Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXXIV
Über die Bildung des Charakters
Selbstgefällig und stolz denkst du daran, ein paar Bücher gelesen und verstanden, dein Wissen vermehrt, etwas über die Natur oder die menschliche Seele gelernt zu haben.
Du empfindest dich als „gebildet“, besser als die Unwissenden? Denke nur daran, welche unendliche Menge an Wissen in der Gesamtheit der Bücher verschlossen liegt und was man nicht alles wissen und lesen müßte, um auch nur ein einziges Buch vollständig zu verstehen. Denk an die eisernen Gestelle, die um die Bibliothek des Britischen Museums herumlaufen, wie lange du leben müßtest, um etwas von dem Gedankengut kennenzulernen, das in den dort angesammelten Büchern verschlossen liegt!
Doch bleibe nur in deinem Bücherzimmer, und gestehe, wie viele der Bücher, die in deinem Bücherregal aufgereiht stehen, du noch nicht gelesen hast, und selbst unter denen, die du gelesen hast, wie viele du davon vollkommen verstanden hast und wie vielen du mit ganzer Aufmerksamkeit gefolgt bist.
Nein, die „Bildung“, wenn sie dem Universum des menschlichen Geistes entgegenstarrt[1], ist nur eine vergebliche und eitle Haltung. Bedenke lieber, dass das Verstehen, das Erfassen, das Fühlen einer einzigen Erkenntnis bereits die volle Anstrengung des Lebens erfordert.
Und bedenke auch, wie viel vor deiner Zeit geschrieben, gedacht wurde, welch Ozean der Gedanken in der Vergangenheit ruht und mit welcher Flut die Fülle menschlicher Gedanken in jedem neuen Zeitalter aus der Gesamtheit der Phänomene und Ereignisse fließt. Denke daran, und dann schämst du dich. Die Bildung deines Hirns ist endlich und kindisch. Aber die Bildung deines Charakters und deines Herzens kann vollständig und eines Menschen würdig sein, auch dann, wenn dein intellektuelles Wissen begrenzt ist.
seidwalk 
[1] Nem, a „műveltség”, mikor farkasszemet néz az emberi szellem világegyetemével… – nicht einfach, diesen Satz zu durchdringen: Vorschläge sind wollkommen
Danke für die Einladung! Ein Wort würde ich hinzufügen:
Nein, die „Bildung“, wenn sie dem Universum des menschlichen Geistes herausfordernd entgegenstarrt[1],…
Farkasszemet nézni: mit Wolfsblick einander die Augen fixieren (wer hält das länger durch?)
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Ja Bildung ist eitel, aber nicht hauptsächlich wegen der Selbstgefälligkeit und dem Stolz irgendeines „Gebildeten“, sondern viel mehr im Sinn der anderen älteren Bedeutung des Wortes als vergeblich, mit Schwerpunkt auf den Aspekt der Distanz zur damit verbundenen Strampelei.
Marai wäre nicht der Schriftsteller der sich mir gerade aus den Miniaturen hier bietet, wenn er nicht bei Büchern stehen bliebe. Es ist aber die Welt, die das wirklich Große ist. Darin liegt die Wahrheit der Realität, völlig unzulänglich durch Bücher usw. ganz prinzipiell abbildbar. Weil auch unformulierbar zu großen Teilen. Was aber OK, fuer mich selbst mittlerweile regelrecht beruhigend, ist.
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