Lob des Nationalismus

Orbáns Leseliste IV

Als Viktor Orbán in seinem großen Interview in der „Budapester Zeitung“ nach Lektüretipps gefragt wurde, da fiel ihm zuerst Yoram Hazony ein. Dann berichtet er sogar von persönlichen Gesprächen mit dem israelischen Philosophen und Bibelwissenschaftler, die ihn sehr beeindruckt haben. Gleich zwei Bücher empfiehlt er dem Leser – „Nationalismus als Tugend“ wird hier deswegen ausgewählt, weil es seit zwei Jahren eine sehr gut lesbare deutsche Übersetzung gibt.

Die Nation hat keinen guten Leumund, am wenigsten in Europa und dort tut sich Deutschland – das Mutterland der Idee des „Verfassungspatriotismus“ – hervor. Die Europäische Union gilt nach den Wirren des 20. Jahrhunderts als einziger Ausweg und hat mittlerweile als unhinterfragbares Telos fast religiösen Status erlangt. Daß sich in der Person Hazonys einer diesem Paradigma widersetzt, kann man nicht hoch genug anrechnen. Er will uns nicht nur die Nation schmackhaft machen, will beweisen, daß nur sie relative kollektive und individuelle Freiheiten und relativen Frieden schaffen kann, er schlägt sogar eine Lanze für den Nationalismus. Man stelle sich das mal vor! Immerhin genügt es heutzutage doch schon, die Behauptung aufzustellen, aus dem Nationalismus gingen die Kriege hervor und erwüchse dieser ominöse Haß, von dem heutzutage alle reden.

Beschönigende Vokabeln wie „Patriotismus“, den man heutzutage immerhin noch für vertretbar hält, obwohl auch er permanente Rückzugsgefechte kämpfen muß, schlägt er glattweg aus und besteht tatsächlich auf dem Unwort „Nationalismus“. Ihm gegenüber steht auch nicht der Globalismus oder der Internationalismus oder der Transnationalismus und ähnliche Ungetüme, nein, der Gegner wird mit dem Begriff „Imperialismus“ deutlich kenntlich gemacht. In einem 250-seitigen Redefluß, dem man die Schulung in der Analytischen Philosophie anmerkt, werden nun Vor- und Nachteile beider Konzepte entworfen. Beide können gute Gründe vorweisen, die Nation bleibt dennoch der Gewinner, auch wenn sie nicht ohne negative Folgen bleibt.

Der Grundbegriff ist die Loyalität. Auf welche Loyalitäten kann ein politisches System sich stützen. Die einzelnen Menschen bauen auf die kleinen Einheiten, also die Familie, die Stämme, die Clans. Stamm und Clan seien noch ein bißchen wie Familie und Nation sei noch ein bißchen wie Stamm und Clan. Man hat mit seinen Mitgliedern etwas gemeinsam, in erster Linie die Sprache, eine gemeinsame Herkunft, demzufolge geteilte Helden- und auch Leidgeschichten, also die Erinnerung an Kämpfe gegen gleiche Gegner, oft auch eine Religion, Lebensart, Bräuche … kurz, man kennt sich noch irgendwie und wenn nicht, dann hat man die Mittel, sich relativ problemlos kennenzulernen. Man empfindet wechselseitige Loyalität und ist empört, wenn einer der unsrigen angegriffen wird, nicht viel anders als in einer fungierenden Familie, man kann sich aufeinander verlassen, weil man ein Eigenes hat, das sich nur im Zusammenspiel sichern und vermehren läßt.

Ganz anders das Imperium. Dieses kann zwar große, hehre Ziele benennen, will letztlich immer die Einheit der Menschheit erreichen, kommt aber nicht umhin, sich sehr fremde Kulturen zu unterwerfen. Das tut es mit dem Vorsatz, alle Unterschiede zu besiegen und alle Menschen, Völker, Nationen zu erlösen oder gleichzumachen, es kann aber nichts daran ändern, daß jemand, der etwas dagegen hat, sich automatisch „gegen die Menschheit“ stellt und also bekämpft oder vernichtet werden muß. Und so haben es imperiale Versuche immer gehandhabt, seien es die Römer gewesen oder die Sowjets oder sogar die Nationalsozialisten. Ja, Hazony sieht in Hitler gerade keinen Nationalisten, sondern einen Imperialisten, der mit seinem Dritten Reich die ganze Welt unter deutscher Führung beglücken und ewigen Frieden schaffen wollte. Und auch die Europäische Union – das ist der Clou – wird sich in diese Richtung entwickeln und die ersten Anzeichen sind schon lange gut sichtbar. „Das europäische Subsidaritätsprinzip ist nichts anderes als ein Euphemismus für Imperialismus.“

Das alles klingt aufregend gegen den Strich gebürstet, widerspricht unseren Leseerfahrungen der letzten Jahrzehnte, weswegen man dieses Buch durchaus lesen sollte. Hazony holt seine Argumente aus der Geschichte und aus der Politischen Philosophie. So sieht er etwa in Locke und Kant die Urväter des imperialen und des utopischen Gedankens, der in Hayek, Habermas und Rawls mittels einer rationalistischen Erkenntnistheorie weitergedacht wird, wohingegen er für eine empirische Erkenntnistheorie plädiert, denn die anthropologischen Konstanten lassen sich durch kein politisches Konstrukt zum Verschwinden bringen. Man beginnt mit Hazony plötzlich die Notwendigkeit des allgemeinen kulturellen Niedergangs zu verstehen, den Verlust an Freiheit und an tatsächlicher – etwa nationaler – Vielfalt begreifen, die allgemeine Uniformierung, Gleichschaltung, Gleichdenken, das umsichgreifende Gutseinwollen als konsequentes Resultat einer zunehmenden Imperialisierung der Welt zu Lasten nationaler und damit eigenartiger, spezifischer Entwicklungen in ihrer Vielfalt und gegenseitigen Befruchtung.

Denn auch das ist ein valider Punkt: wahrer kultureller Progress kann nur durch wahre Diversität garantiert werden: die jeweils anderen müssen sich aneinander reiben, müssen konkurrieren können und sie müssen bereit sein in verträglichem Maße, die Innovationen der anderen zu inkorporieren. Die große Vermischung und Verwischung macht all das zunehmend unmöglich. Man sieht, Hazony ist ein Umwerter der Werte, besser ein Rückwerter der schon umgewerteten pervertierten Werte. Tatsache ist, daß kulturelle Blütezeiten Perioden der nationalen Vielfalt waren.

Am aufregendsten fand ich Hazonys Auschwitz-Kapitel. Daraus, so argumentiert er, könne man nämlich zwei Schlußfolgerungen ziehen, eine für und eine gegen den Nationalstaat. Die Juden, also die Opfer des Holocaust, haben daraus das Recht auf ein Heimatland geschlußfolgert und gefordert und haben dieses in Form Israels auch bekommen. Damit wurde ihnen – das sehen auch viele Linke so – endlich Recht getan. Gleichzeitig wurde nach dem Weltkrieg aber auch der Ruf nach Überwindung des Partikularismus laut, man kam zu dem Schluß, daß die Nation die Wurzel des Übels sei und wollte sie überwinden. Die Antwort Israels auf Auschwitz widerspricht also diametral der Antwort der Europäischen Union, beide basieren zwar auf denselben Fakten, kommen aber zu ganz anderen Paradigmen. Darin sieht Hazony, bekennender Zionist, die Ursache des weit verbreiteten Israel-Hasses. Israel sei also heute das einzige westliche, moderne und demokratische Land, daß sich aus seiner historischen Erfahrung der Imperialisierung, der Verschmelzung, der Auflösung der nationalen Tradition widersetzt, könne aber umgekehrt gerade von Deutschland, dem Vorreiter der Vermischung, nicht öffentlich kritisiert werden … Gerade weil Israel zu „uns“ gehört, wie etwa auch Serbien (und vielleicht auch Rußland bis zu einem gewissen Grad und Großbritannien nach dem Brexit ganz sicher) werden die Abweichungen vom vorgegeben imperialen Ziel aus dem Imperium heraus so streng sanktioniert, werden sie „moralischer Herabwürdigung“ ausgesetzt. Wollte man nämlich einen fairen Vergleich wagen, dann müßte die halbe Welt ähnlichen Invektiven ausgesetzt sein.

Besonders an diesem Punkt dürfte Viktor Orbán, dem die Gesamtargumentation natürlich gefallen muß, innerlich aufgejubelt haben, denn es gibt Parallelen zwischen dem Volk der Juden und dem der Ungarn, schwache zwar – ich will das nicht gleichsetzen – aber gut sichtbare. Auch die kleinen osteuropäischen Staaten wie Ungarn, Polen, Tschechien – Hazony nennt sie namentlich – führen diesen Kampf um ihre Nation und besonders die Ungarn können auf eine 1000-jährige Separatgeschichte verweisen, deren Glutkern die allen fremde, aber innerlich zusammenhaltende Sprache und deren historisches Territorium – auch damit Israel vergleichbar – das Karpatenbecken ist, das natürlich viel weiter greift als das heutige Rumpfungarn. Hazony lobt diese Länder für ihren Widerstand gegen die EU. Orbán findet in Hazony also einen Denker, der sein Konzept der illiberalen Demokratie und des nationalen Alleingangs theoretisch begründet und weiterdenkt. Länder wie Ungarn sind viel näher an den Vorteilen des Nationalen dran: sie führen keine Kriege und wenn, dann nur an den Grenzen, sie plädieren für die kollektive Selbstbestimmung und für den produktiven Wettbewerb zwischen den Nationen und sie schaffen zumindest theoretisch die „Grundlage zur Herausbildung freier Institutionen und individueller Freiheiten“.

Wir haben hier ein äußerst erfrischendes Werk vor uns! Das ändert freilich nichts daran, daß Hazony oft unzulässig vereinfacht und auch sein Dauerbezug auf Israel und das Alte Testament können als problematisch gesehen werden. Ein repetitiver Redeschwall hämmert die Botschaft ein: Nation ist gut, sie schafft und setzt Loyalität voraus, etwas, das einem Imperium nie gelingen wird, sie ist – trotz aller intrinsischer Probleme – das beste, ja das einzige Gesellschaftsmodell, das relativ gewaltfrei funktionieren, Freiheiten und kulturellen Fortschritt garantieren kann. Die Direktheit der Botschaft, verschlägt einem fast die Sprache, sie dürfte ein Schock für alle Unbedarften sein. Denen sollte man das Buch zuvörderst zumuten.

Yoram Hazony: Nationalismus als Tugend (The virtue of Nationalism). Ares Verlag. Graz 2020. 272 Seiten. 25 Euro

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