Auf den Ästen der Mehlbeere vor meinem Fenster sitzen die Stare und warten. Eisiger Wind bläst ihre Federn auf. Beide, Männchen und Weibchen, tragen noch das Winterkleid, der Schnabel aber ist gelb und das bedeutet: sie wollen anfangen. Sie wollen ihr Nest bauen. Ein Starenkasten steht seit einigen Jahren hier – aus meinem Fenster kann ich direkt in ihn hineinschauen.
Aber es ist noch zu kalt. Man sieht das auch an den Gefährten auf dem Ast. Da sitzen Spatzen, Meisen und Erlenzeisige. Auch die Zeisige wollen anfangen, ihr Weg ist jedoch ein ganz anderer. Sie brüten im Norden und kommen nur in den Wintermonaten zu uns, sie warten auf den Abflug. Stare und Zeisige begegnen sich in unseren Breiten nur für eine kurze Zeit. Während die Stare den Kasten beäugen, sammeln sich die anderen um die Futterstelle am Fenster.
Draußen liegt wieder Schnee, in der Nacht hat es gefroren. Dabei ist die Natur auf dem Sprung, alles wartet auf ein paar durchgängige warme Sonnentage. Unter den Schlehen – dort treiben bereits die Knospen aus – stehen noch immer die Schneeglöckchen und die Winterlinge neben blühenden Krokussen und daneben die Narzissen in voller Größe, nur die Blüten haben sie noch nicht gezeigt. Eigentlich eine Abfolge von Blumen, eine Melodie – nun stehen sie als Orchester. Die Osterglocken sind gespannt, wie vor einer Explosion. Und die Tulpen zeigen, daß sie ihnen auf dem Fuße folgen wollen.
Die Stare sitzen derweil und scheinen, zusammengekrochen und dem Wind trotzend, nachzudenken. Scheinbar verwundert sehen sie den agileren Vögeln zu. Es sind mit großer Wahrscheinlichkeit die selben Vögel, die wir im letzten Jahr hier hatten: entweder haben sie im Kasten schon gebrütet oder sie sind Teil der Brut. Sie kennen den Platz, seine Vor- und Nachteile, seine Gefahren.
Sie erinnern sich also. Ich frage mich, ob sie jetzt vielleicht auch an Nordafrika oder an Spanien, Sizilien oder jenen anderen Ort denken, an dem sie das letzte halbe Jahr gelebt haben? Dort war es warm – jetzt frieren sie. Ob sie den frühen Rückflug bereuen? Ob sie deswegen die anderen Vögel so beäugen, weil sie anders aussehen, sich anders verhalten als die dortigen?
Ab morgen soll es warm werden. Dann ist die Zeit des Grübelns vorbei, dann dürfte das mächtige innere Programm anlaufen: Nestbau, Paarung, Fett anfressen, Eier legen und dann die beschwerlichen Tage des Brütens, mitunter schon im überhitzten Kasten – ich habe ihn bewußt etwas schattig gestellt, sobald das Laub wächst –, um von der noch beschwerlicheren Futtersuche für den Nachwuchs abgewechselt zu werden. Erst im Juli, nach der zweiten Brut, werden sie wieder zur Ruhe kommen und dann in großen Schwärmen – Eltern und Nachwuchs ununterscheidbar vereint – auf den Feldern und Wiesen nach Futter suchen.
siehe auch: Was wirklich zählt
Da Sie daran Interesse zeigten, hier ein Bericht (aus zweiter Hand) über die Gedanken der Zugvögel:
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Théophile Gautier
Ce que disent les hirondelles
Chanson d’automne
Déjà plus d’une feuille sèche
Parsème les gazons jaunis ;
Soir et matin, la brise est fraîche,
Hélas ! les beaux jours sont finis !
On voit s’ouvrir les fleurs que garde
Le jardin, pour dernier trésor :
Le dahlia met sa cocarde
Et le souci sa toque d’or.
La pluie au bassin fait des bulles ;
Les hirondelles sur le toit
Tiennent des conciliabules :
Voici l’hiver, voici le froid !
Elles s’assemblent par centaines,
Se concertant pour le départ.
L’une dit : “ Oh ! que dans Athènes
Il fait bon sur le vieux rempart !
“ Tous les ans j’y vais et je niche
Aux métopes du Parthénon.
Mon nid bouche dans la corniche
Le trou d’un boulet de canon. “
L’autre : “ J’ai ma petite chambre
A Smyrne, au plafond d’un café.
Les Hadjis comptent leurs grains d’ambre
Sur le seuil d’un rayon chauffé.
“ J’entre et je sors, accoutumée
Aux blondes vapeurs des chibouchs,
Et parmi les flots de fumée,
Je rase turbans et tarbouchs. “
Celle-ci : “ J’habite un triglyphe
Au fronton d’un temple, à Balbeck.
Je m’y suspends avec ma griffe
Sur mes petits au large bec. “
Celle-là : “ Voici mon adresse :
Rhodes, palais des chevaliers ;
Chaque hiver, ma tente s’y dresse
Au chapiteau des noirs piliers. “
La cinquième : “ Je ferai halte,
Car l’âge m’alourdit un peu,
Aux blanches terrasses de Malte,
Entre l’eau bleue et le ciel bleu. “
La sixième : “ Qu’on est à l’aise
Au Caire, en haut des minarets !
J’empâte un ornement de glaise,
Et mes quartiers d’hiver sont prêts. “
“ A la seconde cataracte,
Fait la dernière, j’ai mon nid ;
J’en ai noté la place exacte,
Dans le pschent d’un roi de granit. “
Toutes : “ Demain combien de lieues
Auront filé sous notre essaim,
Plaines brunes, pics blancs, mers bleues
Brodant d’écume leur bassin ! “
Avec cris et battements d’ailes,
Sur la moulure aux bords étroits,
Ainsi jasent les hirondelles,
Voyant venir la rouille aux bois.
Je comprends tout ce qu’elles disent,
Car le poète est un oiseau ;
Mais, captif ses élans se brisent
Contre un invisible réseau !
Des ailes ! des ailes ! des ailes !
Comme dans le chant de Ruckert,
Pour voler, là-bas avec elles
Au soleil d’or, au printemps vert !
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Théophile Gautier
Was die Schwalben erzählen
Herbstgesang
Schon zeigt sich mehr als nur ein trockenes Blatt
In den gelb gewordenen Rasenflächen;
Abends und morgens ist der Wind kühl,
Ach, die schönen Tage sind vorbei!
Man sieht die Blüten aufbrechen,
Die der Garten als letzten Schatz bewahrt:
Die Dahlie steckt ihre Kokarde auf
Und die Studentenblume [?] bedeckt sich mit goldener Haube.
Der Regen lässt das Becken blubbern;
Die Schwalben auf dem Dach
Plaudern angeregt miteinander:
Der Winter ist da, die Kälte ist da!
Zu Hunderten versammeln sie sich
Und stimmen sich für die Abreise ab.
Die eine sagt: „Ach, wie doch in Athen
Es schön ist auf dem alten Bollwerk!“
„Jedes Jahr reis‘ ich nach dort und niste
An den Metopen des Parthenons.
Mein Nest stopft im Gesims
Das Loch einer Kanonenkugel.“
Die andere: „Mein Zimmerchen ist in Smyrna,
An der Decke eines Cafés.
Die Hadschis zählen ihre Bernsteinkörner
Auf der Schwelle eines warmen Strahls.“
„Ich fliege ein und aus, vertraut
Mit den blonden Dämpfen der Tschibuks,
Und zwischen den Rauchwolken
Streife ich Turbane und Tarbusche.“
Diese: „Ich bewohne einen Triglyphen
Am Frontgiebel eines Tempels in Baalbek.
Ich halte mich fest mit meiner Kralle
Über meinen maulsperrenden Kleinen.“
Jene: „Meine Anschrift ist:
[Rhodos, Großmeisterpalast](Großmeisterpalast (Rhodos));
Jeden Winter ragt dort mein Zelt auf
Am Kapitell der schwarzen Pfeiler.“
Die fünfte: „Ich raste,
Denn das Alter macht es mir schon etwas schwer,
Auf den weißen Terrassen von Malta,
Zwischen blauem Wasser und blauem Himmel.“
Die sechste: „Wie behaglich es doch ist
In Kairo, oben auf den Minaretten!
Ich trage Lehm auf eine Bauzier auf
Und schon ist mein Winterquartier fertig.“
„Beim Zweiten Katarakt“, sagt die letzte,
„Habe ich mein Nest;
Den genauer Platz habe ich notiert
Auf dem Pschent eines Königs aus Granit.“
Alle zusammen: „Wieviele Meilen werden doch
Morgen unter unserem Schwarm vorbeiziehen,
Braune Ebenen, weiße Bergspitzen und blaue Meere,
Die ihr Becken mit Schaum säumen!“
Mit Schreien und Flügelschlägen
Schwätzen so die Schwalben auf der Zierleiste,
Die nur schmal vorspringt,
Weil sie schon sehen, wie der Rost die Wälder überzieht.
Ich verstehe alles, was sie sagen,
Denn auch der Dichter ist ein Vogel;
Aber da er gefangen ist, bricht sich sein Elan
An einem unsichtbaren Netz!
Flügel! Flügel! Flügel!
Wie in Rückerts Lied,
Um mit ihren fortzufliegen nach dort,
In die goldene Sonne, in den grünen Mai!
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• Textquelle: Ce que disent les hirondelles
• Vortrag: Youtube-Film
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Sehr schöner Text. Danke.
In Nordjylland gab es ab dem 5. März nochmals 10 Tage Winter, hohen Schnee und teils unter – 15 Grad.
Trotz der Beschwernisse bin ich jedesmal froh über Wetterüberraschungen: Sie zeigen uns die Unberechenbarkeit und Übermacht der Natur.
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