Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXX
Über das Amt und den Beamten
Es gibt keine Epoche im Leben der entwickelten, in Gesellschaft lebenden Menschheit, deren hervorragendste Dichter und Denker nicht über das Amt und den Beamten schimpfen würden. Nur der Nomade und die Horde kannte(n) diese Klage nicht.
Die in der Gesellschaft verbundenen Gruppen von Menschen, können auf dieses notwendige Übel, das Amt[1], nicht verzichten: Cicero schimpft darüber genauso wie Shakespeare oder Montesquieu, und keine Epoche kommt ohne sie aus.
Denn am Anfang steht ein Platz, die Agora, wo die Menschen aus ihrem Nomadenleben heraus zusammenkommen, um die gemeinsamen menschlichen Aufgaben zu besprechen; um den Platz herum wird die Stadt erbaut, die Polis; um die Stadt herum, durch krankhaftes und natürliches Sprießen, entsteht der Staat.
Dieser Vorgang wiederholt sich Jahrtausende hindurch mit einem monotonen Takt. Der Beamte ist die Konsequenz der Gesellschaft, das Amt ist eine lebensnotwendige Bedingung für das Funktionieren der Stadt. Niemand hat bisher einen Ersatz oder etwas Besseres erfunden.
Und das Amt war immer schlecht und erniedrigte[2] immer; denke daran, wenn du vor einer Kasse stehst, auf daß du nach langer und demütigender Wartezeit die Steuer zahlen darfst, oder um etwas zu retten, was dir nach Recht und Gesetz sowieso zusteht.
Der Zweck des Amtes ist es nicht, „gut“ zu sein. Sein Zweck ist kein menschlicher, sondern ein staatlicher. Der beste Beamte und das vollkommenste Amt ist jenes, das das Leben nicht allzu sehr stört. Wenn es und wenn er nicht übertrieben handelt.
Wenn sie gegeneinander aushandeln, das Leben und das Amt, jeder fünfzig Prozent zur Einigung beizutragen und sich einander nicht zu verletzen: das ist das beste. Doch dazu sind nur sehr entwickelte, überreife, nahezu verblühte Gesellschaften und Ämter in der Lage.
[2] packázott: schüchterte ein
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