Geriebene Äpfel

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXXI

Über den geriebenen Apfel

Weise handelst du, wenn du jeden Morgen nach dem Aufwachen und vor der Mahlzeit auf nüchternen Magen ein, zwei geriebene Äpfel ißt. Der Apfel ist eine geheimnisvolle Frucht. Es ist kein Zufall, daß er eines der ältesten Symbole des menschlichen Bewußtseins ist. Weiterlesen

Amt und Beamte

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXX

Über das Amt und den Beamten

Es gibt keine Epoche im Leben der entwickelten, in Gesellschaft lebenden Menschheit, deren hervorragendste Dichter und Denker nicht über das Amt und den Beamten schimpfen würden. Nur der Nomade und die Horde kannte(n) diese Klage nicht. Weiterlesen

Über die Bereitschaft

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIX

Über die Bereitschaft

Und weil wir Sterbliche sind – das größte Geschenk des menschlichen Lebens ist, daß wir diese Tatsache jeden Tag einfacher sehen und vollkommener verstehen –, müssen wir unser tägliches Leben so einrichten wie einer, der in Bereitschaft lebt. Wie Seneca, als Nero in Urbs[1] regiert; wie die Damen und Herren in den Kellern der Conciergerie[2]; wie jeder Mensch, der in Zeiten der Revolution lebt. Denn das Leben ist Revolution. Weiterlesen

Training und Ordnung

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXVIII

Über Training und Ordnung

Der intellektuell kreative Arbeiter benötigt exakt die gleichen Ertüchtigungsmethoden, das gleiche Training, das gleiche Gesundheits- und Übungsprogramm, wie der Fechter, der Kunstreiter oder der Kraftmensch. Man kann aus einer trägen, niederen, unsauberen Lebensweise heraus nicht für Sekunden einen Ausflug zur höchsten Ebene menschlicher Anstrengung, in die Manege kreativer intellektueller Arbeit machen. Weiterlesen

Wenn Aufgaben befehlen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXVI

Über die befehlenden Aufgaben

Eines Tages spricht eine Stimme. Du beschäftigst dich gerade mit etwas, oder etwas beschäftigt dich: ein Aufgabenbereich, von dem du glaubst, daß er von erstrangiger Bedeutung ist und nur dich etwas angeht, nur deine Aufgabe ist.

Du warst bereits auf die Aufgabe vorbereitet, eifrig erledigst du deine Arbeit. Und plötzlich spricht eine Stimme und sagt dies: „Du hast andere Dinge zu tun.“ Und es blitzt die Möglichkeit einer Aufgabe auf, an die du zuvor nie gedacht hattest. Und du weißt, diese Aufgabe wird ganz und gar nicht ungefährlich für dich sein.

Sie wird dich von der Richtung deiner bisherigen Arbeit ablenken, wird zudem außerordentliche Anstrengungen erfordern, Mißverständnisse, Streitereien, eine Reihe von Gefahren heraufbeschwören. Und dennoch, das alles mußt du nun zulassen.

Deine pragmatischen Interessen sind ernsthaft von deiner neuen Aufgabe bedroht. Und dennoch, du mußt alles beiseitelegen, du mußt dieses Risiko eingehen, diese Anstrengung, dieses Opfer, diesen neuen Arbeitsbereich, diese suggerierte und unverständliche neue Aufgabe. Das Befehlswort der Stimme kann nicht mißverstanden werden.

Wer dann gut zuhört und gehorcht, scheitert vielleicht an den banalen weltlichen Gefahren, die die Aufgabe mit sich bringt, aber er rettet seine Seele. Wer taub, bequem oder ein Feigling ist, spaziert weiter behaglich durchs Leben, aber seine Seele bleibt verwundet, unzufrieden und ruhelos.

Wähle, mein Freund.

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Vertikale Faulheit

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXV

Über die Faulheit

Es gibt zwei Arten von Faulheit: die waagerechte und die senkrechte. Es gibt den Menschen, der nur in der langen Perspektive seines Lebens faul ist; in Plänen; darin, seine Entscheidungen, seine Entschlüsse hinauszuzögern; träge baut er sein Lebenswerk auf, alles baut er in die Zeit, in die weite Ferne hinein. Weiterlesen

Bildung ist eitel

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIV

Über die Bildung des Charakters

Selbstgefällig und stolz denkst du daran, ein paar Bücher gelesen und verstanden, dein Wissen vermehrt, etwas über die Natur oder die menschliche Seele gelernt zu haben. Weiterlesen

Sport und geistige Arbeit

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIII

Darüber, daß die Körperertüchtigung nicht immer gesund ist

Ich zum Beispiel – zugegeben, bereits im Erwachsenenalter – frönte mit großer Lust dem Schwimmen und dem Tennisspiel. Vor allem das Tennis liebte ich, als ich in die Vierziger kam; es ist der einzige humanistische Sport; Mann gegen Mann, mit aller Kraft, aber immer bleibt ein Abstand zwischen den Kämpfern, sie berühren einander nicht. Weiterlesen

Herzen brechen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXII

Darüber, wie Herzen brechen

Genau so wie in den Liedern, welche die Chansonetten in den Kaffeehäusern singen. Und die Lehre aus diesen Liedern ist immer die, daß man die zerbrochenen Herzen nicht mehr zusammenkleben kann. So lautet auch im Leben die Lehre. Weiterlesen

Heldentum

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXVII

Über das Heldentum

Das größte Heldentum besteht darin, bei deiner Arbeit zu bleiben, egal was die Welt sagt. Und noch größeres Heldentum besteht darin, deine Arbeit zu vernichten, wenn du spürst, daß du sie nicht so perfekt ausführen konntest, wie du dir es als Ziel gestellt hattest. Weiterlesen

Sex an und für sich

Die Zeller Zeitung gab dieser Tage die Ergebnisse einer großangelegten Untersuchung bekannt. Demnach werden im dortigen Blatt am häufigsten jene Artikel angeklickt, die sich um die Nachbarin drehen, insbesondere dann, wenn diese sich im Evakostüm zeigt.  Das ist ein weiterer empirischer Beweis dafür, daß sich alles besser verkauft, wenn es mit Sex konnotiert ist, und das, obwohl die Öffentlichkeit mit derartigen Bildern und Nachrichten überbordet ist oder zumindest war. Weiterlesen

Sexus und Traurigkeit

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXI

Über den Sexus und die Traurigkeit

Am Grund der Dinge liegt der Sexus. Vielleicht sogar im Leben der Kristalle. Aber alle Geschlechtlichkeit ist traurig.

Die Angelegenheit des Körpers wie ein Urteil betrachten. Nur die Zärtlichkeit ist menschlich. Die Leidenschaft ist unmenschlich[1] und hoffnungslos. Weiterlesen

Das Glück

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXX

Über das Glück

Glück gibt es natürlich nicht in dem destillierbaren, verpackbaren, etikettierbaren Sinn, wie sich das die meisten Menschen vorstellen. Als ob man nur in eine Apotheke gehen müsse, wo sie einem – für Dreisechzig – eine Medizin geben, und danach tut nichts mehr weh. Weiterlesen

Vernunft, Gnade, Demut

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXIX

Darüber, daß die Vernunft nicht ausreicht, um zu verstehen

Die Vernunft genügt nicht, um sich selbst oder die Phänomene der Welt zu verstehen: um das Wesentliche, das Unfehlbare zu verstehen und wahrzunehmen, braucht es etwas anderes, braucht es mehr als die Vernunft. Weiterlesen

Über das Feiern

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXVIII

Über die Feiertage

Wenn in deinem Leben ein Feiertag ansteht, dann feiere ihn voll und ganz. Trage schwarz. Bürste dein Haar mit einer nassen Bürste. Reinige dich innerlich und äußerlich. Vergiß alles, was zu den Zeremonien und Aufgaben der Wochentage gehört. Weiterlesen

Gegen die eigenen Gesetze sündigen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXVI

Darüber, daß wir nicht vor uns selbst versagen dürfen

Wenn sich in unserem Leben eine Lebensregel etabliert hat, müssen wir uns um jeden Preis daran halten; denn das Leben eines Erwachsenen besteht aus Regeln und Lebensweisen wie ein Gebäude aus fest gefügten Ziegeln, und es ist nicht ratsam, diese Struktur durch das Verschieben des einen oder anderen Bausteins ins Wanken zu bringen. Weiterlesen

Der Fanatiker

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXV

Über den fanatischen Menschen

Immer, überall, auf jede Art und Weise und bei jeder Gelegenheit gegen den Fanatismus kämpfen. Gegen den mundschäumenden, fallsüchtigen Jähzorn, der aus dem menschlichen Abgrund ausbricht und die Welt zerstückeln, umformen will. Den Fanatismus mit Geduld, mit Erklärung, mit Vernunft, mit konsequenter Pädagogik bekämpfen. Und auch mit Mitgefühl. Bedauere den Fanatiker. Er stürzt sich auf dich, aber in der Ohnmacht des Anfalls beißt er sich auf die eigene Zunge und zermalmt[1] sich selbst. Weiterlesen

Über das Warten

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXIV

Über das Warten

Wenn jemand nicht zur vereinbarten Zeit zum Treffen erscheint – sei es eine Frau oder ein Mann, ein Freund oder ein Fremder – kannst du fünfzehn Minuten warten. Dann geh fort. Weiterlesen

Warten auf die Dinge

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXIII

Darüber, daß man auf die Dinge warten soll

Warten, mit Engelsgeduld und der eines Heiligen, bis die Dinge – Menschen, Ideen Situationen -, die zu dir gehören, auch zu dir kommen. Keinen Schritt voreilig auf sie zu machen, keine einzige Bewegung, also auch nicht ihre Annäherung beschleunigen. Weiterlesen