Über die Bereitschaft

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIX

Über die Bereitschaft

Und weil wir Sterbliche sind – das größte Geschenk des menschlichen Lebens ist, daß wir diese Tatsache jeden Tag einfacher sehen und vollkommener verstehen –, müssen wir unser tägliches Leben so einrichten wie einer, der in Bereitschaft lebt. Wie Seneca, als Nero in Urbs[1] regiert; wie die Damen und Herren in den Kellern der Conciergerie[2]; wie jeder Mensch, der in Zeiten der Revolution lebt. Denn das Leben ist Revolution.

Manchmal ist es das ganz besonders; zum Beispiel in der Zeit, in der wir jetzt leben und die Massen die Führung an sich gerissen haben. Deshalb müssen wir à jour[3] leben. Jeden Tag der Welt antworten, in einem Brief, mit einem Gefühl oder einem Gedanken.

Den Zweifel, der tagtäglich aufkommt, umgehend unter Augenschein nehmen; die Frage, wenn möglich, mit aller Kraft beantworten; den fälligen Teil unserer Aufgabe bearbeiten und fertigstellen. Die Natur lebt auch à jour; jeden Tag, alles verarbeitet sie, erledigt, beendet und stellt an seinen Platz.

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[1] Die Stadt, d.h. Rom (Márai)
[2] Pariser Gefängnis, während der Französischen Revolution wurden hier die Gefangenen auf das Schafott gebracht. (Márai)
[3] naprakész – auf dem Laufenden (Márai)
Übersetzung: Seidwalk

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