Treue Leser wissen, daß ich aus den Augenwinkeln die dänische Parteienpolitik verfolge und es mir in den letzten Jahren vor allem das Projekt der „Neuen Bürgerlichen“ angetan hatte. Dort hat sich nun einiges getan, es gab dramatische Entwicklungen, die ich hier darstelle, weil sie mir wesentliche und verallgemeinerbare Lehren zu enthalten scheinen, nicht zuletzt angesichts der drohenden oder erhofften Gründung einer neuen Partei durch Sahra Wagenknecht.
Die „Nye Borgerlige“ hatte hier ihren letzten Auftritt im November letzten Jahres, nach der sensationellen und sehr atypischen Folketings-Wahl. Sie hatte ihren Stimmenanteil deutlich erhöhen können, wenn auch auf niedrigem Niveau: statt der vier sollten nun sechs Abgeordnete im Parlament sitzen. Das Projekt, das ganz entscheidend vom Charisma seiner Gründerin – Pernille Vermund – abhing, hatte sich endgültig zu einer konstanten Größe im sehr volatilen dänischen Parteienleben etabliert. So zumindest schien es.
Doch schon am Wahlabend gab es Mißtöne. Der Lebenspartner einer der neu gewählten Abgeordneten vergriff sich im Suff im Ton, die Dame verließ daraufhin die Fraktion – da waren es nur noch fünf.
Auch die Koalitionsverhandlungen zwischen „Sozialdemokraten“, „Moderaten“ und der „Venstre“ gerieten zur Enttäuschung, die schwer zu verstehende Regierungsrochade, die höchst divergierende Parteien aus Opportunismus und Machtkalkül zu Partnern machte und wohl den endgültigen Niedergang der moderat konservativen Volkspartei „Venstre“ besiegeln dürfte – ihr Vorsitzender Ellemann-Jensen, ein Paradebeispiel politischer Wendehalsigkeit hat sich mittlerweile mit Burn Out aus der Verantwortung gezogen –, hatte alle anderen Parteien überraschend aufs Abstellgleis gestellt und zur politischen Wirkungslosigkeit verurteilt. Der Partei Vermunds tat das besonders weh.
Schließlich verabschiedete sich im Januar Mikkel Bjørn Sørensen aus Partei und Fraktion und wechselte zur „Dansk Folkeparti“. Die Hintergründe sind dubios, es gab Gespräche mit Morten Messerschmidt, dem Vorsitzenden der DF … man hat sich wohl um die „besten“ Leute gestritten: Bjørn Sørensen war so etwas wie der Kronprinz der „Neuen Bürgerlichen“, der junge aufstrebende Stern, der nun ins gemachte Bett des politischen und aufstrebenden Nachbarn fiel. Da waren es nur noch vier.
In dieser Situation ließ Pernille Vermund eine Bombe platzen. Sie vollzog einen Schritt, den sie bereits jahrelang angekündigt hatte, sie zog sich aus der Politik in der ersten Reihe zurück, gab ihren Vorsitz ab. Es ist wahr: diesen Schritt hatte sie lange zuvor angekündigt, immer wieder hatte sie betont, daß sie keine lebenslange Politkarriere verfolge, daß sie Familie und Unternehmen habe, daß sie der Gefahr der politischen Versteinerung entgehen wolle …, alles sehr ehrenwerte Gründe, die in jeder normalen Situation ihre Integrität, ihr hohes moralisches Ethos unter Beweis gestellt hätten, aber das Schiff „Nye Borgerlige“ war aufgrund charakterlicher Schwächen zweier führender Repräsentanten in schwieriges Fahrwasser geraten, es brauchte einen starken Kapitän … ihre Demission in dieser Lage war ein kapitaler politischer Fehler! Die Nachricht war ein Schock innerhalb der Partei. Pernille Vermund hatte das Dilemma zwischen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit – zu ihrem Wort zu stehen – und der aktuellen Notlage aus Prinzipiengründen zugunsten der Prinzipien gelöst. Das ist in den meisten Fällen ehrenwert, hier aber war es die Ankündigung des Chaos.
Schon damals korrespondierte ich mit meinen dänischen Freunden und wir waren uns einig, daß dies das Ende der Partei sein könnte.
Nun wurde ein neuer Vorsitzender gewählt, die Wahl fiel auf Lars Boje Mathiesen, der Mann mit den hochgekrempelten Ärmeln. Vermund akzeptierte die Wahl und versprach volle Unterstützung, obwohl der bullige Boje Mathiesen eher dem liberalen Flügel der Partei angehört. Damit wurde erstmals der innere Riß deutlich, den alle wahrhaft konservativen Parteien zu bewältigen haben, der zwischen den liberalen und den nationalen Kräften. Bislang hatte die überragende Präsenz der starken Frau diesen Spalt unsichtbar gemacht.
Vielleicht wäre auch das nicht das größte Problem gewesen, wenn es nun nicht zum Eklat gekommen wäre. Über Nacht wurde Boje Mathiesen – der amtierende Parteivorsitzende! – aus der Partei geworfen! Es ging um Geldforderungen, wir ersparen uns die Details. Der Mann ist offenbar ein lebendendes Beispiel der bekannten Tatsache, daß Macht korrumpiert. Da waren es nur noch drei, weniger als vor den Wahlen.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Pernille Vermund galt als unkorrumpierbar. Der Aufstieg ihres persönlichen Projektes hing ganz stark von ihrer Präsenz und ihrer Offenherzigkeit ab, so wie auch die „Dänische Volkspartei“ unter Pia Kjærsgaard rasante Erfolge feiern konnte und unter ihren männlichen Nachfolgern schnell wieder in die Bedeutungslosigkeit geführt wurde. Manche Politiker sind schlichtweg nicht entbehrlich, solange zumindest nicht, bis ein vertrauenswürdiger politischer Unterbau erschaffen wurde.
Das sind Vermunds zwei politische Fehler, die nun die Arbeit der letzten Jahre in Nullkommanichts zerstört haben dürften. Strategisch ist es ihr nicht gelungen, Nachfolger von Format aufzubauen. Das ist prinzipiell auch schwierig, denn politische Nachfolge enthält immer schon selbst ein schwer zu lösendes Dilemma: sie muß die Kontinuität mit der individuellen Profilierung in Übereinstimmung bringen. Der Nachfolger soll einerseits den hohen Standards des politischen Urtiers entsprechen, kann dies aber nur, wenn er selbst eigenständig und originell ist, denn das war ja – neben der Integrität – das herausragende Kennzeichen der Gründerin. Er muß sich also absetzen, Akzente setzen und damit verändert er zwangsläufig das innere Gefüge der Partei. Im vorliegenden Falle kommt neben diesem unlösbaren Konflikt noch eine schwerwiegende Charakterschwäche hinzu.
Taktisch hatte Vermund den Zeitpunkt ihres politischen Rückzugs vollkommen verfehlt. Gut möglich, daß ihr die Stimmenzuwächse ein falsches Bild vorgegaukelt haben, aber sie hätte sehen müssen, daß nach den Verlusten von zwei Mandaten eine schwere Krisenlage vorlag und gerade jetzt eine straffe Hand notwendig war. Just in diesem Moment die Kommandobrücke zu verlassen, ist politisch hochgradig leichtsinnig. Statt Rückzug wäre Mehreinsatz notwendig gewesen.
Nun, am 10. März, hat sich Vermund zurückgemeldet, jetzt hat sie den Ernst der Lage endlich verstanden, ab jetzt will sie wieder das Steuer übernehmen, schreibt sie in einer internen Mail den Parteimitgliedern. Doch dürfte der Schaden immens sein, ein riesiges Leck wurde geschlagen, es ist äußerst fraglich, ob sie die Partei noch retten kann, zumal die zuletzt arg gebeutelte „Dänische Volkspartei“ unter ihrem jetzigen Vorsitzenden wieder Fahrt aufnimmt und viele Wähler abziehen könnte.
Wir sehen hier in nuce das Problem von Ein-Mann oder Ein-Frau-Parteien. Sie hängen am Tropf ihrer Lichtgestalt. Fällt diese weg – aus welchen Gründen auch immer – und ist nicht für adäquaten Ersatz gesorgt, der zudem das oben beschriebene Dilemma zu lösen vermag, der also möglichst aus mehreren Persönlichkeiten besteht, dann drohen solchen Parteien schnelle Kollapse.
Auch für eine Wagenknecht-Partei – sollte sie denn zustande kommen – sind diese Einsichten relevant. Wagenknecht litt schon einmal unter Burn Out. Sich auf ein derartiges Projekt einzulassen, bedeutet, einen langen Atem haben zu müssen – man muß hier in Jahrzehnten rechnen. Es ist auch eine Lotterie, denn das Leben kann seltsame Volten schlagen, Menschen sterben, werden krank, erleiden Schicksalsschläge … Was dann? Gibt es einen brauchbaren personalen Unterbau? Gibt es ein institutionalisiertes Ethos? Gibt es eine festverankerte und dennoch situativ flexible Strategie?
In Deutschland sind wir im Moment nicht in der Situation, daß Personen für die jeweilige Partei eine Rolle spielen. An die Spitze von CDU, SPD und FDP hätte man auch Besenstiele stecken können. Für die Grünen wären solch nützliche Teile noch übertrieben.
Vielleicht kommt ja wieder eine Zeit, in welcher Persönlichkeiten von Format Parteien lenken und damit den Wählern Vertrauen geben.
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Was halten Sie dahingehend von der Kurzbesprechung durch Klonovsky (suche dort nach „Das neue Volk“) bzgl. Einschätzung des Istzustands als auch dem Lösungsansatz?
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Habe den Kießling noch nicht gelesen. Nach allem, was K sagt, wird man wenig kritisieren können. Schon vor vielen Jahren war mir Clive Bells Diktum – But a civilized man sympathizes with other civilized men no matter where they were born or to what race they belong and feels uneasy with brutes and Philistines though they be his blood-relations living in the same perish – vollkommen einsichtig. Insofern gilt es, jeden Menschen für sich zu beurteilen. Das bedeutet natürlich nicht, daß man kultivierten Menschen in allen Weltgegenden mit gleicher Wahrscheinlichkeit begegnen kann. Hier kommen dann, sekundär also, Faktoren wie Kulturzugehörigkeit, Religion, Nationalität, Ethnie, Sprache, Bildungsdurchschnitt, nationaler Charakter etc. ins Spiel und darüber auch – desweiteren – die Frage der Menge.
Nordlicht: Wohl gesprochen, Herr SEIDWALK.
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Habe gerade Post von Pernille bekommen – ich kopiere sie einfach rein, um der Chronistenpflicht genüge zu tun; läßt sich sicherlich auch mit dem Google Translator verstehen:
Pligten kalder, og jeg svarer
Kære Seidwalk
Jeg er hverken protektionistisk, jubeleuropæer eller liberal på en måde, hvor jeg er villig til at sælge ud af grundlæggende værdier for at opnå en kortsigtet økonomisk vinding. Så hvem skulle jeg stemme på, hvis Nye Borgerlige ikke eksisterede? Jeg ved det ærlig talt ikke.
For jeg ønsker at stemme på et parti, der vil gøre Danmark rigere og danskerne friere. Et parti, der vil bygge et borgerligt samfund på danske værdier. Et parti, der står fast på en borgerlig, ansvarlig økonomisk politik og en klassisk, konservativ værdipolitik.
Nye Borgerlige er partiet, der tør være sig deres borgerlighed bekendt. Og derfor var jeg heller ikke i tvivl om at stille mig til rådighed som formand, da pligten på ny kaldte.
En pligt kan lyde som en negativ ting, men sådan ser jeg det ikke.
Selvfølgelig er det lige nu op ad bakke for partiet. Vi har bestemt set bedre dage. At påstå andet ville ikke være troværdigt. Derfor har det også været mit budskab i de seneste dage, hvor jeg har haft mere end et tocifret antal aftaler med journalister og turneret rundt hos næsten alle landets medier.
Jeg ved, at vi kan, hvis vi vil – sammen. For vi har flere gange modbevist journalister, kommentatorer og venstreorienterede folk, der ikke har levnet os en chance.
Først sagde de, at vi ikke ville blive opstillingsberettiget. Da vi blev det, sagde de, at vi ikke ville komme i Folketinget. Da vi modbeviste dem, sagde de, at vi ikke ville overleve mere end en valgperiode. Og selvom vi også modbeviste dem der – og vi endda gik frem med mere end 50 % – har de igen begravet os.
Vi skal altså igen, igen modbevise dem. Det, vi i tusindvis har skabt sammen i fællesskab, skal vi igen bære videre i fællesskab. For hvor skulle vi ellers sætte vores kryds? Jeg er endnu engang blevet bekræftet i, at Danmark har brug for Nye Borgerlige – som danskernes borgerlige vagthund i samfundet og på Christiansborg. Og jeg kan garantere jer, at jeg har blod på tanden og er fuld af energi og kampgejst.
Jeg genopstiller til Folketinget, og hvis medlemmerne af Nye Borgerlige viser mig den store tillid at vælge mig som formand, er det ikke på lånt tid fra min side. Jeg er klar til et langt, sejt træk. For mig er det et maraton – ikke en 100 meter.
Jeg kunne have ignoreret vores lands triste udvikling, men så ville jeg ikke kunne se mig selv i øjnene. Derfor valgte jeg i sin tid sammen med ligesindede at stifte Nye Borgerlige. Jeg kunne nu ignorere vores partis forfatning, men så ville jeg heller ikke kunne se mig selv i øjnene.
Så mange år af mit liv og så meget tid væk fra mine børn har jeg ikke brugt for at opgive Nye Borgerlige og kampen for Danmark nu. For det er i modvind, at man skal stå fast. Og udviklingen er på ingen måde vendt.
Danmark og det danske værdifællesskab er noget, vi forvalter og har et ansvar for. Ligesom vi har en moralsk pligt til at tage ansvar for os selv og vores familie, har vi også et ansvar for at passe på Danmark. Derfor tager jeg naturligvis ansvaret på mig.
Kærlig hilsen
Pernille Vermund
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Ich formuliere einmal um. Der Artikel drehte sich um Politik und mir schwebte ein dahingehend näherliegenderer Aspekt vor:
Wir haben jetzt nach Hörensagen ca. eine Million Ukrainer im Land. Die mögen verrückte messerschwingende Somalis so sehr, wie es ein ’normaler‘ Deutscher, ein Türke oder auch ein Araber aus verschiedenen Gründen ebenfalls tun. All diese Gruppen stehen auch allen woken Entgleisungen eher in sehr weitem Abstand gegenüber, in den Gründen der Ablehnung zu diesen Themen wahrscheinlich noch homogener als die oben Genannten zum Untereinander. Und während sie ihre eigenen unangenehmen Pakete mit- und – fuer das Folgende entscheidend – auch einbringen werden, ist diese Menge signifikant. M.E. damit ein Ziel für den Versuch einer Einbindung durch politische Kräfte, die eher nicht den Herrschenden zuzuordnen sind. Reinstes ideales pedigree ist naturgemäß nicht zu erhalten und enttäuscht damit etliche Leute, bestimmte Dinge – meinetwegen auch eine Individualwertung über ihre Bildung betreffend – liegen zumindest im Bereich des Möglichen.
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