber ich war zu faul und zu naiv, alle Tonnen komplett damit zu umschließen und dies nach einem Regenguß auch wieder zu erneuern. Ob es geholfen hätte, bleibt offen – die schiere Masse hätten vermutlich alles überwunden, so wie man tausend Mann ins Minenfeld laufenläßt, um auf deren Leichen drüber zu kommen. Alles eine Frage der Menge.

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Tag 2 zeitigte schon ein verbessertes Ergebnis – das ist ein Eimer, kein Teller

Das Ganze kann Anlaß zu weitergehenden Überlegungen sein.

  1. Auf Youtube hatte ich mir eine ganze Reihe an Videos angesehen, was man gegen Schnecken machen könne. Sie alle sind naiv und falsch: Eierschalen, Asche, Kaffee, Tannennadeln … das alles hilft nicht. Bretter auslegen, unter denen sie sich tagsüber verstecken und man sie absammeln könne – Humbug: habe ich gemacht, ein paar Dutzend anfänglich gesammelt, aber Peanuts im Angesicht dieser Invasion. Nur Salz funktioniert, wenn man nicht für viel Geld Gift und Chemie einsetzen will. Das Gemüse würde dann ein Vielfaches teurer als im Supermarkt.

Auffällig bei diesen Videos war, daß niemand mehr das Sterben zeigt. Alle wissen, daß es um Sein oder Nichtsein geht, aber keiner wagt mehr, darüber zu sprechen. Diejenigen, die Schnecken „fangen“, vergessen nicht, darauf hinzuweisen, daß man sie in großem Abstand aussetzen müsse. Diejenigen, die den Tod eingestehen, verpixeln die Bilder! Eine vertrocknete, vergiftete oder ertrunkene Schnecke! Ist schon zu viel! Derjenige, von dem ich die Idee mit dem Salz hatte, erntete einen Shitstorm – ob er denn nicht wisse, wie elend die armen Tiere verenden würden und schmerzhaft der Tod wäre … bei einem Tier, das gar kein zentrales Nervensystem besitzt. …

  1. Die Invasion könnte – als sehr gewagte Hypothese – auch ein Beleg für die Existenz der morphogenetischen Felder sein. Rupert Sheldrake nahm in Anspruch, nachgewiesen zu haben, daß Tiere ohne unmittelbare Erfahrung voneinander lernen könnten. So lernten Ratten, ein Labyrinth immer schneller zu durchschwimmen, weil sie sich den kürzesten Weg erarbeit und erinnert haben. War dieser Lernprozeß einmal verinnerlicht, dann haben andere Ratten aus ganz anderen Gegenden denselben Parcours ebenfalls schneller durchschwommen als bei Neulingen zu erwarten war. Was bei mir im Garten lange Zeit als ernsthaftes Hindernis fungierte und funktionierte, wurde zusehends aufgeweicht, bis es in jener Nacht offenbar gar kein Hindernis mehr darstellte, ein „Schneckenlernfeld“ entstanden war, und alle Schnecken in der Lage waren, es spielend zu überwinden.

2 Gedanken zu “Die Invasion der zu vielen

  1. Stefanie schreibt:

    Ja, wir hatten lange kein so feuchtes Frühjahr mehr und das Wetter war ab Februar doch Recht mild. Bei mir haben sie sich dieses Jahr, wie es scheint, an den frisch gekeimten Möhren und Pastinaken vergangen. Andererseits -ich hoffe es klingt nicht zu zynisch- aber ich habe selten um diese Zeit noch soviele Zucchini- und Kürbispflanzen verkauft.

    Der einfachste Rat wäre Schneckenkorn mit Ferammol, d.h. Eisen-III-Phosphat als Wirkstoff. Hier eine kurze Lektüreempfehlung dazu:

    https://www.mein-schoener-garten.de/gartenpraxis/pflanzenschutz/schneckenkorn-besser-als-sein-ruf-5541

    Allerdings, bekämpft man damit eher das Wachstum der Bestände, nicht die Invasoren von Outer space.

    Der neueste Schrei in der Schneckenbekämpfung ist allerdings möglichst fettige, stinkende, Schafwolle, die wie eine Art Teppich um die besonders gefährdeten Setzlinge gebreitet wird. Habe einige Kundinnen, die darauf Schwören. Mal sehen, wie lange dieser Geheimtipp funktioniert – das wäre mal wieder ein Testlauf für die morphogenetischen Felder. Unsere Schafwollbestände haben sich jedenfalls beträchtlich verringert. – Bisher galt sie nur als Guter Dünger und Wasserspeicher im Tomatenkübel und gelegentlich wollte sie ein Imker als Isolation für seine Beuten – weil sie wohl auch die Varoamilben fernhalten soll.

    Es hätte sich fast gelohnt vor dem Opferfest noch zu Scheren – ich weiß nicht, ob die Wolle von den Häuten, den selben Effekt hätte. Dieses Jahr waren es gleich drei Tiere, die an diesem Tag das zeitliche segneten. Der Eine, ein tunesischer Autohändler brachte auch seine siebenjährige Tochter dazu mit. Mein Vater ging dann, als sie das Tier zerlegten, die neuen Lämmer mit ihr anschauen. Ihr Vater und ihr Onkel schienen keine Bedenken zu haben, wenn ein Kind beim Schächten dabei ist. -Im Gegenteil, sie sollen wohl dazu herangeführt werden und später dann auch diese Hemmschwelle des Tötens überwinden (ich weiß nicht, ob auch die Mädchen das Lernen sollen) – so als ergänzende Beobachtung zu den feinfühligen YouTube Videos.

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  2. Michael B. schreibt:

    Das ist interessant. Ich habe hier in zwei davon ehemals stark betroffenen Haushalten (BW und Sachsen) keine Probleme mehr. Orange snail bad sind nach Gedaechtnis 7 Jahren nicht mehr da, die Braunen aeusserst dezimiert und davon eher die Kleinen. Was auffiel, vorher gab es zwei Jahre die Tigervariante staerker, die sich wohl an der Brut der anderen vergreifen soll. Gibt wohl auch eine Entenart, die die Viecher fressen, das ist aber Hoerensagen.

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