Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXVIII
Über die Feiertage
Wenn in deinem Leben ein Feiertag ansteht, dann feiere ihn voll und ganz. Trage schwarz. Bürste dein Haar mit einer nassen Bürste. Reinige dich innerlich und äußerlich. Vergiß alles, was zu den Zeremonien und Aufgaben der Wochentage gehört.
Der Feiertag sollte nicht nur in deinem Kalender mit roten Buchstaben geschrieben stehen. Sieh dir die Alten an, wie andächtig, wie bedingungslos, wie umständlich, mit welch wilder Freude sie feierten! Das Fest ist das Anderssein[1]. Das Fest ist eine tiefe und zauberhafte Abweichung[2]. Das Fest soll festlich sein. Es soll Tanz geben, Blumen, junge Frauen, auserwählte Gerichte, blutaufwallende[3] und vergessen machende Getränke.
Und vor allem sei darin etwas von der alten Ordnung, vom siebten Tag, von Unterbrechung, vom kompletten Abschalten, es sei darin Andacht und Unbedingtheit. Die Feier, das ist der Rang, der höhere Sinn des Lebens. Bereite dich darauf vor, mit Leib und Seele.
Und nicht nur der Kalender hat rote Tage. Das Leben bringt auch andere, unsichtbare Feiertage mit sich. Dann vergiß alles, achte auf das Feiern.
Das Fest soll festlich sein. „Az ünnep legyen ünnepies“, so Márai. Hätte ich so einen Satz in meiner (ungarischen) Grundschule der Lehrerin zugemutet, wäre ich ausgeschimpft worden vor der ganzen Schulklasse. Der Alltag soll alltäglich sein? Dichterische Freiheit, ich weiß…
Seidwalk: Worauf wollen Sie hinaus? Der Satz ist keine Tautologie, wenn Sie das meinen, weder im Ungarischen noch im Deutschen. Es gibt Festliches, ohne ein Fest zu sein und es gibt Feste, die gänzlich unfestlich sind. Natürlich gehören beide Begriffe zum selben Wortfeld aber sie sind nicht deckungsgleich.
Die Frau soll fraulich sein. Das Haus soll häuslich sein. …
Ein übersetzerisches Problem stellt hier die Tatsache dar, daß das Ungarische nicht so deutlich zwischen „Feier“ und „Fest“ unterscheidet: ünnep/ünneplés/ünnepség. Insofern sind die jeweiligen Übertragungen unwillkürlich willkürlich. Änderungen vorbehalten.
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