Flaggschiff „Junge Freiheit“

Einer der spannendsten Thriller, den ich je gelesen habe, ist die 2006 erschienene 20-jährige Geschichte der „Jungen Freiheit“. Sie hat alles, was man von einem grandiosen Pageturner erhoffen kann: Spannung, perfektes Gespür für Geschwindigkeit und Rhythmus, faszinierende Figuren, komplexe Zusammenhänge und tiefsinnige Gedanken und Reflexionen. Allein, nichts, was dort steht, ist fiktiv, alles ist passiert und wird akribisch dokumentiert. Ich mußte dieses satte Buch in vielen kleinen Sitzungen lesen, immer wieder unterbrechen, bremsen, aufatmen, reflektieren, eruieren, voller Gedanken und Emotionen. Wem das nicht als Empfehlung genügt, der lese weiter.

Äußerlich ist es eine Jubiläumsschrift – man erwartet von derlei in der Regel nicht viel. Hier jedoch nichts von gesalbten Reden und Lobhudeleien, hier geht es sofort ans Eingemachte. In einem ersten Kapitel wird die Geschichte des „Flaggschiffes“ der konservativen Presse erzählt. Die ist an sich schon faszinierend.

Die „Junge Freiheit“ ist ein Kind Dieter Steins, ihr Alleinstellungsmerkmal – zumindest bis zum Jahre 2006, vielleicht auch heute noch –, findet man in der Thematik, dem Ton, der „Zuspitzung der Fragen“, den Ambitionen, dem Enthusiasmus der risikofreudigen Mitarbeiter und dem Durchhaltevermögen, denn dahinter stehen keine Geldgeber, Unterstützer, kein großes Verlagshaus – wo andere gepampert werden, dort fand die „Junge Freiheit“ Gegenwind.

20 Jahre JUNGE FREIHEIT. Idee und Geschichte einer Zeitung : Kubitschek,  Götz: Amazon.de: Bücher

Sie begann sehr idealistisch als Studentenzeitung 1986 in kleinster Auflage und mauserte sich innerhalb von wenigen Jahren zur ersten Adresse. Sie verstand sich von Anfang an als Ausdruck einer politischen Normalität, als Symbol gelebter Meinungsfreiheit, mußte aber immer wieder lernen, daß ihr diese Normalität vom Establishment nicht zuerkannt wurde. Sie setzte sich gegen enorme Widerstände durch, gegen die Verunglimpfungen der bundesdeutschen Medien, gegen den Verdacht des Verfassungsschutzes, gegen den politischen Widerstand der Parteien, gegen die physische Gewalt bedeutenden Ausmaßes der Antifa und gegen die Angst und Feigheit derjenigen, die darin hätten zu Wort kommen müssen und sollen, den Schwanz aber aus Sorge vor Vergeltung einzogen.

Auch die inneren Kämpfe waren zu bestehen. Immer wieder gab es interne Querelen, meist um die Frage der prinzipiellen Ausrichtung. So kamen und gingen die Redakteure und Mitarbeiter, brachten und nahmen ihre Ideen und Stile mit – was blieb, der Fels in der Brandung, das war Stein. Man kann nach der Lektüre dieses Buches nur den Hut vor diesem Manne ziehen!

All das ist organisch eingebettet in die bundesdeutsche Geschichte, die man hier aus dieser originellen und ungewohnten Perspektive rekapitulieren kann. Das Buch ist opulent bebildert. Jede zweite Seite bringt ein Bild oder eine Reproduktion wesentlicher Artikel oder Dokumente, die man freilich oft mit der Lupe studieren muß, aber das lohnt sich, man ist fast immer einer heißen historischen Fährte auf der Spur oder schwelgt in den „guten alten Zeiten“. Ein Geschichtskurs der anderen Art. Auch eine intellektuelle  Geschichte der Rechten in Deutschland.

stein

Fast nebenbei fallen viele Namen und Titel, wird man in eine Geisteswelt eingeführt, die man sonst nicht auf Glanzpapier präsentiert bekommt. Die Literaturhinweise, denen ich nachgegangen bin, sind Legion und nun ist meine Bibliothek mit einer ganzen Reihe mir bis dato unbekannter oder übersehener Autoren und Titel bestückt, von denen ich jetzt schon ahne, daß sie mich zum Staunen bringen werden. Allein, weil die Einsicht dämmert: Das also gab es damals schon!? Immer wieder erschrickt man förmlich, wie alt doch die meisten unserer heutigen Probleme und Diskussionen sind, fast alles war schon da, es gab schon immer kluge Leute, die das gesehen hatten, lange bevor ich selbst die Augen geöffnet habe. Und auch ihre Argumentationen haben heute noch Bestand. Das Buch ist eine Fundgrube.

Zu allem Überfluß ist es auch noch verdammt gut geschrieben. Der Autor ist ein gewisser Götz Kubitschek, selbst zwei Jahre Redakteur des Blattes, später freier Autor und neben Torsten Hinz, Werner Zehm, Karlheinz Weißmann oder Michael Paulwitz sicher eine der besten Federn der Zeitschrift.

Zumindest liest sich das Buch wunderbar. Es glänzt immer wieder mit Kubitscheks Meisterschaft der Zuspitzung, der theoretischen Zusammenfassung, der strategischen Einordnung, seiner natürlichen Veranlagung, analytische Schlüsse zu ziehen, die Draufsicht zu erlangen, zu abstrahieren.

Daneben lebt es aber auch aus der Spannung zwischen Stein und Kubitschek. Letzterer hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits sein eigenes Projekt, die „Sezession“, etabliert und eigene Ambitionen angemeldet. Stein überließ ihm die Arbeit an dieser großangelegten Retrospektive, „obwohl er wußte, daß die Geschichte seiner Zeitung nun vor allem so erzählt werden würde, wie ich (Kubitschek) sie sah“, Kubitschek schrieb sie so, wie er sie schreiben wollte. Das war im Sinne dieses Buches ein Glücksgriff.

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Kubitschek begriff seine Mitarbeit als Dienst, er „trat stets einen Dienst an“, wenn er die Redaktionsstuben betrat, sein Ton ist unnachgiebiger als der Steins. Am Begriff der „Neuen Rechten“ etwa wurden die Spannungen deutlich – Stein lehnte ihn ab und schrieb im hauseigenen Verlag sogar eine Widerlegung dazu[1] – Kubitschek benutzt ihn bis heute noch als Medaille und bekennt seinen Zweifel am simplen Begriff „konservativ“. Ein langes Interview, das Kubitschek mit Stein führte – auch dieses immer wieder von strategischen Überlegungen unterbrochen – endet mit einem klaren Dissens:

Stein: … Die JF sollte und soll eine klassische politisch-kulturelle Wochenzeitung sein, die einen erheblichen Binnenpluralismus aufweist und keine Zeitung ist, die sich irgendeinem festen ideologischen Weltbild verschrieben hat. Die Klammern sind Nation, Konservatismus, Freiheitlichkeit.

Kubitschek: Du merkst, worauf ich hinaus will: Normalität wäre zugleich das Ende einer Idee!

Stein: Falsch! Über die JF, über das, was wir schreiben und denken, muß in Deutschland völlig normal diskutiert und berichtet werden können. Das ist die Idee.

Umso beeindruckender, daß Stein Kubitschek dieses Buch machen und daß Kubitschek im Laufe des Textes Stein immer wieder verteidigt und ihm Gerechtigkeit zukommen läßt. Wo, in welchem anderen Milieu kann man so etwas heutzutage noch beobachten?

Kurz und knapp: ein großartiges, wertbeständiges Buch, noch immer für wenig Geld bei verschiedenen Anbietern zu haben.

Götz Kubitschek: 20 Jahre Junge Freiheit. Idee und Geschichte einer Zeitung. Edition Antaios. Schnellroda 2006. 302 Seiten
[1] Dieter Stein: Phantom „Neue Rechte“. Die Geschichte eines politischen Begriffs und sein Mißbrauch durch den Verfassungsschutz. Edition JF. Berlin 2005 – kurze Besprechung folgt.

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